Egon Erwin Kisch
Entdeckungen in Mexiko
Egon Erwin Kisch

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Ein Vulkan bricht aus

Ich sitze auf dem Trittbrett eines Autos, um zu skizzieren, was sich vor mir begibt. Mit grellem Hohn beleuchtet das Modell mein Papier. Für dieses Modell gibt es keinen Begriff. Es ist kein Lebewesen und lebt dennoch in unausgesetzter Bewegung. Es ist ein geologisches oder ein mineralogisches Ding, jedenfalls anorganisch, und dennoch tobt es und faucht es und grölt es und wirft Steine und Spott auf mein Papier.

Heute nachmittag kam ich zu diesem Wesen, das sich vor zwei Wochen aus dem Bauch von Mutter Erde zu gebären begonnen hat und sich mit dem losgelösten Teil des Körpers hochreckte und immer höher, hundert Meter, zweihundert Meter. Das Neugeborene schrie zum Himmel, sein Nabel war entzündet, es spritzte Blut und Galle, es fauchte die Atmosphäre voll und schüttete eine Riesenmenge Unrat aus sich.

Dieser Unrat liegt um den entstehenden Berg wie ein Mühlstein oder wie die Krempe eines Sombreros. Das Material ist Schlacke. Ihre großen, scharfzackigen Stücke drücken sich aneinander, als wären sie gewebt und geplättet zu einem überdimensionalen Sombrero, als wären sie gemeißelt zum Mühlstein für Gottes Mühlen. Dick ist der Stoff der Krempe, dick der Mühlstein, zwölf Meter dick.

Ich trat an diese zwölf Meter hohe Lavawand, aber ich konnte sie nicht berühren, sie ergriff mich mit ihrer Glut. So ging ich denn die Glut ab. Kilometer im Kreise. Es klirrte im Gemäuer, rasselte wie Eisenketten, einer oder der andere der Mauersteine löste sich und fiel herab. Nur als Ganzes und nur allmählich erweitert sich der Kreis der Lava, wie ein Wellenring, zehn Meter per Tag rückt der Rand vor, immer 17 senkrecht bleibend. Was im Wege steht, wird mitgenommen, hohe Bäume verschwinden ohne Spur.

Ich hatte mir Lava als etwas Dickflüssiges, Glasiges vorgestellt, einen Strom. Das hier jedoch war plumpes, zackiges, dunkelgraues Geröll. Nicht einmal entfernt verwandt ist es dem Obsidian, der wie ein düsterer Halbedelstein dem Durchwanderer mexikanischer Zonen oft entgegenfunkelt; aus der zu Obsidian erkalteten Lava erzeugten die Indios Waffen und Werkzeuge, Idolos und Schmuck, – aus den Bestandteilen dieser Mauer ließe sich gar nichts machen. Sie sind Steine, aus dem ewigen Dunkel des Erdenschoßes dem ewigen Hell der Sonne zugeworfen. Steil fielen sie nieder hart neben dem Krater, aus dem sie kamen. Aber schon nach einigen Sekunden, mit dem nächsten Ausbruch, langten neue Emigranten an, wollten der Heimat möglichst nahe bleiben, und drängten die Erstankömmlinge zur Seite. Die rückten ab in konzentrischem Kreis, Schritt für Schritt, zehn Meter in vierundzwanzig Stunden.

Das Vorfeld des Vulkans und seines Lavakreises ist flaches Land, Maisfeld und Kuhweide, hier und da ein mit Nadelwald bestandener Hügel, dessen Fuß jetzt auf der dem Vulkan zugekehrten Seite zwölf Meter hoch mit Lavablöcken bedeckt ist.

Auf der anderen Seite eines solchen Hügels versuchte ich emporzuklettern. Die Steigung war nicht groß, aber staubige Asche bedeckte den Hang, so daß ich bis zu den Knien einsank. Leicht buddelte ich mich wieder heraus und kroch bäuchlings weiter, wobei mir Äste halbverschütteter Bäume hilfsbereit die Hand reichten.

