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Achtzehntes Kapitel.

Meine Erlebnisse mit Geheimpolizisten. – Köstlicher Bericht eines Geheimpolizisten. – Entlarvung von Spitzeln. – Ein falscher Baron. – Schäden des Spionagesystems.

 

Jeder Revolutionär trifft auf seinem Wege Spione und Agents provocateurs oder Lockspitzel, und auch mir blieb diese Erfahrung, wie dem Leser bereits bekannt ist, keineswegs erspart. Alle Regierungen verwenden beträchtliche Summen auf den Unterhalt dieser Reptilien. Aber gefährlich sind sie hauptsächlich nur jungen Leuten. Wer einigermaßen Lebens- und Menschenkenntnis besitzt, der entdeckt bald, daß diese Geschöpfe etwas an sich haben, das ihn mahnt, vor ihnen auf seiner Hut zu sein. Sie entstammen dem Abschaum der Gesellschaft, den Reihen der moralisch verkommensten Individuen, und wer auf den sittlichen Gehalt der ihm begegnenden Menschen achtet, der findet bald in dem Charakter dieser ›Säulen der Gesellschaft‹ etwas Abstoßendes und legt sich dann selbst die Frage vor: »Was hat diesen Menschen zu mir geführt? Was in aller Welt kann der mit uns gemein haben?« In den meisten Fällen wird diese einfache Frage genügen, den Betreffenden vorsichtig zu machen.

Als ich zum erstenmal nach Genf kam, war uns allen der Agent der russischen Regierung, der die Flüchtlinge ausspähen sollte, wohlbekannt. Er hatte den Namen Graf X. angenommen. Da er aber keinen Bedienten und keinen Wagen hatte, auf denen er seine Grafenkrone und sein Wappen hätte anbringen können, so hatte er sie auf eine Decke sticken lassen, in die er sein Hündchen hüllte. Wir trafen ihn hin und wieder in den Cafés, ohne mit ihm ein Wort zu wechseln; er war in der Tat ein ›Harmloser‹, der nichts tat als in den Zeitungsständen alle Schriften der Verbannten und Flüchtlinge zu kaufen und sie dann höchstwahrscheinlich mit Kommentaren zu versehen, wie sie seiner Meinung nach den Wünschen seiner Auftraggeber entsprachen.

Verschiedene andere tauchten in Genf auf, als sich hier mehr der jüngeren Generation angehörende Flüchtlinge einstellten, aber auch sie wurden uns auf die eine oder die andere Weise bekannt.

Wenn ein Fremder sich uns näherte, so fragten wir ihn mit dem gewohnten nihilistischen Freimut nach seinen früheren und seinen jetzigen Ansichten, und es ergab sich bald, was für eine Person er oder sie war. Offenheit im gegenseitigen Verkehr ist durchweg das beste Mittel, das rechte Verhältnis zwischen den Menschen herzustellen. In diesem Falle war es aber unschätzbar. Viele Personen, die keiner von uns in Rußland gekannt oder von denen er dort gehört hatte, Leute, die unsern ›Kreisen‹ völlig fern geblieben waren, kamen nach Genf und standen oft wenige Tage, selbst Stunden nach ihrer Ankunft auf dem besten Fuße mit unserer Kolonie, aber nie gelang es einem Spion, in ein vertrautes Verhältnis zu einem von uns zu treten. Ein Spion konnte Bekanntschaften nennen, er konnte die beste, manchmal zutreffende Auskunft über seine Vergangenheit geben, er konnte sich die nihilistische Ausdrucksweise und die nihilistischen Ansichten völlig angelernt haben, aber niemals vermochte er sich in die besondere sittliche Anschauungsweise des Nihilisten hineinzuleben, die sich in der russischen Jugend ausgebildet hatte – und schon dies genügte, ihn in gewisser Entfernung von unserer Kolonie zu halten. Alles können Spione nachahmen, doch nicht diese sittliche Anschauung.

