Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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9.

Der betrogene Zauberkünstler.

»Warum ist mein Vater kein NegritoDie Eingeborenen, die im Innern der Philippinen leben. gewesen? Warum hat meine Wiege nicht auf den Philippinen gestanden?« seufzte Sir Williams in kläglich komischem Tone und streckte seine Glieder in dem weichen Grase, welches den Stamm eines in prachtvoller Blüte stehenden Granatbaumes umwucherte, »Dann brauchte ich mir vom Schneider nicht mehr Maß zum Anzug nehmen zu lassen, brauchte meine Füße nicht mehr in enge Hülsen von Rindleder zu zwingen, Hemd, Strümpfe, Hut, Schlips, sogar die Manschetten wären überflüssig geworden. Ungeniert, wie mich der liebe Gott erschaffen hat, würde ich in der schönen Natur umherwandeln, aus diesem Bache das köstlichste Naß schlürfen, nicht zu vergleichen mit Champagner und Portwein, und soviel ich tränke, am anderen Tage würde ich doch keine Kopfschmerzen haben. Verspürte ich Hunger, so kletterte ich auf einen Baum und pflückte mir die herrlichsten Früchte; wollte ich schlafen, so legte ich mich ins Gras; ich kennte keine Sorgen mehr; ich wüßte gar nicht mehr, was Schulden sind, denn ich hätte nichts, auf das mir jemand etwas borgen würde; ich kennte überhaupt gar kein Geld, denn wo wäre die Tasche, in welche ich die Geldbörse stecken sollte? O, warum bin ich kein Negrito! Sehen Sie dort die nackten Geschöpfe, wie sie so friedlich zusammenhocken und sich gegenseitig die Läuse absuchen, ist das nicht idyllisch? Sie kennen keinen Zank, keinen Neid, wenn der eine einmal ein Tierchen mehr findet als der andere; sie rauchen ihre Manilla-Zigarre, die sie sich gebettelt haben, und spotten über uns dumme Europäer, die wir uns mit selbstgeschaffenen Sorgen das schöne Leben verkümmern, uns selbst Sünde schaffen. Warum wissen diese Eingeborenen nicht, daß es unanständig ist, einer nackten Dame gegenüberzusitzen? Shocking, rufen Sie, meine Ladies, aber es ist so, diese Eingeborenen dort unter den Palmen haben auch ein Sittlichkeitsgesetz, davon bin ich fest überzeugt, aber es erstreckt sich nicht darauf, ob das andere Geschlecht angezogen ist oder nicht. Ist dieses ihr Sittlichkeitsgesetz roher oder feiner, als das unsrige? Darüber läßt sich streiten. Ach, warum bin ich kein Negrito mit brauner Haut, buschigem Haar und dicken Lippen, aber mit sorglosem Herzen!« schloß Williams seine lange, philosophische Betrachtung. »Lieber Hendricks, geben Sie mir die Kognakflasche her, vielleicht, daß dieses feurige Getränk meine Wehmut beseitigt. Bin ich erst Eingeborener und habe mich hier häuslich niedergelassen, so ist es mit den alkoholischen Getränken doch vorbei. Milch, Eier, Wasser und Früchte sollen dann meine einzige Nahrung bilden.«

Lachend hatten ihm die Umsitzenden zugehört.

Alle Engländer des ›Amor‹, die Amerikanerinnen, wie auch Kapitän Hoffmann und Herr Anders lagen hier im Schatten des mächtigen Baumes und genossen die Kühle des herannahenden Abends.

Die Gegend, wo sie sich befanden, lag nicht weit ab von Manila, der Hauptstadt der Philippinen, oder wie die Eingeborenen ihre Heimat nennen, der »Tausendinseln«. Hier war noch ein Stamm der Ureinwohner ansässig, der Negritos, welche immer mehr und mehr verdrängt werden und langsam aussterben, weil sie nicht die Sitten und Gewohnheiten der stärkeren Eindringlinge annehmen wollen. So stirbt jeder Stamm aus, der sich der vordringenden Kultur nicht fügt. Entweder er reibt sich im Kampfe auf, oder es wird ihm nicht die Möglichkeit gelassen, sich fortzupflanzen, weil sein Gebiet immer mehr eingeschränkt wird, und ihm die Mittel zur Erhaltung des Lebens geraubt werden. Auch die Negritos sind ein solches Volk, das in paradiesischer Unschuld dahinlebt. Die äußerst fruchtbare Vegetation der Philippinen liefert ihnen alles, was sie brauchen, Früchte, Beeren und Wurzeln, die Vögel versorgen sie mit Eiern, die Bäche mit Wasser, und ein Baum mit dichten Zweigen dient ihnen beim Schlafen als Schutz gegen Tau, der Rasen als Ruhebett. Das muß schon ein sehr fleißiger Eingeborener sein, der sich dazu aufschwingt, aus Rinde, Bambus und Binsen sich eine Art von Hütte zu bauen; es ist eher ein Schaustück, sein Reichtum, denn durch das Dach würden doch die Tautropfen dringen, und ein starker Wind würde alles über den Haufen werfen.

