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Wenn es regnet, ist es naß. Besonders in Prag. Hier werden nämlich bei Regen die Straßen besprengt. Manchmal während des Regens, manchmal nach und manchmal vor dem Regen. In den beiden erstgenannten Fällen müßte man nichts besonderes erblicken, weil man ja zu der Vermutung kommen kann, der bekannte Satz, daß Feuchtigkeit des Erdbodens Regen zur Folge habe, sei auch in der Umkehrung richtig. Aber daß man in Prag auch vor dem Regen die Straßen besprengt, ist interessant. Es kommt ja auch nur selten vor. Dann ist es aber umso interessanter.
Der Mann, dem die ehrenvolle Aufgabe obliegt, die Bazillen des Prager Straßenstaubes mit den Bazillen des Prager Wassers in fruchtbaren Zuchtverkehr zu bringen, ist näherer Beachtung wert. Sie wird ihm auch zuteil. Dort, wo der Spritzenmann ist, dort ist auch die Straßenjugend. Die kennt die Prager Spritzenschläuche ganz genau und weiß, daß sie feine Löcher haben, durch die beim Spritzen hohe Wasserstrahlen in die Luft steigen. Diese kleinen Löcher lassen sich bequem mit einem Finger zuhalten und wenn man diesen wegzieht, so spritzt der dünne Strahl mit verdoppelter Gewalt in die Höhe oder auf einen Passanten. Ja, das Spritzen ist eine Lust für die jeunesse dorée der Straße. Aber auch ältere Passanten, die ohnedies schon um der sengenden Sonnenglut willen, sich nicht der Eile befleißigen wollen und die – die Abneigung der Muhme Mephistos gegen das Staubschlucken teilend – lieber auf besprengtem Pfade weiterwandeln wollen, bleiben stehen und schauen dem Mann mit der Straßenspritze zu. Schon die Vorbereitungen, die dieser trifft, wirken erfrischend. Ich glaube, dieses Straßenbild wäre ein famoser Stoff für eine Pantomime. Sie wäre abendfüllend.
I. Akt. (Eine schmutzige Straße.) Leute treten auf, die sich den Schweiß aus dem Gesichte wischen und dann die Taschentücher auswinden. Plötzlich malt sich Begeisterung in ihren Zügen und freudigen Antlitzes weisen sie in die rechte Kulisse. Aus dieser kommen zunächst barfüßige Knaben und Mädchen mit 40 Jubel und Tanz. Dann rollt ein Handwagen heran, der ein großes Faß trägt. Der Wagen wird von einem Spritzenmann geschoben, ein zweiter geht neben dem Wagen. Der Spritzenmann rekognosziert das Terrain. Fragend blickt er seinen Genossen an. »Soll man hier spritzen?« Die Antwort scheint eine verneinende Gegenfrage zu sein: »No, soll man hier spritzen?« Aber Passanten und Straßenjugend drängen sich an die beiden Begleiter des Fasses heran und bitten flehentlich um einen Gespritzten für das Straßenpflaster. Die beiden nicken Gewährung und senken den Vorderteil des Wagens zur Erde. Die Zuschauer (auf der Bühne) treten scheu zurück. Die Spritzenleute beginnen je eine Tabakspfeife anzuzünden. Der Vorhang fällt langsam.
II. Akt. (Spielt eine halbe Stunde später. Personen: Wie im ersten Akt.) Die Spritzenleute vollenden das Anzünden der Tabakspfeife. Sie nehmen ein T‑förmiges Eiseninstrument, das wie ein jugendlicher Galgen aussieht und halb Schraubenschlüssel, halb Pfropfenzieher ist, vom Faßwagen und heben mit der einen Zacke dieses Werkzeuges den Deckel des Hydranten in die Höhe. Ein süßer Geruch steigt aus den Tiefen empor. (Das Orchester spielt: »Das duftet nach Trèfle incarnat« aus »Graf von Luxemburg«.) Der Duft erfüllt das Theater. Die Zuschauer (auf der Bühne) verschwinden im Hintergrund. Die Zuschauer (im Zuschauerraum) auch. Der Vorhang fällt rasch.
III. Akt. Aus dem Faß wird durch dessen obere Öffnung ein Metallrohr herabgenommen, das im Sonnenglanze glitzert, wie das Rheingold in der Komischen Oper zu Wesseli-Mezimosti. Am Ende des Rohres hängt ein Elefantenrüssel, aber es ist gar kein Elefantenrüssel, sondern ein Spritzenschlauch. Das andere Ende des Rohres wird irgendwo in dem Abgrund befestigt, aus dem die bereits beschriebenen unbeschreiblichen Düfte steigen. Damit das T‑Instrument sich nicht zurückgesetzt fühle, schraubt man es gleichfalls an den Hydranten. Die Zuschauer denken nun wie Schiller: Wohl, nun kann der Guß beginnen. Aber damit ist's noch nichts. Dem einen Spritzenmann ist das Feuer der Tabakspfeife ausgegangen und er bemüht sich nun, ein Zündholz an einem Teile seiner Hose anzuzünden. Der Vorhang fällt diskret.