Als ich mit Reclus zusammen arbeitete, befand sich in Clarens ein solches Individuum, dessen Umgang wir sämtlich mieden. Wir wußten nichts Schlechtes von ihm, aber wir hatten das Gefühl, daß er nicht ›unser‹ sei, und als er nur um so mehr in unsere Gesellschaft einzudringen suchte, erregte er unsern Verdacht. Ich hatte niemals ein Wort mit ihm gesprochen, darum hatte er es, scheint es, besonders auf mich abgesehen. Da er aber sah, daß er mir auf dem gewöhnlichen Wege nicht näher kommen könnte, fing er an, mir Briefe zu schreiben, in denen er mir geheimnisvolle Zusammenkünfte zu geheimnisvollen Zwecken im Walde und sonstwo vorschlug. Spaßeshalber nahm ich einmal die Einladung an und ging zu dem bestimmten Platze, während mir ein guter Freund in einiger Entfernung folgte. Der Mann, der wahrscheinlich einen Genossen hatte, muß aber erfahren haben, daß ich nicht allein sei, und zeigte sich nicht. So blieb mir das Vergnügen erspart, je ein einziges Wort mit ihm zu wechseln. Außerdem hatte ich damals so viel zu tun, daß jede Minute entweder für meine geographische Arbeit oder für ›Le Révolté‹ in Anspruch genommen war, und mir gar keine Zeit geblieben wäre, Verschwörungen anzuzetteln. Doch erfuhren wir später, daß dieser Mann regelmäßig an die Dritte Abteilung ausführliche Berichte schickte über seine vorgeblichen Unterhaltungen mit mir, über mein Vertrauen zu ihm und die fürchterlichen Anschläge gegen das Leben des Zaren, die ich in Petersburg anzuspinnen suchte! Dabei nahm man dies alles in Petersburg für bare Münze und ebenso in Italien. Als Cafiero eines Tages in der Schweiz verhaftet wurde, zeigte man ihm schrecklich zu lesende Berichte italienischer Spitzel, die ihrer Regierung warnend mitgeteilt hatten, Cafiero und ich wären im Begriffe, mit Bomben bewaffnet, über die italienische Grenze zu gehen. In Wirklichkeit war ich weder in Italien gewesen, noch hatte ich je die Absicht gehabt, das Land zu besuchen.

 

Doch kann man nicht behaupten, daß die Spitzel immer ihre Berichte ausschließlich mit Hilfe der eigenen Phantasie verfassen. Oft sind die gemeldeten Tatsachen wahr, aber es kommt eben alles darauf an, wie man etwas darstellt. Wir verdankten einige heitere Momente dem Berichte eines französischen Spions an seine Regierung, der meiner Frau und mir auf unserer Reise von Paris nach London im Jahre 1881 folgte. Der Spitzel, der wahrscheinlich, wie es oft geschieht, eine doppelte Rolle spielte, hatte den Bericht an Rochefort verkauft, und dieser veröffentlichte ihn in seinem Blatte. Alles, was der Spion darin erzählt, war richtig, aber wie erzählt er es!

Er schrieb zum Beispiel: »Ich nahm in der Wagenabteilung Platz unmittelbar neben der, wo Krapotkin mit seiner Frau saß.« Ganz richtig, da war er. Wir bemerkten ihn, da er sofort unsere Aufmerksamkeit durch seinen gemeinen, unangenehmen Gesichtsausdruck auf sich gelenkt hatte. »Sie sprachen beständig russisch, um von den Mitreisenden nicht verstanden zu werden.« Wieder sehr wahr: wir sprachen russisch, wie wir es immer tun. »Als sie nach Calais kamen, tranken sie beide Bouillon.« Stimmt völlig: wir tranken Bouillon. Nun beginnt aber der geheimnisvolle Abschnitt der Reise. »Hierauf verschwanden sie plötzlich beide, und ich suchte sie vergeblich auf der Plattform und sonstwo; und als sie wieder zum Vorschein kamen, war er in Verkleidung, und es folgte ihm ein russischer Priester, der ihn nicht mehr verließ, bis sie in London ankamen; dann verlor ich den Priester aus den Augen.« Auch das war wieder alles wahr. Meine Frau hatte ein wenig Zahnschmerzen, und ich bat den Restaurationsinhaber, mich in sein Privatzimmer gehen zu lassen, wo sie den Zahn zur Ruhe bringen könnte. So waren wir in der Tat verschwunden, und da wir über den Kanal fahren wollten, so steckte ich meinen weichen Filzhut in die Tasche und setzte meine Pelzmütze auf: das war meine Verkleidung. Auch der geheimnisvolle Priester war in Wirklichkeit vorhanden. Er war zwar kein Russe, aber das ist nebensächlich: jedenfalls trug er das Gewand eines griechischen Priesters. Ich sah ihn am Schanktisch stehen und etwas verlangen, das niemand verstand. »Agua, agua,« wiederholte er mit kläglicher Stimme. »Geben Sie dem Herrn ein Glas Wasser,« sagte ich zum Kellner. Hierauf dankte mir der Priester mit wahrhaft orientalischer Überschwenglichkeit für meine Vermittlung. Meiner Frau tat er leid, und sie redete ihn in verschiedenen Sprachen an, er verstand aber einzig und allein neugriechisch. Schließlich stellte es sich aber heraus, daß er wenigstens ein paar Wörter einer südslawischen Sprache kannte, worauf wir so viel herausbrachten, daß er sagte: »Ich bin ein Grieche; türkische Gesandtschaft, London.« Wir teilten ihm, größtenteils durch Zeichen, mit, daß wir ebenfalls nach London gingen, und daß er mit uns reisen könnte.

