Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Greifswald

Greifswald

Diese überaus hübsche, freundliche, wohlhabende Stadt liegt am schiffbaren Ryck, nur eine halbe Meile von der See entfernt. Sie ist von einem Abte des Klosters Eldena gegründet und etwa 1233 mit Mauern umgeben und zur Stadt erhoben worden. Wie es heisst, war dem Kloster Eldena von der Freigebigkeit der ehemals fast souverainen Grafen von Gützkow ein grosser Wald geschenkt worden, dessen Reste noch heutiges Tages unter dem Namen Elisenhain ein Hauptvergnügungsort der Greifswalder sind. Zu seiner Zeit erstreckte sich der Wald von Eldena bis Greifswald und war von solcher Dichtigkeit, dass ein alter Mönch prophezeite: »Sollten je die Thürme Greifswald's von Eldena aus gesehen werden können, so würde nicht nur Greifswald's, sondern der ganzen Erde Untergang sehr nahe bevorstehen.« Hätte der Mönch doch nur den Untergang des Klosters prophezeit, so könnte man glauben, er habe geahnt, dass derselbe Geist, welcher äusserlich durch Lichtung der Wälder Licht schaffe, auch die Menschheit so weit aufklären werde, dass sie das finstere Pfaffen- und Klosterwesen zum Lande hinausjage. Das Kloster zu Eldena liegt in Trümmern, und nur die Ueberreste unterirdischer Gänge, welche früher von dem Kloster aus in das Greifswalder Rathhaus und dessen Weinkeller geführt haben sollen, verrathen, welche Verbindung die Mönche mit ihrer Pflanzstadt unterhielten. Das heutige Greifswald aber ist der Brennpunkt für die spärlichen Strahlen pommerscher Cultur und Intelligenz, der Nerv Pommerns, durch den es von den geistigen Regungen und Bewegungen der Aussenwelt afficirt wird. Universität, Gymnasium, Oberlandesgericht, Hofgericht, Kreisgericht, Garnison, Handel, Schiffahrt u. s. w. bewirken ein reges und vielseitiges Leben in dieser Stadt und sind die Ursache, dass Greifswald im Laufe der Jahre eine ganz andere Physiognomie gewonnen und aus einer mittelalterlichen, durch hohe Giebelhäuser und enge Strassen verfinsterten Stadt ein freundlicher, regelmässig und modern gebauter Ort geworden ist und noch täglich mehr wird. Eben dies rege geistige Leben und der sich hin und wieder, namentlich in Anlagen und Verschönerungen der Stadt, unverkennbar kundgebende Kunstsinn seiner Einwohner haben der Stadt den Namen Hyld-Athen verschafft ( Hylde ist ein zweiter Name des Flusses Ryck). Die hiesige Universität wurde 1455 von Herzog Wartislaw, genau genommen aber von dem Bürgermeister Rugenow, Die Bürgermeister der grösseren Städte Pommerns hatten in früherer Zeit häufig mehr Macht und Ansehen, als die Herzöge von Pommern. dem ersten Rector der Universität, gestiftet. Durch Stiftungen und Schenkungen aller Art wurde sie so reich dotirt, dass ihre jährlichen Einkünfte auf 50 bis 60,000 Rthlr. geschätzt werden. Da in der sogenannten Schwedenzeit die Universität oft kaum 50 Studenten zählte, so war es sprichwörtlich geworden, dass jeder Student der Universität jährlich tausend Thaler koste, und es soll auch lange Zeit üblich gewesen sein, jeden neu ankommenden Studenten am Thore zu fragen, ob er auch Stipendien und Freitische annehmen wolle, denn selbstständige Leute, die aus eigenen Mitteln lebten, würden hier nicht zugelassen. Das bekannte Tres faciunt collegium soll hier in Greifswald entstanden sein. Obgleich nun, was die Frequenz betrifft, die Universität sich auch bis heute noch nicht recht aufgeschwungen hat – die juristische Facultät zählte vor kurzem drei Studenten – so haben hier doch zu allen Zeiten, in allen Fächern, tüchtige Männer gelehrt, und es ist nur zu bedauern, dass hier dem Rufe der Celebrität auch stets der Abruf nach Berlin, Halle und andern grösseren Universitäten auf dem Fusse folgt. Oft schon ist von gänzlicher Aufhebung der Universität und ihrer Zusammenschmelzung mit Berlin die Rede gewesen. Indessen, es müssen wohl alte Pergamente vorhanden