Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 3
Robert Kraft

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23.

Im Lager des roten Löwen.

Etwa vierhundert Meilen von der Küste ab liegt am Niger, einem der bedeutendsten Ströme Afrikas, das kleine Negerstädtchen Babba, eine Zwischenstation für Karawanen und daher besonders mit reisenden Arabern Handel treibend.

Es liegt zugleich am Mussondi, welcher hier in den Niger mündet und an der Grenze von Dahomeh und Joruba entspringt.

Es war an einem sonnenklaren Morgen, als ein Boot mit sechs Ruderern und drei Passagieren diesen Fluß stromaufwärts fuhr. Die Ruderer waren Schwarze aus Babba, ebenso wie man auch der Form des Bootes ansah, daß es in dieser Stadt seinen Liegeplatz hatte, die drei Fremden aber waren Weiße, wenigstens Europäer, denn zwei von ihnen hatten eine so braungebrannte Haut, daß man den Ausdruck Weißer hier kaum noch anwenden konnte. Der dritte dagegen besaß eine hellere Haut, machte überhaupt einen eleganteren Eindruck als seine beiden Gefährten, die sich in ihrem ganzen Benehmen als Seeleute verrieten.

Es sind drei gute, alte Bekannte, nämlich der Seewolf, Ned Carpenter und Tannert.

Eine malerische Gegend war es, durch welche diese drei fuhren; meist lag zu beiden Seiten des Flusses allerdings die mit Büschen besetzte Steppe, oft aber drängten sich zur Rechten die Ausläufer eines Urwaldes so nahe ans Ufer, daß die Aeste der Baumriesen weit über das Wasser ragten, und solche Stellen wären wohl der Bewunderung wert gewesen, aber die drei Männer waren in geschäftliche Gespräche vertieft, und solche hatten größeres Interesse für sie, als Naturschönheiten. Der Seewolf war, wie immer, kurz und brummig, und bei dieser Partie umsomehr, als sich in Babba ganz plötzlich und unerwartet Tannert ihnen angeschlossen hatte, den er in China oder Australien oder Amerika vermutete, nur nicht hier an der Westküste Afrikas. Derselbe hatte kurz erklärt, er habe hier Geschäfte vor, zu deren Erledigung er aber noch einige Wochen Zeit hätte, und wolle sich daher gern der Expedition des Seewolfes anschließen, welche ja nur einige Tage daure.

Letzterer konnte Tannert nicht ausstehen, weil dieser zu viel feineren, raffinierteren, sogenannten Geldschwindelgeschäften vom Meister verwendet wurde, und der Seewolf haßte alle diejenigen, welche sich damit befaßten, weil er wohl wußte, daß diese beim Meister in hohem Ansehen standen und besser bezahlt wurden, als die ›Dreinhauer‹, wie er die Sorte von Verbrechern bezeichnete, zu der er selbst gehörte.

Da war doch Ned Carpenter ein ganz anderer Kerl, mit dem konnte er immer auskommen. Dieser wußte ebensogut eine Pistole abzuschießen, einen Mann mit der Faust zu Boden zu schlagen, ein Schiff durch den Sturm zu lenken, wie auch einen Liter Rum mit einem Zuge hinunterzustürzen. Der war sein Freund, und wenn er auch manchmal etwas eifersüchtig auf ihn wurde, weil er ihn beim Meister nach und nach ausstach, mehr Briefe bekam und überhaupt von der ganzen Sache mehr wußte, als er selbst, so nahm er es ihm doch nicht übel, weil er eben ein ganz famoser Kerl war. Er stand in seiner Gunst zehnmal höher als Tannert, dieser zimperliche, bleichsüchtige Gesell mit den zarten Händen.

Tannert kehrte sich nicht im geringsten daran, daß der Seewolf ihn immer »abblitzte«.

Er hatte in Babba, wo er ganz unvermutet eintraf, als die beiden eben ein Boot und sechs schwarze Ruderer mieteten, einfach erklärt, daß er sich der Partie anschließen möchte, nur so zum Zeitvertreib, und deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er über den Zweck dieser Reise vom Meister selbst vollständig eingeweiht worden war.

Red schien darüber sehr erfreut, daß er außer dem brummigen Seewolf noch einen Reisebegleiter bekam, und dieser konnte dem Gefährten nicht die Mitreise verweigern, er mußte seine Einwilligung geben, aber ohne Murren und Brummen ging es natürlich nicht ab.

Es war schade, daß der Seewolf in manchen Sachen so furchtbar plump war, sonst hätte er merken müssen, wie Tannert fortwährend, gleich als sie sich noch an Land befanden, versuchte, ihn allein zu sprechen, ohne Gegenwart eines dritten, aber der Seewolf, der eben eine Abneigung gegen Tannert hatte, ging niemals darauf ein. Er verstand nicht, als Tannert zu ihm sagte, er solle mit ihm erst noch einmal nach dem und dem Hause gehen, in jener Wirtsstube noch ein Glas Palmenwein auf gute Reise mit ihm trinken, sich mit ihm dort ein Boot besehen und so weiter, der Seewolf schlug die Begleitschaft entweder ab, oder er forderte Red zum Mitgehen auf, und dann drehte sich das Gespräch um ganz gleichgültige Sachen.

Tannert blieb zwar äußerlich immer kalt, innerlich kochte er aber vor Wut über diese Dummheit des Seewolfs, nur freute er sich, daß auch Red zu wenig Verstandeskraft hatte und diese immer keckeren Aufforderungen, ihn einmal allein zu lassen, nicht merkte. Er ging ruhig seinen Beschäftigungen nach, rüstete das Boot aus, fuhr die Schwarzen grob an, blieb, wo er war, und kam, wenn er gerufen wurde. Nie zeigte er mit einer Miene, daß er Argwohn geschöpft hatte.

Daß Tannert den Ned Carpenter auch während der Fahrt nicht aus dem Auge ließ, merkte weder der Seewolf, noch dieser selbst, ebensowenig, wie bei Gelegenheit Tannert immer wieder versuchte, Ned einmal zu entfernen.

