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Vierundzwanzigstes Kapitel.
London

Französische Staatsmänner mögen bestürzt sein. Italienische Staatsmänner mögen bestürzt sein. In einem Dutzend europäischer Staatskanzleien mögen besorgte Prophezeiungen erklingen. Aber wenn britische Staatsmänner bestürzt sind, bedeutet das dunkle Tage für Europa.

England ist heute bestürzt. Es ist so bestürzt wie noch nie, seitdem Tirpitz und sein Flottenverein die deutsche Marine so ausbauten, daß sie zu einer Bedrohung der britischen Sicherheit wurde.

Heute ist England wieder Deutschlands wegen bestürzt, das diesmal nicht von Wilhelm II., sondern von Adolf Hitler geführt wird, in dem diesmal nicht Admiral Tirpitz, sondern General Göring eine Rolle spielt; der Grund ist diesmal nicht der deutsche Flottenverein, sondern der Reichsluftschutzbund; es sind diesmal nicht die deutschen U-Boote, sondern die deutschen Bombenflugzeuge.

England hält den Schlüssel für den Zeitpunkt des Zukunftskrieges in Europa in seinen Händen. Wenn es sich heute neben Frankreich stellt, dem deutschen Reich offen erklärt, daß England und Frankreich, sowie Deutschland das Zeichen gibt, Seite an Seite kämpfen werden, kann der Krieg vielleicht auf unbeschränkte Zeit hinausgeschoben werden. Wenn es sein Verhalten in den angespannten Jahren, Monaten und Tagen, die dem letzten Krieg vorausgingen, wiederholt und in Deutschland die Illusion erweckt, England werde neutral bleiben, kann der Ausbruch des Krieges um Jahre beschleunigt werden. England und Frankreich können heute zusammen Deutschland Einhalt tun, und zwar so, daß es überhaupt nicht zum Krieg kommen muß. Ein sich isolierendes, unentschlossenes England könnte Deutschland eine Ermutigung gewähren, die zum Krieg führen muß.

Das ist nicht die Ansicht eines Einzelindividuums. Es ist die Ansicht der verantwortlichen Führer Frankreichs, Italiens, Jugoslawiens, der Tschechoslowakei, Rumäniens, Belgiens, der Schweiz, Hollands, Dänemarks. Und heute ist es die übereinstimmende Meinung einer stets an Umfang gewinnenden öffentlichen Meinung in England selbst.

»Alles hängt von England ab.«

»Was wird England tun?«

Diese Behauptung und diese Frage beherrschen die Gedanken Europas. Die Frage wird von Berlin mit nicht weniger Interesse gestellt als von Paris. Denn Hitlers Außenpolitik gründete sich auf den Glauben, daß Deutschland die wohlwollende Neutralität wenn nicht gar die aktive Freundschaft Englands gewinnen könnte.

Heute bereitet zum erstenmal England selbst eine Antwort vor. Die Schatten, die diese Antwort im voraus wirft, sind vielleicht im englischen Unterhaus zu sehen. Diese Tribüne ist eine der letzten Zufluchtsstätten, die die Demokratie in diesem Teil der Welt hat. Einer der Gründe dafür ist ihre niemals versagende Selbstbeherrschung. Bestürzung zeigt sich auf dieser Tribüne selten. Einmal rief Napoleon Bestürzung hervor. Ein andermal war es Tirpitz. Heute ist Hitler die Ursache dafür, daß in dieser am wenigsten erregbaren aller Nationen sonderbare Stimmen laut geworden sind.

Hören wir die Stimmen Englands.

»Jeder Mann weiß heute, daß uns von Deutschland Gefahr droht ... England sieht sich heute einer Gefahr gegenüber, die größer ist als die des Jahres 1914, in dem die Deutschen in belgisches Gebiet einmarschierten.« Oberst Josiah Wedgwood (Labour) im Unterhaus.

»Wenn Belgien erschrocken ist, warum sollten wir seine Warnung unbeachtet lassen? Es denkt, daß Deutschland, wenn es auf der Aufrüstung besteht, in achtzehn Monaten so stark sein kann, wie Frankreich heute ist.« Hauptmann Frederick Guest (Konservativer), Chef der Luftabwehr für London, im Unterhaus.

