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Zum erhöhten Ostrand der Stadt Querétaro kehrt die Muse der Geschichte immer wieder zurück, hartnäckig, aus den verschiedenartigsten Anlässen. Dieser ihr Stammplatz ist höchstens einen Quadratkilometer groß, eine Kirche mit Kloster und Kirchhof, eine kleine Parkanlage und ein Markt mit einem Monument haben gerade noch darauf Raum.
Das erstemal fand sich die geschriebene Geschichte am 24. Juli 1531 auf diesem Qnadratkilometer ein, und zwar in Gestalt des bekehrten Indios Tapia, der in der Taufe den Vornamen Fernando und als Taufgeschenk ein spanisches Offizierspatent erhalten hatte. Er kam mit einem Heerbann gleichfalls christianisierter Indios herangezogen, um die Stadt für König Karl V. zu erobern. Sie hieß damals noch nicht Querétaro, sondern Taxco, was soviel wie »Ballspielplatz« besagt und darauf hindeutet, daß die Bewohner sportliebend waren. Das erwies sich alsbald.
Fernando de Tapia schickte dem Kaziken der Stadt die Aufforderung, sich zu ergeben. Der wußte, daß die Pfeile und Speere seiner Otomi-Indianer wirkungslos an den spanischen Panzern abprallen, daß die Lehmmauern den Kanonen nicht standhalten würden, und er wußte auch, daß bisher keine Ortschaft Mexikos ihrer Eroberung entgangen war. Deshalb machte er einen sportlichen Gegenvorschlag: die beiden Heere mögen zum Faustkampf antreten, waffenlos, Mann gegen Mann, und der siegreichen Mannschaft solle als Preis die Stadt zufallen.
Der Feind nahm die Herausforderung an, und als Ring wurde der flache Hügel Sangremal bestimmt, eben jener Quadratkilometer am Ostrand der Stadt, von dem wir oben 109 sprachen. Am nächsten Tag begann bei Morgenanbruch das große Boxen, und erst als die Sonne unterging, wurde die letzte Runde geschlagen. Die Söldner Spaniens stiegen siegreich aus den Seilen (sofern solche gespannt waren). Hätten die ausgeknockten Querétarenser gewußt, welches Schicksal ihnen bevorstand, so hätten sie an der Seite des Siegers kaum so heiter getanzt, gesungen und musiziert.
An der Stelle dieses Massenboxmatchs ward zuerst ein Kreuz aufgerichtet, dann ein Taufaltar und schließlich um diesen herum eine Kirche, der Templo de la Cruz mitsamt einem Kloster.
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Aber Klio ließ sich nicht irreführen und kam immer wieder auf diesen Ort zurück. Den Spaniern, die die Stadt im Faustkampf gewonnen hatten, ging gerade von hier aus nicht nur die Stadt wieder verloren, sondern auch das ganze riesige Reich Mexiko.
Inmitten des kleinen Klosterfriedhofs, der einen Teil unseres Quadratkilometers ausmacht, steht auf hohem Sockel ein steingemeißelter Sarkophag. Darin liegt die femme venerée der mexikanischen Unabhängigkeitsbewegung, die Corregidora Josefa Ortiz de Domínguez.
Sie war die Gattin des Bürgermeisters von Querétaro, aber ihre Stellung als erste Dame der Stadt konnte ihren Freiheitssinn nicht bändigen, solange ihr Land in spanische Stiefel gespannt war. Sie konspirierte mit den Patrioten ihrer Heimatstadt Querétaro, mit denen der Garnisonstadt San Miguel el Grande (heute San Miguel de Allende) und mit dem Pfarrer des Dorfes Dolores (heute Dolores de Hidalgo). Die Vorbereitungen zum Aufstand waren noch nicht vollendet, erst in drei Wochen sollte losgeschlagen werden. Da, am 15. September 1810, erfuhren der Corregidor und seine Frau, daß die Verschwörung entdeckt und 110 der Befehl gegeben sei, bei Morgengrauen die Beteiligten zu verhaften.