sein, die die Ausführung dieses Planes verhindern. Am zahlreichsten ist noch immer die medizinische Facultät hauptsächlich von Westphalen besucht, die sich vielleicht durch den Namen eines Berndt oder Schulz, oder, wie Andere behaupten, durch die derbe dem westphälischen Schinken und Pumpernickel zunächst verwandte neuvorpommersche Kost, die ihnen hier an Freitischen durchaus gut, reichlich und unentgeltlich geliefert wird, angezogen fühlen. Unter den Juristen sind die Professoren Gesterding, Schildener, v. Tigerström und Barkow, unter den Theologen Kosegarten und Matthies, unter den Philosophen Schömann, Stiedenroth, Hornschuch und Grunert hervorzuheben. Von Dichtern und Schöngeistern hat dieser Musensitz gegenwärtig nichts aufzuweisen, und wenn die Dichterin und Gräfin Ida Hahn-Hahn hier auch zu Zeiten wohnhaft und heimisch ist, so verlebt sie ihre Tage doch meist unter einem ihrer glühenden Phantasie günstigeren Himmelsstrich. Als ein höchst anspruchloser Mann von vielseitigem Wissen und mannigfachen Talenten ist der Dr. Fr. v. Hagenow bemerkenswerth, der vermittelst seiner ausgezeichneten Karten der sicherste Führer durch Pommern und Rügen geworden ist. Unter den Gebäuden Greifswald's ist zunächst die Nicolaikirche, hauptsächlich ihrer einfach edlen inneren Ausschmückung wegen, sehenswerth. Auf's Einzelne können wir uns leider hier nicht einlassen. Die Greifswalder sind auch von dem ansehnlichen Thurm dieser Kirche sehr entzückt. Wir sind aber der Ansicht, dass derselbe, obgleich sehr hübsch und zierlich, als Thurm eines Gotteshauses, viel zu bunt, phantastisch und spielwerkig sei, und nichts von der edlen imponirenden Einfachheit besitze, die, trotz aller gothischer Schnörkel und Zierrathen, uns in Kirchthürmen älterer Zeit entgegen tritt. Der Thurm der Nicolaikirche zu Stralsund, der ziemlich aus derselben Zeit des 14ten Jahrhunderts stammt, ist viel edler, harmonischer, man möchte sagen: erhebender construirt; der Greifswalder Thurm macht den Eindruck einer colossalen schön gedrechselten Schachfigur, und würde dem Stralsunder oder dem Danziger Rathhause zur schönsten Zierde gereichen. – Das Universitätsgebäude, 1751 erbaut, ist nach einem im Vergleich zu grösseren Musensitzen grossartigen Plane ausgeführt, und hat an einem mit Linden besetzten Platze zwischen der St. Nicolai- und Jacobikirche eine angenehm überraschende Lage. Sehenswerth ist die Aula, mit den Bildern früherer Kanzler und Protektoren verziert. In den beiden obern Geschossen der ganzen Breite, Tiefe und Höhe nach befindet sich der Bibliotheksaal, würdig ausgeschmückt im Geschmacke des Zeitalters. Die Zahl der Bücher ist etwa 60,000; mancherlei Kostbarkeiten und Reliquien vergangener Zeit locken den Reisenden. Die Seitenflügel des Gebäudes dienen zu Hörsälen, zur Aufbewahrung der vollständigen anatomischen Sammlungen und Präparate, so wie der Instrumente zur Anatomie; ein schöner Saal ist den Sitzungen des Senats und des Conciliums bestimmt. Eine grosse Zahl von Portraits der früheren Professoren, mit dem Stifter Heinrich Rugenow beginnend, und mit Unterbrechung fortgeführt bis auf das heutige Lehrercollegium, schmückt mehrere Räume. Das ausgezeichnete naturhistorische Museum ist in einem entlegenen, eleganten Gebäude aufgestellt. Im Atrio des vorderen Einganges hat der dankbare Sinn einer neueren gelehrten Generation ein aus Wolgast gerettetes Wappenbild eingemauert; im Vordergiebel prangt in Stein gehauen der Königl. Preuss. Wappenadler; nach der Südseite dagegen, über dem anmuthigen und wohlbepflanzten botanischen Garten, blickt, von gehelmten wilden Männern getragen, der Schild der Greifen herab, unverändert im Wechsel der Dinge, während Schwedens Löwe und Napoleon's Adler nach einander wichen. – Das grösste Gebäude in der hier zunächst gelegenen Strasse ist das neu erbaute Lokal des Oberappellations- und Hofgerichts.

