Egon Erwin Kisch
Aus Prager Gassen und Nächten
Egon Erwin Kisch

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Das Märchen vom Mistwagen

Es war einmal – so geht ein Grimmes Märchen – eine Stadt, die sehr, sehr alt war. Das konnte man an den vielen altertümlichen Häusern und Türmen sehen und an dem Schmutz, der überall in den Straßen, auf den Plätzen, in den Häusern und selbst im Wasser des Stromes vorhanden war. Während aber die altertümlichen Häuser und Türme den Machthabern dieser Märchenstadt durchaus nicht heilig waren, war es der Unrat um so mehr. So heilig war der, daß eine unverbürgte Sage ging, im Hause des weisen Rates der Stadt sei am meisten Schmutz verborgen und seine Erhaltung verschlinge jährlich viele Millionen Goldes.

Und draußen vor der Stadt, am Fuße eines Berges, auf dem Žižka, der Einäugige, eine Schlacht gekämpft hatte, in einer Gegend, die nach diesem Žižka benamset war, lebte ein Recke. Der war ein kühner Kämpfer und ein mutiger Rufer im Streite, aber er war von unbezwingbarer Habgier beseelt. Er hatte nicht genug an dem Schmutze, der in seiner Behausung war, er wollte auch den Schmutz der anderen sein eigen nennen. So fuhr er denn, um dieses Kleinod zu erringen, alltäglich auf seinem hohen Streitwagen auf Beute aus.

Seine Farbe war grau. Grau war der Wagen, den er stehend lenkte, grau war der Morgen, wenn er seinen Beutezug antrat, grau war die Kunde von seines Vaters Nam' und Art, und grau war der Inhalt der Kisten und Kasten, deren Besitz er erstrebte. Statt eines Helmes trug der reisige Held eine blaue Kappe, auf der das Wappen seines Heimatsortes prangte. In diesem Wappenschilde sah man ein vergittertes Fenster, wie man ihrer auch im städtischen Arresthause »Fišpanka« mancherlei sieht, und in dem Fenster sah man einen Arm, der gebogen war, wie der Arm eines ritterlichen Mannes beim »Šlapák«-Tanze. Im Gegensatze zu den Hörigen und Unfreien, die draußen vor der Stadt auf dem Pankratius-Hügel wohnten und kurzgeschorenes Haar hatten, trug unser Ritter eine Locke in die Stirn gekämmt, die sein linkes Auge verdeckte, so daß er aussah wie sein 81 Ahnherr Žižka. Das war das Zeichen, daß er kein Unfreier, sondern ein »freier« war. Keinen Marschallstab, kein Szepter trug er in seiner Hand – nur eine Peitsche, wenn er aber die seinen mutigen Rössern um die Ohren sausen ließ, so erdröhnte ein stärkerer Knall als jener des Mörserschusses, der allmittäglich den Sklaven in dieser Stadt verkündete, daß sie in ihrer Robottarbeit innehalten durften.

Vor seinem Wagen schritt ein Herold, der kündete das Nahen des Recken, indem er eine Sturmglocke läutete.

Die Bürger wußten, was dieses schrille Läuten zu bedeuten habe, aber niemand wagte es, mit dem Recken anzubinden, niemand wagte es, ihm die Asche, den Kehricht und den Schmutz, diese so kostbaren Kleinodien vorzuenthalten. So sandten sie ihre Jungfrauen hinab auf die Straße, auf daß diese seinen kriegerischen Sinn betörten, und ihm selbst den Tribut überantworten mögen.

Aber der Ritter war rauh und unbeugsam, und er hatte kein Auge für die holden Mägdlein, die, malerisch gruppiert, seinen Wagen umstanden. Er hatte nur Augen für die Schätze, die sie ihm in kostbar alten Kisten und seltsam verbogenen Gefäßen darreichten. Mochte die Last, die so ein schwaches Jungfräulein auf den hohen Wagen zu heben hatte, noch so schwer sein, nie beugte er sich über seines Wagens Brüstung, um dem schwachen Wesen behilflich zu sein. Nur beim Entleeren des Gefäßes griff er selbst Hand an, der Habgierige, auf daß auch nichts von dem Inhalte in der Opferschale zurückbleibe. Er begnügte sich nicht damit, daß ihm die ehrsamen Bürger der Stadt ihre Opfergaben durch schöne Jungfrauen an den Wagen bringen ließen, er verlangte auch, daß die Schätze gesalbt, mit dem heiligen Wasser der Stadtbrunnen geweiht und besprengt seien. Wehe aber, wenn ein Mädchen dies unterließ! Dann schalt und drohte er grimmig, und manches Wort entfuhr ihm, das man selbst am Fuße des Žižkaberges nicht allzuhäufig vernommen. Die trägen Mägde mußten nochmals zurück in das Haus und neuerlich wiederkehren.