»Das Wettrüsten hat begonnen. Es setzte vor zwölf Monaten ein, als das Regime Hitler die Ämter in Deutschland übernahm, und ist seitdem praktisch ungehindert ununterbrochen fortgeschritten ... Während des Krieges wurden nur dreißig Tonnen Bomben über London abgeworfen, die 188 Menschen das Leben kosteten. Es sind Schätzungen angestellt worden, die besagen, daß heute die stärkste Luftmacht in Europa täglich 600 Tonnen über London abwerfen könnte, was, proportional berechnet, einen Verlust von 3760 Menschenleben im Tag bedeuten würde. Man kann nicht erwarten, daß Frankreich seine Rüstungen herabsetze, wenn es nicht die völlige Sicherheit hat, daß wir, wenn der Augenblick kommt, zu seiner Unterstützung da sein werden.« Mr. Geoffrey Mander (Liberaler) im Unterhaus.

Aber hören wir, was der britische Demosthenes, Winston Churchill, zu sagen hat:

»Nun da der gräßliche Luftkrieg den Schatten seiner Schwingen über die geplagte Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts geworfen hat, kann niemand die Behauptung aufstellen, daß es, zu welchen Maßregeln wir immer auch greifen, möglich sein könnte, völligen Schutz zu gewähren gegen einen angreifenden Feind, der Bomben über dieser Insel abwirft und viele unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder tötet ...

Deutschland rüstet rasch, und niemand wird es aufhalten ... Das scheint ganz klar zu sein. Niemand beabsichtigt einen Präventivkrieg, um Deutschland daran zu verhindern, daß es den Versailler Vertrag breche. Es wird rüsten, es rüstet, es hat gerüstet.

Ich bin nicht im Besitze von Kenntnissen über Einzelheiten, aber man weiß recht wohl, daß diese überaus begabten Menschen mit ihrer Wissenschaft und ihren Fabriken, mit dem, was sie ihren Flugsport nennen, imstande sind, innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes mit größter Geschwindigkeit eine Luftstreitmacht für alle Zwecke, für offensive sowohl wie für defensive, aufzustellen.

Deutschland wird beherrscht – ich will meine Worte so wählen, daß auch kein einziges beleidigendes darunter ist – von einer Hand voll Autokraten, die absolute Herren über diese kraftvolle, begabte Nation sind. Es sind Männer, die weder die sich über lange Zeiträume erstreckenden Interessen einer Dynastie in Betracht zu ziehen haben, was diese Interessen auch wert sein mögen – und manchmal sind sie etwas wert – noch existieren für sie jene überaus wichtigen Beschränkungen, die ein demokratisches Parlament und das konstitutionelle System jeder Exekutivregierung auferlegen.

Auch existiert für sie nicht der Hemmschuh der öffentlichen Meinung, denn diese öffentliche Meinung beherrschen sie in der Tat mit allen Mitteln, die ein moderner Apparat ermöglicht. Es sind Männer, die ihre Macht der Bitterkeit der Niederlage verdanken, die in der Tat der Ausdruck der Bitterkeit der Niederlage sind und der entschlossenen gewaltigen Stärke dieses mächtigen, diese furchtbaren Deutschen Reiches.

Ich fürchte den Tag, an dem die jetzigen Beherrscher Deutschlands die Mittel in die Hand bekommen sollten, das Herz des britischen Weltreiches zu bedrohen. Ich fürchte diesen Tag, aber er ist vielleicht nicht fern. Wir sind vielleicht nur durch ein Jahr, vielleicht durch achtzehn Monate, von ihm getrennt.«

Und dann wieder, diesmal mit spezielleren Ausführungen Oberst Wedgwood:

»Wenn die Deutschen uns angreifen, werden sie nicht London bombardieren; sie werden nicht einmal unsere Flotte bombardieren. Sie werden sich direkt zu den Flugzeughallen und den Benzintanks begeben. Kann sich irgend jemand, der gesehen hat, was im letzten Jahr in Deutschland vorgegangen ist, den Luxus leisten, die Sicherheit unseres Landes auch nur eine halbe Stunde lang gefährdet zu lassen?