Das Erheiterndste an der Geschichte war, daß ich wirklich die Adresse der türkischen Botschaft für ihn ermitteln konnte, noch ehe wir nach Charing Croß kamen. Der Zug hielt an einer Station, und zwei feingekleidete Damen stiegen in unseren bereits vollen Wagen dritter Klasse. Beide hielten Zeitungen in den Händen. Die eine war eine Engländerin, und die andere, eine schlanke, hübsche Person, die gut Französisch sprach, gab sich für eine Französin aus. Nachdem wir wenige Worte ausgetauscht hatten, setzte mir die letztere ohne Umschweife das Messer an die Kehle mit der Frage: »Was denken Sie vom Grafen Ignatiew?« Und daran fügte sie sofort: »Wollen Sie den neuen Zaren bald ums Leben bringen?« Nach diesen Fragen war mir ihr Beruf nicht länger zweifelhaft; da ich aber an meinen Priester dachte, so sagte ich zu ihr: »Kennen Sie vielleicht zufällig die Adresse der türkischen Gesandtschaft?« »Straße so und so, Nummer so und so,« erwiderte sie ohne Zaudern, wie ein Schulmädchen, das seine Aufgabe gut gelernt hat. »Sie können mir vermutlich auch die Adresse der russischen Gesandtschaft angeben?« fragte ich sie, und nachdem sie diese mit der gleichen Geläufigkeit mitgeteilt hatte, übermittelte ich beide an den Priester. Als wir Charing Croß erreichten, bemühte sich die Dame in so untertäniger Weise um mein Gepäck, sogar einen schweren Koffer wollte sie trotz ihrer Handschuhe selbst tragen, daß ich schließlich zu ihrer großen Überraschung zu ihr sagte: »'s ist genug. Damen tragen den Herren nicht das Gepäck. Lassen Sie das!«

Doch um auf meinen zuverlässigen französischen Spion zurückzukommen – er schrieb weiter in seinem Bericht: »Er stieg in Charing Croß aus, verließ aber die Station erst länger als eine halbe Stunde nach Ankunft des Zuges, nachdem er sich überzeugt hatte, daß sich alle anderen entfernt hätten. Ich hielt mich inzwischen abseits und wartete, hinter einem Pfeiler verborgen. Als sie sicher waren, daß alle Reisenden den Bahnsteig verlassen hätten, sprangen beide plötzlich in eine Droschke. Nichtsdestoweniger folgte ich ihnen; ich hörte, wie der Droschkenkutscher am Tore dem Polizisten die Adresse angab: Nr. 12, Straße so und so, und lief hinter der Droschke her. In der Nachbarschaft waren keine Droschken zu haben, so eilte ich zum Trafalgar Square, wo ich eine fand. Dann fuhr ich hinter ihm drein und sah ihn an der genannten Adresse aussteigen.«

Auch hier sind wieder alle mitgeteilten Tatsachen richtig, die Adresse wie das übrige, aber wie geheimnisvoll klingt alles! Ich hatte einem russischen Freunde mein Eintreffen angekündigt, aber es herrschte an dem Morgen ein dichter Nebel, und mein Freund verschlief die Zeit. Wir warteten eine halbe Stunde auf ihn und fuhren dann zu seinem Hause.

