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26. Kapitel.
O Sommer, schöner Sommer!

Nun war's wieder Ferienzeit. Ursel und ihre jungen Bekannten, die mit ihr die Schule verlassen hatten, klagten beinahe, daß ihnen dies unvergleichliche Feriengefühl, das sie so manches Jahr genossen hatten, nun verloren ging.

»Und wenn man nicht mal verreist!« sagte Olga Rettich. »Vicky hat's gut, die geht mit ihren Eltern nach der Schweiz.«

»Aber ich bleibe hier,« sagte Ursel.

»Ach, du wirst dann keinen Sinn mehr für uns haben,« sagte Magda Henseler, »wenn erst Franzi Trautmann hier ist. Sie kommt doch?«

»Ja, sie kommt,« antwortete Ursel und konnte es nicht hindern, daß ihr Gesicht sich verklärte.

»Siehst du wohl,« sagte Olga neckend, während Magda ein leises Bedauern empfand; denn sie hätte sich gern so recht an Ursel angeschlossen.

»Aber das hindert euch doch nicht,« fuhr Ursel fort. »Ihr müßt sie alle kennen lernen! Vicky, du reist hoffentlich auch nicht so früh, daß wir wenigstens noch einmal alle zusammen sein können.«

»Ach, du denkst dann nicht mehr ans Kränzchen!«

»Aber Vicky, bin ich denn so – so unliebenswürdig?«

»Nein, Ursel, du bist sehr liebenswürdig; wir necken dich ja nur! Denn früher warst du doch sehr ›ausschließlich‹, um nicht ›exklusiv‹ zu sagen!«

Ursel lachte verlegen, was sollte sie sagen? Sie war ja sehr gern mit den Mädchen zusammen; aber jetzt schlug doch ihr ganzes Herz Franzi entgegen, und sie hatte allerdings Lust, »exklusiv« zu sein.

Als endlich der große Tag kam und die beiden Schwarzbraunen sich wieder hatten, war's abermals ein großes Staunen und Prüfen, wie letzthin beim Wiedersehen mit Ingeborg. Jetzt sah Ursel wohl und gesund aus, Franzi aber hatte die bräunliche Frische etwas verloren, war schlanker geworden, sah aber nach Ursels Meinung »furchtbar interessant« aus.

Beinahe ängstlich forschte sie, ob auch andere Veränderungen zu spüren sein würden; aber Franzi war das liebe herzige Naturkind geblieben, das zwar von allerlei wunderbaren Dingen klug reden konnte, aber doch einfach selig war, Berlin nun für eine Weile hinter sich zu haben und in der Schloßgärtnerei wieder heimisch zu werden.

Der Obergärtner sah mißtrauisch auf ihre wohlgepflegten Hände und ihre großstädtische Gesichtsfarbe; als sie aber wieder zu den Himbeeren ging und mit wahrer Leidenschaft pflückte, als sie an einem Waschtag wieder in der Küchentür saß und singend Kartoffeln schälte, da wurde seine Miene sehr viel freundlicher, und bald war er es, der ernstlich dagegen redete, daß Fräulein Franzi sich die Hände verdürbe. Es könne ja doch sein, daß sie wieder einmal vor der Fürstin spielen müsse, um zu zeigen, ob sie auch was lerne in Berlin und gute Fortschritte mache.

Und er triumphierte sehr bald über seine Schlauheit, als Franzi wirklich nach Herrnhausen befohlen wurde. Diesmal war nicht nur der Hofkapellmeister, sondern auch der Schloßorganist zugegen, der mit größter Genugtuung die Entwicklung seiner Schülerin verfolgte.

Franzi benahm sich sehr anmutig während dieser Audienz; aber die feinfühlende Fürstin ahnte aus manchen Anzeichen, daß das junge Mädchen noch etwas auf dem Herzen habe, und gönnte ihr noch eine Privatunterredung. Da kam der große Wunsch zu Tage: Franzi wollte gern singen lernen! Das entschiedene Zureden der Gesangsprofessorin am Konservatorium, die als unbestechliche Kritikerin galt, hatte ihr Mut gemacht zu dieser Bitte.

Die Fürstin hörte sie aufmerksam an, hielt aber mit ihrer Meinung zurück und versprach nur, sich die Sache zu überlegen. Es schien der hohen Dame, die alles sehr gründlich und ernst nahm, vielleicht wie ein gewisses Zeichen von Wankelmut und Veränderungssucht, daß die kleine Trautmann, die erst so leidenschaftlich gewünscht hatte, Pianistin werden zu dürfen, nun auf einmal zum Gesang übergehen wollte.

