Egon Erwin Kisch
Aus Prager Gassen und Nächten
Egon Erwin Kisch

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Verzehrungssteuer

»L'octroi, s'il vous plaît.«

Der städtische Verzehrungssteuerbeamte am Bahnhofsausgang in Paris spricht diesen höflichen Satz in höflichem Ton, fast entschuldigend. So höflich, daß in dem Fremden gar nicht die Befürchtung wachgerufen wird, er werde jetzt Koffer und Kolli öffnen und nach Nahrungsmitteln und Getränken durchsuchen lassen müssen. Den Fremden aber, der dennoch auf die Vermutung kommen würde, daß die höfliche Frage bitterbös gemeint sei, beruhigt der Baedeker vollkommen: »Die Kontrolle, die auf dem Bahnhof stattfindet, erledigt sich für die Fremden in der Regel durch die Erklärung, daß man nichts Steuerpflichtiges bei sich führe.«

Prag ist, wie hier ausdrücklich festgestellt sei, nicht Paris. In Prag darf der Fremde – wenn einen solchen vielleicht widrige Winde von der Route des internationalen Fremdenverkehres in unsere gastliche Stadt verschlagen würden – den Bahnhof ungehindert verlassen. Die höfliche Vorstellung des Oktroi-Beamten bleibt dem Ankommenden erspart. Aber wenn er ahnungslos, den Koffer in der Hand, dem Hotel zustrebt, muß er sich über den Mann entsetzen, der mit einer Harpune in der Rechten, in kriegerischer Uniform, an irgend einer Wegkreuzung aus dem Hinterhalte auf ihn zuspringt und ihm in einer Weise Halt gebietet, die selbst den Marschall Vorwärts zum Stehen gezwungen hätte.

Und mit dem bloßen Schrecken kommt man nicht davon. Der Koffer muß geöffnet werden, auch wenn der Reisende tausendmal beteuern würde, daß er den Kofferschlüssel nicht bei sich trage, da diesen seine Frau in ihrer Handtasche schon tags vorher nach Prag genommen habe, auch wenn er zehntausendmal beeiden und durch Zeugen erhärten würde, daß der Koffer weder einen Apfel, noch ein Kognakfläschchen, sondern bloß Wäsche und nichts als Wäsche enthalte. Der Prager Baedeker müßte bemerken, daß die Bediensteten der Verzehrungssteuer 11 hier in ihrem Pflichteifer vor keiner Mühe – des Fremden zurückschrecken. Im Prager Baedeker könnte dem Reisenden empfohlen werden, sich auf empirischem Wege von dem Pflichteifer der Akzise-Bediensteten zu überzeugen. Zum Beispiel so: Man lege eine Zündhölzchenschachtel, die man vorher mit Spagat kreuz und quer verbunden und hernach vierfach versiegelt hat, auf die offene Handfläche und versuche, sich aus der Parkstraße durch den gegenüber dem Staatsbahnhofe gelegenen Eingang in den Stadtpark zu begeben. Auf die forschende Frage des Akzisaken erwidere man, man kenne den Inhalt der Schachtel nicht. Ein alter Onkel habe sie dem Überbringer mit dem strikten Auftrag anvertraut, sie erst nach seinem Tode zu öffnen. Der Verkehrsbedienstete wird unnachsichtlich den Schachtelträger entweder zu dem Akzisgebäude an der Ecke der Bolzanogasse oder zu jenem gegenüber dem Neuen deutschen Theater weisen, wo sich das Frage- und Antwortspiel wiederholen und nachher die verdächtige Schachtel geöffnet werden wird. Man weide sich sodann an dem Gesichte der Beamten beim Anblick der in der Schachtel befindlichen Zündhölzchen.

Viel leichter ist es, ein lebendes Schwein an dem uniformierten Argus vorbeizuschaffen, als eine Streichhölzchenschachtel. Das lehrt die Geschichte jener Wette, die vor etlichen Jahren in einem Gasthause in Dejwitz geschlossen und damals viel besprochen worden ist: Ein Dejwitzer Fleischhauer hatte mit einem Gastwirte gewettet, daß er ohne Wagen mit einem großen lebenden Schwein die Tor-Akzise des Bruskatores passieren werde. Der Fleischhauer erklärte das Schwein und 40 Kronen, der Wirt den Kaufpreis für das Schwein und zwei Hektoliter Bier als Einsatz. Der Fleischer stand auf und ging in seinen Laden. Hier packte er seinen großen Hund, band ihm das Maul zu und steckte ihn in einen mächtigen Sack. Dann ging er zum Bruskator. Auf die Frage des Verzehrungssteuer-Bediensteten erwiderte er, scheinbar ein Lachen verbeißend: Er trage seinen Fleischerhund, der Anzeichen von Tollwut zeige, zum Tierarzt. Der Torwächter schenkte dieser plumpen Ausrede kein Gehör und band den Sack auf. Im selben Augenblicke sprang der eingesackte Hund, der vielleicht auch die Befürchtung seines Herrn verstanden hatte, aus dem Sacke und jagte mit Riesensätzen zurück, den heimischen Fleischtöpfen zu. 12