Zwar sympathisierte auch der Corregidor mit den Revolutionären, aber noch mehr liebte er seine Frau. Er fürchtete, sie werde versuchen, ihre Freunde zu warnen und sich dadurch selbst an den Galgen bringen. Deshalb ließ er sie im ersten Stock des Stadthauses einsperren und nahm alle Schlüssel an sich. Wie schlecht kannte er seine Frau!
Die Gefangene dachte nicht daran, sich zu retten und ihre Genossen zugrunde gehen zu lassen. Sie klopfte so lange auf den Fußboden, bis der Gefängniswärter Ignacio Pérez aufmerksam wurde, heraufkam und durch das Sehlüsselloch seine verhaftete Herrin fragte, was sie befehle. Sie befehle, antwortete sie durchs Schlüsselloch, daß er, Ignacio Pérez, sofort nach San Miguel el Grande reite und dem Kapitän Allende bestelle: »Alles verraten!« Wie vierzig Jahre vorher Paul Revere von Boston nach Lexington, wie zwanzig Jahre vorher der Postmeister Drouet von Ste. Menehould nach Varennes geritten waren, um die Revolution ihres Landes zu retten, so galoppierte nun Ignacio Pérez durch Nacht und Nebel. Er überbrachte die Botschaft, der Priester Hidalgo läutete die kleine Glocke der kleinen Kirche seines kleinen Dorfes, der Kapitän Allende und die anderen Offiziere von San Miguel ließen ihre Truppen antreten, und der Kampf um die Unabhängigkeit Mexikos begann . . .
Die Corregidora ist eingeschreint im Herzen Mexikos, ihr Bildnis ist auf Münzen geprägt und auf Briefmarken gedruckt, und viele Denkmäler sind ihr errichtet. Aber das eigentümlichste ist in der Stadt Querétaro, ein Obelisk, der ein überlebensgroßes Schlüsselloch trägt, Denkmal des Schlüssellochs, durch das die revolutionäre Frau das Signal zum Aufflammen der Freiheit flüsterte.
Hier auf dem Quadratkilometer liegt die Corregidora im steinernen Sarkophag. Zuerst hatte die Hauptstadt ihre Gebeine besessen, jedoch Querétaro bestand darauf, seine 111 berühmteste Mitbürgerin bei sich zu haben. Querétaro bekam sie und gleichzeitig die Gebeine ihres Gatten, der die entscheidende Botschaft zu verhindern versucht hatte.
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Auf dem unregelmäßig-dreieckigen Winkel zwischen Friedhofmauer und Landstraße wurde ein Park angelegt, sein Boden ist kein grüner Rasen, sondern roter Sand und Kiesel. Statt Blumen wachsen hier ausschließlich Kakteen, strauchförmige, baumförmige, kugelförmige, schlangenförmige, orgelpfeifenförmige, je eine Sorte auf je einem Beet. Zur Zeit der Blüte tragen die Schlangenkakteen silberne Krönlein wie die Schlangenkönigin im Märchen, die Glieder des Nopal sehen wie Malerpaletten aus, und aus dem Orgelkaktus blühen goldene Notenköpfe auf, als hätten Orgeltöne Gestalt gewonnen.
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Das Kloster ist geschlossen; wenn man es sich öffnen lassen will, muß man beträchtliche Zeit mit Suchen und Warten verbringen. Schließlich hallt der Schritt des Besuchers durch abbröckelnde Korridore und ein verfallenes Refektorium. Nachdem in Mexiko die Klöster aufgehoben wurden, beherbergte der Bau zunächst eine Schule und nachher Soldaten. Wir wollen hoffen, daß die Zeichnungen und Schriften an den Wänden nicht aus der Schulzeit, sondern aus der Kasernenzeit stammen; unzählbare Frauen mit Namen und Adressen sind hier als Huren verflucht, wahrscheinlich, weil sie sich dem Fluchenden gegenüber nicht als solche erwiesen.
Im Klosterhof lagert Gerümpel und Schutt, dicht umwuchert von stachlichem Unkraut. Dazwischen eine zertrümmerte Statue. Sie fiel Anno 1867 von einer Kugel, die 112 Maximilian galt, dem österreichischen Erzherzog, der nach Mexiko gekommen war, um hier mehr als ein Erzherzog zu sein, ein Kaiser. Als seine Haupt- und Residenzstadt von den republikanischen Truppen des Benito Juárez bedroht war, übersiedelte er nach Querétaro.
