Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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30.

Die Heiratsvermittlung.

Mister Selby, der Direktor jener Faktorei, welcher die Karawane unserer Freunde ausrüstete, hatte ein Zimmer seiner Villa Miß Petersen für einen Nachmittag zur Verfügung gestellt. Diese Dame hatte ihn um diese Gefälligkeit gebeten, weil in ganz Mgwanna kein öffentliches Haus existierte, in welchem eine Private Unterhaltung stattfinden konnte, und eine solche hatte Miß Petersen heute mit einem Herrn vor, welcher zu diesem Zwecke eigens aus Kapstadt gekommen war.

Mister Selby hatte den Wunsch der Dame, mit der er ein so gutes Geschäft abgeschlossen, sofort erfüllt, und nun befanden sich Miß Petersen und der fremde Herr in einem der elegantesten Zimmer der Villa.

Dieser Herr war Macdonald Staunton, der Bruder Hope Stauntons, dessen Schiff jetzt in Kapstadt lag, und welcher, ehe er Miß Petersen aufgesucht, dieser von seiner baldigen Ankunft geschrieben und zugleich gebeten hatte, seiner Schwester nichts von seiner Reise zu sagen, weil die von Ellen gebetene Besprechung jene beträfe.

Ellen hatte ihn selbst von dem Postdampfer abgeholt und, ohne erst Worte zu verlieren, sofort nach Selbys Villa geführt. Sie kannten sich beide schon von früher; sie hatte seine Bekanntschaft schon in New-York gemacht.

»Es ist ein sehr unangenehmer Fall, welcher mich zu Ihnen führt,« begann der in Zivil gekleidete Marineoffizier, als nach der ersten förmlichen Begrüßung im Hafen eine herzlichere im Salon stattgefunden hatte. »Ich habe lange gesonnen, wie ich es Ihnen mitteilen soll, aber schließlich habe ich eingesehen, daß der kürzeste Weg der beste ist: eine offene Aussprache.«

»Betrifft diese Hope, Ihre Schwester?« fragte Ellen.

»Ja, und es ist eben das Schlimmste für mich, daß ich meiner Schwester eine Nachricht bringen muß, die sie betrüben wird. Ich habe das eigentlich nicht nötig, sie brauchte nicht alles zu erfahren, was ihr junges Herz erschrecken würde; aber dennoch ist es nötig, ihr zu sagen, daß sie ferner nicht mehr auf der ›Vesta‹ in Ihrer Gesellschaft bleiben kann.«

»Warum nicht?« fragte Ellen lächelnd.

»Weil es zu kostspielig ist,« entgegnete Staunton offen.

»Ich weiß alles, was Ihnen zu sagen so schwer fällt,« kam Ellen ihm zu Hilfe, ohne auf das erstaunte Gesicht des Offiziers zu achten. »Eine Freundin von mir, welche sehr gut über Ihre Verhältnisse orientiert –«

»Wie wäre dies möglich?« unterbrach Staunton sie etwas unwillig.

»Sehr einfach, diese Freundin ist die Tochter des Bankiers, bei welchem das Vermögen Ihres Vaters deponiert war, und da sie selbst eine Freundin Hopes ist, so teilte sie mir den Verlust dieses Vermögens mit der Bitte mit, es Hope zwar nicht zu sagen, aber sie doch von der weiteren Teilnahme an der Reise fernzuhalten, sie nach New-York zu schicken, wo sie sehr bequem von dem leben könne, was ihr gerettet worden ist. Ist es nicht so?«

»Nein, es ist noch schlimmer geworden. Von einem Vermögen war eigentlich nicht die Rede, sondern jener Bankier besaß nur Aktien, welche zwar sehr viel einbrachten, aber unter Umständen auch ganz wertlos werden konnten. Dieser Fall ist nun eingetreten. Das letzte, was davon noch übrig geblieben, ist auch weg, Hope ist ein armes Mädchen, welches nichts besitzt, als einen Bruder.«

»Das ist sehr traurig, aber Hope bekam in letzter Zeit immer noch Anweisungen zugeschickt!«

»Sie hatte mich darum gebeten, und ich habe diese von meinem Gehalte bestritten.«

»Sie wurden in New-York allgemein für einen sehr reichen Mann gehalten,« sagte Ellen.