»Dort saßen sie bis zwei Uhr hinter heruntergelassenen Rolläden, und dann kam ein großer Mann heraus und kehrte nach einer Stunde mit ihrem Gepäck zurück.« Sogar die Bemerkung über die Läden war zutreffend: wir mußten wegen des Nebels das Gas anzünden und ließen die Läden nieder, um nicht den häßlichen Anblick zu haben, den eine kleine Straße in Islington bei dichtem Nebel gewährt.

 

Während ich mit Reclus in Clarens arbeitete, pflegte ich alle zwei Wochen nach Genf zu gehen, um die Herausgabe von ›Le Révolté‹ zu besorgen. Als ich eines Tages in unsere Druckerei kam, teilte man mir mit, ein Herr aus Rußland wünsche mich zu sprechen. Meinen Freunden hatte er schon erzählt, er komme, mir die Herausgabe eines ›Le Révolté‹ entsprechenden Blattes in russischer Sprache vorzuschlagen, und sei bereit, jede hierzu benötigte Summe herzugeben. Ich suchte ihn in einem Café auf, wo er sich mir unter einem deutschen Namen – sagen wir Thonlehm – vorstellte und erzählte, er stamme aus den Baltischen Provinzen. Er brüstete sich mit dem Besitz eines großen, in liegenden Gütern und in industriellen Unternehmungen angelegten Vermögens und stellte sich höchst aufgebracht über die Russifizierungspläne der russischen Regierung. Im ganzen machte er weder einen sonderlich guten, noch einen schlechten Eindruck, so daß meine Freunde in mich drangen, das Anerbieten anzunehmen; mir wollte aber der Mann vom ersten Blick an nicht recht gefallen.

Aus dem Café führte er mich in seine Wohnung im Hotel, und hier hielt er schon weniger an sich und erschien mehr in seinem wahren, unerquicklichen Lichte. »Zweifeln Sie nicht an meinem Vermögen,« sagte er zu mir, »ich habe eine Haupterfindung gemacht, die Geld wie Heu bringen muß. Ich lasse mir ein Patent darauf geben; dafür erhalte ich eine schöne Summe, die ich ganz im Dienste der russischen Revolution verwende.« Dabei zeigte er mir zu meiner Verwunderung einen jämmerlichen Leuchter, dessen Originalität darin bestand, daß er auffallend häßlich war und drei Drahtzinken hatte, zwischen die man das Licht stecken sollte. Die ärmste Frau hätte den Leuchter nicht in ihrer Wirtschaft haben mögen, und kein Fabrikant hätte für das Patent, wenn ein solches überhaupt darauf erworben werden konnte, dem Erfinder mehr als ein paar Taler gegeben. »Ein reicher Mann, der seine Hoffnung auf einen solchen Leuchter setzt! Er kann,« dachte ich bei mir, »niemals bessere Leuchter gesehen haben!« Bald kam ich zu dem Schluß: »Er ist überhaupt nicht reich, und das Geld, das er angeboten hat, kommt nicht von ihm.« So erklärte ich ihm ohne Umschweife: »Gut, wenn Ihnen so viel an dem Erscheinen eines russischen revolutionären Blattes liegt und Sie eine so schmeichelhafte Meinung von mir hegen, wie Sie sagen, so müssen Sie das Geld auf meinen Namen in einer Bank niederlegen und es gänzlich mir zur Verfügung stellen. Aber das erkläre ich Ihnen im voraus, daß Sie mit dem Blatte selbst nicht das geringste zu tun haben werden.« »Natürlich, natürlich,« sagte er, »nur eben danach sehen, hin und wieder einen guten Rat geben und Ihnen beim Einschmuggeln in Rußland behilflich sein.« »Nein, nichts davon! Sie sollen mich gar nicht zu sehen bekommen!« Meine Freunde meinten, ich wäre zu scharf gegen den Mann gewesen. Aber einige Zeit darauf kam ein Brief aus Petersburg, der uns davon in Kenntnis setzte, es würde uns ein Spion der Dritten Abteilung, Namens Thonlehm, heimsuchen. Der Leuchter hatte uns demnach einen guten Dienst erwiesen.

