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11

In drei Tagen zog der Winter über die Ebene, bei klarem Wetter zog der Frost ein. Die Sonne schien weiß, das Wasser fror stetig, an den Akazien hing noch halbgrünes Laub und zitterte an den Stengeln. Morgen noch wird es fallen. Gänse und Enten flogen in Scharen seewärts, in Sault St. Marie läuteten die Glocken den frühen Winter ein.

Doch zum Dreschen war das Wetter gut, das Korn klapperte hart in der Trommel. Es fuhr sich auch gut mit dem Getreidewagen, die jetzt auf allen Wegen nach Sault St. Marie fuhren, der Frost war sein Geld wert.

Und der Abend kommt mit seinem silbernen Licht, das sich so weit über das Land ergießt. Es ist halber Mond und bewölkter Himmel, ein kranker Zugvogel allein fliegt dicht über der Erde, die Kälte drückt ihn nieder. Aber mehr noch als Krankheit und Kälte quält ihn die Einsamkeit, sie bricht ihm das Herz. – –

Jens nahm Abschied von Kal, er stand wieder auf seinen Füßen. Stone machte down, als ihn Jens anblickte; sie standen in Jens' Kammer.

Ich höre sprechen, sagte Jens und blickte Kal fragend an.

Es ist Allister, erwiderte Kal. Er ist an jedem Abend im Hause. Fanny hat ihn verhext.

Jens wurde rot und schwieg.

Es ist harter Frost, fuhr Kal fort, ich will dir meinen Pelz geben.

Jens blickte ihn gerührt an und flüsterte: Ich will nicht mehr mitnehmen, als ich mitgebracht habe!

Du hast dein ganzes Geld verloren, sagte Kal, wenn du jetzt gehst, siehst du es nie wieder.

Rede nicht davon, erwiderte Jens, überdies gab mir Tucy heute tausend Dollar zurück.

Das hast du Allister zu verdanken, er hat Tucy das Geld aufgedrängt. Für dich, es lag ihm viel daran, daß du bald aus dem Hause ziehst … wegen Fanny.

Still! Jens wurde wieder rot. Er hinkte zur Tür und lauschte. Es klopfte, Allisters demütige Stimme erklang: Ich habe einen Wagen mit zwei Pferden vor dem Hause. Es ist starker Frost, zwei Felle liegen im Wagen. Fritjof fährt dich nach Cachel …

Jens horchte und sagte durch die Türe: Dank, Dank, Allister, ich benötige den Wagen nicht. Gott sei Dank bin ich mobil auf den Beinen.

Aber du hinkst noch! hörte er Allister sagen.

Darauf wurde es still hinter der Tür.

Er wollte dich beleidigen, sagte Kal, aber nimm die Fahrt nach Cachel an.

Ich kenne mich aus, murmelte Jens, Allister handelt Tucy die Ernte billig ab. Warne Tucy, diese Art will aus Tucys Not Geld schlagen.

Ja, ja, erwiderte Kal, Allister hat auch Chester und Daniel vom Hofe jagen lassen. Er hatte sich hinter Fanny gesteckt. Wenn auch du fort bist, wird er Tucys Ernte dreschen lassen.

Genug, murmelte Jens und nahm seinen Seesack. In diesem Augenblick knisterte es wieder vor der Tür und Allister rief: Fahr nach Cachel, Jens, der Reverend erwartet dich in seinem Hause. Louison wird dich erwärmen, du Herzensbrecher …

Jens wurde weiß im Gesicht, er riß die Tür auf und wollte Allister ein Wort sagen, als er Tucy und Fanny neben Allister stehen sah. So blickte er Allister nur warnend an. Doch Allister schlug die Warnung in den Wind und sagte: Damit du es nur weißt, ich habe Maria aus dem Hause jagen müssen, weil sie sich im Traum verraten hat, sie lallte deinen Namen! Das ist ja die Pest mit dir … der Geier hole dich!

Jens nahm einen Schritt und schlug ihn zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht. Allister nahm die Schläge kalt hin, er starrte ihn an und sagte plötzlich: Schlag zu, du Narr, und wenn du Cornelia in Buffalo siehst, dann vergiß nicht zu sagen, daß du ihren alten Vater geschlagen hast. Ihr seid meine Zeugen, alle meine Zeugen, mit Namen: Fanny, Tucy und Kal … er hat mich ins Gesicht geschlagen. Das wird Öl in Cornelias Ohren sein, Öl, Öl!

Verzeihen Sie mir, flüsterte Jens und griff nach Allisters Händen, Sie haben mich gereizt … Haben Sie Erbarmen, Allister …

Fanny lachte laut und Tucy stand mit verkniffenem Gesicht dabei.

Ich verzeihe nichts! schrie Allister. Lassen Sie meine Hände los …

Ich brachte Ihnen den Dampfzug in Gang, sagte Jens und wurde rot, er faßte sich und blickte Fanny, Tucy und Allister der Reihe nach an. Er sah nur Spott und Hohn in ihren Gesichtern, danach sagte er: Seid ihr sicher, daß ich so ein schlechter Mensch bin, den man aus dem Hause werfen muß?

Ja! rief der alte Allister.

Jens schloß die Augen … ich könnte sie alle schlagen, schlagen, dachte er. Aber es geschah nichts weiter, er nahm den Seesack, pfiff Stone zu sich, ging an seinen Peinigern vorbei und verließ das Haus. –

Das war der nackte Vorgang, wie er sich bei seinem Auszug abspielte. Es gab aber noch einen anderen Bericht über diesen Vorgang, von übelwollenden Fingern dargestellt und niedergeschrieben. Daß er Allister ohne Anlaß heftig geschlagen haben soll, als dieser die Ehre in Tucys Haus bedroht sah. Tucys männliche Ehre!

