Egon Erwin Kisch
Der rasende Reporter
Egon Erwin Kisch

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Meine Tätowierungen

Mein Zimmerkollege Heinrich, dessen vierzig Schlägermensuren und fünfunddreißig Säbelpartien sein Gesicht in ein Pepitamuster, seine Schädeldecke in Hackepeter und seinen Körper in die Bilderbeilage eines chirurgischen Lehrbuchs verwandelt haben – mein Zimmerkollege Heinrich also schüttelt verächtlich besagten Hackepeter, wenn ich mit entblößtem Oberkörper am Waschtisch stehe. »Es ist mir unerfindlich«, sagt er, »wie man sich so zurichten lassen kann!«

Auch der pensionierte Postverwalter Anton Schißling, der von Gewissensbissen zernagt ist, weil er sich einst beim Briefmarkenverkauf zum Schaden einer Partei um fünfzehn Pfennig verrechnet hat, hält meine Tätowierungen für unklug. Im Dampfbad beteuerte er mir, er würde sich niemals so etwas machen lassen. »Wenn ich einmal einen Mord begehe oder etwas Ähnliches, so würde mich jede Polizeibehörde der Welt sofort agnoszieren können.«

Ganz dasselbe äußert der Hasenschartenwilly, der wirklich mit der Polizei zu tun hat, ist er doch in Rom und Stockholm wegen Falschmünzerei, in New York wegen Scheckfälschung und in Berlin wegen Hehlerei und Betrugs verurteilt worden, insgesamt zu achtzehn Jahren. Wenn er heranhumpelt – zum Glück hört man seinen Klumpfuß schon von der Ferne aufs Straßenpflaster schlagen, und das Muttermal auf seiner Wange funkelt auf fünfzig Meter –, weiche ich ihm schnell aus, denn er verhöhnt mich beständig: »Haha, ich bin nicht so dumm, mich tätowieren zu lassen, um's der Polizei leicht zu machen.«

Meinem Kompaniechef, der vom Tage seiner Geburt an ein Medaillon als Amulett am Halse trägt, war es unbegreiflich, wie man sich tätowieren lassen könne. »Schon der Gedanke, zeitlebens das gleiche Ding auf dem Körper zu haben, würde mich rasend machen.«

Allgemeingültige Grundsätze hat meine Freundin Lu. »Am Körper, den uns Gott gegeben hat, soll man nicht herumbasteln.« Dabei rümpft sie ihr herziges Stumpfnäschen, für das sie im vorigen Jahre dem Professor Josef, ohne mit der Wimper zu zucken, hundertfünfzig Dollar bezahlt hat, während sie es unverschämt findet, daß der junge Arzt in der Charité fünf Mark dafür verlangte, daß er die Ohrläppchen ihres Töchterchens durchbohrt hat. »Zwei winzige Löcher für die Ohrringe! Ist das nicht ein Nepp?!«

Herr Sigmar Wreschowinsky ist böse auf mich, weil ich von seiner Empfehlung an einen Enttätowierer keinen Gebrauch gemacht habe, ja mich von neuem tätowieren ließ. »Sie werden es schon bereuen! Ich habe auch solche Dummheiten gemacht, als ich noch Pferdehändler in Frankfurt an der Oder war und Schaubudenbesitzer in Perleberg; sogar, wie ich mich schon zum Stadtreisenden in der Konfektionsbranche emporgearbeitet hatte, ließ ich mir noch Blusenmodelle auf die Brust tätowieren, weil die Kundschaften, die Dienstmädchen, am liebsten vom lebenden Körper aussuchen. Aber jetzt mußte ich mir alles herauskratzen lassen, trotzdem ich zuckerkrank bin – schickt es sich denn für einen Berliner Kunstbeirat, mit tätowiertem Körper herumzulaufen, wie sieht denn das aus?«

 