»Mein Vater war auch reich,« erwiderte Staunton, »er hatte sich den Reichtum durch eigene Kraft erworben, keinen Cent geerbt, und so hielt er sich denn auch berechtigt, nach Gutdünken mit dem Gelde zu wirtschaften. Das heißt, er ist nicht leichtsinnig mit dem Gelde umgegangen, er hat nur zu stark spekuliert und viel dafür ausgegeben, sich einen Namen zu verschaffen, was er ja auch erreicht hat. Als er starb, waren die Kapitalien aufgebraucht, er hinterließ uns Aktien, welche sich damals ausgezeichnet rentierten. Ich schlug die Offizierskarriere ein und hatte von Geschäften soviel wie gar keine Kenntnis. Hope war ein Kind, und unser Vormund ließ uns in dem Glauben, wir wären wirklich sehr reich, während wir doch nur von der Dividende lebten, welche die Aktien abwarfen. Diese verloren immer mehr an Wert, ohne daß ich dies wußte. Es lagen auf unseren Grundstücken fast ebensoviel Hypotheken, wie sie wert waren, vom Vater bei augenblicklicher finanzieller Verlegenheit selbst aufgenommen, sie wurden vom Vormund, einem etwas leichtsinnigen Manne, nicht wieder gedeckt; kurz und gut, vor ewigen Monaten erfuhr ich, daß wir so gut wie ruiniert waren; ich machte noch einmal verzweifelte Anstrengungen, etwas zu retten, aber die Folge einer genauen Ordnung unserer Verhältnisse war nur die Einsicht, daß überhaupt nichts mehr zu retten war. Jetzt bin ich nur noch auf meinen Gehalt angewiesen, und der genügt nicht, um Hope auf diese Weise weiterleben zu lassen.« »Wollen Sie Hope über diese Verhältnisse aufklären?« fragte Miß Petersen.

»Nein, es wäre grausam, das junge Mädchen plötzlich damit bekannt zu machen,« antwortete der Offizier, »mein Gehalt reicht aus, daß sie in New-York ein standesgemäßes Leben führen kann, wenn sie sich unter Aufsicht befindet, welche verhindert, daß sie sich Extravaganzen erlaubt, zu welchen sie leider sehr geneigt ist. Aber dies kommt eben daher, weil sie sich für ein reiches Mädchen halt und daher den Wert des Geldes nicht kennt.«

»Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen, Kapitän,« sagte Ellen, »so lassen Sie Hope noch so lange bei mir, bis diese Reise beendet ist.«

»Dies erlauben meine Mittel nicht.«

»Ich meine, sie bleibt als meine Freundin bei mir. Sie verstehen mich.«

»Das geht auf keinen Fall,« rief der Offizier energisch. »Ich verstehe vollkommen, was Sie meinen, und nur, weil Sie es so zart andeuten, beleidigt mich dieser Vorschlag nicht. Doch wir können ja offen sprechen,« fuhr er ruhiger fort. »Ich weiß, Sie sind eine wirkliche Freundin von Hope, und ich schätze Ihre edle Denkungsweise. Sie wollen also, um Hope des Vergnügens dieser Reise nicht zu berauben, die Mittel aus eigener Tasche bezahlen. Das nehme ich auf keinen Fall an, um so weniger, da ich Offizier bin.«

Ellen schwieg verlegen.

»Und Hope selbst würde entrüstet sein, wenn sie später einmal erfahren sollte, daß sie ohne ihr Wissen und ihren Willen durch die Mittel anderer Vergnügungen genossen hat,« fügte der Offizier hinzu.

»So müßte Hope unsere Gesellschaft verlassen.« sagte Ellen seufzend.

»Ja, es geht nicht anders. Sie muß in ihre Heimat, nach New-York zurück.«

»Wie wollen Sie aber bewirken, daß sie sich Ihrem Willen fügt, wenn Sie Ihre Schwester nicht mit der Ursache davon bekannt machen? Haben Sie großen Einfluß auf Ihre Schwester? Hope ist ein sehr, sehr gutherziges Mädchen, aber sie kann auch sehr eigensinnig sein.«