 

Sei's nun durch einen Leuchter oder sonst etwas, auf die eine oder auf die andere Weise verraten sich Leute der Art fast immer. So erhielten wir 1881 in London an einem nebligen Morgen den Besuch zweier Russen. Nur einer von ihnen war mir dem Namen nach bekannt, der andere, ein junger Mann, den der erste als seinen Freund einführte, war ein Fremder, der jenen auf einer mehrtägigen Reise freiwillig begleitete. Da uns dieser Fremde von einem Bekannten zugeführt wurde, hegte ich keinen Verdacht gegen ihn. Weil ich aber an dem Tage durch irgendeine Arbeit sehr in Anspruch genommen war, bat ich einen in der Nähe wohnenden Freund, den beiden beim Mieten eines Zimmers behilflich zu sein und sie in London herumzuführen. Meine Frau hatte damals ebenfalls London noch nicht gesehen und ging daher mit. Als sie nachmittags heimkam, sagte sie zu mir: »Weißt du, der Mann mißfällt mir sehr. Hüte dich vor ihm!« »Aber warum? Was ist los?« fragte ich. »Nichts, rein gar nichts, aber er ist sicher keiner von den ›Unsern‹, und wenn er das nicht ist, warum kommt er dann zu uns?« Sie war so gewiß, Anlaß zum Mißtrauen zu haben, daß sie den jungen Mann, während sie alle Pflichten der Gastfreundschaft erfüllte, doch nicht eine Minute in meinem Arbeitszimmer allein ließ. Es kam dann ein Gespräch in Gang, wobei sich die moralische Auffassung des Besuchers immer mehr als so minderwertig erwies, daß sich selbst sein Freund seiner schämte, und als ich ihn genauer ausfragte, war das Ergebnis noch weniger befriedigend. Wir waren daher beide auf unserer Hut. Kurz und gut, es vergingen keine zwei Wochen nach der baldigen Abreise der beiden von London, da erhielt ich von meinem russischen Freunde einen Brief, in dem er mir unter vielen Entschuldigungen wegen seiner Unvorsichtigkeit mitteilte, der junge Mann stehe, wie sich herausgestellt habe, als Spion in Diensten der russischen Botschaft in Paris. Als ich darauf in dem Verzeichnis der in Frankreich und der Schweiz tätigen russischen Geheimagenten nachsah, welches uns, den Flüchtlingen, kurz vorher von dem Exekutiv-Komitee – das seine Leute in Petersburg allerorten hatte – zugegangen war, fand ich den Namen des jungen Mannes, nur in einem Buchstaben verändert, auf der Liste.

 

Die Herausgabe eines Blattes auf Kosten der Polizei und mit einem Polizeiagenten an der Spitze ist ein alter Gedanke, den auch der Präfekt der Pariser Polizei, Andrieux, 1881 zur Ausführung brachte. Zu der Zeit, als ich mit Reclus im Gebirge war, erhielten wir einen Brief von einem Franzosen oder vielmehr von einem Belgier, der uns mitteilte, er sei im Begriff, in Paris ein anarchistisches Blatt zu gründen, und bitte um unsere Mitarbeiterschaft. Der in höchst schmeichelhaften Ausdrücken abgefaßte Brief machte einen unangenehmen Eindruck, auch erinnerte sich Neclus dunkel, den Namen des Schreibers in Verbindung mit irgendeiner bedenklichen Geschichte gehört zu haben. Wir beschlossen daher, unsere Mitwirkung abzulehnen, und ich schrieb an einen Pariser Freund, wir müßten vor allen Dingen wissen, woher das Geld käme, mit dem das Blatt herausgegeben werden sollte. »Vielleicht kommt es von den Orleanisten, die von jeher in ähnlich ränkevoller Weise vorgegangen sind; wir müssen also die Quelle kennen lernen.« Mein Pariser Freund las mit der den Handwerkern eigenen Geradheit den Brief in einer Versammlung vor, bei welcher der zukünftige Herausgeber des Blattes zugegen war. Er stellte sich beleidigt, und ich mußte verschiedene Anfragen über die Angelegenheit beantworten, blieb aber bei meinem Worte: »Ist es dem Mann ernst, so muß er uns nachweisen, woher das Geld stammt.«