Wie uns der greise Antonio Ramírez heute früh in seiner Apotheke auf dem Marktplatz so genau schilderte, als hätte er das gestern abend und nicht vor mehr als siebzig Jahren erlebt, kam Maximilian allabendlich um 8 Uhr ganz allein auf die heutige Plaza de la Independencia. »Wir Kinder schlichen hinter ihm her, war er doch der Emperador und trug einen langen goldenen Bart, wie es ihn bei uns zu Lande nicht gibt. Unruhig ging er die Plaza ab und im Kreis um das Beet. Seine Hände hielt er auf dem Rücken verschränkt und die Finger bewegten sich ununterbrochen, was uns Kindern hinter ihm teils komisch, teils aufregend geheimnisvoll vorkam.
Eines Morgens bezog die republikanische Artillerie Stellung auf den Hügelkämmen vor der Stadt, aber zu unserer, der Kinder, großen Enttäuschung fiel den ganzen hellen Tag über kein Schuß. Erst am Abend um 8 Uhr begann das Feuer mit einer erschreckenden Salve wie aus hundert Kanonen. Es richtete sich auf die kleine Plaza, wo die Schützen den Emperador vermuteten. Aber die Salve traf ihn nicht, sie traf bloß die Statue in der Mitte des Beets, schlug ihr den Kopf ab und die Beine. Der steinerne Mann lag nun im Rasen und tagelang umstanden wir ihn und glotzten seinen verstümmelten Körper an. Später wurde er weggeschafft, ich glaube, er liegt noch im Hof des Monasterio.«
In der Tat, da liegt er, der Mann, der einen ihm nicht zugedachten Schuß empfing. Er hieß Marquez de la Vilia del Villar del Aguila und hatte die Stadt Querétaro, die er bewohnte und liebte, vom Wassermangel befreit; vom Jahre 1726 bis zum Jahre 1735 dauerte der Bau des Aquädukts, zu 113 dem der Marquez 88 000 Pesos aus eigener Tasche beisteuerte, ein weißer Rabe unter seinen spanischen Standesgenossen in der Kolonie.
Von unserem Quadratkilometer blicken wir aufs Tal hinab, durch das der Aquädukt unversehrt und auf hochgestreckten Beinen der durstenden Stadt entgegenschreitet.
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Zu ebener Erde des Klosters ist eine leere Halle, noch verfallener als die übrigen Räume. Das war einmal ein Stall oder eine Remise. Ein vier Meter breiter Torbogen ließ die Wagen ins Freie hinaus. Aus Holzbohlen, die mit Eisenklammern verstärkt sind, ist die Türe.
Durch diese Stalltüre schlängelte sich, geführt vom Verrat, am 15. Mai 1867 die Weltgeschichte in den Klosterbau. Das Kloster de la Cruz war jetzt eine strategische Schlüsselstellung und eine Festung, darin die Truppen Maximilians unter dem Kommando des Obersten Miguel López lagerten.
Miguel López verriet. Nicht weil er etwa seinen ausländisch-kaiserlichen Kriegsherrn gehaßt hatte, verriet er. Nicht weil er dessen inländisch-republikanischen Gegner geliebt hätte, verriet er. Sondern er verriet, weil er ein Verräter schlechthin war. Als Verräter wird er auch von den Mexikanern betrachtet.
Durch die Stalltüre des Klosters ließ er die republikanischen Truppen ein, die Kaiserlichen wurden überrumpelt, Querétaro eingenommen und der Wiener Kaiser von Mexiko mußte sich ergeben.