»Nun zeigt einmal offene Karte,« sagte der Seewolf, während das Boot unter den Riesenbäumen dahinglitt. »Wir können ruhig miteinander sprechen, die Nigger verstehen wohl etwas Spanisch, aber kein Wort Englisch. Warum wollt Ihr eigentlich mit uns den roten Löwen aufsuchen?«

»Ich erklärte Euch schon immer, daß ich dies nur aus bloßem Zeitvertreib tue,« entgegnete Tannert gleichgültig, »ich habe eben Lust, mich von einer Arbeit zu erholen, die mich sehr angestrengt hat.«

»Was für eine Arbeit?« fragte der Seewolf neugierig.

»Ein Unternehmen, welches mir einmal mißglückt ist. Aber das kann mir höchstens einmal passieren, nicht zum zweiten Male – ich habe Snatcher von Bord des ›Amor‹ abgeholt.«

Ein Ruf des Erstaunens entfuhr den Lippen des Seewolfs, und auch Ned machte ein verwundertes Gesicht. Er ahnte nicht, wie Tannert, welcher sich gemächlich an die Bordwand lehnte und eine blaue Lorgnette zum Schutze gegen die Sonnenstrahlen vor den Augen hatte, ihn hinter den Gläsern scharf bewachte.

»Wie habt Ihr denn das gemacht?«

»Sehr einfach,« entgegnete Tannert und schlang spielend die Lorgnettenschnur um die Finger, »Snatcher war doch immer krank, er litt am Fieber und besserte sich nur langsam. In Mgwana war die Cholera ausgebrochen, und die gesamte europäische Bevölkerung hatte ausgemacht, daß jeder, der Symptome dieser Krankheit zeigte, an Land oder an Bord eines im Hafen ankernden Schiffes, sofort in die Baracken käme. Ich bestach einen Arzt, welcher die Untersuchung auf den Schiffen vornahm, und dieser ordnete an, daß Snatcher auch nach den Baracken geschafft wurde, natürlich kam er nicht dorthin, sondern befindet sich in Sicherheit.«

»Wo ist er denn jetzt?« fragte der Seewolf. »Das kann ich nicht sagen,« war die kurze Antwort.

Der Seewolf brummte mürrisch und unwillig vor sich hin, er wünschte diesen Tannert zu allen Teufeln.

»Ich weiß nur so viel,« fügte Tannert schnell hinzu, als wolle er seinen Fehler wieder gut machen, »daß er bereits auf dem Wege nach Amerika ist. Ich mußte ihn gleich an jemanden anders abgeben, der den weiteren Transport leitete.«

»Ach so,« sagte der Seewolf einigermaßen wieder versöhnt.

»Da ich Euch nun so offen in meine Geschäfte eingeweiht habe,« begann Tannert nach einer kleinen Pause wieder, »so könnt Ihr mir wohl sagen, was Euch hierherführt?«

»Ihr wißt es doch selbst,« knurrte der Seewolf.

»Ich weiß nur so viel, daß Ihr den roten Löwen aufsuchen und dazu anwerben sollt, die Engländer zu vernichten und die Damen womöglich alle lebendig auszuliefern. So viel erzählte mir ein Mann, welcher ein Vertrauter des Meisters ist. Ihr seht also, Heimlichkeiten brauchen wir voreinander nicht zu haben.«

»Was wollt Ihr denn sonst noch erfahren, wenn Ihr schon alles wißt?«

Tannert entnahm seiner Rocktasche eine Flasche, entkorkte sie und nahm einen kleinen Schluck, um sie dann dem Seewolf zu reichen.

»Mir ist nur nicht recht klar, wie Ihr gerade dazu erwählt seid, Euch diesem Unternehmen anzuschließen, denn es steht doch sicher zu erwarten, daß der rote Löwe einen von uns zur Seite haben muß, damit er nicht nach Willkür handelt, sondern uns in die Hände arbeitet, überhaupt etwas unter Aussicht steht. Offen gestanden, Seewolf, zu so etwas eignet Ihr Euch nicht, Ihr paßt mit Euren Seebeinen nicht in die Wälder und Dschungeln. Ich weiß wohl, daß Ihr auf dem Meere Euresgleichen sucht. Niemand kann ein schlechtes Schiff so schnell segeln lassen, daß es den schnellsten Segler überholt, und niemand kann Euch in Kniffen, welche sich auf der See abspielen, gleichkommen. Aber, wie gesagt, ich halte Euch nicht für geeignet, durch Steppen zu kriechen und in Morästen herumzupatschen, da seid Ihr bald wrack gelegt.«

Während dieser langen Rede hatte der Seewolf den Inhalt der Flasche ununterbrochen in seine ausgetrocknete Kehle hinunterlaufen lassen, und als Tannert jetzt schwieg, setzte er sie endlich ab und strich sich die perlenden Tropfen schmunzelnd aus dem weißen Schnurrbart.

Er war bei seiner schwachen Seite gefaßt worden.

»Da habt Ihr recht,« sagte er, die Flasche Red Carpenter hinreichend, der sie vollends leerte. »Nein, zu so etwas passe ich, wie der Bär zum Mäusefangen, und es freut mich wirklich, daß Ihr so viel Vernunft in Eurem Hirnkasten habt, um das herauszufinden. Halt ein, halt, Red,« er nahm dem Begleiter die Flasche vom Mund, »hättest mir auch noch einen Tropfen drin lassen sollen, aber greif da einmal hinter dir in die Kiste, da, rechts liegt noch eine andere Flasche. Ja, Mister Tannert, dazu würde ich mich schlecht eignen, wie ein Spürhund im Busch herumzukriechen, einmal habe ich das gemacht, aber nie wieder.«

»So soll der rote Löwe also auf eigene Faust hinter den Mädchen herjagen?« unterbrach Tannert lächelnd den plötzlich redselig gewordenen Seewolf.