Es sind nur zwanzig Meilen nach Cachel, sagte sich Jens und ging mit Stone durch die Nacht. Zwanzig Landmeilen, die Meile mit fünfzehnhundert Schritten. Er hatte nicht mit diesem bösen Wetter gerechnet. Es fror ihn an den Fingern, obgleich er seine Fäustlinge übergezogen hatte. Der Seesack schützte seinen Nacken. Während er eine Hand in der Tasche hatte, fror die Hand, mit der er den Seesack hielt. Er kam aber bald auf den Gedanken, den Seesack an seinen Enden mit Bindfäden zu verknüpfen und hängte ihn über die Schulter. Später hat er ihn auch auf andere Arten getragen; es ist nicht leicht, mit einem ewigen Gepäck auf dem Rücken zu gehen. Der Weg war hart gefroren und von tiefen Furchen zerschnitten. Doch kannte er den Weg nach Cachel aus dem Kopf, er wußte die Richtung und verließ bei Zeiten den schlechten Weg und lief über die Ebene. Ein Wald zog sich hin, den er zu seiner Rechten ließ. Es gab noch andere Merkmale, die zerstörten Gebäude einer verlassenen Farm, eine zusammengesunkene Holzkirche und zwei ragende Kruzifixe. Von Cachel aus war der Weg nach Sault St. Marie noch leichter zu finden, denn hinter Cachel erstreckt sich das Flußbett des Sault St. Marie.

Stone lief flink auf seinen vier Beinen, Jens nahm lange Schritte, er unterstützte seinen kranken Fuß durch einen hastigen Doppelschritt. Er fand es zuträglicher. Ja, wie mancher lief sich die Füße wund, um rechtzeitig vor dem ersten harten Frost die Holzstraße von Sault St. Marie zu erreichen. Wind, Wind in den Ohren, die blauen Vögel von den Ufern des Oberer-Sees fliegen tief ins Land hinein und erfüllen mit ihrem Kreischen die Luft. Wind! Wind! Jens fühlte ihn im Nacken, er schob den Seesack höher hinauf, aber, wie er sich auch schützte, der Wind stand vor ihm auf, riß an seinen Kleidern und jagte mit seiner Kälte durch ihn hindurch. Stone, den starken Stone schlug es zur Seite, er lief mit hängendem Kopf, oft duckte er sich und rieb seine Ohren an der harten Erde. So war es bei Anbeginn der Nacht. Nach einer Stunde wurde Stone unruhig, er drehte sich im Wind und schnupperte. Es war dunkler geworden, die Wolken trieben tiefer, aber es war nicht mehr ganz so kalt. Stone drehte sich weiter im Winde, er witterte etwas.

Was ist los, Stone?

Bald darauf hörte er etwas hinter sich, er sah nichts, aber er hörte das Geräusch eines Wagens, das ihm der Wind zutrug. Ein Wagen in der Nacht? Ja, er hörte einen jagenden Hufschlag und sah einen Schatten über die Ebene brausen; er machte zwei Pferde an einem kleinen Wagen aus, vorn saß der Kutscher. Die Pferde liefen im gestreckten Galopp, sie wurden von einer rücksichtslosen Hand getrieben. Der Wagen kam von St. Martin. Es kann Allister sein, überlegte er, Mac Allister, der den Fahrweg meidet, um schneller nach Cachel zu kommen. –

Das Fuhrwerk war nicht mehr zu hören, der Wind trug den Schall mit sich. Mechanisch lief er im Doppelschritt, seine Gedanken schliefen ein und er nahm nichts mehr wahr, was seine Ruhe hätte stören können. Die zusammengesunkene Holzkirche tauchte auf. Im Wind lag jetzt eine wärmere Strömung. Als er nun die Holzruine sah, frohlockte es in ihm. Das schmale Kirchenschiff stand noch, und selbst in der Dunkelheit war der Fleck zu sehen, wo einst der Altar stand. Die Dachlatten klapperten laut, der offene Turm schwankte und neigte sich unter dem anspringenden Wind. Einen Augenblick dachte er daran, in der Ruine ein Feuerchen anzulegen, das den Rest der Holzkirche verschlang. Eine Stunde weit würde ihm das Feuer den Weg weisen. Es zuckte in seinen Fingern, doch es ist ein langer Weg vom Verstand bis zu den Fingern. Aber solche Gedanken kommen in der Nacht, sie gehen und kommen, eine ganze Welt könnten sie anzünden und sich daran ergötzen. Steckst du eine Kerze an, so gibt es Licht, dachte er und lief schnell weiter. Er schwatzte eine Weile mit Stone, seine Seele aber weit entfernt von dem, was sein Mund schwatzte. Stone aber horchte auf jedes Wort, er sprang an ihm hoch und schnappte nach seiner Hand, und ohne daß einer von ihnen es merkte, begann es zu schneien, erst in feinen Flocken, die der Wind wie Nebel mit sich trug. Unmerklich färbte sich die Erde weiß, der Schnee begann in der Dunkelheit zu leuchten. Jetzt sah es auch Jens, die Luft wurde unsichtig und ganz plötzlich fiel der Schnee in dicken Wirbeln durch die dunkle Luft.

