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Dreizehntes Kapitel.
Dedinje

König Alexander I., Monarch von Jugoslawien, Befehlshaber von 2 250 000 ausgebildeten Reserven, ist Herr auf dem Balkan. Er ist der einzige König in der abendländischen Welt, der sowohl Monarch wie Autokrat ist. Er ist Diktator.

Die Serben wissen mehr vom Krieg als alle anderen Völker in Europa. Bei der Beantwortung der Frage »Kommt Krieg in Europa?« muß die Ansicht ihres Souveräns von größtem Wert sein, die Ansicht des Nachkommen Kara-Georgs – des schwarzen Georg Petrowitsch, der vor einem Jahrhundert den ersten serbischen Aufstand gegen die Türkenherrschaft anführte.

Die Stimme des Hotelportiers zitterte, als er herauftelefonierte: »Das königliche Automobil hält vor der Tür.« Es war ein ganz großer amerikanischer Zwölfzylinder, der so rasch fuhr, daß man fast nichts von den breiten, düsteren Straßen und den neuen viereckigen Gebäuden der nach allen Seiten rasch wachsenden Stadt Belgrad sehen konnte.

Er fuhr aber nicht so rasch, daß er den scharfen Augen der zahlreichen Belgrader Polizisten entgangen wäre. An jeder Ecke standen sie stramm, und draußen auf dem Weg zum Schloß Dedinje, an der Chaussee, unter der die Stadt liegt, leisteten die Gendarmen, die auf dem Lande Wachtdienst tun, beim Anblick des königlichen Wagens die Ehrenbezeugung.

Dedinje liegt auf einer Höhe oberhalb Belgrads. Die eine Seite der Anhöhe ist ganz von Gebäuden bedeckt, den Kasernen der königlichen Leibgarde. Die königliche Leibgarde von Jugoslawien ist nicht eine dekorative Truppe für gesellschaftlich Ehrgeizige. Sie besteht aus den zähesten Kämpfern Europas. Sie sind vielleicht die einzigen Soldaten auf dem Kontinent, die das Bajonett allen anderen Waffen vorziehen. Von seinem Schloß aus kann der König auf 40 000 solche Männer hinunterblicken, die buchstäblich zu seinen Füßen versammelt sind.

Eine Kompanie davon ist beim Eingang zum Schloßgrundstück stationiert. Das königliche Automobil flitzt durch die Einfahrt, saust durch den Park und hält vor livrierten Dienern am Schloßtor. Ein Offizier empfängt. Er trägt keine Dekorationen. Von allen sogenannten »kleineren Mächten« ist Jugoslawien die einzige, deren Offiziere nichts auf Aufmachung geben. Sie ziehen es vor, auf den Ruf ihres Heeres zu bauen.

Dieser Kontrast zwischen der Einfachheit des jugoslawischen Geschmacks und den Neigungen einiger Nachbarn dieses Landes spiegelt sich auch im königlichen Schloß. Es ist nach dem Vorbild eines serbischen Bauernhauses gebaut und hat – türkischer Einfluß – etwas Orientalisches in seinen Linien. Nichts Barockes, keine Türmchen, sondern etwas Solides, Kraftvolles, durchaus mit der Erde Verbundenes, das Heim eines Soldatenmonarchen, der über ein Bauernvolk herrscht.

Wartende Besucher können sich in der Bibliothek die Zeit vertreiben mit der Betrachtung der ausgezeichnet funktionierenden Modelle eines schweren Feldgeschützes, einer großkalibrigen Kanone und eines Luftabwehrgeschützes. In einer Glasvitrine funkeln, entzweigeschnitten und poliert wie Edelsteine, ganze Reihen von Brisanzgranaten in freundlichem und sanften Licht. Zwei große, in hellblauen Saffian gebundene Bände liegen auf dem großen Tisch. Der eine enthält Bilder von der königlichen Leibgarde, der andere von den Linientruppen.

