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15. Kapitel.
Die glückliche Franzi

Am nächsten Morgen hatte Ursula heftige Halsschmerzen und etwas Fieber. Auch der Kopf tat sehr weh, Ursula war recht übel zu Mut. Wenn Mama nur nicht fragte, wo sie sich diese Erkältung geholt hatte!

Aber Mama war nur liebevoll um sie bemüht, scheuchte ihre kleinen anspruchsvollen Trabanten hinaus und meinte: »Das kommt so leicht in diesen heißen Tagen, da sieht man sich nicht vor und kühlt sich unvorsichtig ab.«

Ursel streichelte dankbar Mamas Hand und dachte: »Wie lieb, daß du nicht fragst!«

Als der Arzt kam, erklärte er es für Mandelentzündung ohne bedenkliche Nebenerscheinungen, doch sollte Ursel natürlich liegen bleiben und für ein paar Tage möglichst abgesperrt sein.

Auch Franzi durfte nicht herein, als sie am Nachmittag kam, da ihr noch nicht völlig geheilter Finger ihr etwas mehr freie Zeit zum Ausgehen ließ. Nun schrieben sie sich Briefe! Ursel nur sehr kurze Zettelchen mit Bleistift, aber Franzi wußte merkwürdig viel zu erzählen. Sie kritzelte es mit der linken Hand, aber dennoch war es so lebendig, daß man sie sprechen zu hören meinte.

Da stand, daß Herr Fritze doch wieder auf seine unausführbaren Pläne zurückgekommen sei, und Ursels Herz schlug hörbar.

»Du weißt ja nicht, Franzi, ob sie noch unausführbar sind!«

Dann von Franzis Arbeiten, die sie mit der linken Hand zu verrichten trachtete, von ihrem komischen Ungeschick dabei, und endlich stand da auch einmal: »Heute ist Wilhelm angekommen. Mutter ist zu glücklich!«

An diesem Tage war Ursel aufgestanden, aber sie konnte sich noch nicht recht lange aufrecht halten, und Mama fand sie gegen Abend wieder fiebernd. Sie wunderte sich eigentlich darüber, denn so heftig war die Halsentzündung nicht gewesen; sie hatte schon viel schlimmere mit ihren Kindern durchgemacht. Und Ursel neigte auch sonst nicht zu Fieber. Diesmal fühlte sie aber selbst ihre Erregung. Sie war eigentlich in einem beständigen Horchen und Nachdertürschauen.

Mußte nicht irgend eine Botschaft kommen? Oder ging das nicht so schnell? Ach, die Ungewißheit, die Erwartung, das Geheimnis!!

Da kam eines Tages Franzi angestürzt, und sie war nicht zu halten, sie mußte zu Ursel hinein. Die Rätin erlaubte es zögernd und ging gleich hinterdrein.

Da sah sie schon in der Tür, wie die beiden Mädchen, die man acht Tage lang ängstlich auseinander gehalten hatte, sich fest umschlungen hielten und weinten und lachten. Und dann kam von der sonst so verständigen Franzi ein Bericht, so kunterbunt, so glückberauscht!

Von einem Brief, einem fürstlichen Wagen mit einer Hofdame, und von einer in Aussicht gestellten Audienz bei der Fürstin-Mutter. Und der alte Schloßorganist sollte zeugen für Franzis musikalische Begabung – vielleicht gar der Hofkapellmeister – und dann, dann – würde Franzi aufs Konservatorium kommen!

»Und alles, alles hat Ursel angestiftet, die gute ängstliche und doch so tapfere Ursel, die immer für Heldentaten geschwärmt und nun selbst eine Heldin geworden ist. Denn wie muß wohl der Brief gewesen sein, wie gut und klug und lieb geschrieben, daß die edle Fürstin gleich darauf einging!«

Dies alles sprudelte die überglückliche Franzi heraus, während Ursula still weinte und die Arme nach Mama ausstreckte. Auch diese war tief bewegt, und als Franzi einmal aufatmend eine Pause machte, mußte Ursula erzählen.

Dieser Bericht kam ein wenig stockender, aber doch war er so anschaulich, so warm belebt, daß Mama und Franzi den roten Sonnenball zu sehen glaubten, der in dem Augenblick das Wasser berührt hatte, als die Fürstin den Brief erbrach.