Schließlich tat er dies auch. Durch unsere Fragen in die Enge getrieben, erklärte er, das Geld steuere seine Tante bei, eine reiche Frau mit altmodischen Ansichten, die aber seiner Idee nachgegeben und das Geld gespendet habe. Die Frau wohne in London. Wir bestanden aber darauf, ihren Namen und ihre Wohnung zu erfahren, und unser Freund Malatesta fand sich bereit, sie aufzusuchen. Mit einem italienischen Bekannten, der einen Handel mit gebrauchten Möbeln betreibt, ging er hin. Sie fanden die Frau als Inhaberin einer kleinen Wohnung, und während Malatesta im Gespräch mit ihr immer mehr zu der Überzeugung kam, daß sie nur die Rolle einer Tante in dem Schauspiel übernommen hätte, bemerkte sein Begleiter, als er seine Blicke über die Stühle und Tische im Zimmer schweifen ließ, daß sie am Tage vorher dem Geschäfte seines Nachbarn – wahrscheinlich leihweise – entnommen waren, es hing sogar noch die Adresse des Händlers daran. Dies bewies zwar nicht viel, verstärkte aber doch den Verdacht, so daß ich schlechthin jede Beziehung zu dem Blatte ablehnte.

Die Zeitung erschien und befleißigte sich einer unerhört heftigen Sprache. Brand, Meuchelmord, Dynamitbomben – das war ihr einziger Inhalt. Ich traf den Mann, den Herausgeber des Blattes, als ich zum Londoner Kongreß ging, und sobald ich nur sein unangenehmes Gesicht sah, ihn ein paar Worte reden hörte und einen Blick auf die Frauen von einer gewissen Gattung warf, mit denen er zu verkehren pflegte, so stand mein Urteil über ihn fest. Beim Kongreß, auf dem er die blutigsten Anträge stellte, hielten sich die Abgeordneten fern von ihm, und als er durchaus die Adressen der Anarchisten aller Länder haben wollte, wies man sein Verlangen in einer nichts weniger als schmeichelhaften Weise zurück.

Um es kurz zu machen, er wurde ein paar Monate später entlarvt, und am nächsten Tage ging das Blatt auf immer ein. In den ›Memoiren‹, die der Polizeipräfekt Andrieux nach ein paar Jahren veröffentlichte, konnte man alles über das von ihm gegründete Blatt wie über die Explosionen nachlesen, die seine Agenten in Paris ins Werk gesetzt hatten, indem sie ›gefüllte‹ Sardinenbüchsen unter Thiers' Standbild legten.

Man kann sich denken, welches Geld derartige Unternehmungen die Franzosen und alle anderen Völker kosten.

 

Ich könnte verschiedene Kapitel über diesen Gegenstand schreiben, will aber hier nur noch die Geschichte von zwei Abenteuern in Clairvaux erzählen.

Meine Frau hatte in der einzigen Wirtschaft des Dorfes, das im Schatten der Gefängnismauer angebaut war, Wohnung genommen. Eines Tages kam nun die Wirtin in ihr Zimmer mit einem Schreiben von zwei Herren, die ins Gasthaus gekommen wären und sie zu sehen wünschten. Die Wirtin trat mit ihrer ganzen Beredsamkeit für die Herren ein. »O,« sagte sie, »ich kenne die Welt, und kann Ihnen versichern, gnädige Frau, daß es wahre Gentlemen sind, ganz comme il faut. Einer von ihnen sagt, er sei ein deutscher Offizier, er ist sicher ein Baron oder ein ›Mylord‹, und der andere ist sein Dolmetscher. Sie kennen Sie sehr gut. Der Baron geht jetzt nach Afrika, vielleicht um nie wiederzukehren, und möchte sie gern vor seiner Abreise sehen.«

Meine Frau blickte auf die Aufschrift, die lautete: ›A Madame la Principesse Krapotkine‹, und war sofort über das comme il faut der Herren im klaren. Der Inhalt des Schreibens war noch schlimmer als die Aufschrift, was der ›Baron‹ darin über eine geheimnisvolle Mitteilung, die er zu machen hätte, schrieb, sprach allen Regeln der Grammatik und allem gesunden Menschenverstand Hohn. Sie weigerte sich daher entschieden, den Baron und seinen Dolmetscher zu empfangen.