Im ersten Stock ist die Klosterzelle zu sehen, die Maximilian als Gefängniszelle diente von dieser Nacht an. Schlafen hätte er nicht können, auch wenn es seine Gedanken zugelassen hätten. Arbeiter waren im Raum, um die Seitentür ganz zu vermauern und das Fenster bis zur halben Höhe. 114
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Einem meiner Vorfahren, denkt Maximilian, während die Maurer Ziegel aufschichten, einem meiner Vorfahren, dessen Namen ich trage, ist einmal durch ein Wunder ein Ausweg aus der Ausweglosigkeit gewiesen worden. »Kaiser Maximilian auf der Martinswand« heißt die Lesebuchgeschichte. Mich, Maximilian den Nachfahr, wird niemand von meiner Martinswand erretten. Mir bringt der Anfangsbuchstabe meines Namens kein Glück. Meine Misere begann mit Miramare; dort nahm ich die Berufung nach Mexiko an. In Mexiko standen nur wenige Männer zu mir in meinem Mißgeschick. Die Generale Miramón und Mejía sitzen in der Nebenzelle, dem Tod geweiht wie ich.
Der Ehrgeiz meiner Mutter, ihre Söhne auf Thronen zu sehen! Bei meinem Bruder Franz Joseph war es ihr wohl geglückt, aber Heimat ist nicht Fremde, Österreich nicht Mexiko, mein geistesschwacher Onkel Ferdinand nicht Benito Juárez. Einen Benito Juárez kann eine »Erzherzogin Kamarilla« nicht beiseite schieben.
Und die Madame Montijo, Majestät der Franzosen. Sie läßt mich hier im Stich, nachdem sie und ihr Mann mich in mein Malheur hineinmanövriert haben. Der Neffe Napoleons macht den Habsburger zum Kaiser! Welch eine Ironie! Kein Tropfen vom Blut der Bonapartes rollt in ihm, er ist der Sohn des bürgerlichen Herrn Verhuel mit Hortense Beauharnais, wie jedermann weiß.
Noch einen zweiten, ebenso legitimen Sohn hatte sie. Mit ihrem Stallmeister. Dieser Sohn ist das ärgste M, der Miserabelste der Miserablen, Monsieur Morny, Minister und Kammerpräsident von Frankreich, in Wirklichkeit aber Geschäftemacher, Spieler und Abenteurer. Er hat sich mit mexikanischen Staatsanleihen bestechen lassen. Und um sie einzutreiben, hat er den Krieg entfesselt.
Staatsanleihen! Ich wußte nicht, welch ein Betrug dahintersteckt. Erst vor ein paar Tagen bekam ich ein 115 Konvolut von Zeitungsartikeln aus der Wiener »Presse«. Sie sind aus der Zeit, da die Intervention in Mexiko nur ein Projekt war und ich noch nicht einmal im Traum daran dachte, daß ich damit etwas zu tun haben werde. Der Verfasser der Artikel hatte schon damals die Männer und die Machinationen durchschaut, denen ich nun zum Opfer falle: Napoleon den Kleinen, die Mexikaner Marquez und Mendez, die Franzosen Morny und Mirès.
Miramón, jetzt mein Leidensgenosse und Zellennachbar, hat damals eigenmächtig die Staatsschuld aufgenommen. Er quittierte 52 Millionen Dollars und bekam – ungefähr vier Millionen. Das saubere Geschäft führte ein Bankier in Mexiko durch, der Schweizer Jecker. Er ließ Schuldscheine auf die vollen 52 Millionen vom Schwindelbankier Mirès in Paris emittieren, und Monsieur Mirès hat seinerseits den Monsieur Morny mit 30 Prozent beteiligt. Deshalb werden Kriege geführt! Um Profite zu machen, kann ein Jecker Tausende sterben lassen und bleibt im Hintergrund.
Der Mann, der die Artikel in der Wiener Presse schrieb, wußte die Ziffern, die ich erst hier erfuhr, schon vor fünf Jahren. Ein merkwürdiger Mann, er sieht hinter der großen Politik hauptsächlich pekuniäre Dinge, urteilt und prophezeit danach. Und er hat richtig prophezeit. Sogar von diesem Querétaro schrieb er als von dem letzten Schlupfwinkel, wo sich die Reaktion mit Hilfe Mejías und einheimischer Banden in den Bergen noch zu halten vermag. Als der Mann das schrieb, wußte ich nicht einmal, daß es einen Ort namens Querétaro gäbe und einen Mexikaner namens Mejía. Jetzt liege ich in jenem Querétaro neben jenem Mejía in einer Gruft, die man um mich herum zumauert.