Sie besprach sich noch einmal mit ihrem »künstlerischen Beirat«, wie sie Herrn Fritze scherzend nannte, und bekam dann eine andere Auffassung von der Sache, als der enthusiastische alte Herr auseinandersetzte: »Das ist kein Wankelmut, Durchlaucht, wenn ich mir ergebenst erlauben darf, das zu sagen. Es bleibt dieselbe Kunst, dieselbe hohe Göttin Musika, der die kleine Schwarzbraune mit Leib und Seele ergeben ist. Nicht um das Klavierspielen ist's ihr zu tun gewesen, sondern immer hauptsächlich um die Erkenntnis der Musik. Wenn nun eine Stimme hinzukommt, wie sie bei dem sechzehnjährigen Kinde nur erst zu ahnen war, die aber in diesem einen Jahr sich schon in aller Stille merkwürdig entwickelt hat; wenn diese Stimme einer Künstlerin wie Frau Gerstenberg der Ausbildung wert erscheint – dann, meine ich, wär's ein Unrecht, dieses holdeste, von der Natur geschenkte Instrument brach liegen zu lassen, und ein anderes, von Menschenhand gebildetes zu bearbeiten!«

Nach dieser langen Rede des alten Herrn hatte Franzis Sache gesiegt! Sie wurde noch einmal nach Herrnhausen entboten und mit der Nachricht beglückt, daß sie von Oktober an Frau Professor Gerstenbergs Schülerin werden dürfe. Nur die eine Bedingung machte die Fürstin, daß sie über die neuen Pläne nicht eher etwas verlauten lasse, als bis der Erfolg ihrer Hoffnung recht gäbe. Nur Ursel erfuhr es natürlich.

Sie erwartete die Freundin an der »Abendbank«, bis zu welcher sie sich abermals gewagt hatte, ohne irgend jemand zu begegnen, und dann gingen beide den schönen Weg von Herrnhausen über Heckendorf zu Fuß nach Hause.

O, die Gespräche auf dieser Wanderung! Die ganze Innigkeit ihrer Freundschaft, alle Dankbarkeit für schon Erreichtes, alle selige Hoffnung auf die Zukunft klang heute in den wärmsten Tönen aus beiden jungen Herzen.

Nach diesem Tage wurde Franzi erst recht froh; ja manchmal legte sie eine ausgelassene Munterkeit an den Tag, zu der Frau Trautmann mitunter den Kopf schüttelte, Herr Bauer aber entschieden schmunzelte.

Nun war das Leben ein einziger goldener Ferientag! Es fehlten nur noch die Brüder, die treuen Kameraden der vorigen Sommertage.

Bekam denn der Seekadett noch keinen Urlaub? Vorläufig schrieb er, daß eine Flottille von Torpedobooten die Küste des Heimatlandes befahren würde, und vielleicht auch das Schulschiff, auf dem er gegenwärtig stationiert sei. Wahrscheinlich würde letzteres in der Nähe der alten Hafenstadt mit den zahlreichen schwedischen Erinnerungen vor Anker gehen.

Diese Nachricht zündete im Dahlandschen Hause. Der Landgerichtsrat, der wieder einen »blauen Ferienzettel« beiseite gelegt hatte, beschloß eine Familienreise nach der alten Stadt, die mit der Bahn in einer Stunde zu erreichen war, die aber von den jüngeren Familiengliedern noch niemand kannte.

Die sogenannten Kleinen freilich wurden ausgeschlossen und es blieben also nur die beiden großen Töchter, »zu denen wir uns aber noch eine dritte holen,« wie der Rat hinzufügte.

Franzi war jetzt ein häufiger Gast im Dahlandschen Hause, im Gegensatz zu früher, wo Ursel mehr die Gärtnerei aufsuchen und die Freundin zwischen ihren verschiedenen Pflichten verstohlen genießen mußte.

Franzi kam aber nicht nur zum gemütlichen Zusammensein, sondern auch des Übens wegen. Das alte gelbe Tafelklavier tat's nun wirklich nicht mehr. Franzi fürchtete, auf ihm sich den Anschlag zu verderben, und nahm daher dankbar an, als ihr der schöne Bechstein zur Verfügung gestellt wurde, und zwar diesmal auf Inges Vorschlag.

