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Man kann freilich von einer Brücke nicht verlangen, daß sie außer einem Fluß auch noch die sozialen Gegensätze überbrücken soll. Aber die Prager neuen Brücken verschärfen diese Gegensätze noch, denn die Armen haben jetzt oft einen nahen Weg vor sich und müssen doch – um den Brückenkreuzer zu ersparen – den Umweg über die älteste Brücke, die unentgeltliche Karlsbrücke, machen. Durch die Prager Brücken werden zwar die Stadtteile verbunden, aber die Bewohner dieser Stadtteile haben keine Ursache dafür verbunden zu sein. Denn der Brückenkreuzer ist eine Unbequemlichkeit für die Reichen, eine empfindliche Ausgabe für die Armen. Jedesmal, wenn man in Prag eine Brücke schlägt, so schlägt man dem modernen Verkehrswesen ein Schnippchen und die Logik aufs Haupt, indem man je ein Mauthäuschen an die Brückenenden setzt.
Das Vergnügen, in den verschiedenartig duftenden Anlagen des Stadtparkes und auf dem von Alpinisten sehr geschätzten Pflaster der Prager Straßen zu promenieren, hat man ganz umsonst. Aber die Notwendigkeit über eine Brücke zu gehen, die muß man bezahlen. Obwohl das Prager Pflaster noch teurer ist als die Prager Brücken. Von der Verkehrshemmung, welche die Einhebung der Brückenmaut bedeutet, gar nicht zu reden. Man stelle sich vor, daß auf der Weidendammer oder auf der Potsdamer Brücke in Berlin jeder Passant stehen bleiben, jedes Auto stoppen müßte, um zwei oder fünf Pfennige zu bezahlen. Auch der gemütliche Wiener würde wohl verteufelt ungemütlich werden, wenn er sein »letztes Kranl« wechseln müßte, um über die Aspernbrücke gehen zu dürfen.
Aber es wird uns doch ein Äquivalent für die Entrichtung des Brückenzolls geboten. Das sind die Straßenbilder und die Geschichten, die sich auf diese Institution gründen, und um die uns jede andere Stadt beneiden muß. Hier fleht ein Bettelweib mit weithin hörbarem Weinen die Gnade des Brückentyrannen an, dort nimmt ein kleines Kindermädchen den ihr anvertrauten fünf Jahre alten Bengel keuchend auf den Arm, hier schlängelt 32 sich ein Gamin zwischen zwei Straßenbahnwagen auf die Brücke, dort springt ein Prager »Pepík« vor dem Mauthäuschen auf die Elektrische, um jenseits des Häuschens wieder abzuspringen – alles, um zwei Heller zu ersparen.
Auch andere Typen und Geschichten sind bekannt. Ein Einjährig-Freiwilliger hat den Brückenkreuzer prinzipiell – »ich lasse mir nichts schenken« – bezahlt, trotzdem ihn die Uniform zu freiem Eintritt berechtigte. Von dem Jungtürken, der es absolut nicht verstehen konnte, wie ein fremder Mann auf offener Brücke von ihm ein Bakschisch zu verlangen wage, und dem schließlich eine hundertköpfige Menschenmenge zu Hilfe kam, war im November des vorigen Jahres in allen Blättern zu lesen. Der uralte Ulk des Defilees im Gänsemarsch ist bei den Bewohnern des Mauthäuschens gar nicht beliebt, weil sich diese die Mühe nehmen müssen, die Teilnehmer des Zuges, für die der Letzte zahlen soll, genau zu zählen. Zum Glück läuft der zahlungspflichtige Letzte gewöhnlich davon, so daß ein Rechenfehler ohnedies gleichgültig ist. Es gibt viel solcher Scherze.
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Rückte da neulich ein Marsjünger in Zivilkleidern, nur an der keck über dem linken Ohre baumelnden Mütze als k. u. k. Infanterist kenntlich, vom Ernteurlaub nach Prag ein. An dem Smichower Ufer streckte ihm der Zöllner begehrlich seine Hand entgegen. Der Urlauber aber verweigerte die Zahlung des Tributs. Er sei Soldat und als solcher brauche er keinen Kreuzer zu zahlen. Der Mauteinnehmer wies auf die Zivilmontur des Widerspenstigen, dieser legitimierte sich mit seinem Urlaubsschein als Angehöriger der Armee. Da die Frequenz auf der Brücke gerade sehr groß war, so hatte sich bereits ein stattliches Häuflein von Zuschauern um die streitenden Parteien geschart. Nun konnte der Zöllner erst recht nicht nachgeben, wenn er nicht sein Ansehen einbüßen wollte. Aber auch dem Krieger kam es nicht in den Sinn, der Klügere zu sein, und er bestand auf seinem Schein. Wer weiß, welche Dimensionen der Rechtsstreit genommen hätte, wenn nicht zufällig ein Einjährig-Freiwilliger des Weges gekommen wäre, der in hilfsbereiter Weise für seinen Fahnenbruder zwei Heller auf das Opferbrett der Stadtgemeinde niederlegte? Der also losgekaufte Urlauber aber setzte seinen Weg 33 nicht sogleich fort, sondern eilte in die genau gegenüber dem Mauthäuschen auf der Brücke gelegene Tabaktrafik. Er kaufte sich für die ersparten zwei Heller zwei »Drama«-Zigaretten und zog, die eine »Drama« zufrieden im Munde haltend, die andere kokett hinter dem Ohre, unter dem Lachen des Publikums so stolz über die Brücke, wie einst im Mittelalter siegreiche Belagerer über die endlich heruntergelassene Zugbrücke in die Burg des Feindes gezogen waren.