»Sie sind daran Schuld. Das größte Unglück kann jetzt geschehen!« Diese Worte schrie der Fleischer dem pflichttreuen Bediensteten, der vor dem Bruskator, wie das bekannte Haustier vor dem neugemalten Haustor stand, erregt zu und rannte dem »tollen« Hunde nach. Zu Hause band der Fleischer seinem größten Schwein den Rüssel zu und steckte es in den Sack. Dann ging er in das Gasthaus, in dem die Zeugen der Wette versammelt waren. Er zeigte ihnen den Inhalt des Sackes, nahm diesen huckepack auf den Rücken und forderte die Gesellschaft auf, ihm unauffällig in beträchtlicher Distanz zu folgen. Beim Bruskator warf er dem noch immer bestürzten Akzismann einen verachtungsvollen Blick zu und sprach kein Wort. Der Wächter erst recht nicht. So ging der Fleischer ruhig über die Verzehrungssteuerlinie und am Abend wurde bei Schweinsbraten und bei zwei Hektolitern Bier das Schwein des Fleischhauers jubelnd erörtert.

Nicht nur von Schwein, sondern auch von Pech wissen die Bewohner der Oktroi-Häuschen ein trauriges Liedchen zu singen. War da einmal in Prag ein junger Schauspieler – heute wirkt er in Hamburg – dessen Spezialität die Darstellung von Paralytikern war. Der hatte einst den Entschluß gefaßt, den Wächtern einen Schabernack zu spielen. Mit einem großen Paket unter dem Arm, in respektvoller Entfernung von einer eingeweihten Freundesschar gefolgt, versuchte er es, sich an dem Verzehrungssteuerkontrollor unterhalb des Belvedere vorbeizuschleichen. Dieser aber packte den ertappten Schmuggler, und dieser begann sofort zu winseln und den Paralytiker zu spielen. »Hab' ich ein Pech, hab' ich ein Pech,« wiederholte er schluchzend, und auf die Frage nach dem Inhalt seines Pakets hatte er keine andere Antwort. Bis es dem Bediensteten zu bunt wurde, er den Deckel des Pakets aufhob und mit schnellem Griff in das Innere fuhr. Über und über mit Pech bedeckt war seine Hand, als er sie herauszog. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich Pech hab',« sagte der Paralytiker, der plötzlich wieder normal geworden war, und lächelte infam und schadenfroh darüber, daß auch einmal ein anderer »Pech gehabt« hatte.

Ein übler Streich, der in den Tagen des Hagenbeckschen Besuches der Aktualität nicht entbehrt, wurde vor wenigen Jahren dem Manne gespielt, der am Ende des Wenzelsplatzes 13 auf Nahrungsmittelschmuggler zu warten hat. An einem Winterabend, gegen 9 Uhr fuhr ein Möbelwagen aus der Stadt Weinberge gegen Prag. Auf Anruf des Akzisbediensteten ließ der Kutscher die Pferde stoppen. Als aber der Mann seines Amtes walten wollte, trat ein Herr, der den Wagen begleitete, auf ihn zu und bat, dies möge unterlassen werden, da der Inhalt nicht ungeldpflichtig sei und eine Überraschung darstelle. Der Verzehrungssteuer war aber unerbittlich und nach längerem Hin- und Herreden öffnete er selbst die Türe des Möbelwagens. In demselben Augenblick sprangen aus diesem Wölfe, Bären, Löwen, Tiger und Leoparden mit ohrenbetäubendem Gebrüll heraus. Der biedere Wächter sprang entsetzt zurück und streckte seine einzige Waffe, den Bratspieß, mit dem er ansonsten friedlich unter die Sitze der Equipagen und Straßenbahnwaggons, in die Rückenkörbe der Weiber und in die Heu- oder Kohlenladung der Lastwagen zu stochern pflegte, abwehrend von sich. Aber der Gebrauch der Waffe war nicht nötig, denn die Bestien kehrten nach kaum einer Minute wieder zurück – es war eine Künstlergesellschaft, die als Menagerie zu einem Maskenball nach Prag fuhr. Der Verzehrungssteuerbedienstete atmete hörbar auf.

Auf verschiedene Weise wurden die Leute geprellt, denen die Aufgabe obliegt, für die Lebensmittelteuerung zu sorgen. Sie waren nicht nur die Zielscheibe von Scherzen und Wetten, sondern auch von vielen Schmugglertricks. Aber die gelungensten dieser Gaunerstreiche sind nicht bekannt. Weil sie eben gelungen sind. 14



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