»Durchaus nicht. Hier, mein Kompagnon, Red Carpenter, übernimmt diese Rolle, der versteht so etwas ausgezeichnet, besser als ein Zulukaffer kann er im Busche schnüffeln.«

»Und was habt Ihr dabei zu tun?«

»Zu zweien läßt sich so eine Geschichte besser abschließen als allein, ich bin sozusagen der Zeuge, in Wirklichkeit aber derjenige, der das Geschäft macht. Ist die Sache im klaren, das heißt, ist der rote Löwe bereit, für soundsoviel uns die Mädchen zu verschaffen und die Engländer von seinen Leuten auffressen zu lassen, so zahle ich ihm die Hälfte der Summe aus, verspreche ihm die andere nach Auslieferung der Mädchen, und dann geht Ned mit diesen ab.«

»Kann Euch der rote Löwe, der doch auch nur ein Wilder ist, nicht das Geld, das Ihr bei Euch habt, mit Gewalt abnehmen?«

»Möglich wäre es natürlich, aber es muß eben gewagt werden. Wir können doch nicht gleich mit ein paar hundert Mann zu ihm rücken, und zehn Mann kann er ebensogut morden, wie uns beide. Wir haben niemanden finden können, der den Auftrag ausrichten wollte, und so gab ich schließlich Ned nach, welcher durchaus selbst hinwollte. Uebrigens ist der rote Löwe kein gewöhnlicher Nigger, sondern ein Mulatte, und hat daher schon die feineren Eigenschaften eines Weißen an sich, das heißt, nicht gerade die guten, so zum Beispiel nimmt er nicht etwa Perlen, Muscheln und so weiter als Bezahlung, sondern nur bares Geld, er führt immer einen ganzen Harem mit sich herum und weiß ganz genau, was gut schmeckt; wenn er irgendwo plündert, so guckt er stets zuerst in den Weinkeller, was der Hauswirt für Sorten führt, hahaha!«

»So lebt er nur von Raub?«

»Natürlich, nur von Raub, Plünderung und Mord. Er ist so ein kleiner König ohne Land, hat aber eine größere Waffenmacht als alle übrigen Häuptlinge mit Land.« »Aus was für Leuten setzt sich diese Truppenmacht zusammen?«

»Nun, wir könnten uns auch alle unter seine Leute anwerben lassen,« lachte der Seewolf. »Es ist nämlich nur der sogenannte Abschaum der Menschheit, hier allenfalls der Abschaum von Afrika, Schwarze, Braune, Gelbe, Weiße, Neger und Mulatten, die sich nirgends mehr sehen lassen dürfen, ohne aufgehangen zu werden,«

»Dann ist es aber gefährlich, wenn wir uns nach seinem Lager begeben.«

»O, nicht so sehr, wie Ihr denkt. Der rote Löwe besieht sich erst seinen Mann, ehe er ihn tötet. Kann er mit ihm ein gutes Geschäft machen, so tut er es.«

»Und tötet ihn dann,« fügte Tannert lachend hinzu. »Wißt Ihr auch genau, wo sich sein Lager befindet?«

»Red hier weiß es. He, mein Junge, wie weit sind wir denn noch davon ab?«

»Wo der gelbe Fels links am Ufer liegt, müssen wir auf der anderen Seite aussteigen. Dort werden wir schon auf Vorposten des roten Löwen stoßen,« sagte dieser.

Er sprach auf spanisch mit dem Schwarzen, welcher das Boot steuerte.

»Wir sind nicht mehr weit davon ab,« sagte er dann. »Nur noch zwei Biegungen des Flusses, dann sind wir da.«

Als die erste Biegung passiert war, hielten auf einen Wink des Steuermannes die Neger plötzlich mit Rudern ein und begannen, sich lebhaft untereinander zu besprechen.

»Was gibt es, ihr Nigger?« fragte der Seewolf, dessen Augen durch den übermäßigen Genuß des spirituösen Getränkes schon zu glänzen anfingen.

»Kibokos, Herr, viele, viele Kibokos,« war die Antwort.

»Was ist das, Kibokos, ihr Halunken?«

Red Carpenter hatte sich, ebenso wie Tannert, erhoben und blickte dahin, wohin die Neger spähten und deuteten. Sie sahen dort auf der Wasserfläche eine Menge dunkler Gegenstände schwimmen, fast gerade so, als wenn Pferde ihre Köpfe über das Wasser steckten.

»Es sind Flußpferde!« riefen Ned und Tannert zugleich.

»Teufel,« brummte der Seewolf, »die Bestien werden uns doch in Ruhe lassen?«

Er griff nach seiner Büchse, ebenso die anderen.

»Die Flußpferde greifen den Menschen nicht an, wenn sie nicht gereizt werden,« sagte Tannert.

Da fielen plötzlich einige Schüsse, sie sahen in einiger Entfernung am rechten Ufer Pulverdampf aufsteigen. Ein Tier mußte getroffen sein, denn es schwamm schnell stromab, von den anderen gefolgt, wobei sie das Wasser in wirbelnde Bewegung brachten.

»Verdammt!« knirschte der Seewolf. »He, Schwarzer, rudere ans Ufer!«

Der Aufforderung wurde eiligst Folge geleistet, aber die ankommenden Tiere bewegten sich so schnell vorwärts, daß sie sich in gleicher Linie mit dem Boote befanden, noch ehe dieses das Ufer erreicht hatte.

Das erste getroffene Tier schwamm unglücklicherweise gerade gegen das Boot an, es konnte nicht mehr ausweichen, und, von einer plötzlichen Wut gepackt, riß es das furchtbare Maul weit auf und wandte sich direkt gegen das Fahrzeug.

Die Neger schrieen laut auf vor Schreck, einer ließ sogar das Ruder ins Wasser fallen, die drei Weißen sprangen auf und hoben die Büchsen, eben als das weit aufgerissene Maul mit den gewaltigen Zähnen das Boot am Rande erfaßte und es wie ein Spielzeug aus dem Wasser hob. Drei Schüsse krachten zu gleicher Zeit, und das von drei Kugeln in den Schlund getroffene Tier ließ das Boot fahren und sank sofort unter, über sich einen wirbelnden, blutroten Schaum zurücklassend. Aber die Bordwand war von den Zähnen zertrümmert, das Boot nahm stark Wasser über und drohte zu sinken.

Dazu kam noch, daß die übrigen Tiere unterdes auch das Boot erreicht hatten, es nun umdrängten und zu zertrümmern suchten.