Als er vollends begriff, was um ihn vorging, blieb er stehen und besann sich. Zum Fahrweg! wie aber sollte er den Fleck bestimmen, auf dem er stand. Tausend Schritt zurück steht die Ruine, von dort ist der Weg leicht zu finden. In welcher Richtung aber steht die Ruine? Nur einen Schritt zu weit nach Osten oder Westen und er mußte die Ruine verfehlen. Nein, damit war nichts getan. Was er auch unternahm, alles fügte sich zu seinem Verhängnis.

Stone sprang an ihm hoch und wühlte mit der Schnauze unter seiner Jacke. Ha, Stone, gib mir die Richtung! – Der Hund blieb stehen und scharrte im Schnee.

Stone, den Weg, such den Weg! … aber Stone machte nicht den ersten Schritt. Jens lauschte vor sich hin, eine dumpfe Entschlußfähigkeit beherrschte ihn. In seiner Gedankenlosigkeit begann er aber zu gehen und nahm eine Richtung auf, die ihm sein Instinkt vorschrieb, schließlich dachte er nicht mehr darüber nach, er trieb Stone zur Eile an, es zog ihn in eine bestimmte Richtung hin, wie er meinte, gen Cachel. Einmal mußte es Tag werden, der Schnee würde nachlassen, und wenn er Cachel verfehlte, so würde er doch den Saul St. Marie erreichen. Es war nicht den Schrecken wert, der ihn überfiel. Am Morgen würde er Holz finden und er konnte für sich und Stone abkochen.

Um diese Jahreszeit sind die Nächte lang, das Licht kommt mit einer schleichenden Müdigkeit. Wenn es aber erst schneit, dann bleibt das Licht noch länger aus; die Nächte sind endlos. Auch mildert der Schnee die Kälte nicht mehr. Um vier Uhr, um fünf Uhr kann es die kälteste Zeit sein. Es kann aber auch am späteren Morgen eine noch stärkere Kälte herrschen als in der Nacht. Und wenn der Schnee dicht rieselt, dann fällt die Kälte mit vom Himmel, der Schnee wandelt sich dreimal in der Luft bis zum winzigsten Kristall. Dann fällt kein warmer Sonnenstrahl in einem ganzen Monat, nichts als Schnee und Frost. Erst füllt der feine Schnee die Unebenheiten des Bodens aus, dann steigt er stetig. Im Walde ist es erträglicher, die Bäume fangen den Schnee ab, Wildspuren beleben den Wald, es lebt etwas in der Unendlichkeit, jemand frißt an der Rinde. Es braucht nicht mehr zu sein, wenn nur etwas frißt. In der Ebene aber lebt nichts mehr, der Schnee deckt alles zu, und nur das Stöhnen des Windes treibt Wolken und Schneewirbel über die Erde.

 

Es stand ein Steinhaus in der Ebene, der Schnee nahm jede Sicht. Jens sah das Haus nicht, es stand am Walde. Es kann auch sein, daß seine tränenden Augen dennoch eine Wand oder ein Dach sahen, er sah aber zugleich den rettenden Wald, und der Wald versprach Holz und ein Feuer. Später überlegte er, daß er etwas im Schneewirbel sah, ein Dach meinte er gesehen zu haben. Seine Augen waren durch Schnee und Kälte entzündet. Dieses Steinhaus war aber ein Stall, das einem Viehhändler aus Cachel zugehörte, welcher seine Rinder im Frühjahr auf die fetten Weiden trieb. In dem Steinhaus fanden Körungen und Verkäufe statt. Das Haus liegt genau zehn Meilen in nördlicher Richtung von Cachel. Jens kannte jedoch diesen Stall nicht, er lag außerhalb der Richtung, nordwestlich des geraden Weges von St. Martin nach Cachel.

Er hatte eine Stelle im Walde gefunden, wo dichter Kiefernwuchs Schnee und Wind abhielt. Unter Schnee fand er dürres Holz, er machte sich aus Steinen eine Herdstelle, füllte Schnee in einen Topf und kochte ab. Er war entschlossen, nur eine kurze Zeit Rast zu halten, am Abend hoffte er Cachel zu erreichen. Er trank viel heißen Tee, aß kräftig und trank weiter heißen Tee; er wurde müde, mit schmerzenden Augen sah er Stone zu, der aus dem Topf warmen Tee soff. Der eisige Wind fegte durch das Unterholz, das Feuer fauchte, Schnee rieselte von den Zweigen; nun war es Oststurm geworden. Aus einer Stunde wurden zwei Stunden Rast. Es ist hohe Zeit, sagte er sich, doch erhob er sich nicht. Seine Augen brannten, das Feuer tanzte vor seinen Augen, der Sturm ächzte und die Bäume zuckten in wilden Verrenkungen.

Welch ein Sturm! dachte er, ich bin in ein entsetzliches Wetter geraten. Aber Cachel ist nahe, zur Nacht werde ich in Cachel sein und an die Häuser klopfen.

Er erhob sich, seine Füße waren erstarrt, und als er seinen Seesack schnürte, ermaß er, wie schnell die Hände erfrieren, wenn sie nicht in Fäustlingen stecken. Aber einige Meilen draußen mußte ja Cachel liegen und dies ist der Wald, welcher Cachel vorgelagert ist. Und jetzt entsann er sich, im Schneewirbel ein Dach gesehen zu haben. Ein Dach, und es mußte festzustellen sein, ob hier ein Haus steht. Sollte er richtig gesehen haben, dann gab es eine Möglichkeit, den Rest des Tages und die Nacht unter Schutz zu verbringen. Der Gedanke beflügelte ihn, er entsann sich jetzt mit Sicherheit, etwas gesehen zu haben. Er warf den Seesack um, häufte Schnee in das sterbende Feuer und klopfte Stone den Schnee aus dem Fell. Er sagte ein stilles Gebet vor sich hin und voll innerlicher Glut flüsterte er sich den Ruf um gute Ankunft in Cachel zu. Erschöpft lehnte er gegen einen Baum, die Anstrengung seiner Gedanken hatte ihn schwindlig gemacht, er riß die Augen auf und stieß einen Fluch aus.