Der König empfängt in einem hellen Zimmer mit großen Fenstern. Links nicken weiße Fliederblüten. Hinter einem Schreibtisch springt ein Mann in Khakiuniform auf und kommt seinem Besucher rasch mit ausgestreckter Hand und lächelnd entgegen. Er drückt mir mit einer kurzen, kräftigen Bewegung die Hand. Khakiuniform, an den Kavallerie-Hosen die breiten roten Lampas des Generalstabs, keine Dekorationen, keine Farbe außer dem Blau des Samtkragens und dem Gold der Epauletten mit den königlichen Insignien. Er hat eine hagere Gestalt, eisengraues Haar, eine hohe Stirn, einen festen Mund und lebhafte Augen, die durch einen Kneifer blicken. Er ist sechsundvierzig Jahre alt. Er sieht aus wie ein König.

Seine Bilder führen irre. Sie überbetonen die Strenge des Kneifers und zeigen zu wenig von seiner Liebenswürdigkeit.

Er bot Zigaretten an, nahm ein Streichholz, ließ es sich nicht nehmen, Feuer zu reichen, beugte sich vor und begann Fragen zu stellen. Es gibt zwei Arten von Interviewten. Die einen reden, die anderen hören zu. Die Ansichten der zweiten sind, wenn sie auch sparsamer geäußert werden, bemerkenswerter.

»Krieg?« sagte er nachdenklich. »Es ist unmöglich, daß auf dem Balkan ein Krieg ausbricht. Seit Jahrzehnten erklärt Europa, der Balkan sei das Zentrum der Unruhen auf dem Kontinent. Das war unrichtig, so lange die Großmächte den Balkan in Ruhe ließen, und ist ganz besonders und entschieden heute unrichtig.

Wir auf dem Balkan haben unser Haus in Ordnung gebracht. Sie brauchen sich nur klar zu machen, was im letzten Jahr für den Frieden getan worden ist, und Sie werden einsehen, daß der Balkan jetzt nicht ein Zentrum der Unruhen, sondern im Gegenteil ein Zentrum gegenseitigen Einverständnisses geworden ist. Ich gehe so weit zu sagen, daß die Beziehungen unter den Balkanmächten heute besser geregelt sind und daß es auf dem Balkan weniger Kriegsaussichten gibt als in allen anderen Teilen Europas.

Nein, auf dem Balkan selbst gibt es keine Kriegsaussichten, aber leider gibt es gewisse Einflüsse von außen, die, wie seit jeher, an der Arbeit sind, um den Balkan in einem Zustand der Unruhe zu erhalten und unser gemeinsames Einverständnis zu hemmen. Es ist von größter Wichtigkeit, daß der Balkan von fremden Einflüssen befreit wird, denn nur wenn er davon befreit ist, kann er den aufrichtigen Wunsch seiner Völker nach dem Frieden verwirklichen und das seine für die Friedensnotwendigkeiten in Europa tun. Wenn die Großmächte den Balkan nur in Ruhe lassen würden, so gäbe es bei uns niemals auch nur die Andeutung einer Unruhe.«

In Jugoslawien ist »gewisse Einflüsse« eine stehende Bezeichnung für Italien.

»Aber anderswo, Majestät? Was halten Sie von dem vielbesprochenen ›Präventivkrieg‹?«

Der König entgegnete: »Haben Sie irgend ein Anzeichen gefunden, daß ein Präventivkrieg im Bereich des möglichen liegt? Und selbst wenn er möglich wäre, ist es nicht richtig, daß ein Präventivkrieg sich als ebenso unheilvoll erweisen könnte wie der Krieg, zu dessen Verhütung er gedacht war? Jugoslawien jedenfalls hat keine Ursache, den Krieg zu wünschen. Wir haben unseren Staat organisiert. Wir haben erreicht, was wir haben wollten. Nun ist unser einziges Bestreben, es zu verteidigen. Wir haben nur einen Wunsch, und das ist der, in Ruhe gelassen zu werden.

Die bedrohlichen Zukunftsaussichten finden Jugoslawien voll und ganz zu seiner Verteidigung vorbereitet. Aber die Entscheidung, ob Krieg oder Frieden, wird von den Großmächten getroffen werden.