»Ich habe bereits einen Vorwand gefunden, und zwar keinen erdichteten. Hope hatte in jüngeren Jahren eine Freundin, die sie innig liebte; ihr Bruder ist Leutnant auf meinem Schiffe, sein Name ist Murray. Dieser hat nun vor einigen Tagen einen Brief erhalten, mit der Nachricht, daß seine Schwester schwer erkrankt ist, und, wie es oft eine Eigentümlichkeit von Kranken ist, daß sie Tag und Nacht nach Hope begehrt. Leutnant Murray selbst wird in den nächsten Tagen nach New-York abreisen, und ich will Hope veranlassen, mit ihm zu gehen. Wenn Sie mir Ihre Unterstützung zusagen, Miß Petersen, so wird es leicht sein, Hope dazu zu bewegen, denn sie hat ein gefühlvolles, weiches Herz.«

»Gern will ich dabei tun, was ich kann,« antwortete Ellen. »Es ist sogar gut, daß Sie sich erst an mich gewendet haben, denn ich habe großen Einfluß auf Hope. Ich glaube, sie würde selbst, ohne Angabe eines Grundes, auf meine Bitte hin, Ihrem Wunsche entsprochen haben, doch ist es besser so.«

»Ich danke Ihnen herzlich,« sagte der Offizier und schüttelte der Dame warm die Hand. »Eine Zentnerlast ist mir von der Brust genommen. Wann meinen Sie, daß wir Hope alles mitteilen sollen? Je eher, desto besser ist es; ich schlage vor, noch heute.«

»Heute ist es wohl nicht gut möglich, denn Hope hat heute morgen mit mehreren Damen eine kleine Reise nach einem nicht weit von hier entfernten Hafen angetreten, wo nach Schwämmen getaucht wird, und die Gesellschaft wird vor Abend nicht zurückkehren.«

»So sagen wir morgen,« entgegnete Kapitän Staunton. »Auf meine Bitte wird mich Mister Selby für diese Nacht beherbergen. Wo soll die Unterredung stattfinden?«

»Wieder hier! Morgen früh um zehn Uhr schlage ich vor. Ich bringe Hope mit.«

»Einverstanden,« rief der Offizier.

Er spielte einige Zeit verlegen an seiner Uhrkette, hob dann den Kopf und sagte:

»Noch eins, Miß Petersen. Sie waren innerhalb zweier Jahre nun beständig in der Nähe von Hope, und so können Sie mir die beste Auskunft geben über eine Frage, deren Beantwortung mir von größtem Interesse ist und mich zugleich bedrückt.«

»Bitte, fragen Sie! Allerdings kennt wohl niemand Hope so gut, wie ich.«

»Sehen Sie,« begann Staunton sichtlich zögernd, »die ›Vesta‹ ist in ständiger Begleitung des ›Amor‹ gesegelt. Die Damen haben alle ihre Ausflüge in Gesellschaft der englischen Herren gemacht, sie sind oft wochenlang in engem Verkehr mit ihnen gewesen, und Hope ist achtzehn Jahr alt, da ...«

»Ah, ich verstehe,« unterbrach ihn Ellen lächelnd. »Sie wollen wissen, ob Hope zu einem der Herren eine tiefere Neigung gefaßt hat?«

»Es ist so.«

Gespannt hingen des Offiziers Augen an Ellens Munde, als wolle er schon jetzt die Antwort ablesen.

»Nein, das ist nicht der Fall,« fuhr Ellen fort, »Sie können sicher sein, daß nicht einmal eine heimliche, flüchtige Liebelei vorgekommen ist. Einmal habe ich auf Hope ein wachsames Auge gehabt, und dann ist sie auch eine Person, welche nicht das kleinste Gefühl verbergen kann. In ihren Zügen, in ihren Augen kann man offen lesen, was in ihrem Herzen vorgeht.«

»Hat auch keiner der englischen Herren ein Auge auf das hübsche Mädchen geworfen und ihr zu verstehen gegeben, daß er Neigung für sie hege? Junge Mädchen können sich leicht einen Gedanken in den Kopf setzen, sie bilden sich ein Ideal, das sie um keinen Preis der Welt fahren lassen.«

»Auch das nicht,« sagte Ellen kopfschüttelnd, »ich wüßte nicht einmal, daß Hope auch nur irgend einem Herrn jemals besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

»Doch ja,« fuhr sie lächelnd fort, »aber es ist eigentlich lächerlich, daß ich Ihnen dies mitteile. Einer der Herren hat einen Diener, einen früheren Seemann, mit dem Hope gern und viel verkehrt, weil sie für alles, was das Seemannswesen betrifft, schwärmt und dieser Mann ihr genügend Material für ihren phantastischen Sinn liefert.«

