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Die letzte Autobusstation vor meinem Ziel, wahrhaftig, sie sieht anders aus als mein Ziel. Dieser Ort war noch vor ein paar Jahren keiner, hatte aber, ehe er einer war, das Glück, Fundstelle von Petroleum zu werden, die ergiebigste von Mexiko, eine der ergiebigsten der Welt. »Poza Rica«, der reiche Brunnen.
Der Autobus hält etwa eine halbe Stunde im Campamento Poza Rica. Die Tankstelle ist mit Wagen verrammelt, und die Passagiere können betrachten, wie ein aus dem Schoß gefallener Reichtum aussieht. Da drängen sich aneinander, ineinander und übereinander Holzbuden, die aus zerfallenen Holzbuden von anderswo zusammengeklebt sind und aus Bänken und Sitzplätzen zerschellter Wagen. Jeder dieser Bettler des Bauwesens dient tagsüber als Marktbude oder Schenke, nachtsüber als Schlafstelle. Dekadent und steif spazieren Aasgeier mitten durch die Menschenmenge, Hunderte von Aasgeiern, auch sie Nutznießer des Petroleumglücks. Gesättigt und faul wie sie sind, bücken sie sich kaum nach einem fetten Speiserest, die noch gesättigteren und fauleren hocken oben auf den Buden, fast hätte ich geschrieben: auf den Dächern. Aber es gibt keine Dächer.
An der Peripherie blitzen silbern Bohrtürme und Reservoire. Wo die Menschen wohnen, blitzen nur Reflexe auf den Pfützen, die das Campamento in eine Überschwemmungslandschaft verwandeln. Klapperdürre Kinder mit vorspringendem Bauch und scheußliche Hunde wälzen sich in diesem flüssigen Schmutz oder machen hinein, was übrigens auch Erwachsene tun.
Indios, Mestizen, Weiße und Neger kamen aus den toten Häfen des Golfs hierher, als die Kunde vom großen Glück 304 sie erreichte, in Poza Rica sei Taglöhnerarbeit zu finden, ja, man baue sogar eine Raffinerie.
Rechts und links, vorne und hinten, auf der Erde und an der Spitze senkrechter Rohre lodern Flammen, tagaus, tagein. Erdgas wird verbrannt. Mit der Glut der Tropen mischt sich die Glut dieser ewigen Feuersbrünste. Wenn Hydrokarburat seinen Gestank mit jenem einer nichtkanalisierten, feuerumzüngelten Siedlung der Tropenwelt verbündet, sind Kloakengase im Vergleich damit purer Levkojenduft. Da ich wegfahre, denke ich, niemals wird meine Nasenschleimhaut diese Orgie des Gestanks loswerden, niemals, denke ich, wird die höllische Häßlichkeit des Campamento von Poza Rica von meiner Netzhaut verschwinden, niemals.
Niemals? Nach kaum zwanzig Minuten kann ich mir nichts mehr davon ins Gedächtnis zurückrufen, paradiesische Wohlgerüche und Schönheit dringen auf meine Sinne ein. So abrupt und unlogisch wechselt alles in den Tropen.
Hier wachsen Tabak und Gummi durcheinander, Sarsaparille und Banane, Pfeffer und Zuckerrohr, Kokosnuß und Tamarinde. Zwanzig voneinander ganz verschiedene Arten von Grün – wieso sieht die Farbenlehre solchen Exzessen untätig zu? Und die Düfte! Einst habe ich ihr Gegenteil erlebt, das war im Campamento von Poza Rica, du lieber Gott, wie lange ist das her!
Ich fahre ein in Papantla, der Hauptstadt des Vanillelands, ein sonnenheller, freundlicher Ort, auf Hügeln erbaut, von Hügeln umgeben. Stolz zeigt man mir in der Gartenanlage auf dem Stadtplatz eine Vanillepflanze. Sie sieht recht kläglich aus; eine zweite, die im Garten eines Vanille-Exporteurs wächst, soll besser instand sein.
