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In dieser Stadt Danzig ist das Leben von zehn Millionen Europäern und Amerikanern gerettet worden. So groß waren nämlich die Verluste an Menschenleben auf den Schlachtfeldern der Jahre 1914-1918, und mindestens ebenso groß würden die Verluste im nächsten Krieg sein. Dieser Krieg hätte in Danzig seinen Ausgang nehmen können. Heute ist es klar, daß hier der Krieg nicht beginnen wird, und Hitler, der »Kriegsmacher«, ist als Herr über Danzig Hitler, der Friedensstifter, geworden.
Denn heute ist Danzig nationalsozialistisch, und zum erstenmal seit dreizehn Jahren lebt Danzig im Frieden mit den Polen. Zum erstenmal seit dem Krieg hat Danzig aufgehört, in der Liste der wahrscheinlichen Kriegsherde an erster Stelle zu stehen. Diese Stelle war ihm so sicher, und die Aussichten darauf, den Krieg hier zu verhüten, waren so gering, daß es heute keine Übertreibung bedeutet, diese Friedensnachricht so aufzumachen wie sonst eine Kriegsmeldung und sie in der Zahl der geretteten Menschenleben auszudrücken.
Aber was hat Amerika mit Danzig zu tun? Wie sollte das Leben von Amerikanern davon abhängen, was in dieser alten Hanse-Stadt geschieht, die zu Deutschland gehörte, ihm fortgenommen, zu einer Freien Stadt unter der Herrschaft des Völkerbundes und zu einem Hafen für Polen gemacht wurde? Was hat der neue Friede zwischen dem nationalsozialistischen Danzig und Polen mit den Vereinigten Staaten zu tun?
Nicht mehr als folgendes. Es gab einen bösen Traum, der mehr als alles andere den Schlaf der europäischen Staatsmänner störte. Sie sahen Hitler in Deutschland zur Macht gelangen. Sie sahen, wie seine Sturmabteilungen alle Nazifeinde in die Knie zwangen, bis sie sich unterwarfen. Sie wußten, daß Danzig bei den Wahlen des vorjährigen Mai nationalsozialistisch werden würde. Sie malten sich aus, wie die Sturmabteilungen Polen in die Knie zwingen würden.
Aber unmittelbar vor dieser Stadt stehen die Regimenter Polens. Zwei Stunden höchstens würden die Polen brauchen, um diese Stadt einzunehmen. Sie nehmen sie ein. Die Sturmabteilungen, für den Kampf mit einem regulären Heer nicht genügend gut ausgerüstet, ergeben sich nicht, und ihre Brüder gleich jenseits der Grenze im deutschen Ostpreußen kommen ihnen zu Hilfe. Die Polen marschieren in Ostpreußen ein. Deutschland mobilisiert, und die zwei Millionen fünfhunderttausend seiner braunen Sturmabteilungen, seiner schwarzen Schutzstaffeln, seines Stahlhelm und seiner Reichswehr werden zu den Waffen gerufen. Frankreich eilt zu den Fahnen. Die Belgier, die Tschechen, die Rumänen und die Jugoslawen halten ihre Verträge mit der Trikolore und schultern das Gewehr. Das Völkerbundssekretariat ringt die Hände.
Der Krieg ist im Gange. Ganz Europa steht in Flammen. England sieht zu. Könnte es neutral bleiben? Die Meinung ganz Europas geht einmütig dahin, daß es das nicht könnte. Amerika sieht zu. Wäre es für uns möglich, neutral zu bleiben? Alles, woraus wir Schlüsse ziehen können, sind die Erfahrungen des letzten Krieges.
In seinem Buch »The Shape of Things to Come« läßt H. G. Wells seinen »Letzten Kriegszyklon 1940-1950« in Danzig losbrechen. Hier, auf dem Danziger Bahnhof, findet der große englische Seher einen unglückseligen polnisch-jüdischen Geschäftsreisenden, der, von einem Orangenkern in seinem falschen Gebiß geplagt, den Kopf zum Fenster hinausstreckt, einem Danziger SA.-Mann eine Grimasse schneidet und damit eine Prügelei veranlaßt, die mit dem europäischen Krieg und dem Zusammenbruch der Zivilisation endet.