Schnee stob ihm entgegen, er sah nicht die Hand vor Augen, und als er den Wald verließ, dachte er darüber nach, wo er denn das Dach gesehen haben wollte. Seine Fußspuren waren verweht, da war keine Wegmarkierung, kein Stein und kein Baum, dessen er sich erinnerte. Eine Zeit stampfte er durch den Schnee, hierher, dorthin, er suchte ein Haus, ein Dach. Aber bald überzeugte er sich, daß er sich getäuscht hatte. Er irrte am Holze entlang, er lief voran und sah plötzlich eine Schneise im Wald. Das ist der Weg nach Cachel, jubelte es in seiner Brust. Ein Weg, eine breite Straße ist das ja, die den Wald durchzieht. Ein Wunder. Ein Haus hat mich genarrt, nun finde ich den Weg, der mich nach Cachel bringt.

Der Schnee war auf die Windschlagseite geweht, dicht daneben lag der Schnee nur fußhoch. Diesen köstlichen Weg zog er mit Stone, Freude und Dank im Herzen.

Es wurde ein endloser Weg, er sah nicht, daß es eigentlich kein Weg war, sondern ein breiter Graben, in dem sich aus alter Zeit Flugsand gesammelt hatte. Der Graben zog sich in gerader Linie hin und führte ihn weit an Cachel vorbei.

Am Abend schneite es nicht mehr, Sterne durchdrangen die Nacht, der Mond zog auf. Zur Nacht kam mildere Witterung, und Jens, der bis zuletzt hoffte, Cachel zu erreichen, wußte nun, daß er an Cachel vorbeigezogen war und sich mit jedem Schritt von der Siedlung entfernte. Er erkannte auch die Sternbilder nicht wieder, diesen und jenen Stern stellte er fest, doch konnte er sich auch irren, er wollte den Sonnenaufgang abwarten. Doch eines wußte er gewiß, wenn er weiterging, immer in der gleichen Richtung, an einer Stelle mußte er auf den Sault St. Marie stoßen. Und wenn die Wasser reichlich waren, die der Fluß im Herbst mit sich führte, dann hat der Frost den Fluß noch nicht überwältigt. Das sagte er sich aus einer Vorfreude, endlich die Wasser des Sault St. Marie murmeln zu hören, und weil das Wetter so milde war. Es mochten nur zehn Grad unter Null sein, weder Wind noch Schnee in der Luft.

An einer günstigen Stelle warf er Schnee aus und grub mit Händen und Ellenbogen eine Höhle, Stone scharrte an einer anderen Stelle ein Loch in den Schnee. Jens hüllte sich in eine Wolldecke und warf alle Kleider aus dem Seesack über sich, er fand es warm in der Höhle, aß ein wenig und schlief ein. Dann kroch auch Stone zu ihm und legte sich über seine Füße. Sie schliefen lange. Jens hörte durch seinen Schlummer einen Hahn krähen und lachte laut im Schlaf. Er sah eine blumige Wiese zwischen waldigen Höhen, sah Hennen und Hühner, ein junger Mann ging daher, er ging einen schmalen Weg durch die Wiesen, er war nach Art der Bauern gekleidet, er lachte mit den Schultern und ging etwas müde. In seinem Rücken erhob sich ein Mädchen aus dem Grase und blickte dem Mann nach, und die Weise, wie sie ihm nachblickte, machte die weite Wiese trunken. Das Mädchen erhob sich, der Rock war verschoben. Ihr Gesicht war dunkel, die Augen groß und glänzend, sie blickte durch die Wiesen hindurch; als sie ging, zischelten die Wiesenblumen …

 

Klirrender Frost am Morgen, die Sonne funkelte über dem Walde. Jens stand frierend vor der Höhle und durchsuchte seine Kleider. Geduld! Sein Gesicht zeigte ein starres Lächeln, zum dritten Male durchsuchte er seine Tasche, vor ihm lag ein Haufen Holz und etwas Papier, darunter die blankgefegte Erde. Er hatte sein Luntenfeuerzeug verloren. Ruhe! Er lief ein Stück, blickte in den Himmel und ächzte. Die große Kälte zog durch seine geöffneten Kleider, er knöpfte die Jacke durch und tastete das Pelzfutter seiner Überjacke mit starren Fingern ab. Alle Arten, wie man Feuer hervorzaubert, zogen durch seinen Kopf. Aber es lag Schnee über der Erde, kein Kiesel war zu entdecken. Hätte er Lunte, hätte er nur Lunte. Seine Wangen zeigten weiße Flecken über den Backenknochen, es stach in seinem Gesicht und er wußte, was es zu bedeuten hatte. Er rieb sich die Wangen mit Schnee. Die Kälte zog durch seine Finger, ein brennender Schmerz ging durch die Ohren und durch seine Stirn, es ward ihm übel, er warf sich die Decke über und begann zu laufen. Jetzt entsann er sich eines Feuersteins in seinem Seesack. Er atmete auf, stürzte sich auf seinen Seesack und durchsuchte ihn. In einem Kästchen fand er den Stein; er suchte weiter, warf alles auf einen Haufen, durchsuchte Taschen und Behälter und fand ein wenig Lunte. Er schrie vor Freude, kroch in die Höhle und schlug mit dem Feuerstein einen Funken in die Lunte. Er blies die Glut an einem Stück Papier zur Flamme. Etwas später hatte er ein Feuer im Gange, er schleppte mehr Holz bei, das Feuer brannte lustig. Er verbrannte ein großes Stück Leinen und legte die Lunte in eine Blechdose, dazu den Feuerstein. Aus einem Stahlknopf und einem Faden machte er ein Feuerrad und barg alles zusammen in seiner Brusttasche.