Möglich vielleicht, daß die Bedürfnislosigkeit der Negritos mit der vulkanischen Beschaffenheit der Insel zusammenhängt. Die Philippinen werden, ebenso wie die ganze Inselreihe bis hinauf nach den Liu-Kiu und Japan sehr oft von kleineren oder größeren Erdbeben heimgesucht, welche die von den Eingeborenen erbauten, primitiven Wohnhäuser völlig vernichten, und die noch tätigen Vulkane drohen täglich, alle auf die Felder verwendete Arbeit innerhalb einer Stunde nutzlos zu machen, was aller paar Jahre vorkommt.Am 3. April 1868 fand zum Beispiel ein furchtbares Erdbeben statt, das ganz Manila in Trümmer legte. 400 Tote und 2000 Verwundete wurden gefunden. Der Schaden belief sich aus acht Millionen Dollar. Gegen 600 Gebäude waren eingestürzt. Dabei aber dauerte die Katastrophe nicht länger als eine halbe Minute!

Dadurch haben die Negritos, die Ureinwohner dieser gefährlichen Gegend, eine Art von Berechtigung, nicht für die Zukunft zu sorgen. Sie leben eben von dem, was ihnen die freigebige Natur bietet, denken nicht an den morgenden Tag, sondern sind zufrieden, wenn sie leben und den hungrigen Magen gefüllt haben.

Die Mitglieder der Gesellschaft kamen in einen Streit über die Frage, über welche schon so mancher sich den Kopf zerbrochen hat, ob ein zivilisiertes Volk, wie zum Beispiel hier die eingedrungenen Spanier, das Recht habe, den eigentlichen Bewohnern Stück für Stück ihres Besitztums wegzunehmen, das sie zur Fristung ihres Lebens nötig haben, selbst wenn dafür bezahlt wird, und daß sie die Vertriebenen auch noch zu der ihnen unbekannten Arbeit zwingen wollen.

Mit einigen Meinungsdifferenzen waren alle darüber einig, daß die Welt der Zivilisation gehört, daß man allerdings das Recht habe, ein Volk, welches den Boden nicht nach Kräften ausnutzen will, entweder dazu zu zwingen, oder, widersetzt es sich, einfach zu verdrängen, aber es wurde auch die ungestüme Art getadelt, wie einige Nationen, besonders die Spanier, dabei vorgegangen sind. Die englischen Herren waren ehrlich genug, zu gestehen, daß selbst ihr eigenes Volk von der Schuld grausamer Handlungsweise gegenüber Naturvölkern nicht freigesprochen werden kann, aber das Hausen der Spanier, zum Beispiel bei der Besitzergreifung Mexikos und der südamerikanischen Staaten, stellt ja alles Aehnliche in den Schatten.

Dann kam das Gespräch auf den Umstand, daß die Negritos äußerst diebisch sind. Der Begriff von Mein und Dein fehlt ihnen vollkommen, sie nehmen alles, was ihnen gefällt, und da dies natürlich in einem Lande, welches von arbeitenden und besitzenden Klassen bewohnt wird, nicht geduldet werden kann, so bemüht man sich einesteils durch Hinsendung von Missionaren, diesen Kindern der Natur klarzumachen, daß Stehlen eine Sünde ist, andererseits zeigt man durch Anwendung von Strafmitteln, daß Stehlen eine unerlaubte Handlung ist.

Alle waren darüber einig, daß die Stehlsucht der Eingeborenen nicht zu entschuldigen sei, möchte man sie bezeichnen, wie man wolle, nur einer nahm für diese Neigung der Negritos mit glühendem Eifer Partei – Marquis Chaushilm.

Dieser Herr fand Geschmack an allem Extremen und Sonderbaren, gefiel sich oft in den merkwürdigsten Behauptungen, und so verteidigte er auch jetzt die nackten Negritos gegen die Beschuldigung, daß ihre Neigung, sich fremde Besitztümer anzueignen, eine Sünde sei, die unnachsichtlich bestraft werden müsse.

So ernst er sich aber dabei auch anstellte, wußten doch alle, daß der Herzog nur ein scherzhaftes Gespräch anzetteln wollte, denn im Inneren war er vollkommen der entgegengesetzten Meinung. Auch er verurteilte diese Sucht zum Stehlen.

»Gehen Sie weg mit Ihren Missionaren,« rief er auf die Rede einer der Damen, daß die Missionare den Negritos auf Grund der Bibel klarzumachen suchten, Stehlen sei nicht erlaubt, »ich weiß recht gut, daß alle diese Schwarzröcke von dem Prinzip ausgehen, Nehmen ist seliger denn Geben. Wie kommen gerade diese Leute dazu, den unschuldigen Schwarzen das Gegenteil eintrichtern zu wollen?«

»Oho,« rief dieselbe Dame, »das ist doch wohl zu viel gesagt. Was Sie von den Dienern der Kirche behaupten, ist eine Beleidigung unserer gesamten religiösen Verhältnisse. Meiner Meinung nach hat die Mission bei rohen, unkultivierten Völkern immer gute Dienste getan; aus faulen Menschen sind fleißige, aus diebischen ehrliche, aus dummen und unwissenden solche geworden, die den Boden und die Schätze ihres Landes auszunutzen verstehen. Es gibt natürlich überall Ausnahmen, so auch unter den Missionaren, aber im allgemeinen muß man doch von ihnen sagen, daß sie in dem Entsagen, in dem Bestreben, gute Sitten und edle Gesinnung auszusäen, Großes geleistet haben. Wie können Sie beweisen, Marquis, daß die Missionare das Gegenteil von dem biblischen Gesetze, ›Geben ist seliger denn Nehmen‹ ausüben?«