Hierauf schrieb der Baron an meine Frau Briefe über Briefe, die sämtlich uneröffnet zurückgingen. Bald teilte sich das ganze Dorf in zwei Parteien, von denen es die eine unter Führung der Wirtin mit dem Baron hielt und die andere, an deren Spitze, wie man sich denken kann, der Mann der Wirtin stand, sich gegen ihn erklärte. Man erzählte sich im Dorfe einen ganzen Roman: »Der Baron hatte meine Frau vor ihrer Verheiratung gekannt; er hatte oft mit ihr in der russischen Botschaft in Wien getanzt; er liebte sie noch, aber sie, die Grausame, wollte ihm nicht einmal gestatten, sie vor seinem Aufbruch zu der gefährlichen Expedition zum Abschiede zu sehen …«

Dazu kam noch die geheimnisvolle Erzählung von einem Knaben, den wir versteckt halten sollten, »wo ist ihr Sohn?« wollte der Baron wissen. »Sie müssen einen Sohn haben, der jetzt sechs Jahre alt ist – wo ist er?« »Wenn sie ein Kind hätte, würde sie sich niemals von ihm trennen,« sagten die einen. »Ja, sie haben eins, aber halten es verborgen,« behaupteten die andern.

Für uns brachte dieser Streit eine interessante Enthüllung. Er bewies, daß unsere Briefe nicht nur von der Gefängnisverwaltung gelesen wurden, sondern daß man ihren Inhalt auch der russischen Gesandtschaft bekannt gab. Als ich nämlich in Lyon war und meine Frau zu Elisée Reclus in die Schweiz fuhr, schrieb sie mir einmal, ›unser Knabe‹ befinde sich wohl, seine Gesundheit sei vorzüglich und sie hätten an seinem fünften Geburtstag alle einen sehr vergnügten Abend verlebt. Ich wußte, daß sie ›Le Révolté' meinte, den wir im Gespräch oft ›unsern Gamin‹, unsern ungezogenen Sprößling, nannten. Da sich aber diese Herren jetzt nach unserm ›Sprößling‹ erkundigten und sogar sein Alter so zutreffend angaben, so bestand kein Zweifel, daß der Brief noch durch andere Hände als die des Gefängnisdirektors gegangen war. Das mußte man wissen.

Der neugierigen Aufmerksamkeit der Bewohner eines kleinen Ortes auf dem Lande kann nichts entgehen, und so kam es, daß der Baron bald Verdacht erregte. Er schrieb an meine Frau einen noch wortreicheren Brief als das erstemal. Diesmal bat er um Verzeihung, daß er sich hätte als früheren Bekannten von ihr einführen wollen, doch sei er nichtsdestoweniger ein wohlmeinender Freund. Er hätte ihr eine äußerst wichtige Mitteilung zu machen. Mein Leben sei in Gefahr, weshalb er sie warnen wolle. Der Baron und sein Sekretär gingen hinaus aufs Feld, um den Brief zusammen zu lesen und sich über die beste Form zu besprechen, wobei ihnen der Waldhüter in einiger Entfernung folgte. Sie konnten sich aber nicht einigen, zerrissen den Brief und warfen die Stücke zu Boden. Der Forstbeamte wartete, bis sie fort waren, hob die Stücke auf, fügte sie zusammen und las den Brief. In einer Stunde wußte das ganze Dorf, daß der Baron in Wahrheit gar nicht mit meiner Frau bekannt gewesen war, und die von der Partei des Barons so sentimental ausgeschmückte Romanze zerplatzte wie eine Seifenblase.

»Aha, da sind sie also nicht, wofür sie sich ausgeben,« schloß nun der Brigadier des Ortes seinerseits; »dann müssen sie deutsche Spione sein« – und er verhaftete sie.