Wir können sicher sein, daß die Deutschen nicht nur wissen, wo heute jede einzelne unserer Flugzeughallen steht, sondern auch, wo jeder einzelne unserer Benzintanks ist. Sobald einmal unsere Flugzeughallen am ersten Tag oder in den ersten drei Tagen außer Aktion gesetzt sind, sobald die Maschinen in den Flugzeughallen zerstört sind, wird das Land dem Feind auf Gnade und Ungnade ausgeliefert werden. Was wir dann noch tun, darauf wird es nicht mehr ankommen. Die Flotte wird die Falkland-Inseln aufsuchen müssen, aber sie wird von keinem Nutzen sein. Es wird keine Grenze geben, an die das Heer geworfen werden könnte; keine Truppen und keine Schiffe werden über die See gebracht werden, und mit der Zivilbevölkerung wird man nach Willkür verfahren können.«

Eine einzige Stimme der Ermutigung von Hauptmann Robert Cunningham-Reid (Konservativer):

»Wir haben heute ein Flugzeug, das innerhalb von siebzehn Minuten nach dem Alarm 6500 Meter hoch aufsteigen kann. In diese siebzehn Minuten sind eingerechnet: das Geben des Alarms in einem unvorgesehenen Augenblick, das Aufwecken des Piloten, sein Ankleiden, sein Weg zur Maschine, das Warmwerden des Motors, das Herausholen aus der Halle und das Aufsteigen zu einer Höhe von 6500 Meter. Daß man imstande ist, das zu tun, ist eine der erstaunlichsten Leistungen der modernen Ingenieurkunst.«

Schließlich die Worte der Autorität, die Worte des Mannes, der heute der wirkliche Führer Englands ist, die Worte Stanley Baldwins, des Lord-Präsidenten des Ministerrates, Worte, die gelassen, aufklärend, beruhigend sind, aber darum auch nur umso eindrucksvoller in ihrer ruhigen Würdigung der Gefahr:

»Die große Gefahr, die aus der Luft droht, ist der Versuch, den jede beliebige Nation, welcher Impuls auch immer sie treibt, unternehmen könnte, um dem Feind möglichst früh einen Todesstoß zu versetzen und damit, wie manche sagen, den Krieg zu entscheiden ... Ich bin überzeugt davon, was immer auch das letzte Motiv sein mag, das Deutschland in diesem Augenblick so sehr um seine Luftstreitkräfte besorgt sein läßt – es mögen, wie manche sagen, militaristische Gedankengänge allein sein oder, wie andere sagen, der Ausdruck von Nationalstolz – unter all diesen Gefühlen, darüber wollen wir uns keinen Irrtümern hingeben, ist auch das gleiche Gefühl der Besorgtheit für das eigene Volk, das wir alle, wie mein ehrenwerter Freund zeigte, hinsichtlich Londons empfinden.«

Der Lord-Präsident schließt mit Ausführungen, die das wesentlichste für eine Beantwortung der Frage »Kommt Krieg in Europa?« enthalten: »Ich erkläre, wenn alle unsere Bemühungen zur Herbeiführung einer Abrüstung oder einer Rüstungsbeschränkung versagen, wird diese Regierung dafür sorgen, daß unser Land an Macht und Stärke in der Luft nicht länger irgendeinem Lande unterlegen sein soll, das in Reichweite unserer Küsten liegt.«

Der »Observer« nannte diese Debatte »die klügste und ernsthafteste Diskussion über die Nationalverteidigung, die seit dem Krieg im Unterhaus zu hören war.« Sie wurde mit der Debatte über die deutschen Flottenrüstungen im Jahre 1909 verglichen. Das Ergebnis dieser Debatte war eine stärkere britische Flotte, aber kein öffentlich bekanntes Bündnis mit Frankreich. Die Tatsache, daß die englische Flotte die stärkste war, trug zur Beendigung des Krieges bei, aber da kein öffentlich bekanntes Bündnis zwischen England und Frankreich bestand, konnte sie den Ausbruch des Krieges nicht verhindern.

Im Verlauf der heutigen Debatte versprach die Regierung, ihre Bemühungen zur Erreichung eines Abkommens für die Rüstungsbeschränkung fortzusetzen. Wenn es nicht gelingen sollte, die allgemeinen Rüstungen zu beschränken, wird sie versuchen, ein Abkommen zur Beschränkung der Luftrüstungen zu erreichen. Sie wird wahrscheinlich Deutschland 500 Militärflugzeuge anbieten, das Reich ersuchen, für zwei Jahre sich auf diese Anzahl zu beschränken, und während dieser zwei Jahre bemüht sein, ein allgemeines europäisches Abkommen über das internationale Verkehrsflugwesen herbeizuführen.

Aber wie einer der größten französischen Staatsmänner dem Berichterstatter sagte: »Frankreich gleicht heute dem Perser, der zum Tode verurteilt ist und auf einem silbernen Tablett eine Phiole Gift, einen Strick und einen Dolch überreicht bekommt. Der Verurteilte wird gebeten, sich das Instrument seiner Vernichtung selbst zu wählen.

