Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Faschingskostüme

Eng aneinandergehängt füllen Maskenkostüme vier weitläufige Stockwerke des Hauses. Nicht weniger als sechzigtausend Kostüme samt ihrem Zubehör. Fast zwei Armeekorps könnte man hier ausrüsten. Aber es wären, weiß Gott, zwei recht närrische Korps: Züge in Toga mit goldgeschmücktem Helm und Roßschweif; Kompanien im Gewände spanischer Granden, in großkarierten Gigerlanzügen mit grellrotem Satinbesatz, Schnabelschuhen und Riesenmonokeln, in Damenkleidern für Herren, in roten Fracks der Parforcereiter, in Jockeiblusen, in der Tracht der Scholaren und der Gilden; die Bataillone und Regimenter der Schlierseer, der Allgäuer, der Starnberger und der Tegernseer würden den Ruhm von Defreggers »Letztem Aufgebot« verdunkeln; es gäbe ganze Brigaden und Divisionen von Pierrots mit grotesken Bummerln, von Schalksnarren mit gesprenkelten Wämsern und schwarz-rot geteilten Schamhosen über chromgelben Trikots, klingenden Schellen an der züngelnden Mütze, von Prinzen Karneval in seidengestickter Buntheit, mit Puffärmeln, Pelerine und Federbarett, von Kasperlen Larifari, von italienischen Pantaloni mit rotem Janker und olivengrüner Weste, von Harlekinen mit schreienden Rhomben und dem Hahnenkamm. Es wäre eine Armee von unbesiegbarer Heiterkeit.

Neben diese unkriegerischen Gestalten könnten Truppen gestellt werden, die in alten Feldzügen erprobt wurden. Schillsche Reiter, Zietenhusaren, Lützower Jäger, Pappenheimer Kürassiere. Ein ganzer Saal birgt Waffen und Rüstungen aus dem Dreißigjährigen Krieg, ein anderer aus dem Siebenjährigen, ein dritter aus den Freiheitskriegen. Viele dieser so beliebten (auch München liegt in Deutschland) militärischen Faschingskostüme sind echt; sie sind blutigernste Uniformen gewesen und müßten, wenn sie denken könnten, im freundlichen Scharmützel von Koriandoli und Konfetti an den tödlichen Feuerregen der Kugeln und Granaten von einst denken; in manche dieser Hosen hat mancher der Helden gemacht, dessen Namen ruhmreich durch die vaterländische Geschichte geht . . . Ob es alte Monturen oder postume Kopien sind – historisch getreu ist eines wie das andere. Denn selbst im Fasching hält man (auch München liegt in Deutschland) auf Stilechtheit. Professoren der Geschichte, Historien-, Schlachten- und Genremaler haben kontrolliert, ob streng nach ihren Entwürfen und Angaben geschneidert wurde. Von Piloty über Kaul- und Lenbach bis zu den Expressionisten gab es wenige Maler, die nicht gelegentlich Kostüme gezeichnet hätten; und die von den alten Meistern geschaffenen Gewandungen kommen nun den heutigen zugute: Zu irgendeinem historischen Gemälde sucht man für das Modell einen Überwurf aus, den ein längst toter Maler geschaffen.

Yatagans, Schwerter aus Hellas und Rom, Damaszenerklingen, Stilette, Pallasche, Pistolen, Hirschfänger, Perlmutterdegen, Hellebarden, Armbrüste und Köcher, aus Museen und Waffensammlungen erstanden, rufen den Eindruck eines Zeughauses hervor, und an der Wand hängen Karabiner schwer. Richtiggehende Gewehre. Bei Regimentsjubiläen schießen ganze Kompanien aus diesen Hinterladern und Feuersteinzündern genauso gut und schlecht, wie man daraus Anno Tobak schoß. Ein Kurschmied waltet seines Amtes und schützt Sporen, Zaumzeug, Lauf, Hahn und Kolbenschuh mit Sorgfalt und Waffenfett vor Rost und Waffenschiebern. Ein zweiter wirkt in der Rüstkammer eifrig am Schmiedeherd. Beinschienen der Gladiatoren und deren Schilde, die Panzerhemden, Harnische und Visiere der Ritter werden hieb-, stich- und kugelfest fabriziert und repariert, auf daß ihr Träger zum nächsten Kreuzzug oder Turnier richtig gewappnet sei. Schabracken und Trompetentücher bedürfen eigener Künstler ihres Faches.