Von der Höhe konnte ich das Lavafeld übersehen. Block neben Block, grau und rauchend, bewegte sich mit unheimlicher Langsamkeit, ein Ozean aus geschmolzenem Basalt, eine Sahara aus halberstarrten Schlacken. Nichts, nichts, nichts Menschliches, keine Verbindung zu irgendeinem Lebewesen. Jene anderen Wüsten, jene anderen Meere, die 18 bislang diesem Geröll Heimat waren, niemals wurden sie von einer Karawane durchquert oder von einem Schiff befahren, von jener Welt unter der Erdkruste berichten nur Theorien und Hypothesen.

Hier auf meines Hügels Zinnen stand ich in der Höhe des Kraters, dem Krater gegenüber. Er erglänzte in überirdischer (oder soll ich sagen: unterirdischer?) Beleuchtung. Viel ging darin vor, jedoch es war, als blickte ich statt in den mich blendenden Schein in eine schwarze Nacht, so wenig konnte ich erkennen. Selbst wenn ich nur aussage, daß der Krater als Mulde oben auf dem Berg eingebettet liegt, ist diese Aussage falsch. Die Öffnung der Erde ist tiefer unten, auf dem verschütteten Maisfeld eines Mannes aus der nahen Ortschaft Paricutín.

Dieser Mann, der Indio Dionisio Pulido, kam vor vierzehn Tagen, am Nachmittag des 20. Februar 1943, hierher und sah plötzlich, wie seine Ackerfläche auseinanderklaffte, sich hochhob, zu qualmen und zu donnern begann, und er nahm die Beine in die Hände.

Von Dionisios Maisfeld blieb nichts übrig, nie wieder in aller Ewigkeit wird es ein Maisfeld sein. Denn der Krater hat es vollgespien und speit weiter, so daß ein Berg entstand, der ununterbrochen wächst, und auf dessen Plateau nun der Krater eingebettet scheint gleich einer Mulde.

Aus dieser Mulde schießt alle vier oder sechs Sekunden die Rauch- und Feuersäule ins Firmament. Neunmal nacheinander sind die Explosionen verhältnismäßig schwach, dann kommen vier von mittlerem Grad, dann zwei starke und schließlich die stärkste, eine unheimliche, fulminante Eruption. Diese Reihenfolge wird eingehalten, wenn auch nicht die Intervalle. Manchmal platzt eine starke Detonation rücksichtslos in eine schwache hinein.

Schon heute morgen und aus einer Ferne von Meilen hatte ich, als ich durch den Staat Michoacán hierher fuhr, die Rauch- und Feuersäule gesehen. Da war sie freilich nur 19 eine Rauchsäule schlechthin gewesen. Auch am Nachmittag, als ich bei ihr ankam, schien sie aus Qualm und Dampf zu bestehen, ein enormer Blumenkohl aus Rauch, in dessen Mitte ein rötlicher Strunk schimmerte. Mit Anbruch der Dunkelheit wurde es anders.

Mit Anbruch der Dunkelheit wurde alles hell. Vor allem die Rauchsäule. Die ist jetzt zur Feuersäule geworden. Rot springt sie auf, rot ragt sie hoch, rot verschwindet sie. Die Flamme, die nachmittags kaum eine Unterströmung des wallenden Rauches war, dominiert absolut, und der graue Dampf darf nur mehr wie ein Schatten in ihrem Innern umherhuschen.