Ehe es sich die entsetzten Insassen versahen, kippte das schwanke Fahrzeug plötzlich um, sie lagen im Wasser und suchten durch eilendes Schwimmen das bewaldete Ufer zu gewinnen, was den drei Weißen und sechs Schwarzen auch wirklich gelang.

Als sie aber das Ufer emporklommen, sahen sie sich plötzlich von einer Schar schwarzer Gestalten umringt. Diejenigen, welche die Gewehre gerettet hatten, konnten keinen Gebrauch davon machen, denn die Munition war ebenso, wie sie selbst, durchnäßt, und im nächsten Moment lagen sie alle überwältigt am Boden. – – –

In einer hügeligen Einsenkung der Steppe war ein Lager hergerichtet, so einfach, daß nur die bedürfnislosesten Neger damit zufrieden sein konnten. Es gab kein Zelt, kein Obdach, ja, nicht einmal Bäume, in deren Schatten die Lagernden Schutz gegen die heißen Strahlen der Sonne fanden, aber die Neger können eine Portion Hitze vertragen.

Und Neger und Mulatten waren es auch nur, welche hier auf Fellen lagerten und sich von der Sonne braten ließen, obwohl es mehrere unter den etwa dreihundert Männern gab, welche so viel weißes Blut in ihren Adern hatten, daß sie als Weiße hätten gelten können, wenn nicht die Sonne ihre Haut so schwarz gebrannt hätte, ihre Physiognomien und das schlichte, oft sogar helle Haar verriet ihre Abstammung. Aber sie hatten dabei die Angewohnheit der Neger schon angenommen, immer in der Sonne zu liegen, wenn dieselbe während des Mittags nicht zu heiß schien.

Der ganzen Gesellschaft war der Stempel der Rohheit und moralischen Verkommenheit aufgedrückt; ihre körperliche Beschaffenheit dagegen war eine sehr gute, ein Zeichen, daß sie sich gut nährten, um die Strapazen des Kampfes und der Reise aushalten zu können.

Unter dem einzigen Baume, welcher in diesem Tale Schatten warf, lag ein kleiner, untersetzter Mann, der durch sein Aeußeres den Mulatten verriet. Er war bis auf ein Lendentuch völlig nackt, nur ein prächtiges Löwenfell hatte er in malerischer Nachlässigkeit um die Schulter geworfen, und so konnte man erkennen, daß nicht nur das wildblickende, tierische Gesicht eine sonderbare schmutzigrote Farbe hatte, sondern auch sein ganzer Körper. Er lag bequem ausgestreckt, den Kopf auf eine Hand gestützt, und bot mit seinem muskulösen und doch geschmeidigen Körper ein schönes Bild von Kraft und Ruhe.

Dies war der rote Löwe, so genannt einesteils wegen seiner Hautfarbe, anderenteils wegen des Löwenfelles, ohne welches er nie gesehen wurde. Man erzählte sich von ihm, daß er dieses Fell einem Löwen abgenommen habe, den er nur mit der Lanze getötet hatte. Er war der Häuptling der Bande von Ausgestoßenen, Verfolgten und Verbrechern, die er um sich gesammelt hatte, deren in zivilisierten Gegenden der Galgen wartete.

Mit ihnen unternahm er Raubzüge, überfiel Karawanen und schloß mit Vorliebe Bündnisse mit Häuptlingen, welche einen Nachbarstaat bekriegen wollten, um sich zu bereichern, sicherte sich aber stets den Löwenanteil, kraft seines Namens.

Er war wirklich ein mächtiger Häuptling, weil sein Volk nur aus kriegerischen, kräftigen Männern bestand, er besaß jedoch kein Land, obgleich es ihm leicht gewesen wäre, sich ein solches zu erobern.

Die Wachen, welche auf den Hügelkämmen aufgestellt worden waren, riefen einander etwas zu, und bald kam der Trupp heran, der ihre Aufmerksamkeit erregt hatte.

Der Häuptling wurde zwar verständigt, aber er nahm nicht viel Notiz davon, er blieb in seiner bequemen Stellung liegen, und erst, als ihm der Ueberbringer der Botschaft meldete, die gefangenen Weißen sagten aus, sie hätten eben ihn, den roten Löwen, aufsuchen wollen, um mit ihm ein Geschäft abzuschließen, da ließ er die drei Gefangenen vor sich kommen, ohne sich zu erheben. Er betrachtete mit teilnahmlosem Blicke seiner kleinen, rotunterlaufenen Augen die vor ihn Geführten. Schnell verständigte der Seewolf seine Gefährten, daß er die Unterredung führen würde.

»Seid ihr Engländer?« fragte der Löwe in ziemlich gutem Englisch. Er konnte also kein unwissender Schwarzer sein.

»Wir gehören keiner Nation an, wir sind Sklavenhändler,« entgegnete der Seewolf.

Der Häuptling blickte den Sprecher finster an und stieß dann einen langen, verächtlichen Ruf aus.

»Wem wollt ihr es weismachen, mir? Ihr seid Seeleute, Engländer.«

»Wir sind Seeleute, aber du weißt, Häuptling, daß eben die Seeleute den Sklavenhandel betreiben, denn diejenigen, welche dir deine Kriegsgefangenen abkaufen, sind nur Zwischenhändler, die sie wieder an uns verkaufen.«

Der Häuptling überlegte, wie er überhaupt nach jeder Antwort, die er erhielt, und ehe er etwas sprach, lange nachsann. Hinter der niedrigen, stark vorspringenden Stirn des Mulatten mußte überhaupt eine gewisse Denkkraft stecken, welche man ihm sonst, dem rohen Gesichte nach, nicht zugetraut hätte.

»So sollt ihr Sklaven kaufen?«

»Ja.«

»Ich habe keine.«

»Du sollst uns welche verschaffen.«

»Darum wolltet ihr zu mir?«

»Es ist so.«

»Gut, ich verstehe euch! Ihr seid mir willkommen! Was für Sklaven soll ich euch verschaffen? Arbeiter oder leichte Ware, oder Mädchen?«

Der rote Löwe richtete sich nunmehr auf und sah den Seewolf an, ohne besondere Teilnahme zu verraten. Hatten die drei Männer gehofft, nach dieser Bewillkommnung von ihren Stricken befreit zu werden, so hatten sie sich getäuscht, der Häuptling gab seinen Leuten, welche ihn umstanden, keinen Befehl dazu. »Es sind Mädchen, welche wir als Sklavinnen haben wollen,« antwortete der Seewolf.