»Wie ich das beweisen will?« antwortete Chaushilm. »Das werde ich Ihnen gleich sagen. Der Missionar gibt überhaupt nichts, was ihm selbst gehört, sondern nur fremdes Eigentum fort, er selbst aber nimmt fortwährend. Erstens, in seiner Jugend nimmt er Unterricht in einer Missionsschule, nimmt dann eine Stellung als Missionar an; hat er, eine solche im Auslande gefunden – finden und nehmen ist manchmal kein großer Unterschied – so nimmt er ein Paar Zentner Bibeln mit, nimmt ein Schiff und fährt, nachdem er Abschied genommen hat, nach seiner Station, wo er erst seine Schutzbefohlenen in Augenschein nimmt, von ihren Sitten und Angewohnheiten Kenntnis nimmt, und erst, wenn er soviel genommen hat, gibt er die Bibeln aus, die ihm gar nicht gehören. Wo bleibt da der Grundsatz, ›Geben ist seliger denn Nehmen‹? Ich habe dies nur kurz ausgeführt, aber es mag genügen.«

Alle mußten über den sonderbaren Beweis lachen, Mit dem Marquis Chaushilm seine Zuhörer zu überzeugen suchte.

»Ich halte mich für geschlagen, Ihre Beweisführung war eine glänzende,« lachte die Verteidigerin der Missionare, Miß Thomson. »Nun aber müssen Sie auch beweisen, daß es kein Unrecht ist, wenn die Negritos alles nehmen, was in den Bereich ihrer Finger kommt.«

»Das ist nicht wahr,« rief Chaushilm mit geheuchelter Entrüstung, »die Negritos sind durchaus nicht so diebisch, wie sie immer verschrieen werden. Natürlich, wenn sie Hunger haben, müssen sie denselben stillen; die Eindringlinge, ich will sie Spanier nennen, haben ihnen alles weggenommen, wodurch sie sich früher auf anständige Art genährt hatten. Den Boden, der früher die herrlichsten Früchte trug, haben sie mit stinkigem Tabak bepflanzt, die Erde, in welcher einst die saftigsten Wurzeln steckten, haben sie um- und umgewühlt, um totes, unschmackhaftes Gold und andere Erze zu finden, und so weiter und so weiter. Haben da die Eingeborenen nicht auch das Recht, den Spaniern wieder das zu nehmen, was sie brauchen? Ich für meinen Teil täte es auch so.«

»Die hungernden Schwarzen mögen arbeiten, sie sehen hier überall, daß ein arbeitender Mensch nicht nur sich sättigen, sondern auch nach getaner Arbeit für seine Bequemlichkeit sorgen kann.«

»Arbeiten!« rief Chaushilm verächtlich und streckte behaglich die Glieder ins Gras. »Ich arbeite auch nicht und hungere weder, noch vermisse ich eine Bequemlichkeit. Nein, lassen Sie mir meine schwarzen Brüder in Ruhe. Sie säen nicht, auch ernten sie nicht, und ihr himmlischer Vater ernährt sie doch – diese Wahrheit der Bibel muß auf sie angewendet werden – und sie sind glücklich dabei. Uebrigens, was ist denn so Schlimmes dabei, wenn diese unschuldigen Leutchen einmal ein paar Tabaksblätter vom Felde stehlen, aus einem unverschlossenen Schranke ein Brot nehmen oder untersuchen, welche Sorte Arrak der reiche Haziendero in seinem Weinkeller liegen hat – Brot, Tabak und Branntwein, das sind der heutigen Menschheit eben unentbehrliche Bedürfnisgegenstände; wären die Missionare nicht hergekommen, so wären diese auch nicht hier bekannt – und heißen sie einmal eine Ente mitgehen, die sich nicht genügend legitimieren kann, na, deswegen gehen weder die Philippinen unter, noch macht Spanien bankerott.«

»Aber Entenbraten gehört doch nicht zu den unentbehrlichsten Bedürfnissen,« meinte Charles Williams, der behaglich der Manila-Zigarre bläuliche Rauchwölkchen entlockte.

»Wie, auch Sie, Williams?« rief Chaushilm. »Gerade bei Ihnen hoffte ich, Beistand zu finden; für Sie habe ich das Wort ergriffen, denn Sie haben doch die Absicht, Hut, Stiefel, Kleider und so weiter beiseite zu werfen und sich hier als Negrito niederzulassen. Und nun reden Sie gegen mich.«

»Ich muß es mir erst noch einmal überlegen,« entgegnete Williams, »die Sache hat doch einen Haken. Einmal kann ich nicht auf Steinen barfuß gehen, als echter Negrito muß ich dies aber unbedingt, und dann bin ich kein Freund von süßen Früchten. Ich liebe Erdbeeren, Ananas, Pfirsichen und Apfelsinen nur, wenn sie in Bowle schwimmen, daher muß ich mich erst einmal erkundigen, ob die Negritos diesen Fortschritt der Kultur auch schon kennen.«

»Dann würden Sie unter den Negritos eine weiße Schwalbe sein,« lachte Miß Thomson.

»O,« meinte Charles trocken, »bei Vermeidung von Seife würde schon eine Aenderung meiner Hautfarbe eintreten.«

»Dort kommt schon einer der Eingeborenen auf uns zu, er will Sie wahrscheinlich als Bruder begrüßen,« sagte ein anderes Mädchen.