In heißen Farben vollzieht sich ihr Aufsprung, aufregend und in wechselvollen Formen. Einmal ist es ein Roß, das aus dem Berg heraussprengt, sich aufbäumt, schnaubt und zusammenbricht. Einmal erscheint eine allegorische Statue mit einer Fackel in der erhobenen Hand, – Symbol, das im kosmischen Nu zu einem spurlosen Nichts vergeht. Einmal wächst aus dem Zauberberg eine Palme auf mit breitem goldenem Stamm, goldenem Astwerk und goldenen Früchten; ach, der Stamm zersplittert, die Zweige zerbrechen und die Kokosnüsse fallen zu Boden, bevor ich mich dessen versehe. Einmal scheint die Feuersäule eine wirkliche Säule zu sein, eine barocke Säule mit üppigen Ausbuchtungen und Windungen, die wie Brüste, Hüften und Becken sind, lockend reckt sie sich bis zum Himmel, um zu bersten, wenn sie ihr Ziel erreicht. Einmal ist sie ein Feuerwerk mit steil aufzischenden Raketen und platzenden Sprühregenkörperchen, ein Feuerwerk, wie es der erste Schloßherr von Versailles nicht erträumte.

Ununterbrochen keucht es aus dem Krater stoßartig wie eine Lokomotive, ununterbrochen schießt eine Batterie, auch während die Eruption hochgeht, absackt und erlischt. Wenn eine Seeschlacht tobt, wenn Chemikalien explodieren, wenn eine bombardierte Stadt zum Flammenmeer wird, wenn 20 Hochöfen lodern, – ich weiß den Grund. Aber hier? Weshalb faucht es und donnert es, warum werden Fels und Brand und Asche zuerst himmelan und dann erdwärts geschleudert, wer und was schafft da in diesem Schlund, wie lange wird das dauern, noch einen Tag oder ein Jahrtausend?

Wäre es für die gärende Unterwelt nicht bequemer gewesen, durch die unergründlich tiefen Schluchten der Gegend, die »Barrancas«, oder durch die Kanäle und Trichter der schon vorhandenen Vulkane aufzustoßen als durch dieses Tal? Warum ward gerade das stille Paricutín auserkoren, und darin der Acker des Indios Dionisio Pulido?

Am Nachmittag sah ich Steine aus dem Krater fliegen, die sich unterwegs aus der Rauchsäule lösten und in alle Himmelsrichtungen absprangen. Vom Abenddämmer an aber sind es Feuerblöcke. Sie fahren dem Sternbild des Orion zu,. und einen Augenblick lang scheinen sie ihm anzugehören. Ist dieser Augenblick vergangen, dann blitzen sie sternschnuppenartig auf den Berg hernieder, den vor ihnen andere Feuerblöcke geschaffen haben. Viele der Sternsteine fallen in den Krater zurück, andere auf den Gipfel des Bergkegels und kullern und purzeln von dort herab. Als wäre die Basis des Bergkegels in 360 Grad eingeteilt, rollt zu jedem Grad von der Spitze eine goldene Strähne, dreihundertsechzig Lawinen aus flüssigem Gold. Der Berg wird durchsichtig.

Ich höre die Kanonade nicht mehr, ich spüre den Brandgeruch nicht mehr, ich fühle die Hitze nicht mehr. Ich schaue nur und bin in Visionen verstrickt.

Tagsüber war der Lavarand eine Mauer aus dunkelgrauen, blaugrauen Basaltschlacken. Nachtsüber aber stehen die Blöcke in Brand. Ich könnte beeiden, daß ich die Grande Corniche vor mir habe: hellbeleuchtet schiebt sich das Casino de la Jetée ins Meer, es brennen in waagrechter, regelmäßiger Kette die Straßenlampen der Promenade des 21 Anglais, dann schwingt sich die Lichterkette hügelan und hügelab und mündet in der illuminierten Kuppel der Spielerkathedrale von Monte Carlo. Dazwischen, von Lichtreklamen überwölbt, Bars, Pavillons und Geschäfte mit Juwelen und allen erdenklichen Arten von Glanz. Der Glanz beleuchtet das Papier, auf dem ich schreibe.

Vor vierzehn Tagen gab es auf dem Podium dieser Gaukelspiele noch wirkliches Leben. Das ist weg für immerdar, weg ist das Gras mit Käfer und Wurm, weg das Maisfeld mit Feldmaus und Maulwurf, weg der Baum mit Vogel und Schmetterling, weg die Weide mit Kuh und Esel. Im Umkreis aber, hart am Rand des Ausbruchs, setzt sich das Leben fort.