Nehmen wir nun noch auf dem Markte die drei schönen alten Giebelhäuser und gegenüber das Rathhaus mit einem ansehnlichen Weinkeller in Augenschein, so hätten wir, ausser der Saline, den höchst eleganten, fast zu grossartigen Stadtthoren; wovon eines, das Steinbecker, nach dem Muster des Berliner Brandenburger erbaut ist, und ausser dem Logengarten und den sehr schönen Wallpromenaden, nichts mehr zu berücksichtigen; können also somit in eines der drei hübschen alten Häuser, bei der Wittwe Engel, einsprechen und daselbst ein vortreffliches Glas Rothwein trinken. Zum Logiren aber ist allen Fremden das deutsche Haus bestens zu empfehlen.

Unter den Umgebungen Greifswald's verdienen nun zunächst die landwirthschaftliche Akademie Eldena, und Wyck, als der eigentliche Hafen der Stadt, Berücksichtigung. Beide sehr interessante Punkte liegen hart am Ausflusse des Ryck in's Meer, dessen Bucht hier der Greifswalder Bodden genannt wird.

Ruine des Klosters Eldena

Vermittelst einer sogenannten Treckschuite begeben wir uns jetzt auf gut holländisch den Ryck hinab, setzen jedoch unsern Landschaftsmaler gleich links bei den Salinen ab, um erst von hier aus, als von einem besonders günstigen Punkte, die gute Stadt Greifswald zu portraitiren, und uns später nach Eldena zu folgen. Wyck, das uns zur Linken liegt, ist ein reinliches freundliches Dorf, das zunächst von meist wohlhabenden Schiffern und Fischern bewohnt wird, und ausserdem, dass es zum Hafen und Seebad der Greifswalder dient, nichts Bemerkenswerthes aufzuweisen hat. Anders aber verhält es sich mit Eldena, das von vornherein einen höchst angenehmen, unerwartet malerischen Eindruck auf den Fremden macht. Neben den einfachen ländlichen Hütten sind hier, seit das Amt Eldena zu einer landwirthschaftlichen Akademie erhoben wurde, viele sehr stattliche Gebäude im mannigfaltigsten Geschmack entstanden, und wer Eldena seit zehn Jahren nicht gesehen hat, kennt es schwerlich wieder. Und wenn nun vollends aus Eldena's alter Klosterruine einer von den Klosterbrüdern, die sich so schlecht auf's Prophezeien verstanden, aus dem Grabe käme, und sähe und hörte, wie statt des Klosterzwanges hier jetzt die akademische Freiheit herrscht, wie statt der Weihrauchfässer hier die Bowlen dampfen und statt des Ave Maria jetzt das Gaudeamus igitur erklingt, der würde sich wundern und wahrscheinlich gerne gleich wieder schlafen legen. Trotz der höchst günstigen Lage und mannigfaltigen Bodenbeschaffenheit hat sich, so viele pecuniaire Anstrengungen auch gemacht wurden, die Akademie doch nicht jenes zahlreichen Besuches zu erfreuen, der mit vielleicht zu grosser Sicherheit erwartet wurde. Theils ist hieran wahrscheinlich das etwas sehr theuere Leben und hauptsächlich wohl der Umstand Schuld, dass der frühere Director, der eigentlich zur Einrichtung der Akademie berufen war, sehr plötzlich seine Stellung aufgab und als ein sehr beliebter Lehrer fast zwei Drittel der derzeitigen Akademiker mit sich nahm.

Wenden wir uns jetzt zu der alten Klosterruine, die als ein Prachtstück pommerscher Landschaftsmotive mit Recht auf eine Abbildung für unser Werk Anspruch zu machen hatte, so sehen wir in ihr die klassische Stätte, von welcher sich sowohl das Christenthum als auch die deutsche Bildung überhaupt über Neuvorpommern verbreitet haben. Vor etwa 633 Jahren stifteten die Fürsten von Rügen hier mit reichen Belehnungen ein Cistercienserkloster, und die Aebte dieses Klosters stifteten wieder die Stadt Greifswald. In dieser entstand dann die schnell erblühende und segensreiche Früchte tragende hohe Schule, die nicht wenig zum Siege der Aufklärung und Reformation beitrug, durch welche aber das Kloster fast spurlos in Schutt und Trümmer sank, die erst in neuester Zeit ein dankbarer, für das Schöne und Malerische empfänglicher Sinn aus Gestrüpp und Wildniss ans Tageslicht gefördert hat.