»Das ist nichts,« lachte Kapitän Staunton. »Hope hat als Kind stets für die Reitknechte ihres Vaters geschwärmt, weil diese größere Sporen, als der Vater selbst, trugen.«

»Warum sollte aber Hope nicht die Werbung eines dieser englischen Herren annehmen, wenn eine solche wirklich vorläge?« fragte Ellen. »Es sind alles ehrenwerte, zuverlässige Menschen, von denen keiner mit Hope spielen würde. Keinem einzigen traue ich so etwas zu. Aber ich glaube fast,« Ellen lächelte und warf dem Kapitän einen prüfenden Blick zu, »nach Ihren vorsichtigen Fragen zu schließen, ob Hopes Herz auch frei ist, gehen Sie noch mit einem anderen Plane um. Habe ich recht? Spielen Sie die Rolle eines Heiratsvermittlers?«

»Ihr Scharfsinn hat Sie nicht getäuscht; ja, ich gehe damit um, Hope zu verheiraten,« entgegnete Kapitän Staunton offen.

»Hope zählt achtzehn Jahre und ist alt genug, um sich zu verloben. Der Mann, welcher sie liebt, schon seit langem liebt, weiß von ihren Vermögensverhältnissen, aber wenn er auch nicht selbst ein bedeutendes, sicheres Kapital besäße, so würde er sich doch nicht im mindesten um Hopes Armut kehren. Er liebt sie, nicht ihr Vermögen, und das ist heutzutage sehr, sehr selten.« »Darf ich fragen, wer dieser Herr ist?«

»Leutnant Murray, der Bruder jenes Mädchens, welches Hope an ihr Krankenlager ruft.«

»Ah!« rief Ellen überrascht, »Sie hat mir oft von diesem Leutnant Murray erzählt.«

»Das freut mich,« sagte Staunton. »Wie hat sie sich über ihn ausgesprochen?«

»Sie zählt ihn zu ihren Freunden, sie sprach oft davon, wie er als Kadett, als sie noch ein Kind war, sie mit Aufmerksamkeiten überhäuft hat, sie spricht von ihm mit Hochachtung, mit warmen Worten, aber, daß sie ihn liebt, glaube ich nicht.«

»Das ist auch nicht nötig,« rief Staunton erfreut, »das wird schon noch kommen, wenn sie ihn näher kennen lernt, länger in seiner Gesellschaft gewesen ist, und dazu bietet die Reise beider in die Heimat die beste Gelegenheit. Sagen Sie selbst, Miß Petersen, wir Seeleute sind als plumpe, ungeschliffene Gesellen verschrieen, welche mit der Tür immer gleich ins Haus fallen, macht diese von mir eingeleitete Verbindung nicht dem feinsten Diplomaten Ehre?«

Kapitän Staunton strahlte vor Vergnügen, und lachend mußte Ellen ihm beistimmen.

»Leutnant Murray ist ein junger, schöner Mann mit außerordentlichen Vorzügen,« fuhr Staunton fort, »er stammt aus einer der besten Familien, ist ein guter Mensch, er liebt Hope, und warum sollte also diese Ehe nicht die glücklichste auf Erden werden? So lange ich selbst ledig bin, kann ich wohl Hope standesgemäß auftreten lassen, viel lieber wird es ihr aber sein, wenn sie unabhängig an der Seite ihres Mannes steht.«

»Ihr letzter Satz war nicht logisch,« lächelte Ellen. »Sie fügten, so lange Sie selbst ledig wären ... nur fehlte in dem Satze das Aber«.«

»O, Sie wissen? Hope hat Ihnen gewiß davon erzählt,« sagte der Offizier, leicht errötend. »Allerdings, ich weiß, daß Sie verlobt sind. Also,« Ellen stand heiter lachend auf, »unter uns gesagt, etwas Eigennutz Ihrerseits ist auch dabei, wenn Sie Hope bald verheiraten wollen, damit Sie freier werden.«

Sie schnitt dem Offizier das Wort ab und fragte ihn, ob sie zusammen die Faktorei von Mister Selby einmal besichtigen wollten.