Unter einem Orangenbäumchen hatte eine Gruppe von Eingeborenen gelegen, Männer, Weiber und Kinder, die ersteren nackt, bis auf einen winzig kleinen Schurz, ja sogar, um an den Urzustand im Paradies zu erinnern, bis auf ein an einem Bindfaden hängendes Blatt. Die Kinder aber waren selbst ohne dieses Kleidungsstück. Es waren große, wohlgebaute Gestalten, denen man ansah, daß sie zur Arbeit wohl befähigt gewesen wären, aber durch Untätigkeit waren ihre Arme schwach geblieben, sie zeigten Anlagen zur Muskulatur, aber die Muskeln waren nicht ausgebildet; die Männer besaßen die zarten Glieder der Weiber, die ebensowenig arbeiteten wie sie.

Sie waren von den weißen Fremdlingen mit Zigarren beschenkt worden, hockten im Schatten des Baumes und rauchten phlegmatisch, die Weiber und Kinder ebenso, wie die Männer, und beobachteten neugierig die lustige Gesellschaft.

Jetzt näherte sich einer von ihnen der Gruppe unter dem Granatbaume.

»Sehen Sie, er will zu Ihnen, weil er weiß, daß Sie ihn und seinen Stamm so warm verteidigt haben,« meinte Charles, als der Eingeborene langsam, aber ohne Scheu zu verraten, auf Chaushilm zuschritt, »entweder er bedankt sich bei Ihnen für Ihre Verteidigungsrede, oder er bettelt Sie an.«

Das letztere war natürlich das Richtige. Der Eingeborene blieb vor dem im Grase liegenden Marquis stehen, steckte den Finger in den Mund, saugte daran, stieß die Luft aus den aufgeblasenen Backen und schaute dabei bittend den Daliegenden an.

Chaushilm hatte verstanden, aber er tat, als könne er den Wunsch des Negrito, ihm eine Zigarre zu schenken, nicht begreifen, um zu sehen, was er weiter tun würde. Der Eingeborene war durchaus nicht verschämt im Betteln, im Gegenteil, er gebärdete sich sehr zudringlich. Er kniete neben Chaushilm auf den Boden, strich mehrmals schmeichelnd über dessen Kniee, machte die bittenden Handbewegungen der Kinder, und schließlich, als der Marquis noch immer nicht in die Brusttasche griff, versuchte er sogar, ihm liebkosend die Wange zu tätscheln. Dabei machte er wiederholt die Gebärde des Rauchens.

»Geben Sie ihm nur eine Zigarre,« lachte ein junges Mädchen, »sonst fällt er Ihnen noch um den Hals und küßt Sie ab.«

»Würden Sie dann eifersüchtig werden?« fragte Chaushilm, den Eingeborenen von sich haltend.

»Wenn eine jener schwarzen Damen dort den Herzog um eine Zigarre gebeten hätte,« sagte Charles, »so würde er sich schneller erweichen lassen. Ich habe vorhin gesehen, wie er einer eine ganze Hand voll Zigarren und auch noch Streichhölzer gegeben hat. Das Weib dampft schon seit einer Stunde wie ein Postdampfer mit 30 Knoten Fahrt.«

»Uebertreiben Sie nicht,« rief Chaushilm, etwas ärgerlich darüber, daß alle über Williams Worte lachten, »ich gab ihr nur einige zerbrochene Zigarren. Und du, schwarzer Spitzbube,« wandte er sich an den Eingeborenen, »kannst du nicht arbeiten, wenn du rauchen willst? Mußt du gleich alles in die Luft paffen?«

»Herzog, an Ihnen ist ein Advokat verloren gegangen,« meinte Williams unter dem Gelächter der anderen. »Sie machen es ja gerade wie ein Verteidiger, der einen des Diebstahls angeklagten Gauner als den ehrlichsten Menschen schildert, der unter Gottes Sonne existiert und ihm selbst dabei nicht weiter traut, als er ihn sehen kann.«

»Sie haben recht, ich habe unüberlegt gesprochen. Nein, mein lieber Freund,« wandte er sich wieder an den Negrito, der ihm noch immer die Wangen zu streicheln versuchte, »vergib mir meine harten Worte, du sollst auch die größte Zigarre haben, die ich bei mir trage, auf die Qualität kommt es dir doch weniger an.«

Chaushilm hatte schon lange seiner Tasche eine Zigarre entnommen und sie in seiner Hand verborgen gehalten. Des Eingeborenen scharfem Auge war dies nicht entgangen, sonst würde er sich gar nicht so lange bei Chaushilm aufgehalten, sondern seine Bettelei bei einem anderen versucht haben, aber der Engländer wußte dies nicht.

Er wollte sich mit dem Negrito einen Spaß machen. Bei seinen letzten Worten griff er dem Eingeborenen an die Nase, zog daran und brachte dann plötzlich in der geöffneten Hand eine Zigarre zum Vorschein.

»Der Tausend!« rief er. »Deine Nase ist wohl ein Zigarrenetui? Was bettelst du mich denn an, wenn du selbst Zigarren bei dir hast?«

Der Eingeborene verstand diese auf englisch gesprochenen Worte nicht, aber er hatte doch kapiert, daß ihm Chaushilm die Zigarre aus der Nase gezogen.

Er machte ein verblüfftes Gesicht.

»Und hier im Ohr steckt ja noch eine andere,« sagte Chaushilm und brachte aus einem Ohre des Schwarzen wieder eine Zigarre zum Vorschein.

Der Eingeborene machte ein furchtbar dummes Gesicht, sprang auf, griff sich in die Nase und Ohren und suchte darin vergeblich nach anderen Glimmstengeln.