»Gut, ich will euch welche besorgen. Wo holt ihr sie ab?«

»Nein, nein,« beeilte sich der Seewolf zu sagen, »es sind keine Negerinnen, sondern Weiße.«

»Weiße? Die gibt es hier nicht,« entgegnete der rote Löwe gleichgültig.

»Doch, sie sind bei einer Karawane.«

»Seit wann reisen Mädchen mit einer Karawane? Vielleicht einmal eins, aber was verlohnt sich dies, weite Märsche zu machen? Schwarze könnt ihr genug bekommen.

»Es sind viele, viele Mädchen, welche bei der Karawane sind, sie bilden diese selbst.«

»Geh, du lügst,« sagte der Häuptling und ließ sich wieder zurückfallen.

»Ich lüge nicht, und deshalb komme ich zu dir, Häuptling, damit du die Mädchen fängst und mir verkaufst. Ich gebe dir dafür nicht so viel, wie du von einem Sklavenhändler erhältst, sondern so viel, wie dieser von mir erhalten würde, und zwar die doppelte Summe die für ein schönes, schwarzes Mädchen gezahlt wird! Bist du damit zufrieden?«

Der Häuptling hatte sich wieder halb aufgerichtet und zog ein vergnügtes Gesicht, aber das grinsende Lächeln gab ihm ein schreckliches Aussehen.

»Das wäre einmal ein schönes Geschäft,« schmunzelte er, »aber hast du das Geld auch bei dir?«

»Nein,« war der Seewolf schlau genug zu antworten, »nur die Hälfte kannst du bald erhalten, und die andere dann, wenn du die Mädchen ablieferst.«

»Gut, ich bin damit einverstanden. Wo befindet sich die Mädchenkarawane?«

Der Seewolf nannte die Gegend, wo die Amerikanerinnen sich ungefähr aufhalten mußten, erzählte von den Engländern, in deren Gesellschaft sie sich immer befanden, und vor denen er, der Häuptling, sich ganz besonders in acht nehmen müsse.

»Du mußt diese Engländer erst alle töten, Häuptling,« sagte der Seewolf, »sonst kannst du die Mädchen niemals bekommen.«

»Das werde ich auch tun,« grinste der rote Löwe. »Sieh einmal meine Leute da, wie sie nach Blut lechzen. Haben schon lange keins mehr gehabt. Sind die Männer und Mädchen gut bewaffnet?«

»Sehr gut, sie haben die besten Waffen bei sich. Du mußt dich ihrer mit List bemächtigen.«

»Wie viele sind es?«

»Fünfundzwanzig.«

»Schön, und an wen verkaufst du sie wieder?« fragte der rote Löwe.

»Ich muß mir erst noch einen Käufer suchen.«

»Zehn große Goldstücke erhalte ich für jedes Mädchen, sagtest du vorhin?« fragte der rote Löwe nach einer langen Pause.

»Ja, zehn Goldstücke.«

»Und wieviel glaubst du für ein Mädchen zu erhalten?«

Tannert war schon lange unruhig gewesen, er hätte den Seewolf zu gern warnen mögen, nicht zu viel zu sagen. So gelassen und naiv der rote Löwe auch tat, er war jedenfalls ein ganz durchtriebener Kerl, dem nicht zu trauen war.

»Sieh dich vor, Seewolf,« zischelte Tannert seinem Gefährten zu, »er will dich aushorchen!«

So leise dies auch gesprochen war, dem Ohre des roten Häuptlings war es doch nicht entgangen, schneller als der Blitz hatte er eine neben sich liegende tönerne Wasserflasche ergriffen, eine Armbewegung – und der langhalsige Krug zerschmetterte an Tannerts Gesicht in Scherben.

»Verfluchter Hund,« schrie der rote Löwe, der sich nun wieder halb aufgerichtet hatte, »glaubst du, ich sei taub, und du, du alter dummer grauhaariger Wolf, glaubst du, ich sei ein Kind, das mit sich spielen läßt? Hahaha, ich brauche keine Zwischenhändler; das Geld, das du verdienen willst, kann ich mir auch verdienen, oder glaubst du, ich fange die Mädchen und lasse mir zehn Goldstücke geben, während ich zwanzig bekommen kann? Narr du, du bist in deiner Dummheit nicht wert, daß du lebst! Heh, Burschen!«

Die Neger umdrängten auf seinen Wink die Gefangenen, dieselben wurden zu Boden geworfen und bis aufs Hemd durchsucht. Gelassen nahm der rote Löwe den schweren Beutel mit Gold in Empfang, den der Seewolf bei sich getragen hatte, ebenso die Wertsachen der anderen und überließ das andere Wertlosere seinen Leuten.

Die Gefangenen wurden abgeführt.

»Haha,« lachte der rote Löwe ihnen nach, »was seid ihr Weißen doch für schlaue Leute! Nun, ihr sollt mir zeigen, wo die Mädchen zu haben und wo sie am besten zu verkaufen sind.«

Die Gefangenen wurden unter Stößen und Fußtritten nach einer Ecke des Tales gebracht, wo sie sich niederlegen mußten, und wo ihnen die Füße gebunden wurden. In ihrer Nähe lagerte sich eine Anzahl bewaffneter Neger, um einen Fluchtversuch zu vereiteln.

