Egon Erwin Kisch
Entdeckungen in Mexiko
Egon Erwin Kisch

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Die Petroleumleitung

I

Wer aus dem Golf von Mexiko der Hauptstadt zu fährt, wird meilenlang von einem Rohr begleitet. Vor den Städten verkriecht es sich, hinter ihnen taucht es wieder auf; besonders dort, wo Wege oder Kanäle sind, kommt es ans Tageslicht. Auf den Landkarten ist es nicht eingezeichnet.

Bevor das mexikanische Öl in mexikanischen Volksbesitz überging, war es unter vierzehn Tochtergesellschaften der drei Weltkonzerne aufgeteilt, der »Royal Dutch Shell« Deterdings, der »Standard Oil« Rockefellers und der »California Sinclair Pierce Oil Company« Harry Sinclairs. Eine dieser vierzehn Töchter, »El Aguila« oder »Mexican Eagle Petroleum Co.«, besaß sechzig Prozent des mexikanischen Erdöls; in ihrem einstigen Palais in der Hauptstadt amtieren jetzt »Petróleos Mexicanos« (PE-MEX). In der Halle steht die Büste von Cárdenas, denn er ist es gewesen, der am 18. März 1938 das Öl seinem Lande wiedergegeben hat.

Damit endete ein in der Sozialgeschichte einzigartiger Kampf; auf der einen Seite stand ein Land, auf der anderen die allmächtige Dreifaltigkeit des Petroleum-Weltmonopols.

Als Lohnkonflikt hatte es begonnen. Im Zeitraum von 1934 bis 1937 waren die Haushaltungskosten um 88,96 Prozent gestiegen, während die Lohnsätze nur um 30 bis 40 Prozent erhöht wurden. Ein mexikanischer Ölarbeiter bekam im Durchschnitt 4,86 Pesos pro Tag, kaum ein Viertel von dem, was in Amerika ein Arbeiter der gleichen Gesellschaft verdiente. Dabei war die Förderungsrate des amerikanischen Arbeiters geringer als die des Mexikaners, der allerdings an reicher sprudelnden Ölvorkommen arbeitete. 314

Die Arbeiter verlangten einen Kollektivvertrag mit vierzigstündiger Arbeitswoche, Lohnerhöhung, Urlaubsrecht und Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Forderungen, die abgelehnt wurden. Die Belegschaften stellten die Arbeit ein, die Gesellschaften appellierten an den Staatlichen Schlichtungsgerichtshof gegen den Streik, und das Gericht entschied, daß die Streikenden an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren und bis zur Urteilsfällung an diesen auszuharren haben. Das geschah. Dann erging das Urteil. Ein Teil der Arbeiterforderungen wurde abgewiesen, jedoch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen vorgeschrieben, die 26 Millionen Pesos jährlich gekostet hätte, – einerseits eine hohe Summe, andererseits ein Bruchteil der Dollarprofite.

Wenn man den Einspruch der Gesellschaften gegen diese Entscheidung liest, so glaubt man sich in den Londoner Juristenbezirk versetzt, wo vielhundertjährige Kastanienbäume vor vielhundertjährigen Gebäuden in vielhundertjähriger Ruhe wachsen. Dort könnte ein alter sehr ehrenwerter Kronjurist mit gründlicher Kenntnis von Paragraphen und Präjudizfällen, der aber noch nie etwas von Soziologie, Arbeitsrecht oder dergleichen Laienwerk gehört, den Rekurs verfaßt haben. Nach formaljuristischer Einleitung kommt er auf das zu sprechen, was den Ölmagnaten besonders am Herzen liegt, auf die Freiheit der Arbeit. Wo sei die Freiheit der Arbeit, wenn zum Beispiel der Arbeitgeber gezwungen wird, Inländer als Assistenten ausländischer Fachleute anzustellen? Ist es Gleichheit und Gerechtigkeit, wenn die Höhe des Unternehmergewinns zur Grundlage des Lohntarifs gemacht wird? Gilt nicht gleiches Recht für alle, für arm und reich?