So ward es hoher Morgen, als er mit Stone weiterzog, gesättigt, mit dankbarem Gemüt blickte er zur Sonne auf, denn nun mußte ihn der Weg zum Sault St. Marie führen. Etwas aber ließ ihn schauern, eine Angst, die ihm plötzlich zur Seite ging. Blickte er sich um, so stand die Angst in seinem Nacken. Es ist der Frost, der neben mir hergeht, sagte er sich. Dann aber war es ein großer Stein, der aus dem Schnee ragte. Du, Stein am Wege, dachte er und schlug einen Bogen um ihn. Der Himmel war blau und fast schwarz, die weiße Erde zitterte vor seinen Augen. Du, blauer Himmel, sagte er vor sich hin, und weil er es mit einer Angst in der Stimme sagte, senkte sich der eisige Himmel über ihn, Frostschauer jagten über seinen Rücken. Jedes Ding schien zu bersten, der Wald, der Weg, ja die Luft zuckte hin und her. Das ist die Frostschleuder, die durch das All geht. Luft, Erde und alles Lebendige gefriert zu einem Eisklumpen. Wind und Wetter weichen ihr aus, der Atem gerinnt unter ihrer Fuchtel.

Stone zerrte unter dem Schnee etwas hervor, er zerrte und zerrte, es kam ein brauner Fleck hervor, dann ein Kopf. Es war eine Hirschkuh, sie war erfroren. Jens zog sein Messer heraus und setzte es an, aber das Fleisch war wie Stein. Er steckte das Messer ein und brach das Fleisch, Stone schnappte danach und schleppte ein Stück im Maul fort. Jens packte von dem Fleisch so viel ein, als er tragen konnte.

Am Nachmittag wurde die Sonne blaß, die eisige Luft begann zu schimmern. Es wurde düster um Jens und Stone. Der Weg verlief jetzt in Krümmungen und an jeder Biegung lag der Schnee meterhoch. Jens stampfte voraus, damit Stone nicht im Schnee verschwand. Alle Weile legte sich Stone hin und leckte an seiner linken Vorderzehe, sie war ihm erfroren; Jens hatte die Pfote mit einem Stück Leder umwickelt. Jetzt aber leckte Stone an seiner rechten Vorderzehe, Jens sah es, doch konnte er es nicht wagen, ein Stück Leder um Stones rechte Vorderzehe zu wickeln, da seine Finger steif waren. Alleh, alleh, rief er Stone an und trat mit dem Fuß nach ihm. Lauf, Stone, lauf um dein Leben! – Stone aber war kein Polarhund, die so dicke und warme Ballen unter ihren Zehen haben; er heulte über das stumpfe Gefühl in seinen Klauen und kroch hinter seinem Herrn her. Jens aber quälte es mit der Zeit immer mehr, daß sein treuer Hund heulte, er blieb stehen und kniete im Schnee. Du frierst, murmelte er und zog Stone an sich, Augen und Schnauze waren ihm mit Eis überzogen und Jens wärmte Stones Pfoten. Darauf liefen sie schneller. Eine Weile pfiff Jens vor sich hin, aber seine Lippen wurden so eisig, daß es ihn schmerzte.

Der Flugsandgraben hatte plötzlich ein Ende, es kam eine Strecke ohne Baum und Strauch, Geröll bedeckte den Boden, der Wind hatte Furchen in den Schnee geweht. Eine fürchterliche Kälte drang auf sie ein, jetzt warf sich kein Holz und kein Leben dem Frost entgegen, Steine und harte Erde erstreckten sich weithin. Die Steine knallten im Frost, sie hoben sich um Haaresbreite aus ihrer jahrtausend alten Lage, oft vollführten sie einen Lärm, als ginge ein ganzer Berg zu Bruch.

Jens sprang über die Steine und suchte die Furchen im Schnee. In dieser Nacht konnten sie keine Minute schlafen. Am Tage tröstete er sich, wenn die Sonne scheint, mache ich mir wieder eine Höhle in den Schnee.

Der Boden wurde abschüssig, es kamen Hänge, welche mit Holz bestanden waren, Krüppelkiefern und kranke Zedern. Das Geröll hörte auf und es wurde wieder still. Gegen Morgen, als sie vor Müdigkeit und Erschöpfung vorwärts taumelten, hörte Jens ein leises Rauschen in der Luft, nach einer weiteren Stunde stand er am Flußbett des Sault St. Marie. Es plätscherte leise, eine schmale Rinne zog sich durch die Mitte des Flusses, aber der Sault St. Marie war vereist, er führte nicht viel Wasser mit sich.

Nun muß es geschehen! dachte er, nun muß ich mit Stone hier erfrieren. Ich bin müde und darf mich nicht zum Schlafen niederlegen, und wenn Stone sich streckt, muß ich ihn treten, denn wir dürfen nicht schlafen.

Er warf seinen Seesack ab und ging mit krummem Rücken auf das Eis und brach Holz aus den Büschen. Bei dieser Arbeit dachte er nichts mehr, er brach nur und schleppte das Holz zusammen. Während er damit beschäftigt war, stand Stone auf der Böschung hinter einem Strauch und zitterte. Der erste Sonnenstrahl schwebte kalt hernieder. Stone rutschte den Hang hinunter aufs Eis und fiel zu Jens' Füßen.