»Du Narr, du namenloser Tor, je weißer deine Haare werden, desto dümmer wirst du,« brachte endlich Tannert hervor, als er vor Wut Worte fand. »Ach, hätte mir doch meine Vernunft gesagt, daß sich solch ein Mensch mit Eselsverstand nicht in ein so gefährliches Unternehmen einlassen kann. Oder hättest du wenigstens mich den Sprecher machen lassen, oder meinetwegen auch Ned Carpenter, der ist noch hundertmal gescheiter, als du, du läßt dir ja vom kleinsten Kinde die Würmer aus der Nase ziehen.«

So ging es weiter, bis sich Tannerts Zorn etwas gelegt hatte, aber das dauerte lange. Der Seewolf antwortete erst nur mit einem Gebrumme, welches diesmal eher zerknirscht, als unwillig klang, dann aber ward er still, achtete nicht mehr auf die Vorwürfe, sondern begann sich seine Lage zu überlegen. Ned tat das Gleiche von Anfang an, und schließlich sah auch Tannert ein, daß sein Zorn ihn nicht aus dieser vermaledeiten Situation helfen könne, sondern allein kluge Ueberlegung und kühnes Handeln.

»Wir sind in einer verfluchten Patsche,« sagte er zu Ned. »Redet, Mister Carpenter! Was meint Ihr wohl, was der rote Löwe – roter Halunke sollte er heißen – mit uns vorhat?«

»Jedenfalls will er nur ...« begann der Seewolf.

»Sei still, verfluchter Graubart,« fuhr Tannert ihn an. »Schade, daß ich meinen Fuß nicht frei habe, sonst würde ich dir dein ungewaschenes Maul stopfen. Sagt, Mister Carpenter, was meint Ihr?«

Der Angeredete war der einzige, welcher seine Ruhe behalten hatte. Phlegmatisch schob er ein Stückchen Tabak im Munde hin und her und kaute darauf. Er hatte es sich kurz vorher in den Mund gesteckt, ehe er gefangen wurde, und sein einziger Trost war, daß es noch ziemlich frisch war.

»Was wir tun sollen? Fliehen!« meinte er trocken.

»Leicht gesagt, aber wie?«

»Kommt Zeit, kommt Rat – wird es Nacht, wird es dunkel, dann wird es schon eher gehen.«

»Ihr habt wenigstens noch guten Mut, aber ich bin vor Zorn über diesen Seewolf schon ganz krank geworden.«

»Davon werdet Ihr auch nicht gescheiter,« antwortete gleichmütig Ned, der auf dem Rücken lag und den Tabakssaft in kunstvollem Bogen in den Kreis der Neger spuckte, so daß einer aufsah und den Himmel musterte, weil er glaubte, es regne.

»Ich möchte nur wissen, warum die Neger hier in der Sonne liegen und sich braten lassen,« begann Tannert nach einer kleinen Weile wieder. Er fand wenigstens Trost darin, sich mit jemandem unterhalten zu können.

»Wird wohl seinen Grund haben.«

Dieser Grund wurde auch bald aufgeklärt, denn nach etwa einer Stunde kam ein Trupp Reiter ins Tal gesprengt, welche eine Unmenge von Pferden an Halftern mit sich führten. Sie waren längs des Waldsaumes geritten, und die Tiere mußten dabei bis an die Kniee in Sumpf geraten sein.

»Seht Ihr, der Waldboden ist ganz sumpfig! Findet man häufig in Afrika,« meinte Ned.

»Woher mögen sie nur die vielen Pferde haben, das sind doch über hundert Stück?«

»Jedenfalls gestohlen.«

Einige Sekunden lagen die Gefangenen still da; der Seewolf begann zu stöhnen und forderte fluchend Wasser. Ein Neger erhob sich auch sofort und ließ nicht nur ihn, sondern auch die beiden anderen trinken.

Verschmachten sollten sie also nicht, ebensowenig verhungern, denn bei Sonnenuntergang erhielt jeder ein großes Stück getrocknetes Fleisch, da ihnen aber die Hände nicht freigemacht wurden, die trägen Neger sie auch nicht füttern wollten, so bekamen sie die Fleischstücke einfach wie Hunde vorgeworfen.

Der Seewolf kaute an dem seinen unter Knurren und Murren, wirklich den Eindruck eines fressenden Hundes machend, Tannert verschmähte vorläufig noch auf solche Weise Nahrung zu sich zu nehmen, während Ned mit bestem Appetit die zähen Fleischstücke hinunterschluckte.

Tannert betrachtete den Hungrigen bei dieser Arbeit mit großem Interesse.

»Ihr scheint noch Lebensmut in Euch zu haben,« meinte er. »Habt Ihr Hoffnung auf Befreiung?«

»Warum denn nicht? Ich fühle, daß ich meine Stricke lockern kann, wenn auch jetzt noch nicht, sondern erst bei Nacht, weil niemand die Anstrengungen sehen darf; dann stehle ich dort ein paar Pferde und huih, fort bin ich.«

»Das Pferdestehlen ist eben keine leichte Sache,«

»Wenn's weiter nichts ist, ich habe dieses Geschäft gelernt, und da ich bis jetzt nicht gehangen wurde, sondern noch lebe, so ist das ein Beweis, daß ich ein geschickter Pferdedieb bin.«

Tannert betrachtete den kauenden Burschen mit immer mehr Wohlgefallen, er flößte ihm wieder Lebensmut ein. Tannert hatte in anderen Kreisen gelebt, ehe er Verbrecher wurde, wie wir einst hörten, war er Detektiv, später sogar ein hoher Gerichtsbeamter gewesen – er war also ein gebildeter Mann.

»Wißt Ihr, Ned, daß ich Euch großes Unrecht getan habe?« begann er nach einer Pause zögernd.

»Wie soll ich das wissen? Habe nichts bemerkt.«

»Ich war der Meinung, Ihr triebt nicht ehrliches Spiel.«

Ned ließ ein Fleischstück aus dem Munde fallen und lachte laut auf.

»Ehrlich sind wir doch gerade alle nicht!«

»Nun, ich meinte, Ihr triebt ein doppeltes Spiel, Ihr gehörtet eigentlich gar nicht zur Bande des Meisters, sondern wäret so eine Art von Spion.«

»Haha, sehr gut, wie kamt Ihr auf so eine verrückte Idee? Sehe ich wie ein Spion aus?«

»Nun, ich bekam nur so einen Argwohn wegen der Briefe.«

»Was für Briefe?« fragte Ned unschuldig, schon wieder an dem zähen Antilopenfleisch kauend.

