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Elegant gebaut und schnell dahinfliegend, zeigte sich das Dampfschiff seines Namens würdig. Unter dem Jubel einer grossen Volksmenge, die sich an den Ufern des schmalen Fahrwassers neugierig versammelt, glitten wir auf den bescheidenen Wellen der klaren Elbing in die gelben Fluthen des frischen Haffs. Kaum hier angelangt, erhob sich der gleich anfangs uns contraire Wind zu solchem Sturm, dass es Spülwasser in Menge gab, die zahlreiche bunte Gesellschaft die Cajüte und das Dampfschiff die Küste der frischen Nehrung suchen musste, um sich hier mit allem Kraft-Aufwande langsam gegen den Wind anzuquälen.
»Das ist die Opposition des frischen Haffs gegen die Neuerung, gegen die Herrschaft der Dampfkraft, meine Herren,« rief unser Elbinger Freund. »Kommen Sie jetzt in die Cajüte, dort giebt es mehr Stoff für Ihr Skizzenbuch, als an der ganzen Küste des Haffs. Nettelbeck, der Colberger Patriot und vielgewiegte Seemann, pflegte im Aerger über das beschwerliche Fahrwasser die Ostsee eine Entenpfütze und das frische Haff einen Vogelnapf zu nennen, und ich muss gestehn, solche Empörungskraft hätt' ich dem Bischen sonst so stillen und süssen Wasser nicht zugetraut. Sehen Sie, Maler, sehen Sie dort den alten bärtigen Krieger, der uns vor einer halben Stunde noch glauben machen wollte, dass er see- und kugelfest sei, wie ihm die Mütze in die Augen gleitet, wie ihm sein Kinn immer länger wird, wie er die Pfeife weglegt, sich gelinde schüttelt und nun jener alten Matrone unzart an die Brust sinkt, die das Diesseits schon längst im Glauben an das Jenseits aufgegeben hat. Bemerken Sie ferner, wie still und kleinlaut der erst auf Deck so laute in Champagner reisende Sänger geworden ist, wie matt er seine Blicke noch zu jener Brünetten gleiten lässt, die anscheinend unbewusst auf der Schulter des schnarchenden jungen Forstmannes entschlummert ist. Und alle die Officiere, die jungen Kriegshelden, wie blass, wie landeroberungssüchtig sie aussehen. Kommen Sie, Maler, setzen Sie sich zu mir auf die Cajütentreppe, den da, der den Mund so weit auf und die Hände gefaltet hält, den müssen Sie mir zeichnen.«
Während unser Elbinger Freund so sprach, und der Maler skizzirte, tobten die Wellen mit furchtbarer Vehemenz immer gegen die wohlgefügten Cajütenfenster an. Die Damen schrieen hell auf, steckten die Köpfe weg, und einige wurden durch die immer wieder aufs Neue befürchtete Gefahr des Eindringens der Wogen auf den vernünftigen Gedanken gebracht, wieder aufs Verdeck zu gehen und den empörten Elementen ruhig ihre theilweise schöne Stirn zu zeigen. Sie vergönnten mir, ihr Begleiter zu sein. Es hielt anfangs schwer, den Damen jenen nachgebenden Schritt beizubringen, der hier, wie so oft im Leben, für sie durchaus nothwendig war. Ein lebhaftes, zerstreuendes Gespräch, ein gutes Beefsteak und ein Glas ächten, nie genug zu empfehlenden Porters thaten dann Wunder der Heilkraft. Der Sturm ward auch allmälig wieder zum galanten Wind und windigen Galan, entführte vom Hute einer meiner Damen einen schon lang umkoseten grünen Schleier, mit dem nun die Möven höchst ergötzlich ihr Spiel trieben, und gestattete uns dann den qualvoll langweiligen Strand der frischen Nehrung zu verlassen und uns mehr auf die Mitte des Haffs zu begeben. Wir hatten bereits links Trebbenau, rechts das waidumkränzte Kloster Cadienen und das Städtchen Tolkemit, das reichlich lohnenden Fisch- und Vogelfang treibt, passirt, als plötzlich unser Elbinger Freund, das Glas in der Linken, die Flasche in der Rechten, aus der Cajüte hervorsprang und sein »Aufgeschaut! aufgeschaut!« in die nun heiteren Lüfte schrie. »Unter den wenigen Merkwürdigkeiten,« begann er, »welche das frische Haff in seinen nächsten Umgebungen aufzuweisen hat, nimmt Frauenburg, das hier rechts vor uns liegt, einen nicht unbedeutenden Platz ein. Abgesehen davon, dass Frauenburg der Sitz des Bischofs von Ermeland ist, und der Name der Stadt wahrscheinlich früher Liebfrauenburg hiess, weil man jene ziemlich hochgelegene Domkirche höchst wahrscheinlich zu Ehren unserer lieben Frauen erbaute, so liegt auch eben in jener hochgelegenen Kirche mit sechs unbedeutenden Thürmchen jener weltberühmte Astronom Nicolaus Copernicus begraben, der zu Thorn im Jahr 1473 geboren wurde und allhier als Domherr zu Frauenburg den 11. Junius 1543 seelig verblich. Seine mannigfachen Verdienste um Himmel und Erde dürfen, wie so manches Andere, als bekannt vorausgesetzt werden. Dieses Glas zu seinem Angedenken!