Vor einem Jahr lag dies noch durchaus im Bereich des Möglichen. Heute ist es unvorstellbar.
Was geschah, als die Nationalsozialisten bei den Stadtwahlen zweiundfünfzig Prozent der Stimmen bekamen und die Macht an sich rissen mit einem gewaltigen Aufgebot von Braunhemden, das in die Herzen aller Polen und Juden in dieser Stadt Furcht jagte und Europa den Atem anhalten machte?
Was geschah, nachdem die Nationalsozialisten ihre Macht befestigt, ihre politischen Gegner aus den Ämtern gejagt, die Polizei nazisiert und in Danzig ganz allgemein jene strenge »Gleichschaltung« herbeigeführt hatten, die heute für ganz Deutschland charakteristisch ist und hundertprozentigen, äußersten Gehorsam gegen Hitler bedeutet. Was geschah, als, mit anderen Worten, Danzig eine Provinz Hitlers wurde?
Darüber gab Dr. Hermann Rauschning, Präsident des Danziger Senats und Bevollmächtigter Hitlers, Auskunft. Dr. Rauschning ist ein überzeugender Friedensfreund. Er und sein junger Mitarbeiter, Herr Georg Streiter, waren glaubwürdige Anwälte der nationalsozialistischen Friedensliebe, und wenn Hitlers wahre Absichten in Europa in ihrer Gesamtheit nach diesen beiden Vertretern beurteilt werden können, sind die Aussichten auf den Frieden in der Tat hoffnungsvoll. In seinen Räumen in dem großen alten Regierungsgebäude und auch in dem soliden und würdevollen Heim des Senatspräsidenten erzählte Dr. Rauschning in großen Zügen von den Vorgängen. Seine Darstellung stimmte mit denen der Polen und der Neutralen überein.
Folgendes waren die Ereignisse, die der Ostfront Deutschlands ein völlig neues Gesicht gaben:
Die Nationalsozialisten errangen ihren Wahlsieg am 28. Mai 1933. Sie ergriffen die Macht am 20. Juni. Am 4. Juli besuchte Dr. Rauschning Warschau und erwies den Polen seine Reverenz. Dieser Besuch war eine politische Sensation ersten Ranges: ein Hitleranhänger, das nationalsozialistische Haupt Danzigs, geht nach Warschau und reicht den Polen die Hand!
Im August unterzeichnete Danzig Verträge mit Polen, die den Polen in Danzig praktisch alle Rechte der Danziger Bürger gewährten, wogegen Polen versprach, einen größeren Teil seines Handels nach Danzig zu lenken und fünfundvierzig Prozent des polnischen Exports und Imports über Danzig zu leiten. Diese Vereinbarungen brachten praktisch die Hauptpunkte der Differenzen zwischen Danzig und Polen zum Verschwinden.
Die Polen waren verblüfft, argwöhnisch, aber erfreut. Dr. Rauschning schlug bessere gesellschaftliche Beziehungen vor, und zum ersten Male begannen Polen und Deutsche auf freundschaftlicher Grundlage einander entgegenzutreten. Dr. Rauschning stiftete einen Silberpokal für ein Fußballwettspiel zwischen Danzig und Warschau. Das Unglaubliche geschah, und Polen trafen sich mit Danziger Deutschen auf dem Spielfeld. Danzig gewann, aber die Polen schrien Hurrah! Der polnische Gesandte in Danzig, Casimir Papee, stiftete einen Pokal für Boxkämpfe zwischen Danzig und Warschau. Warschau gewann, aber die Danziger schrien Hurrah!