Aus diesen Trümmern, welche unser Maler mit vielem Geschick uns glücklich zur Anschauung gebracht hat, lässt sich auf den bedeutenden Umfang und auf die frühere Zierlichkeit des Münsters schliessen. Die Verwüstung dieses Klosters geschah im 30jährigen Kriege, abwechselnd von den Schweden und den Kaiserlichen, und die Universität Greifswald, die bereits unter Boislav XIV. in den Besitz sämmtlicher Klostergüter kam, liess erst 1827 die Ruinen säubern und aufräumen und mit einer kleinen Pflanzung von Laubbäumen umgeben. Wenn auch, ausser der Thurmgiebelwand der Kirche, wenig Malerisches mehr von der Ruine vorhanden, so ist sie dennoch unter allen früheren pommerschen Klöstern die bedeutendste Ruine, weil die Erbitterung der Schweden im dreissigjährigen Kriege sie fast sämmtlich bis auf den Grund zerstört hat, und später sogar die zum Theil noch übrigen Mauern und Fundamente zur Anlegung von Branntweinbrennereien und andern für nöthig erachteten Gebäuden verbraucht worden sind.

In der That, es wird dem Beschauer schwer, hier und an anderen Orten die Anklage gegen den in Hinsicht auf Alterthümer hier herrschenden gedankenlosen Stumpfsinn nicht nur der Vorzeit, sondern namentlich des vorigen und jetzigen Jahrhunderts zu unterdrücken. Mehr als die Wuth der Feinde hat der Eigennutz der Einheimischen die zum Theil gewiss malerischen Trümmer ehrwürdiger Burgen und Klöster zerstört. Von den Klöstern zu Stolpe, Pudagla, Hiddensöe und dem einst so stattlichen Kolbatz ist fast nichts mehr übrig und die Trümmer der pommerschen Herzogsburgen sind erst vor kaum 30 Jahren für den Preis der Abtragung der Steine verkauft worden und nur die Keller hat man bestehen lassen, weil sie sich trefflich zur Aufbewahrung von Häringstonnen eigneten.

Bevor wir Greifswald und dessen gesegnete Umgegend verlassen, um uns über Stralsund nach dem schönen Rügen zu wenden, müssen wir eines wenig gekannten, aber nichts destoweniger sehr merkwürdigen Dorfes gedenken. Dieses Dorf heisst Conerow, und hat sich zunächst durch die Anhänglichkeit seiner Bewohner an den heldenmüthigen König Carl XII. in der Pommerschen Geschichte einen Namen erworben. Als König Carl in Bender war, und dort unter den Türken Gefahren und Drangsale aller Art zu bestehen halte, hörten die Bauern von Conerow: wie seine Noth bereits so hoch gestiegen sei, dass er seine Lieblingspferde habe erschiessen lassen müssen, um mit deren Fleisch die wenigen Getreuen, die, mit ihm von den Türken eingeschlossen, wie Löwen kämpften, am Leben zu erhalten. Alsobald machte sich einer der Bauern, Peter Müsebeck mit Namen, zu Pferde auf den Weg nach Bender, steckte links und rechts in seine grossen Stiefeln was er nur irgend an Gold mit Hülfe sämmtlicher Bauern hatte auftreiben können, und brachte so dem Könige, wenn auch nicht durchgreifende Hülfe, doch einen rührenden Beweis von der treuen Anhänglichkeit seiner Pommern. Man erzählt, dass Carl XII., der sonst nicht leicht weich wurde, durch das Erscheinen Peter Müsebeck's wahrhaft erschüttert gewesen sei, und ihm befohlen habe niederzuknien, damit er ihm den Ritterschlag ertheile. Dessen aber hat sich Peter Müsebeck erweislich nicht bequemt, sondern dem Könige zu verstehen gegeben, dass es ihm als Bauer gar wohl um's Herz sei, und wenn der König ja was thun wolle, so möge er sämmtliche Bauern von Conerow für ewige Zeiten aller Steuern los und ledig erklären. Dies hat der König Carl XII. denn auch in der That gethan, ein Document darüber ausgefertigt und in das grosse Wachssiegel desselben, wie man erzählt, einen Theil seines Schnurrbartes mit dem Petschafte, welches er am Handgriffe seines Degens trug, eingesiegelt. Dieses Document ist auch von der preussischen Regierung, wie man sagt, bis auf den heutigen Tag respectirt worden.

Auf der erst seit wenigen Jahren bestehenden Chaussee begeben wir uns jetzt über die Dörfer Kowall, Reinberg und Brandshagen, immer das Meer und die Insel Rügen zu unserer Rechten sehend, nach dem alten berühmten, mit seinen stattlichen Thürmen weit über Land und Meer hinausragenden


 << zurück weiter >>