Das Oberste Gericht von Mexiko wies den Rekurs ab, und als die Ölgesellschaften beschlossen, sich dieser Entscheidung nicht zu fügen, kam es zu ihrer Enteignung. Gleichzeitig wurde das mexikanische Volk über die möglichen Folgen dieser Maßnahme aufgeklärt und gegen 315 zukünftige Interventionsversuche mobilisiert. Der erste Appell erging von Vicente Lombardo Toledano. Lombardo Toledano hat in der internationalen Gewerkschaftsbewegung kaum ein Pendant. Ein Arbeiterführer, der Professor der Philosophie, ehemaliger Gouverneur, Goethe-Kenner, Botaniker und Archäologe ist; seine Volksversammlungen sind Universitätskurse, und seine Popularität verdankt er seiner Autorität. In jener Petroleumrede legte er alle Möglichkeiten von Propaganda und Lüge dar, mit denen das Ölkapital versuchen werde, die öffentliche Meinung Mexikos zu spalten, und entlarvte auf diese Weise Verrat und Bestechung, bevor es zu Verrat und Bestechung kommen konnte.

Den anderen Appell an das Volk richtete Präsident Lázaro Cárdenas selbst. Er beantwortete zunächst den Vorwurf der Undankbarkeit, den die Ölgesellschaften erhoben hatten: Ist das der Dank dafür, daß wir mit unserem Kapital die gigantischeste Industrie von Mexiko aufgebaut haben? »Euer Kapital?« rief ihnen Cardenas durchs Radio zu, »euer Kapital ist der Reichtum der Ölvorkommen gewesen, die der Nation gehören und euch gesetzwidrigerweise überlassen wurden! Euer Kapital sind die Privilegien, die euch gewährt wurden, die Steuer- und Zollvergünstigungen! Von diesem Kapital habt ihr Milliardeninteressen bezogen und einen kleinen Bruchteil in eure Betriebe investiert. Und dafür sollen wir euch dankbar sein?«

Nicht minder scharf wandte sich Cárdenas gegen die Schuldigen im eigenen Land, die aus Schwäche, Ignoranz oder Eigennutz den Versuchungen der unermeßlich mächtigen Unternehmer nicht zu widerstehen vermochten.

Die Quellen des mexikanischen Reichtums sind zu Quellen des mexikanischen Elends geworden, sagte Cárdenas. In den wenigsten Orten des Ölgebiets gibt es ein Spital, Trinkwasser, eine Schule, ein Kulturzentrum oder einen Sportplatz. Nicht einmal eine Gasanstalt existiert, denn die 316 Gesellschaften erlauben nicht, daß die Millionen von Kubikmetern nutzlos entweichenden Gases verwertet werden. Wem wäre nicht die erregende Zweiteilung aufgefallen, die in den Petroleumbezirken herrscht? Komfort für das ausländische Personal – Jammer und gesundheitswidrige Behausung für das mexikanische. Kühlanlagen und Schutz gegen tropische Krankheitserreger für die ersteren – Teilnahmslosigkeit und eine meist nur mit Widerwillen gewährte ärztliche Hilfe für die letzteren. Hungerlöhne und vernichtende Arbeitsbedingungen für unser Volk.

Jedes Produktionszentrum besitzt eine Betriebspolizei zum Schutz der privaten, egoistischen und oft ungesetzlichen Interessen. Diese bewaffneten Organisationen, ob sie nun von der Regierung autorisiert sind oder nicht, tragen Schuld an Mißbräuchen, Ausschreitungen und Mordtaten, begangen im Auftrag oder im Interesse der Gesellschaft, in deren Dienst sie stehen.

Nur mit wenigen Worten geißelte der Staatspräsident die »hartnäckige und bösartige Einmischung der Ölgesellschaften in innere Angelegenheiten der Nation«. Nur mit wenigen Worten – denn um dieses Thema zu erschöpfen, hätte er die Geschichte Mexikos seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erzählen müssen.

Von den Tagen an, da Porfirio Díaz dem englischen Ingenieur der Tehuantepec-Bahn Weetman Pearson, nachmals Lord Cowdray, und dem amerikanischen Ölhändler Edward L. Dohenny die Konzessionen auf das mexikanische Erdöl verliehen hatte, war Mexiko die Walstatt eines Krieges zwischen Großbritannien und Nordamerika. Bei jedem Aufstandsversuch gossen entweder die Vereinigten Staaten oder die Vereinigten Königreiche oder beide zusammen ihr Öl ins Feuer. Dollar und Pfund Sterling waren immer zur Stelle.

Gelegentlich, wenn es den Ölmagnaten in den Plan paßte, wurden sogar fortschrittliche Bewegungen gegen 317 reaktionäre unterstützt. So fühlte sich zum Beispiel die Standard Oil (Amerika) durch die an die Pearson Oil Company (England) gewährten Konzessionen in den Ölfeldern von Tehuantepec geschädigt. Deshalb half sie dem freiheitlichen Francisco I. Madero, die vierzigjährige Diktatur von Porfirio Díaz zu stürzen. Was freilich den amerikanischen Botschafter Lane Wilson nicht hinderte, bald darauf in Washington gegen Madero und »his almost confiscatory tax placed on the oil products at Tampico« aufzutreten, den Staatsstreich des Reaktionärs Victoriano Huerta zu unterstützen und zuzulassen, daß der volkstümliche Präsident Madero und der Vizepräsident Pino Suárez im Gefängnis erschossen wurden (23. Februar 1913). Das Verhalten Lane Wilsons an diesem Tag ist in Mexiko nicht vergessen.