Vögel schwirren umher, für die es doch eine Kleinigkeit wäre, sich in eine kühle, von Gedröhn und Geblitz nicht gestörte Sphäre zu erheben. Ganz tief fliegen diese farbenreichen Vögel, nahe dem aschenbedeckten Erdboden, an meinen Knien vorbei, wahrscheinlich suchen sie ihr Nest und ihre Familie und finden sich nicht zurecht in der total veränderten Gegend.

Schütter steht der Wald da. Den Bäumen ist in Mannshöhe ein Stück Rinde ausgeschnitten, das nackte Holz schaut heraus, und wenn vom Vulkan her Reflexe auf dieses gelbe Gesicht fallen, schneidet es Grimassen. Unheimlich ist es, den zuckenden Fratzen ausgesetzt zu sein, obwohl man weiß, daß sie nur Schnitte im Baumstamm sind, aus denen das Harz in ein darunter angebrachtes Gefäß fließt.

Ich kenne die Psychologie von Vulkanen nicht. Ist der eben erstandene enttäuscht, weil er ein Objekt der Neugierde, des Geldverdienens und der Sensation geworden ist? Seit Vulkangedenken ist es noch keinem ergangen wie ihm. Man hängt ihm ein Mikrophon vor die Nase, und er muß hineinkeuchen, hineinhusten oder hineindonnern für die Rundfunkhörer der Kontinente. Man stellt ihm einen photographischen Apparat vor die Nase, und jeden Anblick, den er profil oder en face bietet, bietet er den Abonnenten 22 der illustrierten Weltpresse dar. Man streckt ihm eine Filmkamera vor die Nase, und wie er sich räuspert und wie er spuckt, wie er sich bewegt, er räuspert und spuckt und bewegt sich für das gesamte Kinopublikum oberhalb der von ihm mutwillig durchbrochenen Erdrinde.

Außerdem sitzt ihm die Wissenschaft auf der Pelle, beäugt ihn, behorcht ihn, fühlt ihm den Puls und mißt ihm die Temperatur. Wie oft er vomiert, wie oft er Stuhlgang hat, kaum getan, ist es schon in Skalen und Tabellen eingetragen, – wie ungestört hatte sich das alles im Schoß der Erde vollzogen!

Auf dem Hügel, den ich bis zu den Knien einsinkend erklomm, haben die Gelehrten ihre Zelte aufgeschlagen. Zwei der Studenten kenne ich, »vom Harz bis Hellas nichts als Vettern«, wie Vetter Mephistopheles konstatiert.

Sie erzählen mir von dem vulkanischen Baby. Sogar die Tiefe, der es entstammt, sei festgestellt, festgestellt ohne Lot: 32 Kilometer. Das wisse man, weil alles emporkommende Material dem Pliocän angehört, der jüngsten in jener Tiefe gelegenen Tertiärschicht. Das Klima dort unten sei mit 1100 Grad Hitze errechnet, denn bei dieser Temperatur schmelze der Basalt zu jenen Schlacken, die vor uns liegen. Die Lavatrümmer am Bergesfuß bedecken zwei Quadratkilometer Boden und bewegen sich pro Tag zehn Meter zur Seite und neunzig Zentimeter in die Höhe. In den Blöcken seien vier bis fünf Prozent Eisen enthalten.

Was den Bergkegelstumpf anbelangt, so entwickle er sich seit seiner Geburtsstunde geradezu prächtig. Seit gestern wuchs er um viereinhalb Meter, jetzt messe er schon zweihundertzwanzig Meter. Seine Basis sei ein fast geometrisch genauer Kreis von fünfhundert Metern Durchmesser, und der Durchmesser des Gipfelplateaus betrage einhundertfünfzig Meter. Die Hänge neigen sich im Winkel von fünfunddreißig Grad. 23