»Also daher die Halsentzündung,« sagte Mama liebevoll, »du bist erhitzt aufs Wasser gekommen und in der kühlen Abendluft heimgefahren.«

»Ich saß aber in der Kajüte,« verteidigte sich Ursel leise, und Franzi rief wieder erregt: »Und nicht mal anstecken lassen durfte ich mich von ihr, die alles das für mich getan hat!«

Da lachte Ursel hellauf und meinte: »Das hätt' auch noch gefehlt, dein Finger ist schon schlimm genug. Und nun darfst du erst recht nicht mehr krank werden; denk nur, wenn die Fürstin dich nun befiehlt!«

»Du mußt mit!« rief Franzi energisch, »allein geh' ich nicht!«

»Auf keinen Fall komm' ich mit. Was würde die Fürstin sagen? Ich habe nichts mehr dabei zu tun, ›der Mohr kann gehen!‹«

»O du süßer Mohr, färbst du auch ab?« rief Franzi, die Freundin wieder zärtlich umhalsend, »Frau Rätin, kann sie wirklich nicht mitgehen?«

»Ich glaube nicht, mein Kind; du wirst wohl eine genaue Vorschrift bekommen.«

»Aber sprechen werd' ich von Ursel, nur von Ursel!«

»Sprechen wirst du, was du gefragst wirst!« rief Ursel übermütig, und Mama schloß lachend: »So wird's wohl kommen!«

Als Ursula zum ersten Male wieder nach der Schloßgärtnerei ging, hatte die Audienz in Herrnhausen schon stattgefunden. Franzi war eben zurückgekommen, hatte zur Feier des Tages zum ersten Male eine weiße Bluse zu ihrem schwarzen Rock an und befand sich in hochgradiger Erregung. Sie stand mit ihrem Bruder vor der Tür und sah nach Ursel aus, darauf brennend, ihr alles zu erzählen. Sie hatte der Fürstin vorgespielt im Beisein des Hofkapellmeisters. Dieser hatte noch eine förmliche kleine Prüfung mit ihr vorgenommen und dann war es entschieden!

Die Fürstin übernahm die Sorge für die Ausbildung des jungen Mädchens, vorläufig auf drei Jahre. Ein Berliner Konservatorium war ausgewählt worden und der erste Oktober zum Eintritt bestimmt. Franzis sonnigster Traum war erfüllt!

Die Fürstin hatte sich dann noch allein mit Franzi unterhalten, sich von ihrer Kindheit und ihren Eltern genau erzählen lassen, und dann war auch Franzis Wunsch erfüllt worden: sie hatte von der geliebten Freundin sprechen dürfen, »was die hohe Frau wirklich, aber wirklich furchtbar zu interessieren schien,« schloß Franzi überzeugt. »Sie erinnerte sich deiner überhaupt genau, sprach von deinem lieben ernsthaften Gesichtchen und meinte: ›Schwarzbraun sind Sie ja beide, aber sonst, glaub' ich, ein paar recht verschiedene Köpfchen!‹ Denk, ist es nicht reizend? Auch die Fürstin nennt uns die beiden Schwarzbraunen!«

»Und wer hat diese Bezeichnung zuerst aufgebracht?« rief triumphierend Axel, der zur Feier des Tages auch mitgekommen war. »Ich!«

Franzi lachte. »Wenn Sie darauf stolz sein wollen – ich kann's nicht leugnen, daß ich diesen unseren Titel sehr gern höre! Wilhelm, könntest du auch wohl auf so was Nettes verfallen? Ich glaube nicht. Du guckst zu viel in die Bücher und nicht genug ins Leben!« schloß sie pathetisch.

»Soll das etwa heißen, daß ich nicht genug studiere?« fragte Axel. »O Fräulein Franzi, wenn Sie wüßten! Geben Sie acht, Michaelis kommt alles an den Tag!«

»Aber ich zweifle ja gar nicht an Ihnen, ich sagte das ohne Vergleich!«

»Du kannst dich auch meiner zu heftigen Studienwut wegen beruhigen,« sagte jetzt Wilhelm Trautmann mit hübschem Lachen. »Ich habe heute drüben im großen Garten entschieden mehr Stachelbeeren gegessen, als studiert.«

»Bravo!« rief Franzi, »Herr Bauer hat dir auch wohl erlaubt, dich durchzuessen, wie's die Konditoren und die Bäcker mit den kleinen Lehrbuben machen, damit sie bald der Semmeln und Kuchen überdrüssig werden.«

»Aber dein Bruder ist doch kein Gärtnerlehrling,« sagte Ursula lächelnd, denn der Gedanke kam ihr wirklich spaßhaft vor gegenüber Wilhelm Trautmann, der schon völlig das Aussehen eines jungen Gelehrten hatte, und bei allem bescheidenen Auftreten ihr doch heimlich imponierte.