Der englische Abrüstungsplan fordert uns auf, unsere Rüstungen herabzusetzen, und gestattet Deutschland, die seinen zu erhöhen. Das ist das Gift. Der italienische Abrüstungsplan gestattet uns, auf unserer gegenwärtigen Rüstungshöhe zu bleiben, würde aber Deutschland eine Rüstung erlauben, die der unseren nahekommt. Das ist der Strick. Die Deutschen selbst haben uns den Dolch ihrer eigenen Aufrüstung angeboten. Freiwillig werden wir keines von den dreien wählen.«

Deutschland wird lediglich eine Rüstungsbeschränkung annehmen, die ihm gestatten würde, auf das französische Niveau aufzurüsten. Frankreich wird sich mit der deutschen Aufrüstung nur einverstanden erklären, wenn England vorher verspricht, sich mit Frankreich in einem Militärbündnis gegen Deutschland zu stellen. Den Franzosen genügt nicht das in Locarno verpfändete englische Wort, Frankreich gegen einen deutschen Angriff zu verteidigen. Frankreich fordert ein neues, in der Hitler-Ära gemachtes Gelöbnis.

Vor achtzehn Monaten forderte nur Frankreich Sicherheit gegen Deutschland. England spottete über die französischen Befürchtungen. Heute, seitdem Hitler da ist, begreift das englische Außenamt die französischen Befürchtungen und beginnen die englischen Führer ganz allgemein, sie ernst zu nehmen. Denn heute fühlt England selbst die Notwendigkeit der Sicherheit.

Hier nennt man es in den höchsten Beamtenkreisen: »Ernste Besorgnis«. In Amerika heißt dasselbe »Bestürzung«.

Dem ständigen Stab des englischen Außenamtes, wenn auch vielleicht nicht dem Minister, ist heute klar, daß England aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur genötigt sein wird aufzurüsten, sondern auch einen Pakt mit Frankreich abzuschließen. Die öffentliche Meinung in England, die nachhinkt, weiß nur, daß es an der Zeit ist, zu rüsten.

*

Das Wettrüsten hat begonnen. Es ist im Gange. Deutschland, Frankreich, England, Rußland, Japan, Italien sind mitten in dem Rennen, dessen Ende die olympischen Todesspiele sind.

Heute sind es noch Vorläufe. Morgen wird es um das Halbfinale gehen. Wenn dem Wettbewerb nicht dann Einhalt getan wird, wird die Frage »Kommt Krieg in Europa?« sinnlos geworden sein. Dann wird es sich bloß fragen: »Wann wird der Krieg kommen?« In den Überlegungen vieler Beobachter hat die ernstere zweite Frage bereits die erste verdrängt.

Was ist das Endergebnis dieser Untersuchungen, die an allen Stellen des Kontinents, die menschlicher Voraussicht nach zu Schlachtfeldern werden könnten, angestellt worden sind? Was ist das Resumé einer Reise in die meisten europäischen Hauptstädte und der von den Männern, die bestrebt sind die Geschicke des Kontinents zu leiten, geäußerten Ansichten.

Diese Männer wußten, daß das, was sie sagten, veröffentlicht werden sollte. Sie wogen ihre Worte sorgfältig ab, um in der Beurteilung der Lage eher allzu vorsichtig zu erscheinen.

Präsident Masaryk von der Tschechoslowakei sagte: »Es wird nicht zu einem Krieg kommen, weil kein Geld da ist.«

Außenminister Benesch von der Tschechoslowakei sagte: »Die Chancen für und gegen einen Krieg in den nächsten fünf Jahren sind gleich groß.«

Seine Durchlaucht, der Reichsverweser von Ungarn, Admiral Horthy sagte: »Es wird keinen Krieg geben. Das Risiko ist zu groß.«

General Camille Walch, der Militärgouverneur von Straßburg sagte: »Ich bin nicht mehr optimistisch.«

König Alexander von Jugoslawien sagte: »Auf dem Balkan wird kein Krieg beginnen.«

König Boris von Bulgarien sagte: »Der Krieg erscheint unglaubhaft, solange die Generation, die den letzten Krieg mitgemacht hat, die Macht in den Händen hat.«

Kanzler Dollfuß von Österreich sagte, der Frieden Europas hänge von Österreichs Unabhängigkeit ab.

Otto von Habsburg sagte gleichfalls, der Frieden Europas hänge von Österreichs Unabhängigkeit ab.