Copernicus war nicht der Letzt',
Der Weisheit viel im Weine fand,
Er dacht': ein Trank, der mich ergötzt,
Macht mir auch heller den Verstand.
Drum trank er Wein mit heitrer Stirn,
Und fertig seine Lehr' er hatt',
Dass unsre Welt, wie sein Gehirn,
Sieh drehe wie ein Wagenrad.«
Er sprach, er trank und warf das Glas, wie ein zweiter König von Thule, in die Wogen des Haffs.
»Jene Domkirche aus Backsteinen, im einfach-edlen hochstrebenden Styl des 16. Jahrhunderts erbaut, ist wohl mehr durch Tradition und dadurch, dass sie das Grab eines so lobesamen Mannes, wie Copernicus, umschliesst, als durch ihre Bauart berühmt geworden. Im Innern hoch, hell, harmonisch und erhebend construirt und reich an guten Gemälden und mancherlei Merkwürdigkeiten, imponirt ihr Aeusseres durchaus nicht, wiewohl sie von der Landseite gesehen, wenn man das frische Haff im Hintergrunde hat, durch ihre Lage ein recht freundliches Bild gewährt. Von dieser Seite hat sie auch Dominicus Quaglio gemalt, und befindet sich das Bild im Stadt-Museum zu Königsberg. Eine frühere Domkirche ward hier, wie uns Chroniken berichten, bereits unter dem Ermländischen Bischofe Heinrich II. (1265–1300) erbaut, im Kriege zwischen Sigismund I. von Polen und dem Hochmeister Markgraf Albrecht völlig niedergebrannt, und dann zu Anfange des 16. Jahrhunderts die jetzige Domkirche erbaut. In jenem sich wie ein hoher dünner Fabrikschornstein erhebenden viereckigen Thurme soll Copernicus seine Conversationen und Liebäugeleien mit den Sternen getrieben haben, und dem Wanderer, den das Loos trifft, durch Frauenburg pilgern zu müssen, wird auch noch das Haus gezeigt, darinnen dieser Weise lebte, trank und starb. Dort, weiter hinten ragen die Thürme von Braunsberg, einer an Ausdehnung und Volkszahl nicht unbedeutenden Stadt, von der sich jedoch wenig berichten, wohl aber loben lässt, dass seine Bürger, wie dies überall sehnlich gewünscht wird, ruhig und fleissig, zahlungsfähig, anspruchslos und zufrieden sind, und mit Getreide, Garn und Leinwand einen nicht unbedeutenden Handel treiben. In historischer Hinsicht aber ist zu bemerken, dass hier bei Braunsberg, im Jahre 1273, die Preussen, d. h. zunächst die Bewohner Nathangens, Ermlands und Poggesaniens von den deutschen Ordensrittern, mit Hülfe Markgraf Dieterich's von Meissen, grausam auf's Haupt geschlagen wurden, und dass 1520 am Neujahrstage die Stadt durch den Hochmeister Markgrafen Albrecht überrumpelt und die in der Pfarrkirche versammelte Bürgerschaft zur Anerkennung der Ordensherrschaft gezwungen ward. Wieder etwas höher und mehr rechts in's Land hinein gelegen, erblicken wir das Städtchen Heiligenbeil, welches für jetzt im Innern nicht näher kennen zu lernen wir eben auch nicht betrübt sein dürfen, weil sich überall ihres Gleichen finden. Den interessanten Namen aber soll die Stadt, der Sage nach, davon führen, dass das Beil, mit welchem der heilige Adalbert, der Apostel und Heidenbekehrer Preussens, getödtet wurde, über das Haff geschwommen und an der Stelle an's Land getrieben sei, wo nachher diese Stadt erbauet worden. Nach einer andern Sage aber stand hier eine heilige Eiche, welche Waidewuttis, der erste König der Preussen, selbst geheiligt hatte, und die im Winter wie im Sommer grünte und Schatten gab. Im Schatten dieser Eiche wohnte und wurde verehrt Gorcho, der Gott des Essens und des Trinkens, dem hauptsächlich nach glücklich vollendeter Ernte grosse Feste gegeben wurden. Anselmus aber, der Ermländische Bischof, predigte gegen solche Abgötterei, und ermahnte das Volk, die Eiche umzuhauen. Und da nun auf seinen Befehl der Christen Einer den ersten Hieb gegen die Eiche that, siehe, da schlug das Beil um und verwundete den Christen so, dass er auf der Stelle starb. Da frohlockten die Heiden und die Christen entsetzten sich. Anselmus aber ergriff nun heiligen Eifers voll selbst die Axt, und hieb frisch in die Eiche, befahl dann Feuer herbeizubringen und verbrannte den Baum sammt dem Götzen zu Asche, die ein Raub der Winde wurde. An der Stelle aber liess er eine Stadt erbauen, die er Heiligenbeil nannte, und die zum Gedächtniss dieses Ereignisses noch heute ein Beil im Wappen führt. So weit die Sage; hier etwas links von Heiligenbeil haben wir wieder interessante historische Gewissheit. Hier liegt Carben, von wo aus der grosse Kurfürst im Januar 1679 seine weltberühmte Schlittenfahrt begann, indem er sein gesammtes Heer, den alten Derflinger an der Spitze, zu Schlitten, in bitterlichster Kälte, über's frische Haff nach Königsberg und von hier ohne Ross über Labiau wieder zu Schlitten über's Curische Haff bis zur Mündung der Gilge den Schweden auf den Hals führte, und diese aufrieb, ehe sie zur Besinnung kommen konnten.