»Ich erzähle Ihnen dabei alle unsere Abenteuer, ernste und heitere, bei welch letzteren sich Ihre Schwester, wie gewöhnlich, besonders hervorgetan hat, und zeige Ihnen die Pferde, auf denen wir gejagt und gekämpft haben. Wenn in meiner Erzählung jenes Abenteuer vorkommt, wo ein Franzose einen unfreiwilligen Ritt auf einem Zebra machte, so werde ich Ihnen jenes Zebra zeigen, welches ich selbst zugeritten habe; es steht vorläufig hier, bis ich es nach New-York schicke. Und morgen werde ich Ihnen einmal Miß Juno vorstellen, eine junge Löwin, die ich mit eigenen Händen gefangen habe. Sie befindet sich an Bord der ›Vesta‹ und wird jetzt gerade ihr Vesperbrot einnehmen; in einigen Tagen soll dieses Kind unter großartiger Feierlichkeit getauft werden.«

Als die beiden plaudernd zwischen den Faktoreigebäuden spazierten und den arbeitenden Negern zusahen, kam ihnen ein Herr entgegen.

»Sir Williams,« rief ihm Ellen schon in einiger Entfernung zu, »was fehlt Ihnen denn? So habe ich Sie noch gar nicht gesehen. Wirklich, Sie sehen ja förmlich verstört aus.«

Sir Williams begrüßte den Kapitän als einen alten Bekannten aus Yokohama.

»Verstört sehe ich nicht aus,« sagte er dann, »wohl aber ärgerlich. Mit Hannes, meinem Diener, ist es bald nicht mehr auszuhalten, der Junge ist ein Nagel zu meinem Sarge.«

»Ist dies jener Hannes, von dem Sie vorhin sprachen?« fragte der Kapitän Ellen.

»Ebenderselbe,« antwortete diese. »Ja, denken Sie nur,« fuhr Charles fort, »seit einiger Zeit ist der Kerl völlig verrückt, und seit wir in Mgwana sind, ist es mit ihm gar nicht mehr auszuhalten. Frage ich ihn, so gibt er verkehrte Antworten, befehle ich ihm etwas, so sagt er einfach: Machen Sie es selber, und dabei pfeift er Tag und Nacht einen Parademarsch nach dem anderen, als hätte er Mehlwürmer verschluckt; der Kopf brummt mir, so hat er die ganze Nacht gepfiffen. Gestern nachmittag gebe ich ihm meine Stiefeln zum Wichsen, und wie ich nach seiner Kammer gehe, weil er nicht wiederkommt, da steht der Bengel da und treibt mit vier Stiefeln nach den Klängen der Marseillaise ein Kugelspiel.«

»Was hat er denn nun schon wieder gemacht, daß Sie so aufgeregt sind?« fragte Ellen.

»Gemacht hat er diesmal nichts, aber fort ist er seit heute morgen, rein verschwunden, und seine Kammer hat er abgeschlossen. Der Junge hat vor einigen Tagen ein paar tausend Mark Bergungsgeld bekommen und nun ist er ganz aus dem Häuschen. Er hat hier auf der Faktorei einen alten Freund getroffen, einen früheren Seemann, und ich glaube fast, diesen hat er aufgesucht, um mit ihm das Geld durchzubringen. Ich wollte einmal fragen, ob dieser Freund jetzt hier ist, wenn nicht, so ist Hannes wirklich mit ihm in irgend eine Spelunke gegangen.«

Unter Bergungsgeld versteht der Seemann das Geld, welches ihm ausgezahlt wird, wenn er durch seine Bemühungen ein Wrack vor dein Sinken bewahrt und in einen Hafen gebracht hat. Der Eigentümer der Ladung ist gezwungen, dem rettenden Schiffe gewisse Prozente des Wertes auszuzahlen, und diese werden unter die Mannschaft verteilt. Die Auszahlung des Bergungsgeldes geschieht gewöhnlich nach sehr langer Zeit, oft nach Jahren, weil das Seemannsgericht die Entstehung des Unglücks und so weiter erst genau untersucht.

»Aber ich würde mir von meinem Diener so etwas doch nicht gefallen lassen,« sagte Kapitän Staunton, als Sir Williams seine Jeremiade beendet hatte.