General Joseph Denain, der französische Luftfahrtminister sagte: »Die französische Luftflotte ist lediglich zur Verteidigung da. Wir werden jeden Angriff mit gleicher Münze heimzahlen. Wir freuen uns über jedes neue Flugzeug, das die Engländer bauen.«

Bogoljub Jeftitch, der Außenminister Jugoslawiens, gab auf die Frage: »Ist der Friede für zwölf Monate sicher?« die zögernde Antwort: »Ich glaube.«

Louis Barthou, der Außenminister Frankreichs sagte: »Vor einem Jahre schrieb ich, daß es im Jahre 1934 unmöglich zu einem Krieg kommen könnte. Heute könnte ich nicht mehr dieselbe Ansicht äußern.«

Julius Gömbös, der ungarische Ministerpräsident gab auf die Frage: »Friede auf zehn Jahre?« die Antwort: »Ich habe das zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber ich hoffe es von ganzem Herzen.«

Mussolini sagte: »Friede auf zehn Jahre.«

Winston Churchill sagte im Unterhaus: »Ich fürchte diesen Tag. Er ist nicht fern. Wir sind vielleicht nur durch ein Jahr, oder vielleicht durch achtzehn Monate, von ihm getrennt.«

Das sind einige der ganz kurz zusammengefaßten Meinungen. Sie enthalten alles, von der Voraussage, daß es überhaupt keinen Krieg geben werde, bis zur Ungewißheit darüber, ob es nicht schon 1934 zum Krieg kommen werde. Sie beweisen eine These, die keines Beweises bedarf: daß alles Prophezeien eitel ist.

Allen diesen Männern und noch vielen anderen, die nicht zitiert worden sind, sind nur zwei Empfindungen gemeinsam: die von Winston Churchill ausgedrückte Besorgnis und die von Ministerpräsident Gömbös geäußerte glühende Hoffnung. Eine Ansicht aber wurde von allen übereinstimmend geäußert: daß der nächste Krieg das Ende Europas, wie wir es kennen, bedeuten würde. In den allerletzten Monaten ist noch eine Überzeugung fast ausnahmslos allgemein geworden. Das ist die Überzeugung, daß eine Abrüstung unmöglich, eine Rüstungsbeschränkung unwahrscheinlich und ein fortgesetztes Aufrüsten für alle gebieterisch sei.

Das Bild, das der europäische Kontinent bietet, erscheint, wenn man es von London aus rückschauend betrachtet, allzu verworren und kompliziert, um in kurzen Abschnitten einfach dargelegt zu werden. Im gröbsten Umriß zeigt es zwei Aspekte.

Der eine Aspekt ist verheißungsvoll für den Frieden. England erklärt sich damit einverstanden, Frankreich zu unterstützen. Dafür erklärt sich Frankreich mit einer Rüstungsgleichheit mit Deutschland einverstanden. Deutschland erklärt sich damit einverstanden, nicht über diesen Punkt hinaus aufzurüsten. Deutschland konzentriert sich auf seine inneren Probleme. Frankreich stabilisiert seine Politik und hält an der Demokratie fest.

Von direktem Einfluß auf diesen Kontinent ist auch trotz der großen Entfernung der Umstand, daß Japan seine Pläne, gegen die Sowjet-Union kriegerisch vorzugehen, fallen läßt. Japan zahlt der Sowjet-Union eine anständige Summe für die chinesische Ostbahn, und dafür erkennt die Sowjet-Union Manchuko an.

Die Welt tritt in eine Periode wirtschaftlicher Erholung, sie beginnt sie zwar bewaffnet und argwöhnisch, aber verhältnismäßig stabilisiert und in der Lage, vielleicht noch eine ganze Generation ohne Krieg zu leben.

Der andere Aspekt bedeutet den sicheren Krieg. Nicht jetzt, nicht in diesem Jahr, auch nicht notwendigerweise in drei Jahren, vielleicht auch nicht einmal in zehn Jahren, aber schließlich und endlich doch den unvermeidlichen Krieg.

Das ist der Aspekt, der sich bietet, wenn England seinen Pakt mit Frankreich allzu lange hinauszögert. Nicht nur die Abrüstung schlägt fehl, sondern auch jeder Versuch zu einer Rüstungsbeschränkung. Das Wettrüsten, das bereits mit halbem Herzen begonnen worden ist, tobt in rasendem Tempo vorwärts.

Deutschland konzentriert sich auf die Aufrüstung. Seine Feinde bemühen sich, das Luftflottenverhältnis zwei zu eins zum Grundsatz zu machen. Deutschland gleicht das Verhältnis aus. Frankreich wird fascistisch. Ein extremer Nationalismus durchflutet Frankreich, macht sich in ganz Europa breit.