An der Autobushaltestelle sitzen Indiomänner, Indiofrauen gehen mit Einkäufen vorbei, alle barfüßig. Die Frauen sind weiß gekleidet, weißer Musselinrock, weißer Spitzenschal, die Mädchen tragen rosa Blusen und im Haar ein buntes Band und Blumen. 305
Totonacu-Indios. Sie wohnen in den Congregaciones, Dörfern im Urwald, ringsumher, nicht mehr wie in grauer Vorzeit in prächtigen Städten. Selbst von ihrer Hauptstadt Cempoalla, die das spanische Heer beim Einmarsch für eine Stadt aus getriebenem Silber hielt, gibt es kaum eine Spur mehr. Auch die zaubermärchenhafte Palastruine Tajin, die im Walde bei Papantla träumt, ist nur noch Trümmerwerk. Von alten Gebräuchen ist noch der Tanz der Flieger erhalten, eine halsbrecherisch-akrobatische Kunst, die alljährlich am Fronleichnamstag vorgeführt wird.
Die Totonaken haben eine Vergangenheit, aber keine Geschichte. Nur einmal traten sie weltentscheidend auf den Plan. Das war 1519 im Lager des Cortez nahe der Stadt Veracruz, die noch nicht gegründet war und auch gar nicht gegründet werden sollte. Im Gegenteil, Cortez war eben dabei, Anker zu lichten, um mit seiner chancenlosen Kompanie nach Cuba zurückzusegeln, obwohl dort der Galgen seiner harrte. Da kam eine Abordnung der Totonaken und bat um Hilfe gegen den Aztekenkönig, der ihr Land unterworfen hatte und Jünglinge und Mädchen für seinen Opferaltar forderte. Sie stellten Cortez fünfzigtausend Mann zur Verfügung, und damit begann der Feldzug, die Eroberung Mexikos, die Hispanisierung Amerikas, bei der mit den besiegten Stämmen auch die siegreichen Totonaken historisch ausgerottet wurden.
Erbittert darüber, daß sie, die durch ihren Feind Moctezuma die halbe Freiheit verloren hatten, nun durch ihren Freund Cortez der ganzen beraubt wurden, lehnten sie jeden Verkehr mit den Weißen ab. Sie arbeiteten nicht für sie, lernten deren Sprache nicht und zogen sich in den undurchdringlichen Urwald zurück, ihre Städte und Tempel dem Verfall preisgebend.
Dort pflanzen, pflegen und pflücken sie die Vanille und verkaufen die Frucht an die Weißen, ohne aber ihren vierhundert Jahre alten Haß gegen die Weißen aufzugeben. 306
Noch älter als ihr Haß ist die Vanille. Sie, die Schwarzblume, wuchs im Gebiet der Totonaken und sonst nirgendwo, lange bevor sich die europäischen Potentaten und deren Meisterköche eine so köstliche Spezerei auch nur träumen ließen. Zusammen mit dem Kakao, der gleichfalls ihr Ureigentum war, hatten die Totonaken, diese »Wilden«, die Vanille geschlürft. Wenn sie Vanille ohne Kakao einnahmen, so geschah es um der aphrodisiakischen Wirkungen willen oder als Medizin gegen Frauenkrankheiten. Damals wuchs die Schwarzblume aus den Jagdgründen der Totonaken nur wild auf, damals wie heute eine Liane, die sich an fremde Bäume schmiegt. Denn sie ist, nehmt alles nur in allem, ein Schmarotzer, ein Parasit, ein Luftikus. Daran ändern die Tatsachen nichts, daß sie einer angesehenen Familie entstammt, eine geborene Orchidee ist, und heutzutage angebaut wird. So kommt zu der merkwürdigen Eigenschaft dieses Parasiten, nützlich zu sein, die nicht minder merkwürdige hinzu, landwirtschaftlich gezüchtet zu werden. Zu Füßen irgendeines Baumes, auf dem der Pfeffer wächst oder hoch der Lorbeer steht, werden zwei Steckreiser von Epidendrum vanilla eingepflanzt oder unten an den Stamm gebunden. So, und jetzt schmarotze mal tüchtig.