Die Zuschauer brachen in ein unauslöschliches Gelächter aus, als der Mann mit seinen Bemühungen nicht einhielt, bald auf das eine Bein, bald auf das andere sich stellte und auf den Boden stampfte, um die vermeintlich versteckte Zigarre aus den Ohren zu schütteln.

Auf einen Wink Chaushilms war sein Freund Hendricks zu ihm gerutscht.

»Was hast du denn eigentlich alles in deiner Nase, mein Junge?« sagte der Marquis, griff wieder an die Nase des Eingeborenen und brachte eine Schachtel Streichhölzer zum Vorschein. »Eine Apfelsinenniederlage hast du auch darin,« fuhr er fort und zog eine Frucht nach der anderen hervor.

Der Negrito schien das alles nicht begreifen zu können; er zog ein unbegreiflich dummes Gesicht, in dem sich halb Angst, halb Bewunderung vor diesem Zauberer ausdrückte. Dann plötzlich begann er im Kreise herumzutanzen, immer um Chaushilm herum, blieb wieder stehen, griff in Nase und Ohren und begann wieder seine Sprünge, dabei ein lautes Geschrei ausstoßend.

Die anderen Eingeborenen waren, teils durch das Gelächter der Herren und Damen angezogen, teils durch das Geschrei ihres Genossen herbeigerufen, näher herangekommen und umringten ebenfalls den Engländer, der ihnen Zigarren und Früchte aus Nase und Ohren ziehen konnte.

»Marquis Chaushilm,« rief Lord Harrlington, »Sie bekommen Beschäftigung. Zeigen Sie Ihre Kunst noch an einigen anderen, und ich wette, Sie werden von den Negritos zum Proviantmeister erwählt.«

»Oeffnen Sie nur Ihre Zigarrentaschen,« ließ sich Williams vernehmen. »Sehen Sie nur, Miß Thomson, wie die Schwarzen alle ihre Nasenlöcher hinhalten, das alte Weib dort stößt sich bald mit den Fingern das Trommelfell durch, so tief greift es ins Ohr hinein.«

»Marquis Chaushilm,« rief Ellen dazwischen, »Sie haben in Batavia bei der Vorstellung Ihre Künste in keiner Weise gezeigt, sind uns also noch Ihr Auftreten schuldig. Nun produzieren Sie sich einmal hier den Eingeborenen gegenüber als Zauberkünstler!«

Ein Bravorufen stimmte dem Vorschlag Ellens bei, Chaushilm mußte als Zauberer auftreten.

Der Marquis besaß wirklich einige Fertigkeit in Taschenspielerkunststückchen, und zwar hatte er sich mit seinem Freunde Hendricks einige Tricks eingeübt, mit denen er bei schlechtem Wetter den Herren oft im Salon die Zeit Vertrieb. Sie wirkten weniger überraschend, denn Chaushilm besaß nicht die nötige Uebung, um sie natürlich erscheinen zu lassen, als vielmehr erheiternd, weil er sich bei den ausführenden Kunststückchen immer absichtlich versah, vergriff, sich selbst anführte und dergleichen mehr, worauf Chaushilm und Hendricks sich gegenseitig die Schuld zuschoben und dadurch immer die Lachlust ihrer Freunde erweckten.

Jetzt aber wollte er seine Fertigkeit anwenden, um die unwissenden, abergläubischen Eingeborenen in Staunen zu setzen. Diese merkten sicher nicht so bald den unschuldigen Betrug, der allen seinen Kunststückchen zu Grunde lag.

Es waren die einfachsten Sachen, die Chaushilm vor den Augen der Eingeborenen ausführte, aber er setzte sie in das grenzenloseste Erstaunen. Das erste war, daß er allen wieder Zigarren aus Nase und Ohren zog und ihnen diese gab, da er ihr Eigentum nicht behalten wollte – fügte er wenigstens erklärend zu den Herren und Damen hinzu – was zur Folge hatte, daß wieder ein allgemeines Suchen nach dem köstlichen Kraute begann, das zur Trauer aller aber erfolglos war. Ebenso brachte er noch Kupfer- und Silbermünzen zum Vorschein, ließ aus der Nase eines Eingeborenen einen wahren Regen von Kupferstücken in seine Hand fallen, warf Apfelsinen in die Luft, wo sie spurlos verschwanden, und ließ sie dann in die Tasche eines der Herren wandern, füllte seinen Hut mit Apfelsinen, und als er ihn umstülpte, fiel keine heraus. Er stach sich das Messer in die Hand, aß sein Taschentuch auf, verbrannte es sogar und behauptete dann, ein Wilder säße darauf, was sich auch wirklich als richtig erwies. Kurz und gut, er machte dieselben Sachen, die man von jedem Zauberkünstler auf dem Jahrmarkt oder beim Vogelschießen ausgeführt sehen kann.

Das Erstaunen der Schwarzen wuchs immer mehr und mehr, je übernatürlicher das Verschwinden und Wiedererscheinen der Gegenstände wurde. Aber nicht nur Freude malte sich in ihren Mienen, sie drückten auch Ehrfurcht, ja sogar Scheu aus vor diesem weißen Fremdling, der so mir nichts, dir nichts, überall, wohin er auch greifen mochte, Apfelsinen, Zigarren, Geld und Tücher zum Vorschein brachte und alles auf Kommando verschwinden lassen konnte, auf dessen Geheiß unsichtbare Hände die Sachen wegnahmen und anderswo hinlegten.