Und Japan? Ganz Europa ist übereinstimmend der Ansicht, wenn es zum Krieg zwischen Japan und der Sowjet-Union kommt, kann es nur ein Jahr dauern, bis der Krieg auf den Kontinent übergreift.

Aber man sehe einmal davon ab. Man denke an die im Jahre 1935 fällige Flottenkonferenz. Wenn sie stattfindet, wird Japan Gleichheit mit Amerika fordern. Amerika wird darauf nicht eingehen. Der britische Flottenadmiral hat für sein Land gefordert, daß England den Londoner Flottenvertrag kündige. Das Resultat der Flottenkonferenz von 1935 kann, soweit es sich heute übersehen läßt, nur ein Wettrüsten der Kriegsmarinen sein.

Das Wettrüsten zu Lande, zu Wasser und in der Luft nähert sich gegen 1944 seinem Finish, wenn Europa um diese Zeit nicht schon einem unglücklichen Zufall zum Opfer gefallen ist. Warum sagte Mussolini: »Zehn Jahre?« Warum sagten die Hoffnungsvollen: »Zehn Jahre?«

Die wichtigste der Überlegungen, die hinter dieser Prophezeiung stehen, war vielleicht der Gedanke daran, daß Hitlers Pakt mit Polen eine zehnjährige Dauer hat. Es läßt sich aber auch nicht leugnen, daß 1944 in Europa drei Viertel aller männlichen Einwohner zu jung sein werden, um am letzten Krieg teilgenommen zu haben. Das jetzige Hauptargument gegen den Krieg, die Tatsache, daß seine Schrecken in der Erinnerung der Männer, die daran teilgenommen haben, noch lebendig seien, wird seine Kraft verloren haben. In Deutschland allein wird es 1944 rund 13 000 000 männliche Einwohner zwischen 15 und 40 Jahren geben, die alle zu jung sein werden, um am letzten Krieg teilgenommen zu haben, und nur 4 000 000 Kriegsteilnehmer im Alter von 40 bis 50 Jahren.

Es ist aber auch richtig, daß in der Zeit von 1934 bis 1940 die Anzahl der deutschen Männer im Alter zwischen 20 und 25 Jahren ständig abnehmen wird, weil sie die während des Krieges geborene Generation sind. Die Männer dieses Alters sind die Kerntruppen; sie sind die großen Kanonen unter den Kampffliegern. Sie bringen die frischen Kräfte und den Mut der Jugend mit. Sie geben dem ganzen Heer das Leben. Sie sind es, die die Kriege gewinnen.

Aber während des letzten Krieges wurden so wenige Deutsche geboren, daß Deutschland, das im Jahre 1930 noch 3 211 000 dieser potentiellen besten Soldaten zwischen 20 und 25 Jahren besaß, 1940 nur 1 898 000 davon haben wird. Dann wird die Zahl wieder auf 2 546 000 im Jahre 1950 steigen. Das ist eine der Überlegungen, die zur Beantwortung der Frage »Wann wird der Krieg kommen?« angestellt werden müssen.

Die Karten sind so verteilt, daß alles gegen einen dauernden Frieden spricht, wenn keine Rüstungsbeschränkung erreicht werden kann. Die Odds gegen eine wirkliche Abrüstungskonvention werden hier in London mit 40 zu 1 beziffert. Die Odds gegen eine dauernde Beschränkung aller Rüstungen werden mit 10 zu 1 beziffert. Die Odds für beziehungsweise gegen eine vorübergehende Beschränkung der Luftrüstung in Europa sind unberechenbar.

In der Gruppierung der Nationen der ganzen Erde sind die Vereinigten Staaten, England, Frankreich und die Sowjet-Union diejenigen, die alles haben, was sie wollen, und an der Erhaltung der Karte in ihrem jetzigen Zustand interessiert sind. Die Nationen, die nicht haben, was sie haben wollen, sind Japan und Deutschland.

Adolf Hitler, auf den es zum Schluß bei der endgültigen Frage Krieg oder Friede ankommen wird, hat oft genug erklärt, daß er jetzt und für immer den Frieden wünsche. Hitlers Feinde nennen seinen Frieden den »Präventivfrieden.« Es ist der Friede, der der Welt Sicherheit für die Rüstungen gewähren soll. Rüstungen aber haben der Welt noch niemals Sicherheit vor dem Krieg gewährt.


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