Cárdenas schloß das Kapitel der Interventionen, die auf den Wellen des Öls herangeschwommen waren, mit der Enteignung: »Die ausländischen Gesellschaften sind nicht gewillt, das Urteil unseres höchsten Gerichts anzuerkennen. Sie bauen darauf, daß sich ihre Macht als stärker erweisen wird als die Würde und Unabhängigkeit Mexikos, das großzügig seinen Naturreichtum in ihre Hände gelegt hatte. Die Enteignung wurde angeordnet und den Gesellschaften die volle Bezahlung ihres Eigentums von Staats wegen zugesichert.«

Die Großmächte des Öls räumten ihre Gaststätte keineswegs in Ruhe und Frieden. Die Betriebe sollten arbeitsunfähig gemacht werden, damit Mexiko genötigt sei, die Rückkehr der alten Besitzer zu erflehen und sich ihnen bedingungslos zu unterwerfen. Niemand sollte zurückgelassen werden, der sich im Betrieb auskannte. Den mexikanischen Beamten wurden höher bezahlte Stellungen in USA. angeboten. Inhaber der »Puestos de Confianza«, die Vertrauensleute der Gesellschaften, blieben mit dem alten Gehalt auf der alten Gehaltsliste der alten Besitzer, wenn sie sich bereit erklärten, unter der neuen Leitung nicht 318 weiterzuarbeiten. Noch heute gibt es in Mexiko solche Ex-Vertrauensleute, die ihr Direktoren- oder Chefingenieursgehalt weiterbeziehen. Verträge, Adressen, Rechnungen, Pläne, chemische Formeln mit den zugehörigen »Know how«, Lohnlisten und Akten wurden verbrannt oder mitgenommen.

Das Furioso der Weltpresse erscholl nicht gegen die Saboteure, sondern gegen jene, welche die Sabotage sabotierten. Die Ablehnung der Arbeiterforderungen durch die Ölgesellschaften wurde als moralische Tat gepriesen. Ein amerikanischer Wirtschaftsführer erklärte: ». . . aber so weit darf die Arbeiterfürsorge denn doch nicht gehen, daß man mexikanischen Arbeitern Harems einrichtet, ihnen Polopferde kauft und Luxusreisen um die Welt bezahlt, wenn sie es wünschen.« Die entrüsteten Zeitungsleser mußten glauben, die Ölarbeiter Mexikos hätten Harems gefordert und Polopferde und Luxusreisen. In Wahrheit hatten sie eine Fahrkarte zum Urlaubsort innerhalb Mexikos verlangt, den Bau von Sportplätzen und Krankenbehandlung für Gattin und Kinder, soweit es sich um dauernde, wenn auch nicht immer legale Ehen handelte.

Schon während des Konflikts hatten die Ölgesellschaften ihre Goldreserven aus den mexikanischen Banken gezogen und nach der Nationalisierung der Betriebe stieß der internationale Valutenmarkt den Peso auf fünfundvierzig Prozent seines Werts hinab.

In einer fast ultimativen Note verlangte der nordamerikanische Staatssekretär Cordell Hull, daß das mexikanische Ölproblem einem internationalen Schiedsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt werde, widrigenfalls . . . Der Senator von North Carolina, Reynolds, forderte im Kongreß von Washington als Entschädigung die Abtretung von Baja California an die Vereinigten Staaten. Einige Persönlichkeiten, die seinerzeit den amerikanischen Staatspräsidenten Harding im mexikanischen Petroleum ertränkt hatten, traten für bewaffnete Repressalien gegen Mexiko ein. Wallstreet 319 gab eine Mexiko-Sondernummer des »Journal of Commerce« heraus, reich an Tabellen, Bildern und nationalökonomischen Artikeln, die allesamt darzutun versuchten, daß Mexiko eine Gefahr für die Landesverteidigung von USA. darstelle und unfähig sei, sich selbst zu verwalten.