»Jawohl, gefallen lassen. Zwischen Diener und Bedienten ist ein Unterschied, den ich mir früher nicht habe träumen lassen. Hannes ist nur ein Bedienter, das heißt, er läßt sich von seinem Herrn bedienen. Doch adieu, Miß Petersen, ich muß eilen, sonst werden die paar tausend Mark noch alle. Adieu, Kapitän, sehe Sie hoffentlich heute noch wieder, bitte, besuchen Sie uns auf dem ›Amor‹.«

Sir Williams ging eilig weg.

Nach einer Stunde begaben sich Miß Petersen und der Kapitän nach dem Strande zurück. Da kamen auf einem Seitenwege einige Damen auf sie zu.

»Dort kommen jene Damen, welche den Ausflug unternommen haben,« sagte Ellen schnell. »Wollen Sie, daß Sie jetzt schon von Hope gesehen werden? Sonst müssen Sie schnell hier einbiegen.«

»Warum denn nicht?« entgegnete der Kapitän. »So können wir ja gleich mit ihr sprechen,«

»Aber Hope ist ja nicht unter ihnen!« rief Ellen bestürzt. »Was soll das bedeuten?«

Nachdem die flüchtige Begrüßung stattgefunden, fragte Ellen, wo Hope geblieben wäre.

»Hope?« fragte ein Mädchen erstaunt. »Ja, die ist doch gar nicht mitgekommen.«

»Natürlich, sie ist ja mit Ihnen nach dem Landungsplatz gegangen, wo das Schiff lag, mit dem Sie nach jenem Hafen fahren wollten.«

»Allerdings, aber ehe das Schiff abging, erklärte sie, aus irgend einem Grunde nicht mitfahren, sondern nach der ›Vesta‹ zurückkehren zu wollen. Ist sie nicht dort?«

Bestürzt schauten sich Ellen und der Kapitän an, und auch die anderen Damen wurden unruhig, als sie hörten, daß Hope gar nicht an Bord zurückgekehrt sei.

Noch standen sie alle sprachlos da, ohne einen Entschluß fassen zu können, als eilig eine Vestalin daherkam. Sie trug einen Brief in der Hand.

»Die Post ist angekommen,« rief sie schon von weitem, »und dazwischen ist ein Brief, welcher Miß Stauntons Handschrift trägt. Ich fand dies so merkwürdig, daß ich Ihnen denselben sofort bringen wollte, Miß Petersen, aber ich mußte Sie sehr lange suchen.«

Hastig erbrach Ellen das an sie adressierte Schreiben und überflog es.

Beim Lesen desselben wurde sie erst purpurrot, dann erbleichte sie, und schließlich begannen ihre Hände so zu zittern, daß sie den Brief kaum halten konnte.

»Lesen Sie,« sagte sie mit bebender Stimme zu Kapitän Staunton, »und treffen Sie Ihre Maßregeln! Ich bin für nichts verantwortlich zu machen.«

Dann wandte sich die leicht erregbare Ellen schnell ab, um ihre hervorstürzenden Tränen zu verbergen.

In diesem Augenblicke kam auch Sir Williams an.

»Ich weiß alles,« sagte er, »Hannes hat auch mir geschrieben und das Geld beigelegt, welches er sich bei mir nicht abverdient hat. Ich gebe dem Jungen meinen Segen, er ist rechtschaffen von mir gegangen.«

Kapitän Staunton wandte sich mit blassem Antlitz an Sir Williams.

»Hannes, Ihr Diener, dem Sie vorhin ein so schlechtes Zeugnis in Betreff seines Charakters ausgestellt haben?« sagte er vorwurfsvoll.

Sir Williams wurde plötzlich sehr ernst.

»Wenn ich vorhin ungünstig über ihn gesprochen habe,« sagte er, »so geschah dies mehr aus Scherz. Es tut mir leid, wenn Sie die Ironie nicht verstanden haben. In meinen Augen ist Hannes ein Mann, in den ich in jeder Weise Vertrauen setzte.« – – – – – – – – –

Der deutsche Paketdampfer »Urania« teilte mit scharfem Bug die Wellen. Schon hatte er das schmutzigblaue Grundwasser hinter sich und fuhr über azurne Tiefen; der Kapitän signalisierte Volldampf. Eine dicke Rauchwolke wirbelte aus dem Schlot, und mit ganzer Fahrt strebte die »Urania« dem Westen zu. In vier Wochen konnte sie Hamburg, ihren Heimatshafen, erreicht haben.