Stone!

Der Hund leckte schwach an seiner Schnauze und blickte düster auf. Jens aber schoß es heiß in die Augen, er holte seinen Seesack, riß ihn auf und hüllte Stone in seine Decke. Er schleppte ihn in die Sonne, schob Schnee an ihn heran und warf Kleider darüber. Stone, flüsterte er, Stone, wir sind auf dem Fluß, wir laufen jetzt über das Eis … Und noch in diesem Augenblick war Jens voller Leben und Beweglichkeit, er sah Sault St. Marie im Geiste vor sich, hörte seinen Schuh über das Eis klappern und es dünkte ihn, als seien es die Holzstraßen der Stadt am See. Er legte Papier an den Holzstoß und kniete, das Blut schoß ihm in die Ohren, ein Schwindel trieb ihn im Kreise. Er blickte sich entsetzt um, sah die öde Weiße und die kalten Sonnenlichter auf dem Schnee, alles drehte sich um ihn, er preßte seine Hände auf das Eis, die Luft dröhnte in seinem Kopf, er fiel mit der Stirn auf das Eis. Seine Gedanken aber waren klar, er zählte die Sekunden, während ihn der Schwindel gefangen hielt. Und als seine Stirn das Eis berührte, lächelte er noch über die Gewalt, die ihn zu besiegen drohte. Er schlug das Eis mit der flachen Hand und schüttelte sich. Der Schwindel wich und ohne seiner Schwäche zu achten, warf er sich herum und blickte starr vor sich hin. Seine Hände tasteten die Taschen ab, er fand den Kasten mit der Lunte. Sein Bewußtsein war geteilt, die Fäustlinge rutschten über seine Hände, seine Finger öffneten die Blechdose, er nahm das Feuerrad in die Hand und legte die Blechdose auf das Eis. Er begann den Faden am Rad zu ziehen, das Rad schnurrte, aber seine Augen sahen nicht mehr den Feuerstein, das Rad schnurrte ins Leere; vor seinen Blicken wogte es. Jetzt muß es geschehen, sagte er sich, jedoch hatte er nicht mehr die Fähigkeit, einen Gegenstand mit den Augen zu erfassen, er sah nur einen dunklen Fleck vor sich. Mechanisch bewegten seine Hände die Fäden hin und her. Ein Geist befahl diesen armen Händen es zu tun. Die Finger waren längst erstarrt, sie senkten sich zum Feuerstein, der auf der Lunte lag. Das Rad schnurrte dicht über dem Stein, es traf aber nicht den Stein, sondern die Blechdose und diese leichte Berührung genügte, die Dose über das Eis zu schleudern. Er hörte es klirren, ließ das Rad fallen und mit einem letzten klaren Gedanken steckte er seine Hände in die Felljacke und kreuzte sie über der Brust. Die Schwäche übermannte ihn und legte ihn sanft aufs Eis. Sein Geist tat einen tiefen Fall.

 

Jens, Jens! tönte es in seinen Ohren, er sah einen Schemen vor seinen Augen, einen blassen Schemen in einem Weiberrock, der sich über ihn neigte … Jens, Jens! schrie es, und die Stimme nahm den Klang seiner alten Mutter an. Ja! schrie er aus vollem Halse und mit einer heimlichen Freude im Herzen. Jens, Jens! weinte die Stimme und er sah die alte Frau über sich. Sie hatte sich auf einen Berg gesetzt, ihre Haare waren eisgrau, nicht anders, als er sie zum letzten Male gesehen hatte. Sie starrte auf ihn hinunter und sah ihn mit durchdringenden Augen an, doch sprach sie nicht mehr. Sie saß hoch oben im blauen Licht, und Jens erkannte mit einem Schauer im Herzen, daß die alte Frau ja auf einem Kirchturm saß, der so hoch ist, daß dort alles Leben ein Ende hat. Steh auf, Mutter, schrie er zu ihr hinauf, du wirst zu Eis! Er entsann sich, daß sie taub war, ja, sie war taub in ihrem Alter und ahnte nicht, daß sie auf einem Kirchturm saß. Sie bewegte ihren linken Arm und zeigte mit dem Finger in den Himmel, sie zog eine spöttische Miene, als sei ihr wohl bewußt, daß sie nun sterben muß. Jens wurde zornig. Weiber, Weiber! rief er wütend, nun muß ich sie an den Haaren vom Turm ziehen. Sie will nach oben fahren. Du, mein Gott, ich lasse sie aber nicht fahren, sie hat ja keinen Verstand. Ihr Kopf ist immer eine hohle Nußschale gewesen, schon als Kind habe ich erfahren, wie töricht sie ist. Sie konnte nicht rechnen, die Zahlen waren ihr lauter geschorene Böcke. Wer kann nun wollen, daß sie auf dem Turm sitzt und erfriert! – –

Jens, Jens! schrie es noch einmal in seinen Ohren. – Sie will abfahren, dachte er und erhob sich, doch war es, als zöge ihn ein Gewicht zur Erde nieder. Die Alte auf dem Turm blickte ihn spöttisch an, er hörte ihre keifende Stimme! Bist so jung, hast schon Klötze an den Füßen, das kommt vom Rechnen. Hast mich oft ausgelacht … Nein! schrie er dagegen, ich habe dich nie ausgelacht, bleib jetzt sitzen, ich hole dich, Mutter! … Mit einem Male quälte ihn ein furchtbarer Abschiedsschmerz, er weinte und murmelte: Ich erreiche dich nicht mehr … Er sah unüberwindliche Eisblöcke vor sich, einer allein so hoch wie ein Kirchturm, und er schluchzte laut. Sehen, sehen wollte er sie – er riß seine Augen auf und stöhnte laut: Herr, mein Gott …