Man würde glauben, daß der Verfasser dieser Artikel ein internationaler Finanzmann ist. Aber er soll ein Sozialist sein, ich glaub' das nicht. Karl Marx heißt er; solche Ratgeber hätte ich gebraucht. Nun ist es zu spät. 116
Ich werde hingerichtet werden. Ich habe ja selbst mein Todesurteil unterschrieben: das Dekret, das jeden mexikanischen Republikaner zum Tod verurteilt. Damit habe ich den Präsidenten und sein Volk verurteilt. Damit habe ich die Offiziere und Soldaten von Juárez der Hinrichtung ausgeliefert. Jetzt werden sie mit mir das gleiche tun.
Diese Konjunkturritter in Paris – die Napoleoniden, wie sie sich nennen – haben mich fallen lassen, der ich wirklich ein Enkel Bonapartes bin. Das wissen freilich wenige. Der Herzog von Reichstadt hatte meine Mutter geliebt und ich bin der einzige Sohn des einzigen Sohns von Napoleon. Nicht zufällig hat sie mir das Bild mitgegeben, auf dem sie mit Napoleons Sohn gemalt ist, und mir gesagt, daß ihre Korrespondenz mit ihm im Schloß Buschtiehrad liegt. Aber ich bin kein Erbe von Napoleons Kraft. Ich bin selbst schuld an meinem Schicksal, ich bin mein eigenes M. Ich bin nur Mittelmaß.
Ich bin schuld, und vielleicht ist meine Carlota mitschuldig. Nein, um Gottes willen, nein, das ist nicht wahr, ich will das nicht einmal hier aussprechen, wo mich niemand hört, nicht einmal in dieser Gruft, in die man mich eben einmauert. Ich will nicht daran denken, was höfische Nattern mir ins Ohr zischten, daß Carlota mich betrogen habe, daß sie sich Mutter fühlte und hauptsächlich deshalb nach Europa abfuhr. Auch der Doktor Basch wollte mir das vielleicht sagen, als er, verstört, mich um die Erlaubnis bat, mir eine Privatsache über Ihre Majestät vorbringen zu dürfen. Ich hieß ihn schweigen.
Und wäre es auch wahr, bin nicht ich der Schuldige? Hätte ich nicht wissen müssen, daß man eine junge Frau nicht heiraten darf, wenn man ihr nur psychische Liebe zu bieten vermag? Durfte ich als Monarch in ein Land kommen, wenn ich keine Dynastie schaffen und keine Erbfolge beginnen konnte? Der Wiener Hof wußte, daß ich es nicht 117 kann, und in Mexiko erfuhr man es, als ich den Knaben Iturbide an Kindesstatt annahm, einen Leibeserben, einen legitimen Kronprinzen – adoptierte.
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In Maximilians zweitem Kerker, im Kloster Las Teresitas, dient seine Zelle als Knoblauchmagazin, die Zwiebel liegt darin meterhoch aufgeschichtet, und wer dieses Plateau besteigen wollte, würde vom Duft in die Flucht geschlagen.
Auch seine dritte und letzte Kerkerzelle fand Maximilian in einem Kloster, in dem der Kapuziner. Vom Kapuzinerkloster kam er in die Kapuzinergruft, von Querétaro nach Wien.
Auf diesem Wege lag sein Tod. Als er vor die Stadt Querétaro, auf den Glockenhügel geführt wurde, wußte er nicht, was sich in Europa begab. Seine Carlota sei in Europa gestorben, hatte man ihm erzählt; um ihm den eigenen Tod leichter zu machen.
Manet hat die Füsilierung des Kaisers von Mexiko gemalt, in Wirklichkeit sah sie anders aus. Maximilian stand an jenem 19. Juli 1867 nicht zwischen seinen Generalen Miramón und Mejía, er hatte Miramón den Mittelplatz eingeräumt. Maximilian trug keinen Hut, geschweige denn einen Sombrero, das Peloton war kein nonchalant dastehendes Soldatenhäuflein, sondern ein formiertes Bataillon der Infanterie von Nuevo Leon; keine Mauer war da und keine Bäume im Hintergrund.