»Na, lassen wir das! Ich hatte mir vorgenommen, Euch ein wenig zu beobachten, aber ich habe Euch bitter Unrecht getan; wie es scheint, seid Ihr ein braver Kerl, auf den man in der Not zählen kann.«

»Ihr wolltet mich beobachten? Vom Meister aus?« »Nein, nein, es ist gut so, es war mein eigener Verdacht. Doch horcht, was ist das?«

Neue Reiter stießen zu der Bande, wieder Pferde mit sich führend, diesmal aber auch einen kleinen Wagen, auf dem sich einige Kisten, Ballen und Fässer befanden. Es mußten Proviantvorräte gewesen sein, denn bald flammten überall Feuer auf – es wurde schon dunkel – und wurde gekocht und gebraten. Dann kam das Faß an die Reihe, Kruken wurden gefüllt und machten die Runde. Auch die Wächter, welche sich ebenfalls ein Feuer angesteckt hatten, wurden mit einer Kruke bedacht, und als das Getränk ihnen zu Kopfe gestiegen war, kam sogar einer der Neger auf die Gefangenen zu und ließ sie einige Schlucke trinken, –es war nicht Pembe, sondern guter Palmwein.

Die Stimmung unter den Räubern wurde immer heiterer, sie stimmten ihre eintönigen Lieder an, dazwischen wurden andere hörbar, welche verrieten, daß unter der Bande auch solche waren, welche nicht immer in der Wildnis als Räuber gelebt hatten, und die Wächter füllten wieder ihre Kruken; sie wurden auch immer am Fasse zugelassen, wahrscheinlich, weil sie sich von der allgemeinen Fröhlichkeit ausschließen mußten, um einsam neben den Gefangenen zu hocken.

Nicht lange dauerte es, so war der Uebermut gerade der Wächter aufs höchste gestiegen, und sie begannen, sich nach Gegenständen umzusehen, an denen sie ihren Witz auslassen konnten.

Ihre Wahl fiel natürlich auf die Gefangenen.

Einer von ihnen kam schwankend auf diese zu, betrachtete sie lange mit boshaftem Blick und kehrte dann wieder nach dem Feuer zurück, wo er lachend mit seinen Gefährten sprach und auf die Gefangenen deutete.

Er war ein Mann, dem man ansah, daß er ziemlich viel Blut von Weißen in den Adern hatte, vielleicht nur solches, denn er war blond und schlicht, und außerdem trug er einen Schnurrbart. Nur die aufgeworfene Lippe und die breite Nase konnten auf eine schwarze Abstammung hinweisen.

Er kehrte abermals zu den Gefangenen zurück, diesmal von seinen Begleitern umringt.

»Hoh,« rief er und gab dem Seewolf einen Fußtritt. »Seid ihr Weißen mehr als wir?«

Die Frage war auf englisch gestellt worden.

»Sprich, du Hund, seid ihr mehr?« »Weiß nicht,« knurrte der Seewolf.

»So,« fuhr der Betrunkene fort, den Seewolf wieder mit Fußtritten traktierend. »Du weißt es nicht! Warum tragt ihr bessere Kleidung als wir auf dem Leibe? Höh! Können wir die nicht auch tragen?«

»Meinetwegen.«

»Gut, meinetwegen, sehr gut! Hört ihr's, Burschen, wir dürfen auch solches Zeug anziehen. Haha!«

Auf seinen Ruf stürzten sich die Wilden lachend über die Gefangenen her, rissen ihnen die Sachen vom Leibe, und zogen diese sich selbst an, alles, Hemd, Hosen, Stiefel, Weste und Jacke, welche sie, da sie die Hände nicht lösen durften, einfach herunterschnitten.

»So, nun friert nicht, macht euch Bewegung, daß ihr warm bleibt!« grinste der Halbneger und drückte sich Tannerts Strohhut auf den Kopf, »wir wollen auch einmal Weiße sein, haben lange kein solches Zeug mehr auf den Leibern gehabt. Bekommt alles wieder!«

Die Wilden, von denen der eine die Hose, der andere eine Weste, wieder ein anderer nur Stiefeln anhatte, gruppierten sich lachend wieder um das Feuer und suchten das Benehmen von Europäern nachzuahmen.

»Diese Hunde,« knirschte Tannert durch die Zähne, »uns hier in dieser Nacht splitterfasernackt liegen zu lassen! Mein Gott, mein Gott, daß mir so etwas passieren muß.«

»Glaubt Ihr auch noch an den lieben Gott?« lachte Ned höhnisch. »Ich dachte, für Euch gebe es nur noch einen Teufel, und das Geld sei Euer Gott.«

»Ihr Glücklichen könnt wenigstens noch lachen,« stöhnte Tannert und wälzte sich auf die Seite, um den seltsamen Menschen zu betrachten und sich mit ihm zu unterhalten.

Es war Nacht, aber der Schein des Feuers reichte aus, um sich gegenseitig erkennen zu können.

Plötzlich erweiterten sich Tannerts Augen, er starrte wie entsetzt auf die nackte Brust des neben ihm Liegenden. Er sah da beim Flackern des unstäten Feuers ein seltsames Tier mit blauer Farbe eintätowiert.

»Ein Chamäleon,« stieß er hervor, dann aber schrie er laut auf:

»Nikolas Sharp!«

»Richtig, Nikolas Sharp ist mein Name, Mister Tannert,« sagte der nackte Mensch ruhig und blickte dem Erstarrten ins Auge, »oder kürzer: Nik Sharp.«

»Nik Sharp, der Detektiv,« wiederholte Tannert.

»Auch das. Wir waren einst Kollegen, Mister Tannert.«

Eine Zeit lang hörte man nichts weiter, als das Keuchen Tannerts, dann aber zischte er durch die Zähne:

»Verräter!«

»Meineidiger!« gab Sharp ruhig zurück.

»Schurke!«

»Spitzbube! Weiter!«

»Dir soll dein Lohn werden.«

»Und du wirst bald am Galgen hängen, wenn du nicht vorher von den Negern gebraten wirst.«

Diese Antwort rief Tannert in die Erinnerung zurück, daß Schimpfen jetzt am unrichtigen Platz war.