Im Staat San Luis Potosi bereitete sich eine Bewegung zum Sturz von Cárdenas vor. Ihr Führer, der General Saturnino Cedillo, war aus dem Ausland mit Waffen und Munition versorgt worden, von einigen Waffensorten, Tanks und Schützengrabenkanonen, besaß er mehr als die mexikanische Armee. Sein Generalstabschef war der deutsche Nazi und Oberst Ernst Freiherr von Merck. Aus seiner gutgesicherten Villa in Coyoacán, der Gartenvorstadt Mexikos, genauer gesagt, aus seinem mit dem Hitlerbild und Hakenkreuzornamenten dekorierten Arbeitszimmer leitete er die strategischen Vorbereitungen der Cedillo-Rebellion.

Ein Deutscher anderer Art, mein verstorbener Freund Alfredo Miller-Fortmiller aus Hannover, legte dem Baron das Handwerk. Alfredo erschien in der Merckschen Festung mit einem Emigrationsbeamten und wurde selbst als solcher angenommen. Baron Merck wies sofort das Original jenes Dokuments vor, mit dem er in den fortschrittlichen Kreisen Mexikos als Nichtnazi aufzutreten versuchte: ein Telegramm Gustav Noskes an Leutnant Ernst Freiherrn von Merck, der Dank für die Dienste, »die Euer Hochwohlgeboren bei der Bildung der freiwilligen Formationen geleistet haben«, das heißt jener Freikorps, welche 1918/1919 die deutsche Republik an die Reaktion auslieferten.

»Noske war Sozialdemokrat, Sie wissen?« sagte Baron Merck zu Alfredo Miller. Dieser wußte. Auch sein jetziger Chef Saturnino Cedillo, erklärte Baron Merck, sei kein Faschist und kein Nazi. »Er stimmt bloß mit einigen der Sachen nicht überein, die Cárdenas macht.«

»Zum Beispiel mit der Ölenteignung«, sagte Alfredo. 320

»Zum Beispiel mit der Ölenteignung«, wiederholte Baron Merck und fügte hinzu: ». . . glaube ich.«

Alfredo behielt einen Brief, der bewies, daß Baron Merck gemeinsam mit dem deutschen Botschafter für Cedillo arbeitete. Nach der Veröffentlichung des Briefes verließ Baron Merck das Land, und war beim Ausbruch des Aufstandes, für den er die Pläne geliefert hatte, nicht mehr in Mexiko. Im Rebellengebiet erschien Cárdenas und leitete die Niederwerfung.

Ein internationaler Boykott gegen mexikanisches Petroleum setzte ein. Mexiko versank fast in der Sintflut seines Öls. Gleichzeitig aber bewarb sich Japan darum. Es war bereit, den Mexikanern eine Rohrleitung quer durchs Land zu legen, von den Bohrlöchern am Atlantik bis auf die japanischen Schiffe im Pazifik. Italien bot den Bau von Tankschiffen an. Nazideutschland, vertreten durch eine Gruppe amerikanischer Spekulanten, wollte die gesamte Ölproduktion Mexikos für vierzehn Millionen Pesos kaufen und dafür Rechenmaschinen, Nähmaschinen und Werkzeugmaschinen liefern. Vielleicht waren es diese Unterhändler aus neutralen Ländern selbst, die – soweit es die Verhandlungen nicht gefährdete – in die Welt lancierten: Seht, das bolschewistische Mexiko verhandelt mit den Nazis!

Das »bolschewistische Mexiko«! »Mexiko, der neue Sitz der Kommunistischen Internationale.« Auf diesen Grundton waren die politischen Angriffe gestimmt. Antifaschistische Flüchtlinge aus den von den Nazis besetzten Gebieten Europas wurden bei Behörden und in der Presse denunziert. Den einen wurde vorgeworfen, sie hätten den Überfall Rußlands auf das arme Finnland gutgeheißen; den anderen (einschließlich dem Schreiber dieses Buches), daß sie die Agenten der GPU seien. Die Trotzkisten, die so lange nichts zu melden gehabt hatten, hatten jetzt viel zu melden. Täglich eine Enthüllung: »Ein Stalinist in Mexiko eingetroffen!« 321

Um diese Zeit lief die Amtsperiode des Präsidenten Cárdenas ab, General Almazán, ein Gegner der Ölenteignung, kandidierte mit dem Programm: »Wenn die Lösung des Petroleumkonflikts nicht durch die gegenwärtige Regierung endgültig erfolgen und ich gezwungen sein sollte, die diesbezüglichen Verhandlungen weiterzuführen, werde ich dafür Sorge tragen, daß diese Verhandlungen zu einer freundschaftlichen und loyalen Vereinbarung gelangen. Diese wird auf der Grundlage des Rechts und der Gleichberechtigung, unter Berücksichtigung der Souveränität Mexikos und der Völkerrechtsnormen erfolgen und den nationalen Interessen sowie den berechtigten Interessen der Petroleumgesellschaften und der Arbeiterschaft dieses Industriezweiges entsprechen.«

Gewählt wurde nicht Almazán, sondern Manuel Avila Camacho.