Außerdem war es eine gewaltige Ehre für sie, von diesem vornehm gekleideten Weißen so behandelt zu werden, es schmeichelte ihnen ungemein, wenn der Engländer so ungeniert ihren schwarzen Körper berührte, denn von den Spaniern, den Beherrschern der Philippinen, waren sie nur gewohnt, mit Abscheu, schlimmer als Tiere, behandelt zu werden. Scheu senkten sie die schmutzigen Hände auf Chaushilms Geheiß in die Tasche seines eleganten Rockes und brachten dann die vermißten und verzauberten Gegenstände zum Vorschein.

Die Zuschauer amüsierten sich köstlich über die Eingeborenen und über die komische Feierlichkeit, welche Chaushilm an den Tag legte, selbst dem ernsten John Davids wurde ab und zu ein Lächeln abgenötigt. Ebenso wie dieser, war auch Kapitän Hoffmann der einzige, welcher nicht in das laute Lachen mit einstimmte, aber auch er lächelte fortwährend, und zwar sehr heiter, nur schien es, als ob er sich weniger über die Gesichter und das Benehmen der Eingeborenen amüsierte, als vielmehr über den Zauberkünstler selbst und die Zuschauer. Es mußte ihm unangenehm sein, daß er immer lächelte, denn wiederholt fuhr er mit dem Finger über den Mund, als wolle er das Lachen wegwischen, oder hielt sich selbst das Taschentuch vor den Mund.

Chaushilm wollte seine Vorstellung schließen, zuletzt aber noch ein Glanzstück zum Besten geben. Er ließ sich von einem Eingeborenen eine frische Apfelsine vom Baume pflücken, schälte sie langsam ab, und, o Wunder, aus den Schalen flog ein kleiner Vogel zwitschernd hervor und verschwand in den Zweigen des Baumes. Gott weiß, wie Hendricks den Vogel gefangen, jedenfalls aber hatte er ihn in die auf den Rücken gehaltene Hand des Freundes gesteckt.

Die Eingeborenen waren außer sich über diese Wundertat des Marquis, unbedingt, er war ein mächtiger Zauberer, dem man sich nicht mehr auf einen Meter nähern dürfe. Ihre Scheu verwandelte sich aber in Entzücken, als ihnen Chaushilm andeutete, alle die auf einen Haufen aufgestapelte Zigarren, Früchte, Goldstücke und so weiter – von sämtlichen Herren und Damen zusammengesteuert – seien ihr Eigentum.

Eiligst rafften sie die Schätze auf und waren bald im Walde verschwunden, ohne nur ein Wort des Dankes zu sagen.

»Das war einmal billig amüsiert!« rief Chaushilm lachend. »Weiß Gott, solch dankbares Publikum habe ich noch nie versammelt gesehen. Sehen Sie wohl, meine Herrschaften, daß ich recht hatte, als ich dieses Völkchen als ein unschuldiges, heiteres und glückliches bezeichnete! Ich brauche ihnen nur eine Zigarre aus der Nase zu ziehen, so lachen sie im ganzen Gesicht, und schenke ich sie ihnen, so stellen sie sich vor Freude auf den Kopf. Wirklich, so wie heute habe ich mich noch niemals amüsiert, und so billig dazu auch noch nie.«

Es wurde noch einiges über das Erlebte gesprochen, dann beschloß man, nach Manila znrückzukehren, denn die Sonne stand schon tief am Himmel, die Dunkelheit mußte bald eintreten.

Chaushilm knöpfte den Rock auf, um nach der Uhr zu sehen. Plötzlich nahmen seine Züge einen bestürzten Ausdruck an.

»Meine goldene Uhr und Kette,« stammelte er, »sie sind verschwunden.«

Unter den Anwesenden entstand bei diesem Ausruf eine allgemeine Bestürzung, welche sich noch mehrte, als Chaushilm, mit den Händen in den Taschen wühlend, fortfuhr: »Auch meine Geldbörse, mein Notizbuch, mein Messer, meine Haarbürste, alles ist weg!«

Da trat Hoffmann heran und ging auf Chaushilm zu, der noch immer, mit den Händen bald in diese, bald in jene Tasche greifend, dastand.

»Haben Sie die Sachen nicht vorher weggelegt?« fragte Hoffmann.

Ein Kopfschütteln des vor Ueberraschung Sprachlosen war die einzige Antwort.

»Dann muß ich Ihnen sagen,« fuhr Hoffmann fort, »daß die Negritos Ihnen alles gestohlen haben. Ich muß mir Vorwürfe machen, Ihnen nicht schon eher gesagt zu haben, daß diese Eingeborenen die geschicktesten Diebe auf der ganzen Erde sind, ebenso auch die gewandtesten Taschenspieler. Ich wunderte mich schon immer darüber, daß sie bei den von Ihnen gezeigten Kunststückchen Staunen heuchelten, denn so etwas kann hier das kleinste Kind, aber ich hielt es mehr für einen Ausdruck der Freude über Ihre Vertraulichkeit. Daß sie dieses Staunen aber nur vorgaben, um Ihnen gemütlich alle Wertsachen stehlen zu können, habe ich natürlich nicht ahnen können, sonst würde ich Sie gewarnt haben.«

Ein erschütterndes Lachen unterbrach den Sprecher. Es rührte von Williams her, der sich ins Gras zurückgeworfen hatte und lachte, daß ihm die Tränen über die Backen liefen und der Atem auszugehen drohte.