»Und die Fahne, Kameraden?«

»Die Fumarole? Sie ist nicht immer gleich hoch, aber durchschnittlich tausend Meter. Bis höchstens sechshundert Meter reißt sie Eruptionsgestein mit sich und Asche. Der größte der Blöcke hatte vier Kubikmeter.«

Dann erzählen sie mir noch, daß es sich um einen wirklichen Vulkan handelt, woran ich eigentlich nie gezweifelt hatte. Ich möge nicht etwa glauben, es sei eine bloße Extorsion, eine Aufbäumung des Bodens, wie sie oft von tektonischen Beben verursacht wird und in vulkanischen Gegenden auch Feuer und Rauch und Stein hochschlagen kann. Das sei der erste Vulkan, der seit dem Jorullo in Mexiko geboren wurde.

Der Jorullo liegt kaum zwei Autostunden von seinem neuen Brüderchen entfernt. Am 28. September 1759 wurde der Jorullo geboren, und einer der Gründe von Humboldts Mexikoreise war die Sehnsucht gewesen, diesen jüngsten aller Berge von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Er sah ihn, als der Vulkan vierundvierzig Jahre alt war. In der Zwischenzeit war der Jorullo nicht müßig gewesen, die Lava war noch so heiß, daß Humboldt seine Zigarre an einem der vulkanischen Erdkegelchen, den Hornitos, anzünden konnte. In der Gegend lebten noch Augenzeugen, die ihm Material für seine Beschreibung der Vulkangeburt lieferten. Gern wäre er selbst dabei gewesen, wie Plinius beim Ausbruch des Vesuvs, beim Untergang von Pompeji.

Heute hier zu stehen, böte Humboldt die Genugtuung, seine Theorie vom Vorhandensein einer Vulkanreihe bestätigt zu finden. Dieser Theorie zufolge klafft »sehr tief im Innern der Erde, zwischen 18 Grad 59 und 19 Grad 12 nördlicher Breite, ein Riß, der sich neunhundert Kilometer lang vom Osten nach Westen hinzieht, und durch welchen sich das vulkanische Feuer zu verschiedenen Zeiten von der Küste des mexikanischen Golfs bis an die Südsee Luft gemacht hat.« Ganz nahe von Humboldts Grenzlinie, nämlich 24 19 Grad 21 nördlicher Breite (und 102 Grad 19 westlicher Länge) ersteht zur Stunde der Vulkan von Paricutín.

Als solcher, als der »Vulkan von Paricutín« wird die Neuschöpfung in die Geographie und in die Vulkanologie eingehen, denn Paricutín heißt das Dorf, das er sich als Geburtsstätte und ständigen Aufenthalt ausgesucht hat. Einhundertfünfundachtzig Bewohner zählt es, durchwegs Indios aus dem Stamm der Tarascos. Einer von ihnen ist jener Dionisio Pulido, der sein altes, geduldiges Feld so unvermutet sich aufbäumen sah und dennoch überzeugt ist, daß es gefallen ist, gefallen auf den Nullpunkt des Werts.

»Zwei Fanegas Mais sind verloren«, klagt er und erzählt mir, wie sich der Anfang vom Ende vor seinen Augen vollzog. Er selbst vermochte sich zu retten und seine beiden Maulesel rannten hinter ihm her, aber was er mit Mühe angebaut hatte und eben ernten wollte, die beiden Fanegas, also hundertelf Liter Mais liegen unwiderruflich im Bergesinnern.

»Seit jener Stunde habe ich keinen Bissen gegessen«, schwört er, und, so unwahrscheinlich das klingt, ich muß es ihm glauben. Schwört er doch beim Wundertätigen Bild von Parangaricútiro, und er weiß dieses Bild so nahe, daß es ihn hören und gleich da sein könnte, um ihn für die Lüge zu strafen. Aber wenn Dionisio Pulido auch zehnmal schwören würde, daß er seit jener vulkanischen Stunde nichts getrunken habe, so würde ich ihm nicht glauben; sein Atem riecht deutlich nach dem ortsüblichen Zuckerrohrschnaps.