Meine erste Tätowierung ist schon alt, ihr Sujet hat viel Beachtung erregt, obwohl ich an diesem unschuldig bin. Ich saß im Arrest neben einem Lithographen, der sich erbötig machte, mir ein Stilleben auf den Rücken zu tätowieren. In Wirklichkeit aber stach er mir das porträtähnliche Bild unseres Obersten ein, wie mir dieser, kopfabwärts und mit herausgestreckter Zunge, den Buckel hinunterrutscht, tief den Buckel hinunter . . . Es war wohl meines Zellengenossen eigener Wunschtraum, den er mir da auf meine Reversseite applizierte, ohne daß ich die Unterschiebung merkte. Die anderen Häftlinge lachten sich halbtot über meine Ahnungslosigkeit, sie umstanden den Graphiker und betonten unausgesetzt, wie gut die Weinflasche, der Gansbraten und die Blumenvase gelungen seien. Als das Werk fertig war, bedauerte ich, es nicht besehen zu können, leider stand kein Spiegel in unserer Zelle. In der Nacht schwoll das Gemälde – es war mit Stiefelwichse eingestochen – dergestalt an, daß ich mich zur Marodenvisite melden mußte. Der Regimentsarzt erkannte sofort, wen das Porträt vorstelle, und erstattete die Anzeige. Die Offiziersversammlung trat zusammen, und ich mußte vor ihr das Kunstwerk enthüllen. Meiner Angabe, ich hätte nicht gewußt, was hinter meinem Rücken auf diesen gezeichnet werde, wurde kein Glauben geschenkt. Auch der Lithograph konnte nicht leugnen, daß es der Herr Oberst sei, der da rotgeschwollen auf meiner Haut prangte. Der Oberst selbst fand sich zum Sprechen ähnlich und war so empört, daß er einen Schlaganfall erlitt. Das Tribunal sprach mir die Eignung zum Offiziersanwärter ab und verlängerte meine Haft.

Bald aber mußte ich freigelassen werden, da der Oberst gestorben war und man für die Trauerfeier ein Porträt brauchte; außer auf meinem Rücken war keines vorhanden. Ein Maler kopierte die Zeichnung, während ich auf dem Kopfe stand. Die Kopie mißlang. Und wenn die Witwe das Bild ihres Gottseligen sehen wollte, kam sie zu mir, küßte die teuren Züge und benetzte sie mit ihren Zähren.

 

In einem Geschäftslokal am Galatakai in Konstantinopel ließ ich mir 1906 einen Excentric auf den rechten Arm tätowieren. Ich habe es getan,

1. weil ich gerade vom Militärdienst kam und mich nun tätowieren lassen konnte, wo und wie ich wollte, ohne daß mir eine Offiziersversammlung hineinzureden hatte;

2. weil ich wissen wollte, ob das Tätowieren ohne Stiefelwichse weniger schmerzhaft sei, und

3. hauptsächlich, weil mich das Plakat überzeugte. Es war englisch und deutsch.