Inzwischen führten die Ölgesellschaften den Kampf um die Ablösungssumme weiter. Auf Grund der Steuererklärungen war der Wert der Unternehmungen mit fünfzig Millionen Dollar errechnet und diese Summe als Ablösung festgesetzt worden. Gegen diese Einschätzung protestierten die Ölfirmen so heftig, daß sie offen bekannten, Zollbetrug, Bücherfälschung und Steuerhinterziehung begangen zu haben. Sie hätten ihre Einkünfte niedriger angegeben, als sie in Wirklichkeit waren, – weil das in Mexiko so üblich sei. Als Abfindung verlangten sie 450 Millionen in bar, dann 120.

Mitten in die Preisverhandlungen platzte 1939 der Krieg Deutschlands gegen England und 1941 gegen USA. Nun brauchte man das boykottierte Öl und die Bundesgenossenschaft Mexikos, und der Konflikt wurde erledigt, während Mexiko noch mit der Wiederinstandsetzung der Ölanlagen beschäftigt war.

Die »Ölpresse« hatte es leicht gehabt, zu prophezeien, Mexiko werde nicht imstande sein, Produktion und Transport aufrechtzuerhalten. Besaß es doch weder ein Genug an 322 Kapital, noch an intakten Maschinen, noch an Verkehrsmitteln. Mexikos einziges Tankschiff »San Ricardo« lag in Alabama, USA., auf Trockendock.

Aber durch große Opfer der Arbeiterschaft wurde die billige Prophezeiung zuschanden. Mexiko fördert sein Öl selbst, wie es vorher die Fremden getan, und schafft Einrichtungen, wie es vorher die Fremden nicht getan, weil die Entwicklung der einheimischen Industrie außerhalb ihrer Interessen lag.

Mexikanisches Rohöl und seine Derivate waren ins Ausland geschickt worden, vor allem nach Balik Papan in Niederländisch-Indien und nach Curacao, den beiden Petroleumhauptstädten der Welt, und kamen dann zum Teil nach Mexiko zurück. Warum dieser enorme Umweg? In Curacao und Balik Papan wurden die Ölprodukte so weit veredelt, daß sie der internationalen Spezifikation und damit dem internationalen Preistarif entsprachen, Mexiko selbst besaß keine Anlagen, die sein Öl hinreichend veredeln konnten.

Die einzigen im Lande hergestellten Fertigprodukte waren Asphalt und Gasöl. Und heute? Heute gibt es Gasolin mit höherem Oktan für Autos und sogar für Flugzeuge, weißes Gasolin für Industrien, Kerosin für Öfen, Paraffin für Kerzen, Schmieröle für Maschinen.

Den Binnentransport besorgt der Oleodukt. Er mündet in der Raffinerie von Atzcapotzalco. Dort, am Nordrand der Hauptstadt, war in der präcortezianischen Zeit der Sklavenmarkt gewesen, und dort wohnten die Goldarbeiter, bei denen die spanischen Soldaten ihren Anteil am Schatz des Moctezuma einschmelzen ließen. Später war Atzcapotzalco ein Armenvorort, und heute, nach dem Ausbau der Petroleumleitung und der Raffinerie, wird es mehr und mehr zum neuen Industriezentrum des hauptstädtischen Disirikts. 323

 
II

In Begleitung eines Gewerkschaftlers von STPRM, Sindicato de Trabajadores Petroleros de la República Mexicana, fahre ich hin. Unterwegs entschuldigt er sich, daß er nicht englisch könne, obwohl er aus Tampico stamme.

Was hat Tampico mit der englischen Sprache zu tun?

»In Tampico wurde sehr viel englisch gesprochen. Ins Hotel Imperial, ins Hotel Inglaterra, in die Restaurants Bristol, Palace Grill und die übrigen besseren Lokale verirrte sich selten ein Mexikaner. Als mein Vater vor vierzig Jahren in Tampico zu arbeiten begann, bekam er seinen Tageslohn in Dollarcents, und damit bezahlte die Mutter ihre Einkäufe. Wenn ein Mexikaner, ein Politiker oder ein General oder ein Spekulant in den Barrio de la Unión sumpfen ging, ins weltbekannte Nachtleben Tampicos, so zahlte er unverhohlen mit den Dollars oder Pfunden, die er eben in der Direktion geerntet hatte.«

Ich frage mit Interesse, ob der Barrio de la Unión noch bestehe.