Zu seiner Entschuldigung muß ich anführen, daß kurz vorher ein wirklicher deutscher Spion in Clairvaux gewesen war. Im Kriege könnten die ausgedehnten Gefängnisgebäude zu Depots für Vorräte oder zur Unterbringung einer Heeresabteilung dienen, und sicher hatte der deutsche Generalstab ein Interesse daran, das Innere der Baulichkeiten kennen zu lernen. Ein munterer fliegender Photograph kam also in unsern Ort, schloß mit allen Bewohnern Freundschaft, indem er sie unentgeltlich photographierte, und erhielt die Erlaubnis, nicht nur die inneren Höfe, sondern auch die Schlafsäle aufzunehmen. Darauf reiste er in einen andern Ort an der Ostgrenze und wurde dort, weil man kompromittierende militärische Papiere in seinem Besitz fand, von den französischen Behörden festgenommen. Der Brigadier kam daher, da ihm noch der Photograph im Kopfe steckte, zu dem kühnen Schluß, der Baron und sein Sekretär seien ebenfalls deutsche Spione, weshalb er sie nach der kleinen Stadt Bar-sur-Aube ins Gefängnis führte. Dort ließ man sie am nächsten Morgen frei. Das Lokalblatt teilte zur Ergänzung mit, sie seien keine deutschen Spione, sondern ›Personen, die im Auftrage einer befreundeteren Macht ständen‹.

Jetzt wandte sich die öffentliche Meinung ganz und gar gegen den Baron und seinen Sekretär, denen noch mehr Abenteuer bevorstanden. Nach ihrer Freilassung begaben sie sich in ein kleines Café und sprachen dort bei einer Flasche Wein in zwangloser deutsch geführter Unterhaltung über ihr Mißgeschick. »Du warst dumm, du warst feige,« sprach der angebliche Dolmetscher zum angeblichen Baron, »wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, so hätte ich den schnüffelnden Beamten mit diesem Revolver zusammengeschossen. Laß ihn das nur einmal mit mir versuchen, so kriegt er diese Kugeln in seinen Kopf! …«

Ein Handlungsreisender, der ruhig in einer Ecke des Zimmers saß, entfernte sich eilends und erzählte dem Brigadier, welche Unterhaltung er angehört habe. Der Brigadier erstattete sofort amtlichen Bericht und verhaftete unverweilt den Sekretär – einen Straßburger Pharmazeuten. Er wurde vor das Polizeigericht in Bar-sur-Aube gestellt und erhielt einen vollen Monat Gefängnis für seine ›gegen einen Beamten öffentlich ausgestoßenen Drohungen‹.

 

In diesen Fällen fand die Spionage einen komischen Abschluß. Aber an wie vielen Tragödien, schrecklichen Tragödien tragen diese Elenden Schuld. Manches kostbare Leben geht verloren, ja, das Glück ganzer Familien wird vernichtet, nur damit diese Betrüger sich bequem ihren Lebensunterhalt verdienen können. Denkt man an die Tausende von Spitzeln, die in aller Herren Länder im Solde der Regierungen stehen, an die Fallen, die sie so vielfach den Unbedachten legen, an die Menschenleben, die um ihretwillen manchmal ein tragisches Ende nehmen, und an den Kummer, den sie weithin aussäen, an die gewaltigen Geldsummen, die der Unterhalt dieses dem Abschaum der Gesellschaft angehörenden Heeres verschlingt, an die mannigfache Verderbnis, die sie dem Gesellschaftskörper überhaupt und direkt dem Familienleben einimpfen: dann muß man sich vor der Größe des dadurch angerichteten Unheils entsetzen. Dabei beschränkt sich dieses Heer von Schurken nicht nur auf die Spitzel, denen die Ausschnüffelung von Revolutionären obliegt, oder die militärischen Spione. Die englischen Zeitungen, besonders die in den Bädern erscheinenden, wimmeln von Ankündigungen von Privatdetektivs, die sich zur Herbeischaffung jedes zu Scheidungsklagen benötigten Materials anbieten, die den Mann im Auftrage der Frau und die Frau im Auftrage des Mannes ausspionieren, die sich in die Familien drängen, Dumme ködern und für eine entsprechende Geldsumme alles tun, was man von ihnen verlangt. Und während sich die Leute über das schändliche Spionagesystem entrüsten, das jüngst in den höchsten militärischen Kreisen Frankreichs aufgedeckt wurde, beachten sie nicht, daß unter ihnen selbst, vielleicht unter ihrem eigenen Dach, offizielle wie Privatdetektivs in derselben, wo nicht in schlimmerer Weise ihr Wesen treiben.

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