Im allgemeinen«, fuhr der König fort, »ist es meine Ansicht, daß wir uns heute über alle Staaten in Europa weniger Sorge machen müßten, wenn alle anderen Staaten eine Haltung einnehmen würden, die der wahrhaft friedlichen Politik Jugoslawiens entspräche.«

Man muß sich ins Gedächtnis rufen, daß vielen Jugoslawen das, was sie Mussolinis Bestreben, »seinen Kopf durchzusetzen«, nennen, eine ständige Quelle heftigen Ärgers ist. Überdies ist man in Jugoslawien vielfach der Ansicht, daß Mussolini, indem er Hitler zu dem Glauben ermunterte, Italien würde im Falle von Unannehmlichkeiten auf Deutschlands Seite stehen, die Anmeldung der deutschen Forderungen angeregt und damit Europas Unruhe vermehrt habe. Eine andere Meinung in diesem Lande geht wieder dahin, daß eine Vereinigung Österreichs mit Deutschland, der sich Italien jetzt so heftig widersetzte, die europäische Situation klären würde, insofern als Mussolini, einer Nation von zweiundsiebzig Millionen nationalsozialistischen Deutschen an seiner Grenze gegenübergestellt, gezwungen wäre zu erklären, auf welcher Seite er stehe. Jugoslawien erwartet, daß Italien, in die Enge getrieben, nicht auf der deutschen Seite sein werde.

»Gewisse Staatsmänner«, rief der König aus, »versuchen ununterbrochen unter dem Vorwand, der Sache des Friedens zu dienen, zwischen anderen Staaten zu ›vermitteln‹ aber in Wirklichkeit bezwecken sie nichts anderes, als etwas für sich herauszuholen. Der einzige Weg, auf dem Nationen zu einem wirksamen Einverständnis gelangen können, führt über direkte Verhandlungen, ohne Mittler, und vor allem ohne solche Mittler.« Der König betonte stark das Wort »solche«.

»Gewisse Staatsmänner«, sprach er weiter, »wiederholen auch immer wieder, daß sie zur Verhütung eines Krieges eine Revision der Verträge wünschen. Das ist absolut falsch. Das Gegenteil ist heute richtig.«

»Glauben Majestät, daß die Revisionisten zufrieden wären und nicht mehr verlangen würden, wenn ihnen die Konzessionen gemacht würden, nach denen sie heute verlangen und von denen sie erklären, sie seien alles, was sie wünschen?«

Der König lächelte. »Nein!« antwortete er ganz kurz.

»Gewisse Kreise, Majestät, scheinen auf Dinge zu bauen, die sie als interne Schwierigkeiten Jugoslawiens bezeichnen.«

»Diese Kreise werden auf das schwerste enttäuscht sein, wenn sich jemals für uns eine Gelegenheit ergeben sollte, die Einigkeit und Loyalität unserer Nation zu beweisen. Dieses Gerede ist unrichtig und überflüssig. Sie werden sich vielleicht daran erinnern, daß dasselbe Geschwätz über das ›schwache‹ Serbien vor dem Krieg beliebt war, aber die Geschichte hat gezeigt, in wie tragischer Weise falsch die Propaganda dieser Art war. Wir in Jugoslawien sind völlig vorbereitet auf alle Eventualitäten.«

Jeder König ist nominell oberster Befehlshaber seines Heeres. König Alexander führt seine Truppen im Felde. Von allen im Laufe dieser Untersuchungen befragten Staatsoberhäuptern ist König Alexander in seinen Ansichten über die Chancen für Frieden oder Krieg in Europa am wenigsten optimistisch.

Seine Erklärungen sind vorsichtig. Aber unterrichtete Kreise in Belgrad neigen zu dem Glauben, daß im Verlauf der Abrüstungskontroverse Deutschland eines Tages erklären werde, es behalte sich Handlungsfreiheit vor. Das wird, nach der Belgrader Meinung, der kritische Augenblick sein. Wird Frankreich marschieren? Belgrad meint, das werde ganz von England abhängen.

Der Soldatenkönig hält sein Pulver trocken.


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