Er bestehe noch, Tampico sei ja eine Industriestadt mit fast 100 000 Einwohnern, und ein Hafen. »Aber schottischen Whisky und internationale Mädchen gibt's nicht mehr im Barrio de la Unión, und vor allem fehlen die angloamerikanischen Gäste, die nicht wußten, wohin mit ihren Pfunden und Dollars.«

Das tägliche Leben Tampicos war primitiv. Erst als die Ölkonflikte begannen, errichteten die Ölkompanien Schulen für Arbeiterkinder. Wiederholt wurden die Aktiengesellschaften gebeten, englischen Sprachunterricht für Erwachsene einzurichten oder technische Fortbildungskurse, es kam aber nie dazu.

»Wir hatten zwar Gewerkschaften«, sagt der Gewerkschaftler, »aber sie waren nicht zu einem Gewerkschaftsverband zusammengeschlossen. Jedes Ölfeld, jede 324 Raffinerie, jede Transportstelle hatte eine Extragewerkschaft. Sie vertrat ihre Mitglieder nur vor ihrer Betriebsleitung. 31 solcher Arbeiterorganisationen gab es. Ihnen entsprechen heute die 31 Sektionen der zentralen Gewerkschaften. In den ersten Jahren nach der Nationalisierung war die Lage der Arbeiter sehr schwer. Aber jetzt erstehen überall Arbeiterkolonien, Kliniken, insbesondere für die Behandlung von Sumpffieber und Tuberkulose. Wir haben einen Aquädukt, der bringt Trinkwasser von Tancol nach Ciudad Madero, über anderthalb Millionen Pesos hat er gekostet. Trockenlegungen wurden durchgeführt, Deiche gebaut und sehr viele Schulen.«

Der Gewerkschaftler schnuppert und verlöscht seine Zigarette. »Hier riecht es wie in meiner Heimat.«

Es riecht nach Petroleum.

Wir fahren durch ein Tor, auf dem »Petróleos Mexicanos« steht, fahren durch einen Park, dessen Bäume metallische Gestänge sind und dessen Beete runde, birkenfarbene Reservoire. Im Kanzleigebäude fragt man mich, was ich sehen will. Ich möchte den Oleodukt sehen.

Den habe noch niemand zu sehen verlangt. Es sei auch gar nichts zu sehen. Die Mündung eines Rohrs, – das sei alles.

Einer der Beamten schlägt sich auf die Stirn: »Wir können Ihnen den Ingenieur vorstellen, der den Oleoducto gebaut hat. Er wird Sie hinführen und Ihnen alles erzählen.«

So kommt denn ein bescheidener Mann heran und beteuert gleich, daß er den Oleoducto nicht gebaut habe. Aber er sei bei den Contratistas angestellt gewesen, bei der ausländischen Firma Martin & Circuit; der war es übertragen, das Rohrnetz von Tuxpan bis Mexiko-Stadt zu erweitern.

»Ich habe nur den Bau der Pumpstationen geleitet«, sagt der Ingenieur, »das Terrain verläuft nämlich nicht horizontal, geschweige denn abwärts. Wenn dem so wäre, würde man keine Pumpwerke brauchen. Das Terrain steigt und sogar sehr steil. Das Ölfeld von Poza Rica, im Staat Veracruz, 325 wo der Oleoducto beginnt, liegt nahe der Küste, nur dreißig Meter über dem Meeresspiegel. Aber es war schwer, das Rohr zu legen wegen der Hurrikane des Golfs und der Überschwemmungen. Hinter der Küstenebene hört das Überschwemmungsgebiet auf, aber leider auch die Ebene. Unser Oleodukt muß ein ganzes Gebirge überklettern, die Sierra de Puebla, und um diese Steigung zu überwinden, haben wir sieben Pumpstationen gebaut. Die höchste liegt der Hauptstadt am nächsten. Das ist die Pumpstation Cima de Togo. Dort wird das Rohöl zweihundert Meter hochgehoben bis auf 2800 Meter Meereshöhe. Die Stadt Mexiko liegt nur 2247 Meter über dem Meeresspiegel, und so braucht das Öl von dort an keine Pumpe mehr. Mit eigener Schwerkraft rinnt es bis zu diesem Punkt.«