Jetzt griff er ihre Bemerkung lebhaft auf. »Gottlob, nein, Fräulein Dahland; Sie wissen aber vielleicht, daß ich nahe daran war, es werden zu sollen? Hätte ich meine Mutter nicht, eine solche Mutter!«

Sein Gesicht verklärte sich wunderbar, und als Frau Trautmann in diesem Augenblick aus dem Hause trat, ließ er die junge Gesellschaft stehen und ging zu der Frau im schlichten schwarzen Kleide mit der groben Arbeitsschürze, mit dem leiddurchfurchten, doch heute so glücklichen Gesicht.

»Noch immer in Arbeit, Mutterchen, oder kann ich ein wenig mit dir gehen?«

»Begleite mich einen Augenblick nach dem Trockenplatz, wenn du magst. Es ist nicht mehr viel zu tun.«

»Mutter, es ist zu viel! Ich sehe dich unausgesetzt beschäftigt –«

»Es geht nicht immer wie gestern und heute zu, lieber Sohn; die große Wäsche macht natürlich mehr Arbeit, als ich an anderen Tagen habe.«

»Aber doch! Ich sehe dich zum ersten Male in dieser Stellung, dieser Tätigkeit für Fremde, und es macht mir das Herz schwer.«

»Warum nicht gar! Arbeit ist ein Glück.«

»Aber – das ›Zuviel‹ geschieht meinetwegen! Ich las heute Verse über eine Mutter, die mich sehr ergriffen; laß mich sie dir sagen!«

Der zwanzigjährige schlanke Sohn mit dem dunkelblonden Kopf und den tiefliegenden blauen Augen legte zärtlich seinen Arm um die gebeugten Schultern der Mutter und sprach:

»Ihr Sohn studiert. – Und bei der Arbeit ringt
Sie unermüdlich und gibt tropfenweis
Ihr Leben hin bei Müh und Schweiß,
Indem sie selbst sich stumm zum Opfer bringt.
Und gibt ihr Alter jetzt so freudig hin
Wie einstmals ihre schöne Jugendzeit,
Gesundheit und die Süßigkeit
Der Ruhe auch, die heilige Dulderin!
Allein ihr Sohn studiert!«

Still hörte die Mutter zu, dann sagte sie einfach: »Keine Verherrlichung des Natürlichen, mein Sohn; ich mag's nicht. Was soll ich anders tun, als für meine Kinder sorgen? Und denke doch, das eine ist mir mit heute beinahe abgenommen! Welch eine Güte von Gott!«

»Bleibt immer noch der Sohn!«

»Der alles lohnen wird. Laß mich bei meiner Überzeugung, Kind. – Und nun geh zur Jugend zurück, euch gehört heute der Tag. Selbst Herr Bauer ist heute nicht grämlich, sondern beinahe zu Festen aufgelegt! Fürstengunst zieht ihre Kreise weit!« schloß sie scherzend.

Wilhelm kehrte langsam zu dem Platz unter der Linde zurück, gerade als die drei anderen vorschlugen, einen Gang um den »Stillen See« zu machen.

»Ich kann ja heute mitgehen,« rief Franzi mit einem kleinen Luftsprung, »ledig aller Pflicht!«

So zogen sie, einträchtig, heiter, in lebhaftem Gespräch oder still nachdenklich, wie's kam, um die Ufer dieses lieblichsten der vielen Seen in der Umgebung von Wendenburg.

»Du, Franzi,« sagte Wilhelm am Abend, als die Dahlandschen Geschwister sich verabschiedet hatten, »von deiner Freundin hatt' ich mir ein anderes Bild gemacht.«

»Wieso denn? Gefällt sie dir nicht?«

Wilhelm lächelte. »Das glaubst du ja selbst nicht. Aber ich dachte ein energisches, selbstsicheres Mädchen zu finden nach deinen Beschreibungen von ihrer ›Tat‹, und nun ist es eine solche kleine Sanfte, Einfache!«

Franzi sah ihren Bruder nachdenklich an. »Aber du kannst glauben, Wilhelm: sie hat Kraft in ihrer schüchternen Seele!«

Inzwischen sagte Axel zu Ursula: »Ich habe Trautmann aufgefordert, bei uns Besuch zu machen. Ich denke, den Eltern wird's recht sein. Er ist ein netter Mensch.«

»Gewiß!« erwiderte Ursel; aber sie war zerstreut und horchte kaum auf ihres Bruders Pläne, was man nun alles unternehmen könnte zu Wasser und zu Land, da ja die Franzi nun nicht mehr so arg im »Frondienst« zu stehen brauche, sondern wahrscheinlich ihre Hände schonen müsse.

Da lächelte Ursel träumerisch glücklich und dachte dankbar, daß es ihr vergönnt gewesen war, diese lieben Hände einem anderen, so heiß ersehnten Ziele zuzuführen, dem Lande der Kunst.


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