Viele Originalstücke sind in der Sammlung. Der Purpurmantel zum Beispiel, in dem sich an festlichen Tagen der Doge von Venedig dem Volke auf der Piazetta zeigte, dann die wallachische Nationaltracht, die die Königin von Rumänien als Kronprinzessin trug, und mexikanische Generalsuniformen, in denen Freunde des Kaisers Maximilian ihm aus Wien nachreisen sollten. Verschnürte Studentenflause hängen hier ausrangiert beim Kostümverleiher und knistern sich etwas von »alter Burschenherrlichkeit«. Gewebte Lyoner Brokate, Applikationsstickereien und Spitzen aus Valenciennes, der Heimatstadt Watteaus. Silberne und perlmutterbesäte Phantasiekostüme, Nixen, Feen, Faune und andere Ausgeburten der Bilder Böcklins und Stucks. Bis zu zweitausend Mark steigen manchmal die Herstellungskosten eines Gewandes, und die Leihgebühren pro Nacht bewegen sich von vier Mark bis zweihundertfünfzig Mark – ein Betrag, den gerade die Lustigsten aus der Münchener Faschingsgemeinde vielleicht noch nie beisammen gesehen haben.

Fast alle großen Festzüge werden von der Münchener Maskenschneiderei adjustiert, die vor einem halben Jahrhundert ein ehemaliger Ballettmeister als Werkstätte für seine Tanzschule eingerichtet hat. Aber nicht bloß Feldzüge und Festzüge könnte man von hier ausrüsten, auch ganze Karawanen mit waschechten Beduinen, richtig schaukelnden Kamelen und karikiert-karierten Engländern, die nach Fowling Bulls suchen, ganze Expeditionen von Cowboys, Rough Riders, Scouts, Farmern und Trappern gegen wilde Indianerhorden und wilde Indianerhorden gegen solche Expeditionen. (Mokassins, Skalpe, Adlerfedern, Lassos, Kalumets, Tomahawks und die übrigen Schikanen des wilden Westens sind vollzählig vorhanden; howgh!) Karl Moor könnte heute mittels Postkarte seine Räuberbande romantisch equipieren lassen; es ist unerfindlich, warum Hagenbeck zur Komplettierung seiner Tierbestände nicht von hier Leoparden, Tiger, Löwen, Hyänen, Wölfe und andere zahme Haustiere bezieht; eine ganze ländliche Hochzeit mit Musik, Bürgermeister, Brautpaar, Hochzeitladern, Pfarrer, Dorfgendarmen, Wiege und gütiger Fee kann im Falle dringenden Bedarfes telegrafisch bestellt werden, ebenso ein Jahrmarkt mit allen möglichen Schaustellungen.

Schwindlig wird man beim Rundgang, die erdkundlichen Begriffe gehen in Fransen, die geschichtlichen ebenso: Kosaken hängen zwischen Chinesen und Savoyarden, der Karton mit den hellenischen Petasoi ist neben die Schachtel mit Südwestern nordöstlicher Schiffer eingereiht, Barock, Gotik, Empire, Antike, Biedermeier, Landsknechtszeit und Rokoko sind durch keine zeitlichen Intervalle getrennt, Bersaglieri und Eskimos sind einander nahegerückt, Nord und südliches Gelände. In den gläsernen Vitrinen liegen Medaillen, Orden, Lorbeerkränze, Königskronen, Zepter, Reichsapfel, Dokumente und Räucherfäßchen zur Schau. In der Wäscherei wird eben die Toga eines Auguren mit dem modernsten Dämpfapparat behandelt, um dann elektrisch gebügelt zu werden, in der Schreinerei zimmert man eine Kiste, die noch heute mit einer Schwadronsausrüstung der Schillschen Husaren als Eilgut nach Potsdam abzugehen hat. Jetzt kann man noch Trikots für Festzüge und Theater und für plastische Marmorposen versenden, da »feit si fei nix«, im Fasching jedoch braucht man die Riesenbestände selbst, und das Personal muß verdreifacht werden. An süddeutschen Theatern gibt es im Karneval keine klassischen Stücke. Vis major.

Wirr verläßt man das Haus. In der Elektrischen sitzt ein Münchener Mädel mit bierbraunem Haar und verträumten Augen. Vielleicht denkt es an einen Bal paré, der vergangen ist, und an den silbernen Ritter Lohengrin, der so zärtlich zu umfangen wußte und dann verschwand. Auf seinem Schwan nach Montsalvatsch selbstverständlich. Die kleine Münchnerin weiß es nicht und will es gar nicht wissen, daß der edle Ritter längst wieder in der Kauffunger Straße Mandeln und Rosinen verkauft, während sein leuchtender Silberpanzer unter dem übrigen Mummenschanz da drüben in der Anstalt hängt.

 


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