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Einmal hatte einer meiner Couleurbrüder zur endlichen Bezahlung seiner Schulden 200 Kronen erhalten. Kaum hatte er uns von diesem sensationellen Ereignis auf unserer Bude, die sich in dem Gasthaus auf der Judeninsel befand, in Kenntnis gesetzt, als wir auch schon beschlossen, damit dem Brückenmann der Franzensbrücke einen Streich zu spielen. Zehn Bursche wurden je mit einer Zwanzigkronennote beteilt, selbstverständlich erst nachdem sie sich »auf Grand-Cerevis« – die Eidesformel beim Biertisch – verpflichtet hatten, sie wieder zurückzustellen. Nun ging es dem Mauthause zu. Der erste von uns reichte dem Zöllner die Banknote und dieser gab murrend 19 Kronen 98 Heller zurück. Dann kam der zweite, und gleichzeitig streckten acht andere Hände dem Mauteinnehmer die Banknoten zu. Der gute Mann war entsetzt. »Es könnte doch einer für alle Herren zahlen,« wandte er ein. »Wir kennen einander ja gar nicht,« war unsere Antwort. Nun wollte uns der Einnehmer mit großmütiger Gebärde die Entrichtung erlassen. Aber wir wollten uns keinesfalls unserer Prager Bürgerpflicht begeben, wollten den Stadtsäckel nicht schädigen. Schließlich machte Meister Zöllner dem Konflikt ein Ende, indem er sich in seine Hütte verkroch. Da mußten wir denn doch von dannen, ohne unserer Bürgerpflicht Genüge getan zu haben. Wahrscheinlich hat sich der Zöllner darüber ins Fäustchen gelacht. Wir aber lachten laut.
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Einmal zogen wir aus der »Quelle« in Bubentsch nächtlicherweile nach Prag. Als wir zum Kleinseitner Brückenkopf des Kettenstegs kamen, schlief der Zöllner bereits den Schlaf des Gerechten und an seinem Fenster war der Holzladen heruntergelassen, denn drüben am andern Ufer versah der andere 34 Mauteinnehmer – wie allnächtlich – für ihn den Dienst. Schon wollten wir weckend an die Bude klopfen, als uns ein üppig gelaunter Kommilitone davon abhielt. Er legte still einen Kreuzer auf das Brett vor dem geschlossenen Schalter und befahl uns, ihm in einer Distanz von einigen Schritten über die Brücke zu folgen. Bei der Josefstädter Brückenmündung trat ihm der Zerberus mit heischender Hand entgegen. Unser Freund tat sehr erstaunt. Er werde doch nicht zweimal zahlen, man zahle doch nur beim Betreten der Brücke und das habe er getan.
»Das ist eine Lüge,« erklärte der Brückenhüter, »drüben ist ja geschlossen. Sie müssen hier bezahlen.«
»Ob drüben geschlossen ist, geht mich nichts an. Darauf habe ich nicht geachtet. Ich habe drüben bezahlt, wie ich immer beim Betreten der Brücke zahle.«
Der Zöllner rief die heilige Hermandad herbei. Der Wachmann kam und mein Freund verlangte die Sicherstellung des Mauteinnehmers, da er von diesem durch das Wort »Lüge« beleidigt worden sei. Der Zöllner leugnete nicht.
»Der Herr hat behauptet, drüben gezahlt zu haben und das ist eine Lüge!«
Unser Freund verlangte nun erregt, der Wachmann möge konstatieren, ob der Kreuzer wirklich drüben liege. Dies werde bei der Verhandlung in der Ehrenbeleidigungsklage das wichtigste Moment sein. Das sah der Wachmann ein und war bereit mit unserem Freunde auf das jenseitige Ende der Brücke zu gehen. Der Zöllner, der eine eventuelle Beeinflussung des Polizisten vermeiden wollte, sperrte seine Bude und ging mit. Wir hinterdrein. Als der Zug wieder glücklich auf der anderen Seite war, erblickte man das künftige Corpus delicti: Der Kreuzer lag friedlich auf dem Schalterbrett. Mit majestätischer Handbewegung wies unser Freund auf ihn. Der Brückner war geschlagen. Schon wollte er mit mißmutiger Gebärde den Kreuzer an sich nehmen, als unser Kommilitone herzusprang und ihn einsteckte.
»Über eine Brücke, auf der man die Passanten derart behandelt, gehe ich nicht. Wir gehen über die Elisabethbrücke.« Und zum verdutzt dastehenden Zöllner gewandt, fügte er hinzu: »Auf diese Weise treiben sie alle ihre Kundschaften der Konkurrenz in die Arme.« 35