IV. Akt. Die Pfeife brennt. Einer der beiden Spritzenleute kurbelt den Miniaturgalgen, der andere packt den 41 Spritzenschlauch, dessen Mündung das Straßenpflaster zärtlich küßt. Wasserströme, welche die neue hechtgraue Felduniform tragen, strömen durch den Schlauch und verwandeln die Gegend um den Hydranten in eine romantische Meereslandschaft. Ein schmuckes Dienstmädchen, einen Korb mit Eßwaren unter dem Arme, kommt des Weges und lächelt den Wassermann an, der den Schlauch hält. Ein Strahl der Freude zuckt über sein Gesicht und ein Strahl Wasser über das ihre. Der Spritzenmann hat nämlich in seiner freudigen Erregung die mit dem Schlauch bewehrte Hand erhoben. Auch die Eßwaren sind angenehm besprengt worden und der Korb sieht aus wie ein volles Lavoir. Das Mädchen schimpft. Die Spritzenmänner bleiben ihr die Antwort nicht schuldig und gebrauchen einige Ausdrücke . . . . (Der Vorhang fällt über Anordnung der Zensurbehörde sehr rasch.)
V. Akt. Es wird fortgespritzt. Alle Passanten erhalten eine Dusche gratis. Hier erhält ein hellgelber Herrenüberzieher eine schön braune Glasur, dort wird einem Panamahut Gelegenheit geboten, zu erweisen, ob er wirklich wasserdicht ist. Mit Wilhelm Tell-artiger Sicherheit lenkt der schlichte Bedienstete der Prager Kommune sein feuchtes Geschoß gegen die wandelnden Ziele. Oft weiß er mit ein und demselben Strahl mehreren Ahnungslosen etwas von dem erfrischenden Naß der Moldau zuteil werden zu lassen. Längst hat sich die Straße in das Schwarze Meer verwandelt – der Spritzenmann arbeitet weiter, als gälte es den Kanal trocken zu legen. Da fängt es zu regnen an. (Man verwende den Platzregen aus »Das Weiße Rößl.«) Die Spritzenmänner freuen sich höchlichst, denn im Regen ist die Arbeit viel angenehmer. Sie lassen aus dem Schlauche Wasser in das Faß des Wagens laufen, damit sie mit Hilfe der bekannten Holzkannen auch jene Straßenteile besprengen können, zu denen der Spritzenstrahl nicht gelangen kann; wenn der Regen diese Stellen näßt, so gilt das nicht. Das Faß ist bald gefüllt und nun kommt der Deckel wieder auf den Hydranten, Röhre, Schlauch und Schraubenschlüssel wieder auf den Wagen. Es regnet weiter – besonders faule Äpfel und Eier aus dem Zuschauerraum. Der Vorhang fällt mit wolkenbruchartiger Geschwindigkeit.
Auf Hofbühnen und anderen großen Theatern kann man statt des Faßwagens fahrbare Riesenspulen verwenden, um die sich der Spritzenschlauch ringelt, die Aufführung verliert dadurch 42 nicht an Lokalkolorit, da man solche Spulen beim Besprengen der Prager Hauptstraßen verwendet. Anderer Requisiten bedarf mein Mimodrama nicht. Trotzdem mir die Tantiemen ganz gut zustatten kämen, sage ich den Theaterdirektoren ganz offen: Das Stück braucht nicht sofort aufgeführt zu werden, denn der Stoff bleibt dauernd aktuell. In Prag wurde seit jeher die Straßenbesprengung so betrieben und wird auch weiter so betrieben werden. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhundertes haben diese Arbeit Leute besorgt, welche von Feuerwehrmännern auf der Straße ad hoc engagiert worden waren und unter deren Aufsicht spritzen mußten. Daß diese Leute die Sache nicht mit jener virtuosen Sicherheit, nicht mit jener genialen Schlauchtechnik betreiben konnten wie das wohlorganisierte städtische Spritzenkorps von heute, liegt klar auf der Hand. Ist das nicht Fortschritt genug? Ein Mehr wäre von Übel, hieße die Tradition verleugnen. Und die Stadt Prag hält auf Tradition. Strahlend war früher die Straßenbesprengung, strahlend soll sie auch in Zukunft sein. Das ist eine Beruhigung für mich. Kann doch meine Pantomime nie veralten, wenn die Männer, die spritzen, nie selbst »gespritzt« werden. 43