»Bei uns wird ja doch nur wenig gespielt,« sagte diese, »es ist schade um den schönen Flügel.«

Ihre eigene Musik schien ihr gleichgültig geworden; nur manchmal spielte und sang sie ein schwedisches Lied, und das war so schwermütig wie fast alle Musik dieses Volkes, so daß man die alte Inge nicht wieder erkannte.

Franzi sang niemals zum Klavier, spielte auch vor Zuhörern selten, sondern übte treu und ernst. Der Landgerichtsrat aber ernannte sie doch zu seiner Kammervirtuosin und hörte oft zu, ohne daß sie es wußte. Er hatte eine ausgesprochene Vorliebe für das frische sonnige Mädchen, und daß sie die Reise nach der Hafenstadt mitmachen mußte, schien ihm ganz selbstverständlich.

Auch Mama sah zärtlich auf die beiden Schwarzbraunen, als sie zur Reise in den von ihr selbst ausgewählten gleichen Kleidern antraten und lachend verglichen, wer das seine in besserem Zustande erhalten habe.

»Das meine erzählt natürlich von Berliner Strapazen,« meinte Franzi kläglich, »und du, Ursel, warst ja von jeher wie aus dem Ei geschält.«

»Und doch nicht eitel!« dachte Ingeborg, die noch immer schwer daran trug, daß diese ihre eine Wesensseite so verhängnisvoll für sie geworden war. Sie ging auch nicht gern auf die Reise. Das Meer, meinte sie, würde sie wehmütig stimmen; aber sie ließ sich nichts merken, und in scheinbar bester Stimmung langte die Gesellschaft am Ziel an. Wie sie den ahnungslosen Axel wohl antreffen würden?

Papa war nun ein prächtiger Reisemarschall! Zuerst ging's zum Marktplatz, der weit und menschenleer dalag mit seinen zwei mächtigen Linden, seiner altertümlichen »Wasserkunst« und umgeben von ehrwürdigen Giebelhäusern. Dann hieß es gleich: Zum Hafen!

Dort wurden Erkundigungen eingezogen über die Schiffe. Die Torpedoboote lagen nicht hier, sondern in einem anderen Hafen der Küste; aber das Schulschiff, worauf es den Besuchern ankam, lag seit dem vorigen Tage draußen, etwa eine Stunde vom Land entfernt, verankert.

Ein gutes Boot mit sicherer Bemannung wurde besorgt, und dann ging's im leichten Morgenwind über die sanftbewegte Fläche der sonnigen Bucht.

»Na, wie wir unseren blauen Jungen wohl finden werden!« sagte Papa in heiterer Spannung; Mama aber konnte ihre Bewegung kaum verbergen.

Die Zeitberechnung war richtig gewesen. Nach einstündiger Fahrt sahen sie das stolze Kriegschiff liegen, und den jungen Mädchen schlug das Herz bei dem Gedanken, es besteigen zu sollen. Der Bootsführer schien aber sehr genau vertraut mit solchen Unternehmungen; er behauptete, die Herren Offiziere sähen immer sehr gern Besuch an Bord. »Noch zu so viel smucke Damens,« schloß er schmunzelnd.

Als sie nahe an das Schiff gekommen waren, verständigte er sich auch sofort mit dem Wachhabenden, dem Kommandeur wurde Meldung gemacht und den Besuchern wurde nichts in den Weg gelegt, an Bord der »Vineta« zu gehen. Der Landgerichtsrat trug dann die Bitte vor, den Seekadetten Dahland sprechen zu dürfen, und nun kam der große Augenblick, wo der ahnungslose Axel den Seinen plötzlich gegenüberstand.

Alle Kraft mußte er zusammennehmen, um militärische Straffheit zu bewahren und die stürmische Knabenfreude nicht mit sich durchgehen zu lassen! Wie prächtig er aussah! Zu dem lichtblonden Haar die tiefgebräunte Gesichtsfarbe, die Gesundheit und Lebenslust in den blauen Augen.