Dieser Yankee imponierte mir! Der verstand es, seine See-Erfahrungen zu verwerten! Der kannte die Psyche der Seamen und Docker aller Nationen! Solch eine Verschwendung an Rufzeichen und Superlativen – echt amerikanisch! Es war der Entschluß eines Augenblicks, und ich stand dem ehemaligen Bootsmaat und Obertätowierer des Admiralsschiffes »Columbus« (USA) – !!Amerika!! – persönlich gegenüber. Ich bat ihn, mir seine wundervollsten Muster zu zeigen, zur freien Auswahl, nach persönlichem Geschmack so wie es auf dem Plakate stand. Zu seinem allergrößten Leidwesen hatte Herr Alfred Löwenfeld aus Proßnitz das Album vor einer halben Stunde – so ein Pech! – einem Schiffskapitän zur Ansicht geschickt. Er habe heute nur eine einzige Vorlage hier, den berühmten Negerartisten Bimbo. Ich schaute mir Bimbo an; ein widerlicher Variéteneger mit einem Maul wie ein Schimpansengesäß und mit einer Krawatte, die wie eine verfaulte Erdbeere aussah. Bevor ich noch den Versuch machen konnte, mich zu verabschieden, hatte Alfred Löwenfeld meinen Arm bereits gepackt, schon war die Kontur des ekelhaften Excentrics von der Vorlage auf meine Haut abgedruckt, eine trübe Fabriktusche aus ihrem Günther-Wagner-Fläschchen in eine Reibschale geschüttet und ein Elektrisierapparat eingeschaltet. Mit etwas, was halb Injektionsspritze, halb Hohlnadel war, vom Apparat mit Elektrizität und aus der Farbschale mit Tusche gespeist wurde, fuhr er nun den Umriß des Niggers entlang, daß Blut und Tusche nur so spritzten. Die Hose wollte er schwarz anlegen, allein ich verzichtete energisch. Dagegen nützte mein Protest nichts, als er die schwarzen Glotzaugen grün umränderte – sonst würde man doch in dem schwarzen Gesicht nicht sehen, daß es Augen sind! Er hatte recht, und ich ließ mir giftgrüne Kreise in den Arm stechen.

Während der Operation erzählte mir der alte amerikanische Bootsmaat vom Admiralsschiff »Columbus«, daß er in Proßnitz bis zum vorigen Jahr ein Kolonialwarengeschäft hatte, aber bankrott wurde. Bei Nacht und Nebel fuhr er davon, wollte nach Palästina, wo er einen Neffen vermutete. Auf der Fahrt wurde er so seekrank, daß man ihn hier in Konstantinopel ausschiffen mußte. »Na, und da habe ich einen Norweger kennengelernt, dem hier die Tätowiererei gehört hat. Ich hab mir gedacht, das wäre etwas für mich, und weil mir der Eskimo eingeredet hat, das Geschäft geht gut, hab ich ihm erzählt, ich soll in eine Exportfirma in Jerusalem als Kompagnon eintreten, aber wenn er mir sein Geschäft übergibt, trete ich ihm meines ab und noch meine Fahrkarte. Er war einverstanden, ich war mit ihm beim Notar, weil er eine regelrechte Vollmacht haben wollte, daß ich ihm meine Anteile von der Jerusalemer Firma abtrete . . .«

»Welche Firma haben Sie denn genannt?«

»Ich weiß es nicht mehr – irgendeine Adresse – das ist doch egal, nicht? – Kurz und gut, er ist mit meiner Schiffskarte weggefahren – zur Sicherheit habe ich noch die Anzeige gegen ihn erstattet, damit er nicht zurückkommen kann –, und ich bin hiergeblieben. Aber kein Mensch ist in den Laden gekommen – ich bitte Sie, wer ist heutzutage noch so dumm, sich tätowieren zu lassen – es war eine Pleite – der Ganef hat mich hineingelegt, nur diese rostige Maschinerie hat er mir dagelassen, mit der ich die schönste Blutvergiftung herbeiführen kann« – er stichelte gerade den verfaulten Erdbeerschlips, daß Karmin und Blut und Tusche eine schöne Schweinerei ergaben –, »denken Sie sich meinen Verdruß mit den Behörden, wenn eine von meinen Kundschaften an Blutvergiftung stirbt! Niemand wäre in den Laden hereingekommen, wenn ich nicht das Plakat hätt machen lassen – auf das fällt doch hier und da ein Trottel herein!«