Der angesteckte Stengel tut wie ihm geheißen. Er schlingt sich an dem ihm zugewiesenen Baumstamm hoch und höher und beginnt vom vierten Lebensjahr an Blütentrauben zu treiben. Hier greift wieder der Mensch ein, denn er verläßt sich nicht darauf, daß launische Winde und flatterhafte Insekten die männlichen und die weiblichen Organe der Vanille rechtzeitig zusammenfügen. Eile ist vonnöten. Die Blüte, die nicht innerhalb von zwanzig Apriltagen den Liebesgruß empfängt, empfängt ihn nie. Auch dann nicht, wenn der potentielle Geschlechtspartner im gleichen Kämmerchen wohnt, wie dies bei der Vanille der Fall ist. Obwohl sie ein Zwitter, ein Hermaphrodit ist, kommen die männlichen Spermatozoiden und die weiblichen Eizellen nicht immer zusammen, dieweil ein Häutchen sie trennt. 307
Da helfen denn die Totonakenmädchen nach, genauer als Schmetterlinge und schneller als die Wespe namens Avispa negra oder die Biene Melipona. Die Mädchenfinger lösen in den ersten Morgenstunden jener zwanzig Apriltage das Jungfernhäutchen von vier Blüten jeder Traube und legen den Samen in vier Samenscheiden, die Vaginula oder Vanilla, mit welchem Wort wegen ihrer Form auch die Frucht benamst ist und schließlich – welch ein frivoles Pars pro toto – die ganze Pflanze.
Nachdem die schotenartige Frucht geboren ist, bleibt sie an der Mutterbrust und entwickelt sich zunächst (bis zum August) bloß in die Länge und nachher (bis zum November) in die Breite, wobei sie stramm und fleischig wird. Erst vom Mondwechsel des November an ist die Pflücke erlaubt, und bis Januar mündet alles, was an Schoten in den Wäldern der zehntausend Vanille-Indios entstand, in die Höfe der dreißig Vanille-Industriellen, die manchmal auch Großhändler sind.
Diese erste Phase des Vanille-Welthandels steht unter dem Zeichen der Angst vor dem Betrogenwerden. Mißtrauen Nummer eins richtet sich gegen alles, was Mensch ist, einschließlich des Stammesbruders in der Congregacion. Infolge dieses Mißtrauens sind die Vanilales, die Pflanzungen, durchweg Kleinbetriebe geblieben. Keine ist größer als drei Hektar, damit sie vom Auge des Besitzers überblickt und nicht zum Tummelplatz von Dieben werden kann.
Aber Mißtrauen Nummer eins ist nichts gegen Mißtrauen Nummer zwei, dasjenige, das sich gegen jedweden Weißen richtet. In der Jahreszeit, da die kostbare Schote aus dem heimatlichen Wald hinabgeschafft wird in den Dschungel der Geschäfte, verwandelt sich der Frieden der Atmosphäre in Lug und Trug. »Tiempo de vainila – tiempo de mentira.«
Es gibt manchen »Acopiador«, Ansammler, der sich in das Dickicht wagt, um die Ernten zu kaufen, mögen diese noch gar nicht vorhanden oder schon an einen Großhändler 308 verkauft sein. Er überbietet, verspricht und lügt, und ist »muy ladino«, sehr pfiffig, so sehr pfiffig, daß die Indios trotz all ihrem Argwohn seiner Suada unterliegen. Aber auch der Großhändler leidet nicht an Aufrichtigkeit. Nie wird er dem Indio verraten, wie die Nachfrage auf dem Markt steht. Und der Indio seinerseits läßt selbst jenen Großhändler, dem seine Congregacion seit Generationen die Ernte abführt, darüber im Dunkel, wie die Blume in diesem Jahr ausfallen wird.
Ist unten in Papantla, Guluérrez Zamora oder San José Acanteno der Preis ausgehandelt und – ich greife dem Verlauf der Ereignisse etwas vor – die Ware abgeliefert, so wird der Erlös unter allerhand Vorsichtsmaßregeln einkassiert. Nie holt der Pflanzer das Geld selbst ab, denn er fürchtet einen Raubüberfall. So läßt er es zunächst beim Händler liegen: nach ein paar Wochen erst schickt er einen Sohn oder Verwandten oder auch nur, das ist noch unauffälliger, einen Ariero hinab, der in Betreuung der Maultiere in Ehren ergraut ist. Der soll das Geld abholen, – nein beileibe nicht das ganze Geld, nur einen Teil davon. Von ferne beobachtet der Pflanzer den Boten, ob diesem keine Gefahr auflauert.