Durch den dunklen Schlaf seiner Ohnmacht zog das grelle Licht des Tages, er hatte seine Augen weit geöffnet, seine Sinne waren geschärft, er sah Stone vor sich, der die Augen verdrehte, sah auch den blauen Schein der Sonne auf dem Eis des Sault St. Marie, den Holzstoß, sein Blick erfaßte die Dose mit der Lunte, die drei Schritt weiter lag. Sein Bewußtsein sammelte sich, mit einem Blick erkannte er, daß Stone tot war. Er entsann sich seines Traumes in allen Einzelheiten, nichts war vergessen, mit blitzschnellen Lichtern schossen die Gedanken durch seinen Kopf und er wußte, daß der sterbende Stone an seinem Ohr gebellt hatte. Es war nicht seine Mutter, die seinen Namen geschrien hatte.

Er schrie: Stone ist tot! Er sprang auf die Füße, nur einen Gedanken im Kopf. Feuer! Er nahm die Lunte und den Stein, legte beides auf das Papier, ließ das Rad schnurren, der Feuerstein sprühte unter einem Funkenregen, die Lunte begann zu glimmen. Er blies die Glut zum Feuer. Schnell gab es hohe Flammen im trockenen Holz. Darauf zog er Stone auf die Decke und begann ihn zu massieren. Und obgleich seine Finger die starre Kälte des Kadavers fühlten, massierte er doch weiter, als hinge davon seiner Seelen Seligkeit ab. Stone, Stone, murmelte er, in zwei Tagen sind wir in der Holzstadt, wir gehen in die Fischfabriken, pfundweise bringe ich dir den Lachs mit …

Seine Hände erlahmten, er sah, daß es nichts mehr half. Er schleppte den Kadaver über das Eis. Aus den Augen, aus meinen Augen … er stieß Stone unter das Gestrüpp am Hang. Dann brach er Holz und machte ein großes Feuer. Ein Gedanke kam ihm, und er ging mit bitterer Miene über das Eis, holte Stone aus dem Gestrüpp hervor und weinte. Er stieß ihn bis zum Feuer vor und warf ihn in die Glut.

Dann packte er alles in seinen Seesack zusammen, hackte einen Stein aus der Uferwand und schleppte ihn in grimmigem Frost und mit nackten Händen über das Eis zur Rinne hin. Hier versenkte er den Stein. Was er damit tat, wußte er nicht zu sagen, doch seht, er senkte einen Stein in den Sault St. Marie und als er ihn sinken sah, blickte er friedvoll um sich, als habe er recht getan, einen Stein zu versenken. –

Er zog über das Eis des Sault St. Marie, es kamen vereiste Katarakte. Als der Abend kam, entdeckte er eine Blockhütte am Ufer, er fand Anglergerät in der Hütte. Vor der Tür hingen Säcke, und er pries sein Glück, daß hier Säcke hingen, aus denen er sich Überschuhe nähen konnte. Es wurde ein langer Abend für ihn, die Hütte war warm, er schüttelte sich ein Lager aus Winschelkraut auf, kochte Hirschfleisch und nähte. Einige Stunden schlief er. Als ihn die Kälte weckte, fachte er neues Feuer an.

Zwei Tage verbrachte er in der Hütte. In der Rinne fand er vereiste Forellen und legte sie ans Feuer. Eine Forelle begann zu leben, und er dachte lange an Stone. Den anderen Forellen blies er vergebens Luft in die Kiemen. Als er sie in heißes Wasser warf, zuckte das Leben in ihnen wieder auf. Er verspeiste sie alle.

Er schrieb einen Brief, dazu nahm er sich geraume Zeit, einen Brief an Herrn Carl Dottas, Aldermann in seiner ostfriesischen Heimat, um ihm zu sagen, daß er sein mütterliches Erbe, ein siebzig Hufenland mit Stall und Scheune dem Ärmsten in der Gemeinde vermache. An Herrn Carl Dottas, Aldermann in Ostfriesland mit ergebenen Grüßen, er sei auf dem Wege nach Buffalo und sein Hund sei erfroren. – –

Mittags ging er in den Wald und sammelte Holz. Einige Meilen südwärts sah er ein Feuer, der Rauch schraubte sich steil in die Luft. Er maß mit den Augen die Ferne und dachte, dort steht ein Mensch und hat sich ein Feuer angelegt, etwa zehn miles entfernt, er hat etwas vor, seine Gedanken kreisen um das Feuer, er wirft wie ich Holz auf und wärmt sich die Füße. Wir sind nicht so weit von einander entfernt, der andere und ich; zwar sehe ich ihn nicht, mein Ruf wird sein Ohr nicht erreichen. Und wenn ich hier enden sollte, könnte er es nicht wissen. Seine Hand würde weiter Holz ins Feuer werfen, das Leben wäre noch eine Labe für ihn, während ich hier … sterbe. Es geschähe kein Erdbeben, nichts würde sich zu meiner Rettung regen … Ein Schauer durchlief ihn, der heilige Schauer der Einsamkeit. Und er dachte, dieser Mensch dort muß mich sehen, er soll wissen, daß ich an ihn denke. Er lief zur Hütte und legte ein Feuer vor der Tür an, warf feuchtes Holz auf, grauer Rauch stieg nach oben. Jetzt mußte der andere sein Feuer sehen. Er starrte sich die Augen aus; und während er sein Feuer weiter unterhielt, ließ der Fremde dort hinten sein Feuer verlöschen. Rauch! Mehr Rauch! dachte Jens und legte weiteres Holz in sein Feuer. Nach einer Stunde flammte jenseits des Sault St. Marie ein Feuer auf, und bis zum Abend standen zwei Rauchsäulen über dem Fluß, die eine hüben, die andere drüben. Jenseits stieg eine Röte auf, der Fremde steckte einen ganzen Busch in Flammen und das Feuer schien näher zu sein als um Mittag. Jens wurde fröhlich und briet eine Menge Forellen, immer wieder steckte er seinen Kopf in die eisige Luft hinaus und warf frisches Holz in das Feuer vor der Tür. – –