»Chaushilm – Herzog – das war ein – billiges Amüsement,« brachte er in Zwischenpausen hervor und hielt sich die Magengegend, »diese unschuldigen – harmlosen – glücklichen – Kinder der Natur – köstlich – hahaha – ich kann nicht mehr, ich platze vor Lachen – armer Chaushilm!«

Von diesem ungeheuren Lachen wurden die anderen mit angesteckt, die Situation war auch eine zu komische, und schließlich lachte Chaushilm selbst aus vollem Halse mit.

»War die Uhr ein Andenken?« fragte eins der Mädchen mitleidig,

»Das nicht,« entgegnete Chaushilm. »aber ich denke noch an die vierzig Pfund Sterling, die ich für sie bezahlt habe.«

»Und die Börse? War viel drin?«

»Ach, das ist Nebensache, mich ärgert es nur so furchtbar, daß mich diese schwarzen Bestien so blamiert haben. Tun sie, als wollen sie vor Staunen auf den Rücken fallen, und dabei, während ich sie aus meinen Taschen Apfelsinen ziehen lasse, heißen sie Uhr, Kette, und alles mitgehen. Es ist rein zum Tollwerden!«

»Gehen Sie schnell den Leuten nach und verlangen Sie die Sachen zurück,« riet Harrlington.

»Leicht gesagt, nachgehen und zurückverlangen,« entgegnete der Marquis, »die Kerle sind spurlos verschwunden, und wo soll man diese dunkelhäutigen Spitzbuben in der Finsternis finden? Schließlich stehlen sie mich noch dazu, ich traue ihnen jetzt alles zu.«

»Selbstverständlich gehen wir mit,« riefen einige Herren und machten sich sofort bereit, die Verfolgung der Diebe aufzunehmen. Während sich die anderen nach dem Flecken zurückbegaben, von wo aus sie mittels Wagen Manila erreichen wollten, eilten diese trotz der bald anbrechenden Dunkelheit in den Orangenwald, und wirklich hatten sie das Glück, ebendieselben Leute, mit denen sie sich vorhin belustigt hatten, wiederzufinden. Dieselben bereiteten sich gerade unter Bäumen und Büschen ihr Nachtlager.

Hannibal, der den Dialekt der Eingeborenen einigermaßen sprach, war ebenfalls mitgenommen worden, und so fand eine Verständigung ohne viel Schwierigkeiten statt. Das Verhör wurde zuerst mit demjenigen vorgenommen, welcher Chaushilm um Zigarren angebettelt hatte, aber bald sahen die Herren die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen ein.

Was nützten bei diesem Volke alle Vorstellungen, Bitten, Drohungen, Versprechen von Finderlohn und so weiter, sie beteuerten ihre Unschuld, sogar Tränen standen ihnen zur Verfügung. Sie sagten, man solle sie doch untersuchen, und als Sir Williams über die Aufforderung, ihre nackten Körper nach den Gegenständen zu untersuchen, lachen mußte, stimmten sie sofort alle in sein Gelächter ein.

»Weg ist weg,« sagte Chaushilm phlegmatisch. »Lassen Sie die Kerle in Ruhe, die wollen auch einmal ein Vergnügen haben. Hier, mein Junge,« wendete er sich an den ersten Schwarzen, den er im besonderen Verdachte des Diebstahls hatte, »hier hast du noch den Uhrschlüssel dazu, du hast ihn mitzunehmen vergessen. Rechts herum wird aufgezogen, aber hübsch langsam, sonst bricht die Feder.

»Behalte die Uhr als ein teures Andenken von mir, mein Name steht inwendig eingraviert, und wenn du sie einmal versetzen solltest, so fordere getrost zehn Pfund, sie ist es wert.«

»Sie wollen die Uhr ihnen wirklich überlassen?« fragte Harrlington erstaunt.

»Ja, hiermit vermache ich meine Uhr, die Geldbörse mit etwa zehn Pfund Sterling, mein Notizbuch und alles übrige, was mir auf eine mir unerklärliche Weise abhanden gekommen ist, diesen Negritos hier,« entgegnete Chaushilm feierlich. »Habe ich sie erst mit aller Kraft verteidigt; habe ich behauptet, ihr Stehlen sei keine Sünde, weil dieser Begriff in ihrem Lexikon fehlt, so will ich meine Aussage nicht durch meine Handlungsweise Lügen strafen. Ueberdies,« fuhr er fort, »was bleibt mir denn anderes übrig? Gott weiß, wohin diese Kerle die Sachen versteckt haben, in hohle Baumstämme, vergraben, oder vielleicht gar verschluckt. Eine Nachforschung wäre vergeblich, und sie durch Gewalt zum Geständnis zu bringen, dazu bin ich viel zu sehr Mensch. Ich betrachte auch die Negritos als meine Nächsten.«

»Ich kann es Ihnen nicht verdenken, wenn Sie sich mit den schmutzigen Geschöpfen nicht einlassen wollen,« sagte Sir Hendricks. »Gehen Sie noch heute abend zur spanischen Polizeibehörde in jenem Flecken, wo unsere Pferde stehen, und übergeben Sie der die Geschichte. Passen Sie auf, die Spanier werden Ihnen die Uhr bald wieder verschaffen, ich weiß, wie diese Leute mit solchem Gesindel umspringen.«