Am Heck des Schiffes standen zwei Passagiere eng umschlungen und schauten nach der sich immer mehr entfernenden Küste.

Es waren ein Herr und eine Dame, beide noch sehr jung. Ihre Gesichter strotzten vor Gesundheit, und ihre Augen strahlten voller Hoffnung. Der Mann war sehr einfach in einen blauen Anzug gekleidet, die schlanke Gestalt der Dame wurde von einem grauen, schmucklosen Reisekostüm umschlossen.

»Ich weiß nicht. Mir wird doch manchmal recht wehmütig,« sagte das junge Mädchen, »wenn ich an meine Freundinnen denke. Ist es denn recht, daß ich so ohne Abschied von ihnen gegangen bin, vielleicht für immer? Ich habe Freud und Leid mit ihnen geteilt, und nun ein kurzer Brief, ein Gruß an alle, eine Entschuldigung, das ist alles.«

»Es ging nicht anders,« sagte der Mann. »Glaube mir, sie hätten dich nicht gehen lassen, du wärst auf tausend und abertausend Schwierigkeiten gestoßen. Nein, so war es das beste. Das einzige, was mich besorgt macht, ist, was dein Bruder sagen wird.«

»O, der ist gut,« erwiderte das Mädchen rasch,«er wird ja erst erstaunt sein, aber schließlich liebt er mich und hat nur mein Glück im Auge. Werden wir aber auch nicht Unannehmlichkeiten haben, wenn wir nach Deutschland kommen? Dort soll alles so genau genommen werden, und wir sind beide noch so jung,« fügte sie etwas ängstlich hinzu.

»Ich bin mündig, und du bist eine Amerikanerin, so steht unserer Verbindung nichts im Wege. Ach, das wird herrlich werden,« fuhr der junge Mann mit strahlender Miene fort, »wenn wir erst zusammenleben!«

»Wirst du die Stelle gleich bekommen?«

»Ich hoffe bestimmt so. Mein Freund auf dem Lotsenamt hat mir fest versichert, daß er den Platz für mich offen hält, bis ich eintreffe.«

»Dann wird es herrlich!« rief das junge Mädchen fröhlich. »O, wie ich mich auf dieses Leben freue! Wenn wir erst unser kleines Haus haben und ich wirtschafte darin herum und warte auf dich, und du kommst dann abends nach Hause, das Essen steht auf dem Tisch, du erzählst mir, was du für Schiffe hereinbugsiert hast, von den fremden Passagieren und ob du nicht einmal bekannte Gesichter darunter gesehen hast. Vielleicht kommandierst du als Lotse gar einmal den ›Amor‹ und die ›Vesta‹. Und weißt du, wenn es draußen stürmt und schneit, dann wärme ich dir deine Pantoffeln am Ofen und stopfe dir schon vorher die Pfeife. Aber das sage ich dir, den Schnee mußt du schon draußen abschütteln, nicht etwa in der Stube.«

Der junge Mann lachte.

»Du kannst die Zukunft schön ausmalen,« sagte er dann ernst, »aber sag', wenn nun alles nicht so kommt? Ein halbes Jahr können wir uns wohl über Wasser halten, aber was dann? Du weißt, ich nehme nichts von dir an.«

»Wenn du nur nicht so stolz sein wolltest,« sagte das Mädchen und strich den jungen Mann zärtlich über das Gesicht, »dann könntest du so leicht dein Steuermannsexamen ablegen. So müssen wir erst furchtbar lange sparen, bis wir das Geld zusammen haben. Wenn du auch nur ein einfacher Matrose oder ein Arbeiter bleibst, das schadet nichts, darum bist du mir ebenso lieb, wir wollen uns schon mit ganz Wenigem gemütlich einrichten, und haben wir einmal gar nichts, nun, dann teilen wir das eben auch zusammen,«

»Wirst du nicht recht oft an deine früheren Verhältnisse zurückdenken, vielleicht mit Schwermut? Es könnten doch solche Zeiten kommen!«

Da schlang das Mädchen ihren Arm um seinen Hals und legte ihren Mund an sein Ohr. »Weißt du noch, wie das Lied heißt, welches ich dir einst in Batavia vorsang?«

Und leise sang sie:

»Gern geb' ich Glanz und Reichtum hin Für dich, für deine Liebe!«


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