»Wie kommen Sie hierher?«

»Sehr einfach, als Detektiv. Ich habe mich immer sehr um die Angelegenheit des Meisters bemüht und bin nun schon so weit, daß ich alle seine Schliche kenne, ich weiß alle eure Namen, eure Schlupfwinkel, eure Geheimnisse u. s. w., ja noch mehr, ich bin schon seit längerer Zeit sozusagen zweiter Meister. Vizemeister, ich gebe selbst Befehle, schreibe Briefe, siegle sie u. s. w., daher mag es auch kommen, daß Sie manchmal Briefe erhielten, welche Sie sich nicht mit dem sonstigen Betragen des Meisters zusammenreimen konnten. Tut mir sehr leid, aber das, was ich Ihnen auszuführen gab, paßte besser in meinen Kram.«

»Schuft!«

»Halunke!« gab der unerschütterlich ruhige Detektiv zurück. »Nun sagen Sie mir einmal selbst, ist das nicht alles sein von mir ausgeheckt?«

Tannert blieb die Antwort auf diese seltsame Frage schuldig.

»Wer ist der Meister? Wie kommt es, daß Sie seine Briefe fälschen konnten, ohne daß er es merkte?«

»Jedenfalls, weil es keinen Meister gibt,« war die spöttische Antwort. »Weil ihr euch gegenseitig immer an der Nase herumführt, ohne daß ihr es merkt.«

»Wieso?«

»Das wird Ihnen im Himmel klar werden, wenn Sie nicht von hier aus direkt als Muster ohne Wert in die Hölle geschickt werden,« antwortete Sharp.

»Weil, Mister Taunert,« fuhr er dann fort, »wir sind ja nicht mehr weit von den Pforten der Ewigkeit, und so können wir uns einstweilen noch ganz hübsch unterhalten. Sehen Sie, Sie sind auf eine falsche Bahn gekommen, Sie hätten hübsch Detektiv bleiben sollen und nicht gleich hoch oben hinaus wollen. Wenn wir beide zusammengeblieben wären, wir hätten die Welt schön in Staunen setzen können. Aber das müssen Sie doch nun zugestehen, Mister Tannert, daß ich ein bißchen klüger bin als Sie. Ich habe Ihnen nämlich manches Mal einen schönen Strich durch die Rechnung gemacht, so z. B. war ich es, der Ihnen Snatcher aus dem Fasse nahm und dafür einen alten Hund hineintat, und nun glauben Sie wohl gar, Sie hätten Snatcher an die richtige Adresse abgegeben? I, Gott bewahre, dem richtigen Manne schob ich etwas in den Weg, so daß er sich einige Tage verspäten mußte, und der Kapitän, dem Sie Snatcher auslieferten, war ein von mir Angeworbener. Nein, Mister Tannert, da haben Sie sich wieder einmal getäuscht!«

Der Detektiv plauderte immer in ruhigem, freundlichen Tone, Tannert dagegen knirschte mit den Zähnen.

»Well,« fuhr Sharp fort, »schade, daß Sie dem Ende des Lustspiels nicht mit beiwohnen können, sonst würden Sie noch etwas erlebt haben! Ich kenne nun alles, was den Meister anbetrifft, es liegt nur an mir, so habe ich euch alle in der Schlinge, und wären Sie noch mit darunter, so bräche ich Ihnen ebenfalls Ihr niedliches Hälschen, schade, daß Sie schon hier daran glauben müssen.«

»Warum sprechen Sie nur von mir? Was soll es mit mir?« knirschte Tannert,

»Nun, glauben Sie denn etwa, Mister Rotlöwe läßt Sie wieder mit heiler Haut davon? Gott bewahre, der spickt Sie und den alten, schimmligen Seewolf dort mit Pfeilen und röstet euch dann beide langsam am Feuer knusprig.«

»Und Sie, wird Ihr Schicksal etwa ein anderes sein?«

»Ich?« fragte der Detektiv langsam und bog sich wie eine Schlange zusammen, so daß die Hände die Füße berührten. »Ich kann gehen, wenn ich will.«

»Haltet ihn!« brüllte Tannert, aber es war zu spät.

Wie ein Gummiball schnellte Sharp plötzlich vom Boden auf und sprang auf das Feuer zu, welches direkt am Eingange zum Tale brannte.

Die betrunkenen Neger fuhren entsetzt empor, einer sprang auf den Flüchtling zu, erhielt aber sofort einen Schlag, der ihn bewußtlos in das Feuer warf, und der nackte Mann sprang weiter, das dem Neger entrissene Messer in der Faust.

Einige Wurfspeere sausten hinter ihm her, einer davon durchbohrte seinen linken Arm, mitten im Rennen zog er ihn von hinten aus demselben und stieß ihn im nächsten Augenblick einem ihm sich entgegenstellenden Neger in die Brust.

Er hatte das Tal hinter sich.

Draußen standen die Pferde angepflockt, ebenfalls von einigen Negern bewacht; aber diese konnten den nackten Mann nicht aufhalten, wie ein Aal glitt er ihnen unter den Händen durch. Wer nicht auswich, wurde zu Boden geschlagen, und wer ihn schon fest zu halten glaubte, stürzte röchelnd, mit der Todeswunde im Herzen, zu Boden.

Die Verfolger sprangen auf die Pferde, aber schon sauste der Reiter durch die Nacht, und das unter ihm galoppierende Roß war das beste der ganzen Herde gewesen. Sein flüchtiger Hufschlag ging dem Gehör der Nachsetzenden bald verloren.

Nik Sharp war frei!

Das ganze Lager war in Aufregung, und bald kamen die Verfolger erfolglos zurück.

Der rote Löwe tobte und fluchte, er verabreichte seinen Leuten Fußtritte, und als er zu den beiden zurückgebliebenen Gefangenen kam, ließ er seine volle Wut an diesen aus.

Dann wurde auch noch die verkohlte Leiche des ins Feuer geschleuderten Negers gefunden.

»Ihm nach, ins Feuer mit den Gefangenen!« schrie der rote Löwe.

Schon sahen die Verbrecher ihren qualvollen Tod besiegelt, als der Häuptling seinen Entschluß änderte. Er ließ sie fester binden und sorgfältiger bewachen.


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