»Aber mein Gott,« rief der Marquis, »wie können Sie nur so hartherzig sprechen, Hendricks! Ich versichere Ihnen allen Ernstes, es ist mein Wille, daß dem Eingeborenen die Uhr bleibt. Was soll ich denn wegen eines solchen lappigen Goldgehäuses erst Grausamkeiten heraufbeschwören? Uebrigens ist es nicht das erste Mal, das mir die Uhr gestohlen worden ist, und niemals habe ich sie wiederbekommen, mich aber trotzdem nie darüber gekränkt. Ehe sie aber ein englischer Gauner stiehlt, der das Geld dafür mit liederlichen Frauenzimmern durchbringt, gönne ich sie diesem naiven Kinde, das sie doch nur als ein Spielzeug betrachtet. Ich bitte Sie, meine Herren, sprechen Sie nicht mehr darüber, damit diese Geschichte nicht weiter ruchbar wird, ich von törichtem Mitleid verschont bleibe und die Negritos keine weiteren Unannehmlichkeiten haben.«

Kopfschüttelnd gaben die Herren dem Wunsche ihres Freundes nach. Sie kannten schon die seltsame Art des Marquis, aus der Mücke einen Elefanten zu machen, etwas Großes dagegen gleichgültig und von oben herab zu behandeln.

Da er nun einmal gesagt hatte, diese Eingeborenen seien unschuldige, naive Menschen, denen man das Stehlen nicht übelnehmen könne, so wollte er jetzt auch bei dieser Behauptung bleiben und sie durch sein Verhalten bekräftigen, selbst da er der Geschädigte war.

Die Herren machten sich auf den Rückweg und erreichten bald die kleine Ortschaft, von welcher aus sie den Besuch der Ureinwohner unternommen hatten. Sie waren hier teils zu Pferde, teils zu Wagen angekommen und wollten nun nach Manila zurückkehren.

Noch einmal mußte Chaushilm förmlich Spießruten laufen, so wurde er über den Erfolg seiner Nachforschung ausgefragt, besonders von den neugierigen Damen. Aber er fand kein Bedauern, wie er vorhin vermutet, im Gegenteil, an diesem Abende mußte er eine dicke Haut besitzen, um allen Spott und alle Witze ertragen zu können. Dies war um so schlimmer, als sich Chaushilm wirklich durchaus nichts aus dem Verluste machte, und dies war auch der Grund, daß so schonungslos mit ihm verfahren wurde.

Die Gesellschaft hatte sich noch für eine Stunde in dem Garten niedergelassen, welcher sich einer spanischen Weinschänke anschloß, und trank von dem schweren, roten, einheimischen Weine.

In dieser Vorstadt Manilas lag eine kleine Abteilung spanischer Soldaten und ihr Hauptmann, der Capitano, der sich gerade in jener Weinstube befunden, hatte bald Bekanntschaft mit einigen Herren gemacht und das Mißgeschick des Herzogs erfahren.

Der kleine, etwas krummbeinige Spanier mit den feurigen Augen und der Habichtsnase war außer sich.

»Carracho, bei meinem Schwert,« rief er und schlug theatralisch an seinen Degenknopf, »Diese Schufte sollen dafür büßen! Morgen unternehme ich eine Razzia und ruhe nicht eher, als bis alle Negritos dieser Gegend hinter Schloß und Riegel sind.

»Ich habe ihnen die Uhr geschenkt,« sagte Chaushilm ruhig und maß den hitzigen Spanier mit einem kalten Blick. »Haben Sie keinen anderen Grund, gegen die Eingeborenen vorzugehen, so können Sie meine Angelegenheit jedenfalls nicht als solchen gebrauchen.«

»Geschenkt?« lächelte der Spanier ungläubig. »So würden Sie also keine Ansprüche mehr auf die Uhr machen? Sie belieben wohl zu scherzen, mein Herr!«

»Durchaus nicht, selbst wenn sie ein Eingeborener mir jetzt wiederbrächte, würde ich sie nicht wieder annehmen, ebensowenig wie das Geld. Ich habe einen starren Kopf.«

»Geld war auch dabei?« rief der Spanier. »Davon habe ich ja noch gar nichts vernommen. Wieviel war es denn?«

»Eine Kleinigkeit, zehn bis zwölf Pfund Sterling,« antwortete Chaushilm gleichgültig.

Des Spaniers Augen funkelten beim Hören dieser Summe auf, es war etwas mehr, als seine Monatsgage betrug.

»Und Sie machen auf dieses Geld auch keine Ansprüche mehr?« fragte er wieder.

Chaushilm sah ihn groß an.

»Nein,« antwortete er langsam, »aber was veranlaßt Sie, diese Frage, ob ich auf die mir gestohlenen Sachen noch Anspruch mache, immer zu wiederholen? Ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich alles den Eingeborenen überlassen habe, und bitte Sie, in dieser Angelegenheit keine weiteren Schritte zu tun; sie ist erledigt.«

Chaushilm machte eine Verbeugung und eine entlassende Handbewegung mit einem so unnachahmlichen Stolz, dem selbst der spanische Offizier nicht gewachsen war, obgleich sonst die Spanier bekanntlich auch in theatralischen Gesten Meister sind.

Aber Chaushilm fühlte sich heute als ein ganz anderer Mensch, es war ihm, als hätte er eine große Tat vollführt, über die ihn alle Welt anstaune, er fühlte sich so glücklich, großmütig und edel – weit erhaben über die kleinlichen Ansichten der anderen Menschen.


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