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Die Erschaffung Bimbos war zu Ende, es tat weh, viel mehr als eingestochene Stiefelwichse. Garantiert schmerzlos, dachte ich schmerzlich. Nach acht Tagen werde das vergehen, beruhigte mich Mister Lionsfield, ich müsse nur den Arm den ganzen Tag nach oben halten und viel Vaseline daraufschmieren. Tatsächlich ging nach längerer Behandlung durch einen hervorragenden Dermatologen die Geschwulst zurück, nur die grünen Augen werden alljährlich rezidiv. Aber gerade wegen dieser stechenden Augen – oh, wie sie stechen, ich weiß es am besten! – haben die Frauen den tätowierten Nigger so lieb. Noch nach Jahren fragen sie mich: »Was macht dein Bimbo, ist er noch immer so oft entzündet?« Ich habe solche Erkundigungen in Gesellschaft nicht gern, weil man wissen will, wer dieser Bimbo ist, und ich dann das schwarze Scheusal mit den grünen Augen herzeigen muß.

 

Die Tätowierung meines linken Unterarmes stellt den Schädel eines Mandarins dar, in dessen Schläfe ein kunstvoll geschmiedetes Krummschwert steckt; auf dem verzierten Knauf hockt ein Schmetterling, der Zopf ist auf den Mund des Toten gelegt, Blut tropft von der Schläfe, blutig ist die Schnittfläche des Halses, blutig die Schwertspitze und das Bändchen des herrlich geflochtenen Zopfes. Auch der Schmetterling auf dem Säbelgriff ist zweifarbig, rot und blau sind seine Flügel. Ich habe mir im Chinesenhaus der Triestiner Cività vecchia diese Zeichnung aus den vielen hundert Bildchen des Musterbuches ausgesucht, das mir der berühmte Tätowierer der Adria vorlegte. Einen Moment lang schien es mir, daß der gelbe Meister überrascht sei, daß sich seine geschlitzten Augen noch mehr einkniffen und daß Ironie in seiner Frage liege: »Why do you want even this?« Mir gefalle dieses Bild, erwiderte ich, worauf er die Drachentusche anrieb, in einem zweiten Schälchen das Merveilleuxrot auflöste und mir nun mit der Hohlnadel den Schädel mit den Blutspuren, das feine Geflecht des Zopfes, das Geäder des Schmetterlings, die Ziselierarbeit des Schwertknaufs unter die Haut stach, exakt, lautlos. Nur am Schluß, als er seine Arbeit prüfend besehen hatte, wandte er sich – wieder mit dem heimtückischen Lächeln – an mich, ob ich wisse, was das vorstellt. – Ich verstand nicht, was er mit seiner Frage meinte. – »That's the picture of a murdered chinaman.« – Esel, dachte ich, was soll es denn sonst sein! Mehr war aus ihm nicht herauszukriegen, und ich zweifelte nicht daran, daß ich mir das Abzeichen eines geheimen chinesischen Ordens, eines Bundes revolutionärer Boxer oder gar eines Flammenordens ausgewählt hatte.

Aus diesem Wahn wurde ich erst einige Jahre später gerissen, als ich mit einigen Freunden, Londoner Reedern, eine Exkursion nach Pennyfields unternahm, dem Bezirk der Westindia Docks. Wir zogen zum alten Gauner Tschang Tu-Tao, der nicht bloß ein »Chinese Seamen licensed Boarding House« innehat, sondern auch eine weniger licensed Opiumhöhle und einen Handel mit chinesischen Bric-à-brac: mit Vogelbildern auf Seide und Chimären aus Bronze, Götzen aus Jade, geschnitzten Elfenbeindosen, Nippespagoden aus Porzellan oder schwarzem Bernstein – Andenken oder Amulette, die Emigranten aus dem Reich der Mitte hier als Pfand für ein Nachtlager oder an Zahlungs Statt für ein Kügelchen Opium zurückgelassen hatten, oder Mitbringsel des »Jack Tar«, des englischen Seemanns, der sie nach der Themselandung verkaufen mußte, weil die Heuerung für die erforderliche Zahl von Gläsern Gin nicht reichte. Meine Freunde hatten auf der Schiffsbörse in Erfahrung gebracht, daß ein Schoner aus Peking heute sechs Geishas gelöscht habe, die bei Tschang Tu-Tao Quartier genommen hatten; wir wollten sie besichtigen, bevor Scotland Yard sich für diese Einwanderung interessiere.