Bei diesem Punkt bleibt mein peripatetischer Lehrer stehen und weist mit der Hand auf eine Pfütze: »Das ist die Mündung. Hier endet der große Oleodukt Mexikos. Tagtäglich bringt er dreitausend Kubikmeter Chapopote hierher (in Mexiko verwendet man für Rohöl noch immer dieses indianische Wort), 19 000 Barrels werden binnen 24 Stunden in unserer Raffinerie verarbeitet. Stellen Sie sich vor, wieviel Tankwaggons und Tankautos früher für den Transport nötig waren.«

Ich schaue auf die Mündung. Wäre ich hier allein vorbeigekommen, so hätte ich diesen Sumpf kaum bemerkt, auf dem ein paar irisierende Reflexe spielen. Zwei, drei dicke Röhren kreuzen sich über der Pfütze, an ihrem Rand steht eine Hütte mit einer Pumpe. In den vier Richtungen der Windrose, zweihundert Schritte entfernt, erhebt sich je ein aluminiumglitzerndes Reservoir. Diese vier Riesen werden von den Röhren oberhalb der kleinen Pfütze mit Rohöl gespeist und geben es an die einzelnen Verarbeitungspunkte der Raffinerie weiter.

Ich mache nun, die Einfahrt des Rohöls in die Raffinerie begleitend, meinen Rückweg. Am Kaspischen Meer habe ich 326 Raffinerien im Bau und anderswo Raffinerien in Betrieb gesehen. Was mir hier neu ist, sind zwei Tanks, die nicht in Silberfarbe leuchten, sondern – ein in Fabriken sonst nicht üblicher Farbensinn – ein knallrotes und ein himmelblaues Dach haben. Daß diese Tanks irgend etwas zu tun haben mit der durch die ganze Raffinerie laufenden Rohrleitung, die einen ebenso knallroten und einen ebenso himmelblauen Hahn hat, habe ich mir schon gedacht. Nun frage ich.

»Das ist die Foamite-Anlage«, antwortet der Ingenieur, »die beiden buntgedeckten Tanks sind für die Foamite-Mischung da, und die beiden Röhren führen zu allen Reservoiren und zu allen Destillationsanlagen, um dort eine Feuersbrunst zu löschen, wenn sie ausbrechen sollte.«

Durch die beiden Röhren fließen zwei verschiedene Flüssigkeiten, erklärt der Ingenieur, die sich an der Brandstelle miteinander zu Schaum vermischen; dieser Schaum bedeckt im Nu den extensivsten Brandherd, entzieht ihm den Sauerstoff und verhindert das Feuer, neuen Sauerstoff aufzunehmen.

Außerdem gibt es Feuerwehrstationen mit Pumpen, Sandkästen, Löschapparaten, Leitern, Hacken und allen anderen Feuerlöschmitteln mit Ausnahme von Wasser, – Wasser ins Ölfeuer würde soviel bedeuten wie Öl ins Feuer zu gießen. In der ganzen Raffinerie herrscht Rauchverbot, wohl das einzige Rauchverbot im Lande, das wirklich befolgt wird.

Tag und Nacht wird das Chapopote aus den Reservoiren elektrisch den Destillationsanlagen zugeführt. Selbst wenn der elektrischen Kraft die Kraft ausgehen sollte, gäbe es keine Erholungspause, denn Dampfmaschinen stehen parat, um einzuspringen.

Erste Station auf meinem Marsch entlang des Rohöls ist die Heizanlage. Dort muß es zunächst in die Feuerkammer und durch ein Labyrinth von Röhren rennen, in denen ihm das Leben heiß gemacht wird. 327

Erhitzt kommen Chapopote und ich in der Destillationsanlage an, zu Füßen eines metallenen Rundturms. Ich bleibe draußen, das vorgewärmte Rohöl läuft ein und steigt empor. Im Ölturm geht es zu wie im sozialen Leben der Menschen. Gemeinsam strömen die Massen ein, nach und nach aber spaltet sich die Einheit, immer schwieriger wird es, aufwärts zu kommen. Die Stockwerke sind voneinander durch perforierte Platten getrennt, je höher das Stockwerk, desto kleiner die Löcher, desto schwerer der Aufstieg. Fünfzehn Etagen. Auf jeder macht eine andere Fraktion schlapp, sie ist am Ende ihrer Kraft angelangt, wutzischend braust sie noch einmal auf, kühlt sich aber schnell ab.

Die Fraktion, die auf der Strecke bleibt, wird abgeschleppt, zu ihren unterschiedlichen Bestimmungen. Ganz unten sind die Rückstände, gerade gut genug, verheizt oder zur Asphaltierung verwendet zu werden. Nur was den Gipfel des Turms erreicht, kann sich alsbald in noch höhere Höhen und weitere Weiten schwingen, – eben schwebt ein Flugzeug über der Raffinerie, als wollte es die Geburtsstätte seiner Treibkraft grüßen.