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Kaum vier Jahre dauerte es, bis alle, die Maximilian im Kerker von Querétaro verflucht hatte, vom Schicksal ereilt wurden. Die Pariser Kommune machte reinen Tisch. 118 Selbst Jecker, den man gar nicht gesucht hatte, entging seiner Strafe nicht. Als ein Monsieur Icre in Paris um einen Paß ansuchte, stellte sich heraus, daß er nicht so heiße; man forschte nach seinem Vorleben und erfuhr, daß er Jecker sei. Am 26. Mai 1871 wurde er von einem Peloton in den Schanzgraben der damaligen Rue de Puebla (heute Rue des Pyrenées) geführt und erlitt dort den Tod auf die gleiche Weise wie vier Jahre vorher sein Opfer Maximilian.
Das Haus Habsburg hat in Querétaro an der Todesstelle Maximilians eine kalte, geschmacklose Grabkapelle erbauen lassen, wie sie sich zu Hunderten auf jedem Friedhof finden. Die Inschrift spricht nicht von Kaiser Maximilian, sondern vom »Erzherzog Ferdinand Maximilian«, weil die Mexikaner seinen Kaisertitel nicht anerkennen. Im Innern der Kapelle hängen vergilbte Photos von Maximilians Hofstaat. Unter dem Bild der Ehrendame Josefa Velardo wird rühmend vermerkt, daß sie von Nezahualcoyotl abstammt, dem König von Texcoco, während unter dem Photo des Leibarztes Dr. Samuel Basch die ebenso unwichtige Tatsache nicht erwähnt ist, daß er mein Großonkel war.
Seine Biographie hat ein anderer meiner Onkel geschrieben, Professor Heinrich E. Kisch, in dem seinerzeit viel gelesenen Buch »Erlebtes und Erstrebtes«. Als Onkel Sami Basch, sagenumwittert, meinen Brüdern und mir von Mexiko erzählte, lauschten wir scheu und erregt, wir fühlten die Weltgeschichte durch unser Speisezimmer rauschen. Die Erzählung der Szene, wie Onkel Sami zum Kaiser von der Kaiserin sprechen wollte und ihm Schweigen geboten wurde, war mehr an unsere Eltern als an uns gerichtet, und wir verstanden nicht, um was es sich handelte. Dennoch machte sie großen Eindruck auf uns, und ein halbes Jahrhundert später, an der Todesstätte Maximilians, steht sie mir noch klar vor Augen. 119
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So viele kriegerische Ereignisse sich auf dem Quadratkilometer in Querétaro abgespielt haben, – keinem Feldherrn und keinem Kaiser gilt das Denkmal auf dem Marktplatz vor dem Kloster de la Cruz. Es stellt Venustiano Carranza dar, den Präsidenten, der die in Querétaro beschlossene Verfassung in Querétaro sanktioniert hat. Gegen Venustiano Carranza ist politisch und menschlich sehr vieles einzuwenden, nichts aber gegen die Verfassung, und so gilt das Denkmal mehr ihr als ihm. In dieser Konstitution ist das Recht der Nation auf ihre Bodenschätze festgelegt, das Eigentumsrecht der Bauern auf den von ihnen bebauten Boden (Landaufteilung), und der Anspruch der Arbeiter auf den Achtstundentag, auf Mindestlohn, auf Streik und auf Zusammenschluß in Gewerkschaften.
Venustiano Carranza selbst hat sich an diese Verfassung nicht gehalten, und seine Vertrauensleute zogen aus der Umgehung der Verfassung so viel Profit, daß man aus dem Hauptwort »Korruption« die Verbalform »carrancear« bildete.
Aber Carranzas Verfassung besteht noch heute zu Recht, seine Nachfolger im Präsidentenamt haben sich an sie gehalten, und viele Paragraphen wurden durchgeführt.
Vergeßt die Verfassung von Querétaro nicht, scheint das Monument von Querétaro zu sagen, dann wird die Zukunft des Landes Mexiko friedlicher sein als die Vergangenheit, die sich im Mikrokosmos dieses Quadratkilometers bewegt hat. 120