Über die Holztreppe stiegen wir in den ersten Stock hinauf, wo in einem Zimmer an dreißig Chinesen auf der Erde hockten, Pfeifen im Mund, Schnapsgläser und Teebecher vor sich, die gelben Gesichter dem Holzkohlenherd zugekehrt; die Mädchen saßen bei ihnen. Bei unserem Eintritt sprangen alle Männer auf, umringten uns und schrien auf uns ein: »Firemen? You want firemen?« Nein, wir brauchten keine Heizer, enttäuscht schlichen die armen Teufel wieder zu ihren Sitzen neben die Mädchen. Auch die sollten ihnen genommen werden. Tschang Tu-Tao kam hinter der Theke hervor und führte uns – ohne viel nach dem Begehr zu fragen – in die zweite Etage, an einigen Kammern vorbei, aus denen der süßlich-beizende Geruch des Opiums in die ohnehin sengende Hitze des Hauses drang; darin lagen Raucher, drehten liebkosend eine weiche Masse zu Kugeln, hielten sie über das Öllämpchen und schmierten sie in die dickröhrigen Pfeifen . . .

Im »Saloon« setzte uns der Chef des Hauses ab und nahm die Bestellung entgegen: echten Tee, von ebensolchen Geishas serviert. Er verschwand nach unten, wo die Unterhaltung verstummte – wahrscheinlich erfuhren jetzt die arbeitsuchenden Firemen, weshalb wir hierhergekommen waren und daß die Mädchen sie verlassen müßten, um den weißen Herren zu dienen. Die jähe Stille wirkte erschreckend. Die Teedamen traten ein, scheu und devot, sie neigten sich dreimal tief, mit den Händen den Fußboden berührend, halfen uns aus Rock und Weste und – plötzlich hielt das Mädchen, das mir behilflich war, inne, starrte fassungslos auf die Tätowierung meines linken Armes. Aha, dachte ich, jetzt merkt sie, daß ich ein mächtiger Mann bin. Aber schon kreischte sie auf und lachte. Die anderen Mädchen kamen herbei und kreischten auch und lachten, lachten. Prustend sprangen sie aus der Türe, die Holzstiegen hinunter, in den Wirtsraum – die unheilschwangere Stille ging in ein brüllendes Gelächter über.

Verdutzt warteten wir auf die Wiederkehr der Mädchen, wir riefen den Wirt, er kam nicht. Nur das Gelächter hörten wir, im Baß und Diskant. Wir zogen unsere Röcke wieder an und wollten gehen. Da erschien Tschang Tu-Tao, mit Mühe ernste Miene bewahrend. Was denn meine Zeichnung bedeute, fragten wir ihn. Nach langem Zögern rückte er mit der Sprache heraus: Jeder Mann, der in den Dienst für die kaiserlich chinesischen Frauenpaläste aufgenommen wurde, wurde – gleichgültig, ob Asiate oder Europäer – bei seiner Kastrierung auch tätowiert – mit dem abgeschnittenen Schädel, zur Mahnung an die Strafe, die bei einer Pflichtverletzung seiner harre, und zu seiner Kenntlichmachung im Falle einer Flucht. Schon im kaiserlichen China waren die Männer mit dem »Win«, dem Eunuchenzeichen, Gegenstand geheimen Hohnes, in der Republik werden sie öffentlich verspottet, und niemand verkehrt mit einem »Win-ho«. Auf der Treppe grinsten dreißig quittengelbe Gesichter, die Mädchen zeigten mich ihren Landsleuten. »Der ist es, der ist der Win-ho.«

 