Mama konnte fast kein Auge von ihm wenden, und auch Papa sagte, mit einem kräftigen Schlag auf seine Schulter: »Na, Junge, man sieht's, daß du am richtigen Fleck bist; da muß man wohl die Flucht vor den Pandekten verzeihen!«

Während Papa sich dann dem Admiral vorstellte, wandte sich Axel zu den jungen Mädchen. »Dieser famose Gedanke, hierher zu kommen!« rief er strahlend. »Das hätt' ich mir nicht träumen lassen! Und Fräulein Franzi, daß Sie auch dabei sind!«

»Sie ist immer dabei,« sagte Ursel zärtlich, »Papa tut's gar nicht mehr anders.«

»Glaub's wohl, die Schwarzbraunen gehören doch auch zusammen. Und Ursche, nein, hast du dich herausgemacht! Das ist ja ein wahrer Staat mit dir! Und du – schöne Svenske, Fröken Ingeborg, auch wieder da? – Aber, Franzi, strengen Sie sich nicht zu sehr an in Berlin?«

»O nein, nein,« erwiderte diese frisch, »komm' ich Ihnen etwa ›abgetakelt‹ vor? So heißt's doch in der Schiffsprache?«

»So was schieben Sie mir in die Schuhe beim ersten Wiedersehen?« fragte Axel vorwurfsvoll.

Da traten die Herren herzu, und der Admiral machte sich aufs liebenswürdigste mit den Damen bekannt. Eine angenehme Persönlichkeit mit einem männlich offenen Gesicht und dem klaren Seemannsblick, jung für die hohe Würde und augenscheinlich sehr beliebt.

Nachdem er zunächst mit der Rätin gesprochen, wandte er sich zu Inge und meinte: »Daß Sie eine Schwester unseres Kadetten sind, gnädiges Fräulein, das sieht man auf den ersten Blick. Aber wie kommen Sie zu zwei solchen Schwarzbraunen, Dahland?« fügte er lächelnd hinzu.

Die Freundinnen strahlten, auch hier mit ihrem Lieblingsnamen, der solche schöne Zusammengehörigkeit bezeichnete, angeredet zu werden, und erklärten dem Admiral munter den Zusammenhang.

Darauf wandte dieser sich wieder an Axel: »Jetzt, Dahland, sorgen Sie für eine Erfrischung der Ihrigen; was mein schwimmendes Haus bietet, steht gern zu Diensten.«

Axel eilte davon, und bald stand ein einladender Imbiß bereit. »Ein Frühstück mit allen Schikanen,« meinte Papa und ließ sich nicht nötigen, dem liebenswürdigen Gastgeber Bescheid zu tun. Für die Damen gab es von Axel selbst gebrauten echten Schiffskaffee. »Das ist nämlich unsere ›Forsche‹, wie Muschbergen sagen würde.«

Und wirklich, die Damen meinten nie einen besseren getrunken zu haben, und baten sich das Rezept aus. Aber Axel behauptete lachend, das sei Geheimnis und es käme sehr auf die Art des Bittens an.

Nach dem Frühstück wurde dann das ganze Schiff besichtigt, und nun war's eine Freude, wie nicht nur der Kommandeur, sondern auch der Kadett seine Erklärungen gab und nur so um sich warf mit technischen Ausdrücken. Ursel, als seine Korrespondentin, verstand ihn am besten.

Mama konnte bei all den Anstalten und Vorkehrungen gegen die tausend Gefahren ein unendlich banges Gefühl nicht unterdrücken, aber sie nahm sich gegenüber all der frischen militärischen Jugend sehr zusammen.

Unter den Offizieren war auch ein Herr von Prangken, der Sohn jenes Obersten aus Wendenburg, der damals mit den kleinen lustigen Vagabunden die Begegnung gehabt. Als der junge Unterleutnant sich als Landsmann vorgestellt hatte, folgten alsbald auch die Kameraden – plötzlich ertönte vom Hinterdeck eine lustige Weise, und unter Vorantritt des Admirals, der sich vor Mama Dahland verbeugte mit dem Bemerken, so sei es Schiffsbrauch, schwangen sich plötzlich auf Deck vier Paare im Walzer!

Axel hatte natürlich Franzi erwischt und die beiden sahen so seelenvergnügt aus, daß Ursel völlig vergaß, sich in der Pause mit ihrem Herrn, der sogar schon Kapitänleutnant war, zu unterhalten und immer nur nach den beiden hinsah.