»Zwei Fanegas Mais verloren, und mein Feld für immer vernichtet.«

»Dafür sind Sie Besitzer eines Vulkans.«

»Ach, Señor, wem nützt schon ein Vulkan?«

Ich könnte Dionisio antworten, daß ein Vulkan nicht ganz ohne Wert sei. Vor Jahrzehnten hat die mexikanische Republik einem General den Popocatépetl zum Geschenk 25 gemacht, einen Vulkan als Orden! Nach dem Tode des Generals wurde der Popocatépetl mit dem Ausrufpreis von fünfundzwanzig Millionen Pesos zum öffentlichen Verkauf angeboten. Rockefeller beabsichtigte, ihn zur Ausbeutung der Schwefelwände zu kaufen, bekam ihn aber nicht.

Dionisio Pulido könnte seinen Vulkan an Rockefellers Erben losschlagen, falls die ihn haben wollten. Aber daß er auch dann kein Geld davon hätte, sondern höchstens ein paar Flaschen Zuckerrohrschnaps, ist anzunehmen. Er hat doch auch nichts davon, daß sein Feld ein Objekt der Fremdenindustrie zu werden anfängt.

In Uruapán, der nächsten großen Stadt, herrscht Konjunktur in Mietsautos. Jeder, der einen Lieferwagen hat, läßt alle Lieferungen liegen und vermietet sich an Touristen zur Fahrt an den Vulkan; der Fahrpreis steigt schneller als der Vulkan. Etwa 26 Kilometer ist die Entfernung von Uruapán nach Paricutín, der Weg führt durch den weglosen Terpentinwald, man fährt sechseinhalb Stunden und kommt zerrüttet an.

Auf dem Vorfeld des Vulkans erstanden Marktbuden aus Latten und Reisig, wo Coca Cola ausgeschenkt wird, Tacos verkauft werden und das Fruchtbrot Ate, eine Spezialität des Staates Michoacán. Verkäufer sind die Bewohner des Fleckens San Juan de Parangaricútiro. Nicht unvorbereitet kommen sie in den Handelsbetrieb. Parangaricútiro ist ein Wallfahrtsziel, alljährlich, am 19. September, pilgern Hunderte von Gläubigen zum Fest des Cristo Milagro. Demgemäß sind alle Ortsbewohner gläubige Katholiken; in politischer Beziehung gehören sie den Sinarquistas an, den Faschisten, die vor allem in den rückständigen Gegenden eine kostspielige Agitation entfalten. Übrigens hindert das die Bevölkerung nicht, auch begeisterte Anhänger eines Demokraten zu sein, des vorigen Präsidenten Lázaro Cárdenas. Cárdenas hat ihnen Land gegeben, und die Faschisten versprechen ihnen noch mehr. 26

»Wir sind arm«, sagen sie, »wir leben von dem, was wir selbst anbauen. Bares Geld verdienen wir nur im September bei der Wallfahrt.« Sie sind fromm und halten den Vulkanausbruch für eine Strafe Gottes. Eine liederliche Frau habe mit verheirateten Männern des Ortes Sünden begangen. Als die Eruption begann, entflohen die Bewohner, und nur ein Schock Freiwilliger blieb zurück, um den Cristo Milagro zu bewachen. Nach drei Tagen kehrten die Flüchtlinge heim in ihre Häuser und errichteten hier oben ihre Stände. Die Frauen besorgen den Verkauf, die Männer begleiten die Touristen auf die Hügel rings um den Vulkan und bekommen dafür Führerlohn. Mit Stangen heben sie Lavasteine aus dem Wall, urinieren darauf, um die Glut auszulöschen und verkaufen dann die solcherart abgekühlten Steine den Besuchern. Das Geschäft geht weit besser als das am Wallfahrtstag.

»Nicht schlecht, so eine Strafe Gottes«, sage ich.

Sie lachen verlegen, was offenkundig eine Zustimmung bedeutet, aber als solche nicht beweisbar ist. 27

 


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