»Jetzt aber,« rief unser Elbinger Freund mit erhöhter Stimme, »merken Sie auf, meine Herren und Sie, Freund Maler, nehmen Sie Ihr Skizzenbuch zur Hand. Hier, wo die Ufer einen Versuch machen, sich kühn und malerisch zu erheben, präsentirt sich uns, als mächtige durch Ausbesserungen in neuerer Zeit gut erhaltene Ruine, das alte Balga, früher eine der bedeutendsten Ordensburgen und Comthureien Preussens. Bevor es von dem deutschen Orden 1239 erobert und zu einem Haupt-Zeughause gemacht wurde, führte es als heidnische Burg den Namen Honeda, und leistete lange hartnäckigen Widerstand. Nach der Entfernung des Ordens aus Preussen wurde Balga ein herzogliches Amt. Das Ordensschloss zerfiel nach und nach und fand erst später angemessene Beachtung. Sein Inneres hat, wie die meisten Ruinen dieser Gegend, wenig Bemerkenswerthes, und sein Aeusseres versinnlicht uns die von unserm Maler entworfene Zeichnung. Hier bei Balga war es auch, wo 1240 Herzog Otto von Braunschweig dem deutschen Orden zu Hülfe kam und einen glorreichen Sieg über das versammelte Heer der Ermländer und Nathanger erfocht. Und blicken wir nun links, so sehen wir, wie hier im grellsten Contraste dem Bilde der Abgestorbenheit und düstern Vorzeit ein Bild des regsten Lebens und heitersten Gegenwart entgegenlacht. Hier liegt blitzend im Glanz der Sonne das mastenreiche Pillau, weit und breit die gastlichste und freundlichste der Seestädte. Wer es noch sah, schied mit dem Wunsche des Wiedersehens. Unter Pillau's Dächern wohnt hoher, freier, muthiger Mannessinn, stets bereit, für den Nächsten das Leben in die Schanze zu schlagen. Schlank und weiss, und hellen weithin strahlenden Auges, wie Pillau's Leuchthurm, sind Pillau's Töchter, und das rothe Fähnlein oben am Leuchthurm warnet in gleicher Weise den Schiffer und den Wanderer auf seiner Huth zu sein. Pillau! du lieblicher Ort, mit weissen Häusern unter grünen Bäumen, mit tüchtigen Männern und freundlichen Töchtern, Pillau, lebewohl, wir sehen uns wieder!« –
Während unser Elbinger Freund so im Anschaun Pillau's verloren, in eine Art von Begeisterung gerieth, musste ich das Bedauern des Malers theilen, dass das so lachend daliegende Städtchen für unser Skizzenbuch durchaus kein Bild geben wollte. Es war zu flach. Es fehlte an Kirchen und bedeutenden Gebäuden. Der Leuchtthurm, eine Windmühle, eine Art von Sternwarte und das Eingangsthor zur Festung bildeten, ausser dem dichten Mastenwalde des Hafens, die einzigen hervorragenden Punkte der langen am Haff sich hinziehenden bunten Häuserreihe.
Unser Dampfboot hatte inzwischen wieder etwas rechts geschwenkt, und das Städtchen Brandenburg, hart am Ufer des Haffs belegen, und fast nur von Fischern bewohnt, war unsern Blicken näher gekommen. Das Städtchen führt seinen Namen vom Markgrafen Otto von Branndenburg, der es 1263 gründete. Wie die ganze Gegend hier zur Zeit der Einführung des Christenthums der blutigen Schlachten und verheerenden Kriegszüge gar viele erlitten, so wurden auch hier in der Nähe von Brandenburg bei Tocarben im Jahr 1273 die Preussen von den Ordensrittern unter Markgraf Dieterich von Meissen furchtbar geschlagen und ihrer tapfersten Führer beraubt, indem solche theils ruhmvoll auf der Wahlstatt blieben, theils schimpflich gefangen und gehangen wurden. Bemerkenswerth möchte noch sein, dass Brandenburg die Vaterstadt des Georg Sabinus, eines tüchtigen Staatsmannes und Gelehrten des 16. Jahrhunderts, ist. Er studirte zu Wittenberg, erwarb sich Melanchthon's Freundschaft und ward dessen Schwiegersohn. Markgraf Albrecht ernannte ihn zum ersten Rector der 1544 zu Königsberg neu begründeten Universität.