Aber er war schön in seinem Groll und manches Mägdlein unterließ es, ihre Gabe zu besprengen, um in des kühnen Ritters Auge den Blitz des Zornes zucken zu sehen. Andere aber vergaßen in ihrer heimlichen Liebe zu dem Ritter, die Gabe zu 82 nässen. Und wieder andere Mägde waren, wie das damals vorzukommen pflegte, sehr faul und besprengten deshalb die Asche nicht.

Nur eine Einzige vergaß niemals an ihre Pflicht. Das war ein Mädchen, so brav und tugendhaft, wie es nur im Märchen vorkommen kann. Dieses fegte sorgsam die Aschenreste der ganzen Wohnung zusammen und legte sie fein säuberlich in eine alte Kohlenkiste zusammen, besprengte sie mit Wasser und ließ sich durch die anderen Mägde, welche müßig und schwatzend auf dem Gang umherstanden, nicht stören. Deshalb nannten sie die anderen: »Aschenbrödel.«

Der sorgsame Eifer dieses Mädchens war dem Ritter nicht verborgen geblieben. Sein Herz entflammte in jäher Liebessehnsucht zu der minniglichen Maid, und er mußte dem Mädchen nachschauen, wenn er sein Werk beendet hatte und wieder von dannen fahren mußte gegen Hrdlořez, wo er in einer Senkgrube alle die Schätze verbarg, die er tagsüber eingeheimset hatte. Und er begann das Aschenbrödel sichtlich auszuzeichnen, er half ihr beim Aufladen des Schatzes, er lächelte ihr von der Höhe seines Wagens freundlich zu.

Ist es da ein Wunder, daß das Aschenbrödel hoffärtig wurde, und daß es beschloß, den Rittersmann, den sie selbst minniglich liebte, auf die Probe zu stellen, wie weit seine Liebe gehe. Auch wollte sie den anderen Mägden, die sie bislang aus ihres Herzens Grunde verachtet hatten, die Liebe des Ritters beweisen. So fegte sie an einem schönen Herbsttage die Asche wie sonst zusammen und häufte sie in die Kohlenkiste, aber sie besprengte die duftige Gabe diesmal nicht mit Wasser.

Als sie hinunter kam vor des Hauses Pforte, wo schon die anderen Jungfrauen auf ihres Ritters Ankunft harrten, da wurden diese schier starr vor Staunen. Denn aus Aschenbrödels Kiste wirbelte beklemmender Staub empor . . .

Atemlos und begierig wartete man des Ritters. Dieser kam herbei und sein Gefährt hielt. Mit zitternden Knien, bleich vor Erregung, kam Aschenbrödel mit ihrer Truhe herbei – galt es doch heute die Liebesprobe. Liebevoll neigte sich der Recke zu ihr, um ihr behilflich zu sein, als er den Staub bemerkte, der aus der hölzernen Opferschale des Mädchens emporstieg. Einen Augenblick sah man ihn zaudern. Sollte er, um seiner Liebe 83 willen, für heute die Mißachtung seiner Vorschrift ungerügt hingehen lassen? Nein, sagte sein Rittersinn. Und mit schmerzlichem Sinn verweigerte er die Annahme der Gabe. Er wandte sich den anderen Mägden zu, welche ihr höhnisches Lachen nicht verbargen.

Aschenbrödel ging nicht in das Haus zurück. Sie stellte den Kehrichtbehälter auf die Erde, setzte sich darauf, schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich. Aber die Staubwolke, die aus dem Gefäße hervorstieg, vermochte das Mädchen durch sein Körpergewicht nicht zurückzuhalten, die Wolke hob Aschenbrödel in die Höhe, hüllte es ein und entführte es in die Prager Luft, in der es bald den Blicken der staunenden Mägde und des schier zu Eis erstarrten Recken entschwand.

Seither hat man nichts mehr von Aschenbrödel gesehen, nichts mehr von Aschenbrödel gehört.

Aber der Ritter hat die Hoffnung nicht aufgegeben, daß das Mädchen doch im Gleitflug irgendwo landen und wieder in die Stadt zurückkehren könne. Und während längst in allen anderen Städten der Erde die staubfreie Müllabfuhr mittels Kehrichtschächten, mittels verschlossener, auswechselbarer Eisenkisten und mittels verschlossener Wagen eingeführt worden ist, fährt unser Ritter noch heute auf seinem Streitwagen suchend durch die Straßen jener Märchenstadt, läßt sich von den minniglichen Mägdlein den Inhalt offener Kästen in den offenen Wagen schütten und wird so fahren bis zum jüngsten Tag. 84



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