Die schönste Tätowierung, die ich je gesehen, besitzt Admiral Horthy: einen Drachen in Grün und Gold, der die ganze linke Brustseite einnimmt. Horthy erschien täglich im Polesaner Marinebad, die linke obere Trikothälfte heruntergelassen, damit jeder die Zeichnung bewundern könne; er ließ sich von jungen Seeoffizieren und Badegästen umringen, denen er – fast immer in den gleichen Worten – die Details erklärte. Außerdem war er an einer anderen Stelle des Körpers tätowiert, und von Offizieren des Admiralstabes aufgestachelt, bat ich ihn am 10. Juni 1918, nach dem Abendbrot auf der »Viribus unitis«, während der einzigen Ausfahrt der österreichisch-ungarischen Dreadnought-Flottille, mir auch seine andere Tätowierung zu zeigen. Er willfahrte meinem Wunsch. Wenige Stunden später war Alarm – der »Szent István«, der größte und neueste Dreadnought der Wehrmacht, der backbords gestaffelt hinter uns dampfte, war torpediert worden, war ein Wrack, das unterging. Alles mußte auf Deck, um nach feindlichen U-Booten auszuspähen. Horthy unterließ es, der schiffbrüchigen Mannschaft zu Hilfe zu kommen, mit der Begründung, er könne nicht auch das Admiralsschiff der Gefahr einer Torpedierung aussetzen. Erregt ging er auf und ab, als er mich sah, kam er auf mich zu. »Ich hätte die Zeichnung nicht zeigen sollen, Herr Oberleutnant – immer wenn ich das tue, gibt es ein großes Unglück.« Das Unglück war tatsächlich groß – die Zahl der Toten ist niemals bekanntgegeben worden, geborgen wurden nur vierzehn Leichen, die wir am übernächsten Tage auf dem Marinefriedhof begruben.

Erzherzog Franz Ferdinand war auf der rechten Hüfte tätowiert, und zwar mit einer Ibisschlange, die in Ägypten als Schutzsymbol gilt. Dieselbe Tätowierung hatte auch Kronprinz Rudolf über dem Herzen, doch war der Schlangenkopf nach innen statt nach außen gerichtet. Deshalb hätte das Totem den Kronprinzen vor dem Todesschuß nicht geschützt; der Araber habe vielleicht absichtlich dem Giaur das entgegengesetzte Symbol eingestochen, pflegte Erzherzog Franz Ferdinand zu erzählen. Übrigens sei auch seine eigene Tätowierung nicht ganz vollkommen, die Schlange züngle aufwärts, doch schade das nicht, weil sie an ungefährlicher Stelle – einer Weichseite der rechten Körperhälfte – liege. Der Obduktionsbefund des ermordeten Thronfolgers ergab später, daß die tödliche Kugel »oberhalb des rechten Hüftenbeins, mitten durch eine Tätowierung« gedrungen sei.

Albert Londres erzählt in seinem Buch »Le Bagno«, daß sich die französischen Sträflinge in den Deportationsstationen ganze Perücken auf die Glatze und Brillen rund um die Augen einstechen.

Das geschieht aus Langeweile beim Militär und in den Strafanstalten oft. Bei den Wahlen in die Nationalversammlung des jugoslawischen Königreichs wandte sich ein Kandidat heftig gegen den kroatisch-agrarischen Gegner, der früher zu »Sr. Majestät allergehorsamster Opposition« gehört habe und sich nun als Republikaner aufspiele, während er, Redner, die Monarchie von Jugend auf bekämpft und so weiter. Der Agrarier war geschlagen, er konnte kaum zu Worte kommen; als es ihm schließlich doch gelang, knöpfte er den Kragen ab, schob sein Hemd etwas zurück und erklärte, er anerkenne die größere Konsequenz seines geschätzten Herrn Vorredners und sei bereit, von der Wahl zurückzutreten, wenn sich der Gegenkandidat gleichfalls mit entblößter Brust vor die Versammlung stellen würde. Damit hatte er gewonnen – denn auf des anderen Busen war ein prächtiger österreichischer Reichsadler tätowiert.

 


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