Versprechungen sind billig. Aber was die Nationalsozialisten in Danzig geleistet haben, ist imposant. Seitdem Danzig Freie Stadt ist, haben seine Streitigkeiten mit Polen den Völkerbundsrat 259mal beschäftigt. Als die Nationalsozialisten die Regierungsgewalt übernahmen, gab es noch vierunddreißig unerledigte Streitfragen zwischen der Stadt und Polen. Die zehn wichtigsten dieser Differenzen sind bereits beigelegt.
Bevor die Nationalsozialisten an der Macht waren, erklärten sie in der Wahlpropaganda auf Flugblättern: »Der Kampf um die Wiedereingliederung Danzigs in das Deutsche Vaterland ist seinem Ende nahe. Der Sieg ist in unseren Händen.« Als der nationalsozialistische Führer an der Macht war und die Geschicke der Stadt leitete, eilte er nach Warschau und versicherte den Polen, Danzig wünsche vor allem anderen den Frieden und dauernd gute Beziehungen mit Polen.
»Ich halte ein gutes Einvernehmen«, erklärte Dr. Rauschning, »und darunter verstehe ich ein endgültiges, dauerndes gutes Einvernehmen zwischen Danzig und Polen, für durchaus möglich. Der Krieg ist nicht mehr, wie es einmal schien, unvermeidlich. Wir Nationalsozialisten wissen, daß ein Krieg nichts Nutzbringendes ist.«
»Ja, aber das wußte man 1914 auch.«
»Richtig, aber damals wußten es nur wenige Menschen, und heute weiß es jeder, der eine verantwortliche Stellung und Machtvollkommenheit hat. Ich kann mir vorstellen, daß die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen so eng und so freundschaftlich werden könnten, daß die Gebiets- und die Grenzfrage aufhören von Interesse zu sein. Damit will ich nicht sagen, daß wir auf den Korridor verzichten oder unsere Hoffnung auf die Wiedervereinigung Danzigs mit dem Reich aufgeben könnten, aber ich kann mir eines sehr wohl denken: wenn diese Fragen auf eine Reihe von Jahren zurückgestellt und nicht mehr diskutiert würden, könnte sich sehr leicht die Möglichkeit ergeben, daß sie nach Ablauf dieses Zeitraums gar keine Streitfragen mehr wären.«
»An wie viele Jahre denken Sie? Würden Ihnen zehn Jahre als Dauer eines solchen Waffenstillstandes als möglich erscheinen?«
»Ja«, antwortete Dr. Rauschning mit einem gewinnend aufrichtigen Ausdruck. »Zehn Jahre.«
Die Zahl, die der Senatspräsident nannte, stimmt genau überein mit der Zeitdauer, zu der sich Hitler für seinen Nichtangriffspakt mit Polen entschlossen hat. Im Danzig Hitlers stimmt alles mit dem Deutschland Hitlers überein. Wenn, in den Zeiten vor Hitler, Brüning einen Nichtangriffspakt mit Polen abgeschlossen hätte, wäre er von Danzig als Verräter verflucht worden. Heute hat Hitler einen Waffenstillstand zwischen Danzig und Warschau anbefohlen. Der Waffenstillstand ist in Kraft. Seine Lehre für Europa ist: Hitler kann den Frieden erhalten, wenn er will.
Niemand hat je geglaubt, daß er seine Sturmabteilungen in Danzig in der Hand behalten könnte. Aber sie gehorchten ihm mit solcher Disziplin, daß heute neutrale Beobachter erklären, Danzig sei eine der bestgeordneten Städte der Welt.
Der Waffenstillstand zwischen Danzig und Warschau mag ein von taktischen Gründen diktierter Waffenstillstand sein, der Hitler Zeit zum Wiederaufrüsten gewährt. Aber er bedeutet mindestens für eine Reihe von Jahren Frieden in diesem Winkel der europäischen Wahlstatt.
Die erste Station der Europa-Reise zur Beantwortung der Frage »Kommt Krieg?« bringt die Antwort: »Nein.«