Das Öl ist nun kein Rohöl mehr, sondern Gasolin und Kerosin. In besonderen Raffinierungsanlagen wird es mit Aktiver Erde, mit Schwefel und Chemikalien jener Veredelung ausgesetzt, die früher im Ausland besorgt wurde.

Ich münde mit dem Petroleum in der Distribuidora, einem Hafen auf dem Festland, einem Hafen, in dem alle Arten von Verkehrsmitteln liegen, nur Schiffe nicht. Die Passagiere der Tankautos und Zisternenwaggons sind waagrechte Zylinder. Lokomobilen, Lokomotiven, Schienen. Die Waggons werden an Eisenbahnzüge oder Straßenbahnen gekoppelt, fahren in ferne Fabrikhöfe. Autos bringen das Öl zu den Tankstellen und zu den kleineren Industrien des hauptstädtischen Bezirks. Gasbomben werden zu je vierzig Stück in Autos geladen, um die Haushalte zu beliefern. Ich wende mich an den Gewerkschaftler, den ich innerhalb der 328 Raffinerie vernachlässigt habe, mich mehr der Führung der Rohre und des Ingenieurs anvertrauend.

»Früher gab es kein Gas, nicht wahr?«

»Was, kein Gas?« Er lacht. »In Tampico brannte das Gas nicht nur nachts, sondern den ganzen Tag. Sogar das Meer hatte Gasbeleuchtung, damit die Fische sich nicht verirren.«

Er erklärt, wie das kam: »In den dreißiger Jahren wurde in den Raffinerien der Crackingprozeß eingeführt, und es gab einen Überfluß an Gas. Damals verlangten die Gemeinden, daß ihnen Gas zum Kochen abgegeben werde. Aber die Gesellschaften hatten weder Verteilungsanlagen, noch Lust, solche einzurichten. Sie stellten lieber in jeder Raffinerie ein riesiges senkrechtes Rohr auf und verbrannten darin das Gas. Wie eine rote Fackel beleuchtete das Gas den Himmel des Staates Veracruz und das Wasser des Golfs von Mexiko. Die Bevölkerung hatte nichts davon. Seit der Nationalisierung ist das anders. Das Gas von Poza Rica wird nach Tampico geleitet, dort komprimiert und in Tankwagen hierhergebracht. Hier die Gasanlage mit den Schläuchen füllt die Bomben. Vierzig Prozent des Gaskonsums wird von hier aus gedeckt.«

Wir kommen wieder an einem Raffinerieturm vorbei, und da mir gesagt wird, dieser sei der größte, steigt in mir der Wunsch hoch, selber hochzusteigen. Halb zum Spaß trete ich auf die unterste Leitersprosse und klimme dann die nächsten hinauf, an der Außenwand des Turms, darin sich das Rohöl in verschiedene Stoffe verwandelt. Von der Tiefe des Rohöls und des Asphalts klettere ich zur Höhe von Kerosin und Gasolin, ohne selbst leichter oder gar gasförmig zu werden, und ohne etwas anderes zu sehen, als den Aluminiumanstrich des Turms. Schließlich bin ich an der Endstation angelangt, und auf der Höhe kommt mir der tiefe Gedanke, die genialste Erfindung sei doch die normale Treppe, bei deren Besteigung man keine Schwielen auf der 329 Handfläche bekommt und keine Schmerzen in. den Armmuskeln.

Von der Plattform aus sehe ich die Schlangenpyramide von Tenayuca. Ich sehe die wunderverheißende Kirche der Indios, »Virgen de Guadalupe«, an der der Oleodukt vorbeiführt. Ich sehe vizekönigliche und andere Haciendas, die gleichzeitig Festung, Kirche, Kloster, Landwirtschaftsbetrieb und Liebesnest waren. Dann schaue ich auf die Industriestadt zu meinen Füßen, rauchende Fabriken und Fabriken im Bau. Sie scharen sich um die Raffinerie, die ihnen Blut zuleitet.

Ich blicke senkrecht hinab, um die Mündung des Rohrs zu suchen, das das Öl und die Arbeit hierhergeführt hat. Zwischen den vier Reservoiren entdecke ich endlich die Pfütze. Innerhalb des Quadrats, das die vier Tanks um sie bilden, sproßt Unkraut. Wie ein Schindanger sieht der Platz aus, der wie ein Siegespark aussehen sollte.

 


 


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