Scheck? Bankkonto? Das gibt es nicht, nicht einmal Papiergeld wird abgenommen, nur klingende Münze. Aber so viel Silbergeld wie die Vanillekäufe erfordern, besitzt nicht einmal die Bank. Dieser Tatsache verdanken die Chauffeure der Autobusstrecke Mexico–Tuxpan einen lukrativen Nebenberuf: Sie haben in der Hauptstadt Silberpesos aufzutreiben und nach Papantla mitzubringen. Davon bekommen sie ein halbes Prozent, was manchmal bei einer einzigen Fahrt mehrere hundert Pesos ausmacht. (Eine ähnliche Erscheinung fand ich in Yucatán, wo den Pflanzern und Arbeitern des Henequen wöchentlich zwei Millionen Pesos in Silber ausgezahlt werden müssen.)
Die Vanillepflanzer vergraben ihr Geld, das ist sicher, und mancher stirbt unversehens, ohne seiner Familie die 309 Schatzstelle gezeigt zu haben – der Waldboden, der die Vanillereichtümer aufsprießen läßt, nimmt ihren Erlös in gemünztem Silber wieder an sich.
In Matten gepackt und auf Maultieren schaukelnd, bewegt sich das Ergebnis der Pflücke der Stadt zu. Was man oben im Wald aufpackt, wurde dort nach Millares, je tausend Stück gezählt, was man unten ablädt, wird nach Pfunden (zu je 460 Gramm) gewogen: ein Mauleselchen schleppt zwei bis drei Millares, siebzig Kilo, im Wert von etwa tausend Pesos.
Ablieferungspunkt sind die Beneficios, die Veredelungsanstalten. Spiegelglatt und reingefegt bieten sich ihre Höfe dar und ebenso die Wärmekammern des Hofgebäudes. Drinnen wird die Vanille gleich nach ihrer Ankunft auf Espigueras und Camillas gebettet, Lagerstätten aus Zedernholz, das zwar teuer, aber auch glatt ist und daher die Schote nicht kratzt. (Jener Baum, an dem die Vanille Zeit ihres Waldlebens schmarotzt hat, ist nicht gut genug, ihr nur als Unterlage zu dienen; dereinst wird auch er um seines Ex-Untermieters willen gefällt und zu Kistenbrettern gehobelt werden für den Versand.)
Nach der Trocknung und Entwässerung in der Heißluftkammer (72 Stunden bei 60 Grad) erfolgt ein langwieriger und kontinuierlicher Arbeitsgang, bei dem die Sonne das Produktionsmittel ist. Sie wirkt mehrere Stunden lang auf die Schoten ein, die zu Tausenden im Hof auf blitzblanke Binsenmatten gebreitet sind. Auf daß sie bei dieser Siesta nicht gestört oder gar gekidnapped werden, schießt das Personal des Beneficios Salven von Erstickungsgasen gegen das Geschwader des heranschwirrenden Feindes, die Aasgeier. Denn auch die Aasgeier lieben Spezereien, würden vielleicht gerne auf Kadaver verzichten, wenn man sie an die Vanille heranließe.
Diese wird, nachdem sie ihr Sonnenbad absolviert hat, für mindestens vierundzwanzig Stunden in den Schatten gelegt. Fünfzehn- bis achtzehnmal wiederholt sich die Prozedur, wobei die Vanille ihre Flüssigkeit ausschwitzt. Im Hauptgebäude 310 der Fabrik sind Spezialisten am Werk. Allein in Papantla gibt es dreihundert Arbeiter der Vanilleveredlung, sie bilden ein Syndikat und beziehen gestaffelte Löhne; die Tendedores, die ordnen und trocknen und packen: fünf Pesos pro Tag. Die »Offiziere«, welche ihre Hände mit Alkohol waschen und dennoch die Schoten nur mit der Pinzette aufnehmen, um jede einzeln zu prüfen und zu behandeln, haben einen Tagelohn von sieben Pesos, und der Meister, nach dem Unternehmer der Höchste im Betrieb, neun Pesos. Täglich wird gearbeitet (der Meister kommt auch am Sonntag, um seine Vanille zu kontrollieren), sieben Monate lang, von November bis Mai.
Eine schmerzliche Nebenerscheinung dieser Arbeitsprozesse ist es, daß sie das Gewicht der Ware vermindern. Je sieben Kilo grüner Vanille ergeben nur ein einziges Kilo der veredelten, komprimierten. In Madagaskar genügen vier Kilo grüner Vanille zur Herstellung eines Fertigkilos, weil die Natur Afrikas der Vanille mehr Konsistenz schenkt. Aber mit dieser Erklärung will sich Mexiko nicht zufrieden geben und grübelt, wie man es auch hier erreichen könnte, für drei Kilo Handelsvanille weniger als einundzwanzig Kilo Rohvanille zu benötigen.