Am Morgen hatte er eine Begegnung mit ihm. Es war so: Der Fremde war in der Nacht gewandert, um Jens zu sehen, er war ein alter Felljäger, hatte drei Hunde und war in Pelze gehüllt. Jens stand vor seiner Hütte und brach Holz.

Guten Morgen! rief der Felljäger und kam über das Eis gezogen, er hatte seine drei Hunde vor den Schlitten gespannt. Es waren kräftige, zottige Hunde.

Guten Morgen! erwiderte Jens verlegen.

Sie haben mich mit Ihrem Feuer gemeint! sagte der Felljäger und zog ein rotes Schnupftuch aus der Tasche und wischte sich die Augen.

Nein, sagte Jens beschämt, ich briet nur Forellen und meinte Sie nicht.

Hm! machte der Felljäger und zog die Fellmütze von den Ohren, hm, ich glaubte, daß mich ein Mensch rief. Es waren fünfzehn miles weit zu Ihnen, ich habe diesen weiten Weg gemacht, um Sie zu trösten!

Zu trösten?

Der Felljäger sagte: Fünfzehn miles hin, fünfzehn miles zurück, Sie haben mich genarrt! Das soll Ihnen böse bekommen. Sie haben ein offenes Feuer mit Rauch unterhalten und mich gerufen. Sind Sie denn noch bei Sinnen!

Sie haben ja auch ein Feuer unterhalten, sagte Jens zaghaft.

Als Sie Ihr Feuer aufmachten, habe ich geweint vor Freude, dort einen Menschen zu wissen. Ich löschte eine Zeit mein Feuer, um Ihnen zu sagen, daß ich Ihrer nicht bedarf …

Ich ahnte es nicht, sagte Jens und streckte ihm die Hand hin. Der Felljäger aber tat nicht dergleichen, er wandte seinen Schlitten, brachte die Hunde ins Geschirr und sagte: Sie haben mich mit Ihrem Feuer doch gemeint, ich habe es gefühlt! Jetzt sind Sie zu stolz, es einzugestehen. Sie fühlten sich elend und riefen mich an, ich kam durch die Nacht zu Ihnen … Sie Unglücklicher, Sie sind schlecht für den Winter gekleidet!

Vergeben Sie mir! rief Jens. Mann, Sie wollen mich doch jetzt nicht verlassen!

Der Felljäger blickte ihn groß an und sagte: Ihnen kann kein Mensch helfen, Menschen nicht. Ich will Ihnen aber gut raten, wenn Sie Sault St. Marie erreichen wollen, wird es Zeit, daß Sie die Hütte verlassen. Es wird bald schneien und Sie haben keinen Hund bei sich.

Mein Hund ist erfroren …

Der Felljäger blickte ihn erschrocken an, pfiff seinen Hunden und jagte davon. – –

Jens packte in Hast seine Sachen, ließ die Hütte im Stich und marschierte zwei Tage. Von nun an glaubte er daran, daß dort ein Mensch steht und hier ein Mensch steht, es verbindet sie etwas. Die Furcht oder das Erbarmen, Gott weiß es. Die Ruten aber sind immer ausgelegt, und es muß sich erweisen, wer unter den Menschen das größere Erbarmen hat. – –

Sault St. Marie sandte seine Boten, die Eisvögel kamen, sie brachten Schnee mit, wie es der Felljäger vorausgesagt hatte, Schnee und milde Luft. Jens lief über das Eis, um noch vor der Dunkelheit Sault St. Marie zu erreichen. Der Schnee fiel in dichten Flocken, das Wasser gurgelte unter dem Eis, zahlreiche Nebengewässer kamen, auch sie lagen unter Eis, der Sault St. Marie wurde noch einmal so breit.

Er kletterte auf die Böschung, aber hier war der Schnee so hoch, daß er kaum gehen konnte; seit der Schnee wieder fiel, schmerzte sein Fuß, er hinkte stark, es herrschte Schneetreiben in der Luft. Er ging wieder über das Eis, es wurde ein gefährliches Gehen, er sah nichts mehr im dichten Schnee. Der Fluß öffnete sich weiter, er sah es nicht, es ging der Mündung entgegen, der dichte Schnee übertönte jedes Geräusch. Aber wie von ungefähr, ohne seinen Willen, lenkte er die Schritte zur Böschung, stieg hinauf und hielt Ausschau. Er sah ein Licht, zwei und drei Lichter, und lachte in sich hinein. Sault St. Marie! Er schritt aus, ein übler Geruch stand in der Luft. Plötzlich hörte er es laut rauschen. Die Wasser des Flusses ergossen sich mit Gebrüll unter die Eisdecke der Hafenbay. Jens stand und horchte, es schluckte in seiner Kehle. Wer hieß ihn denn, frühzeitig genug auf die Böschung zu klettern!


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