»Wie man für solche gastliche Aufnahme danken soll, weiß ich wirklich nicht,« sagte Papa Dahland endlich, »kommen Sie jemals nach unserer Landeshauptstadt, so verfügen Sie über mein Haus! Ich werde Ihnen mit Freuden die Honneurs von Wendenburg machen, das mit seinen schönen Landseen auch nicht zu verachten ist.«

Leutnant von Prangken schien nicht übel Lust zu haben, Inge schon zu einem Tanz im Winter zu engagieren, da er jedenfalls dann seinen Urlaub in der Heimat verbringen würde; aber sie ging nicht so fröhlich darauf ein, wie sonst wohl.

Axel stand bei all diesem Abschiednehmen wie auf Kohlen, bis der Admiral sagte: »Sie sind beurlaubt, Dahland. Seien Sie nur mit Sonnenuntergang wieder an Bord!«

Nun war der glückliche Kadett der erste im Boot und half den Damen hinein. Militärisches Grüßen – Nicken und Winken – und dahin fuhren die hochbefriedigten Gäste.

Zunächst aber beanspruchte Mama ihren Jungen für sich. Es gab für sie noch so viel zu fragen, was nicht, wie bisher alles, in der Marinesprache zu behandeln war, so viel von der Mutter zum Sohn, und Hand in Hand saßen sie da, während das Boot schnell und sanft über die jetzt völlig glatte Bucht dahinglitt, der alten Stadt mit ihren mächtigen Türmen wieder zu.

Ein gründlicher Rundgang wurde nun unternommen, zwei der ehrwürdigen Kirchen wie auch ein alter Fürstenbau besichtigt, im Gasthof »Zum alten Schweden« gespeist und schließlich noch einmal am Hafen entlang geschlendert, wo ein schwedisches Holzschiff Inge wieder nachdenklich machte und Axel zu der heimlichen Bemerkung veranlaßte: »Unsere schöne Schwedin hat sich verändert!«

Als der Seekadett dann glücklich wieder »eingeschifft« war, begab sich die Familie zum Bahnhof, sehr befriedigt von diesem Tage und froh in der Aussicht, in kurzem Axel auf längeren Urlaub zu Hause zu sehen.

Mit ihm schien dann das schöne Sommerleben erst recht in Zug zu kommen, und als nun auch endlich Wilhelm Trautmanns Universitätsferien begannen, sah Inge oft mit Staunen auf diese vier in bester Freundschaft miteinander verbundenen Menschenkinder. War sie denn nicht auch vor kurzem noch so harmlos froh gewesen?

Mama war nun auch längst hinter ihr Geheimnis gekommen und – so weh es tat, sie konnte sich nicht vollständig der Ansicht verschließen: »Wer weiß, wozu es der lieben jungen Tochter gut ist!«

Zugleich aber dachte sie ähnlich wie Ursel: »Es ist noch nicht Eriks letztes Wort gewesen über Inge, die doch wahrlich sonst noch Eigenschaften hat, die man nicht vergißt!«

Im stillen hoffte sie, die Verwandten aus Schweden würden sich schon in diesem Jahr zu einem Gegenbesuch in Deutschland entschließen, und als Karin wirklich schrieb, wenn es glückte, daß die Ernte früh beendet würde, denke sie sich auf ein paar Wochen freimachen zu können, da hofften zwei Herzen für Inge, die selbst mit sehr geteilten Gefühlen dem Besuch der Cousine entgegensah.

Und »Karin von Schweden«, wie sie in der Familie genannt wurde, kam! Aber nicht allein. In ihrem anmutigen gebrochenen Deutsch erklärte sie, sich doch zu sehr vor der weiten Reise gefürchtet zu haben; sie sei zu sehr an des großen Bruders Schutz gewöhnt, und da sei nun der große Bruder Erik!

Der Empfang bei Dahlands gestaltete sich nun unwillkürlich noch festlicher, und nicht zwei Tage waren vergangen, da war es allen klar, daß Erik nicht nur als brüderlicher Schutz mitgekommen war, sondern daß es ihn trieb, ein hartes Urteil zurückzunehmen.

Mächtiger als die Verstimmung der letzten Zeit war nach der Trennung doch die erste Freundschaft aus dem Anfang des Winters wieder obenauf gekommen, und es bedurfte keines zu großen Kampfes, um Inge zu überzeugen, wie fest er im Grunde auf ihr nur zeitweise getrübtes besseres Ich vertraute.

So sah das liebe Haus am Fürstenplatz bald eine Braut, schöner in ihrem demütigen Glücksempfinden, als je in den Tagen ihres Gefeiertseins, und mit diesem Ereignis klang der Sommer aus.


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