Von Arbeitsgang zu Arbeitsgang werden die Schoten glänzender und trockener und dichter. Für mich, einen blutigen Laien, sieht ein Stück wie das andere aus, ein Schnürsenkel von schokoladenbrauner Farbe und mit der unebenen Haut von Rosinen. Und da ich schon Schokolade und Rosinen zur Parallele heranziehe, ziehe ich auch Feigen heran: das Innere der Vanilleschale ähnelt dem der Feige mit ihrem Mus und ihren zahllosen Körnchen. Trotz dieser scheinbaren Gleichheit liegen hier, wie man mir zeigt, fünf Sorten vor, voneinander durchaus verschieden, sowohl was die Länge und die Farbe als auch den »Tacto« anbelangt, das heißt, ob sich die Vanille trocken oder fleischig anfühlt. Und jede Sorte wiederum wird als Ganze (Entera) oder als Geschnittene (Picadura) gemarktet. 311
In zinnernen Büchsen, die mit paraffiniertem Papier liebevoll ausgelegt und in Holzkisten gepackt sind, reist die Vanille via Laredo ins New York Warehouse, wo sie ihre afrikanische Schwester La Bourbon treffen und mit ihr den Kampf um den Preis ausfechten wird.
Wie auch immer dieser Kampf ausfällt, der Preis ist für die Heimaten der Vanille unerschwinglich. Dem Lande Mexiko bleibt von seiner Vanille fast nichts für den eigenen Haushalt; im Jahre 1941 zum Beispiel, als 261 000 Kilogramm die Bahnfahrt von Papantla nach New York machten, blieben kaum zweitausend Kilo zu Hause. Selbstverständlich liegt ein solches Restchen unter dem Bedarf, und das Vanille-Defizit des Vanille-Exportlandes wird durch Import minderwertiger Vanille aus dem Konkurrenzland Tahiti gedeckt sowie durch synthetische Vanille, der geschworenen Todfeindin der echten.
Weit mehr als die Hälfte der Weltproduktion liefert in Zeiten des Friedens Madagaskar. Dorthin kam die Vanille 1850 auf dem Umweg über den Pariser Jardin des Plantes; die Franzosen hatten sich aus der Gegend von Papantla und Misantla einige Pflanzen geholt und, nachdem sie sie in Paris botanisch untersucht hatten, in ihren afrikanischen Kolonien angepflanzt. Dank dieses Experiments werden auf dem Seychelles-Archipel und auf Madagaskar über 4000 Tonnen jährlich geerntet, und das französische Imperium steht sowohl an der Spitze der Vanille-Produktion wie des europäischen Vanille-Großhandels. Aber den Terminhandel kann die Vanille nicht leiden. Sie widersetzt sich ihm mit dem starken Mittel des Schwachen, mit ihrer leichten Verderblichkeit. 1924 half sie dem normalen Markt, den Vanille-Corner zum Scheitern zu bringen, den die Firma »Demair frères« in Marseille hervorgerufen hatte; das Fracasso kostete die Brüder fünfzig Millionen Francs.
1m Konsum sind die Nordamerikaner aller Welt voran. Sie beziehen, sofern es ihnen der Krieg und der eingeschränkte Schiffsverkehr mit Afrika, und sofern es ihnen Regengüsse, 312 Dürre oder die Nordwinde im Golf von Mexiko nicht verwehren, 450 Tonnen, das sind 65 Prozent der Welternte, wovon sie etwas reexportieren, meist in Form von Vanilleessenz oder Vanilleextrakt. Die anderen Länder beziehen nur so viel, daß ihre Schokoladen- und Konfitürenfabriken nicht stillestehen müssen und die Hausfrauen ihre Puddings machen können.
Zwei Vanille-Produkte erzeugt und konsumiert Amerika fast ganz allein: Kaugummi und Eiscreme. Diese beiden Genüsse, ohne die der Yankee nicht leben kann, könnten ihrerseits nicht leben ohne die jeden Weißen hassenden Totonaken. 313