Egon Erwin Kisch
Entdeckungen in Mexiko
Egon Erwin Kisch

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An der Kräuterbude

Sie ist auf dem Markt leicht zu finden: die Bude, an der ich stehe, die ist es.

Aber ich bin durchaus nicht allein, die Schar der Käufer ist erstaunlich. Arzneigläubiges Volk! Voll von Apotheken sind die Städte und jede Apotheke voll von Kunden, es fehlt keine der europäischen und amerikanischen Patentmedizinen, und wenn sie z. B. wegen des Krieges nicht im Original ankommen, so stellen die in Mexiko ansässigen Ungarn sie noch originaler her.

Zahllos die Häuser, an deren Tor ein Zettel mit dem Wort »Inyecciones« hängt. Die Preisliste klebt daneben: subcutáneo 20 Centavos; intramuscular 50 Centavos; intravenoso 75 Centavos. Ob man nun Zahnschmerz, Durchfall, Plattfuß, Asthma oder Amöben hat, man tritt ein und läßt sich irgendeine Einspritzung machen von demjenigen, der die Tür öffnet. Auf dem Land oder in den Vorstädten verschleißen die Curanderos, die indianischen Krankenbehandler, Mixturen, Pasten, Emulsionen und Infusionen.

Dennoch bleibt für die Kräuterbuden eine Klientel übrig, die nicht geringer gewesen sein kann, als es für Mexiko noch kein Europa gab und keine pharmazeutische Industrie. Von der Kiste, die als Verkaufstisch dient, fletscht ein Krokodilkopf seine Zähne, oder der Panzer eines Gürteltiers seine Schuppen, – mystische Symbole, Branchenzeichen und Mittel der Anlockung. Das gab's auch bei uns daheim, der ausgestopfte Gorilla vor der Apotheke auf dein Prager Ringplatz hat mich in meiner Kindheit bis in die Träume verfolgt.

Heute kann mich kein totes Krokodilgebiß und kein Schuppenpanzer aufregen. Was mich aufregt, ist die Bude an sich. Dieses Warenlager stammt weder direkt noch indirekt aus Fabriken oder Laboratorien. Die Lieferanten sind fast 170 ausschließlich Dorffrauen und Dorfkinder. Seit Generationen gehen sie zu bestimmten Jahres- und Tageszeiten auf die Arzneisuche. Im Mondscheinlicht oder Wolkenbruch steigen sie barfüßig über Felsenhänge, durchwandern, den Blick auf den Boden geheftet, die Steppen, stöbern im Geröll von Ruinen, schleichen zu Schlangennestern, wühlen im Schwemmsand an der Meeresküste oder im Schlamm der Sümpfe oder scharren Wurzelwerk aus. Nachher trotten sie meilenweit zum Markt, um ihre Beute an den Mann zu bringen. Wie und wann haben die Ahnen der Lieferantin und jene des Markthändlers einander kennengelernt? Das wissen die Götter, die es damals noch gab.

Hier in der Kräuterbude liegen nebeneinander Gräser, Wurzeln, Muscheln, Baumrinde, Steine, Pulver, Hölzer, Spinnen, Samen, Salamander, Öle, – ein Sammelsurium heterogener Landschaften und Naturreiche. In diesem Arzneischatz der Primitiven glaubten einst die Europäer alle Panazeen gegen alles Gebrest vereinigt, und oft mit Recht.

Von einem langen hellbraunen Bündel weiß ich, daß es die Sarsaparille ist, und ich weiß auch, daß sie auf botanisch »Smilax ornata« heißt und auf deutsch »Stechwinde«. Ich frage nach dem Preis und runzle wie sich's gehört die Stirn, als ich höre, es koste vierzig Centavos. Daraufhin reicht mir die Händlerin ein kleineres Päckchen für dreißig. Dreißig Centavos ist der Preis von drei Straßenbahnfahrten.

Ich erinnere mich eines kleinen Zimmers in einem weitläufigen Gebäude, in dem ich wegen des mächtigen Mauerwerks vor sechs Jahren saß, dieweil deutsche und italienische Bomben vom spanischen Himmel fielen. In jenem Zimmer, tausende Meilen von hier, hatte vor Jahrhunderten der weltliche Herrscher der katholischen Welt gesessen. Noch steht sein Lehnstuhl dort, aus dem er sich nicht rührte. Durch eines der beiden Fenster konnte er, ohne aufzustehen, in die Kirche sehen, der Messe hinter die Kulissen. Philipp II. betete um Heilung von seiner quälenden Gicht. Wie seine Krankheit war auch 171 das einzige Linderungsmittel gegen sie ein Erbe vom Vater. Karl V. hatte die Eroberung Amerikas als einen Gotteslohn für sich betrachtet, denn durch sie war er in den Besitz der Sarsaparille gekommen. Nun wartete sein Sohn auf die Sarsaparille, lugte durch das Fenster, das auf die Landstraße ging, noch inbrünstiger als auf das Allerheiligste. Wann immer ein aus Veracruz kommendes Schiff in einem spanischen Hafen einlief, mußte zuerst das Paket mit den Wurzeln ausgeladen und in gestrecktem Galopp dem Herrn im Eskorial gebracht werden.

Ich zahle die dreißig Centavos und frage nach Guajaka.

Auf einer Insel im Zürchersee lag ein Todfeind der katholischen Kirche zu Bett, befallen von einer vielleicht weniger schmerzenden, aber um so tückischeren Krankheit. Ulrich von Hutten litt an Syphilis und bereitete sich zum Sterben. Da erhielt er aus den neueroberten Provinzen jenseits des Ozeans einige Stückchen Harz und Holz. Aus geheimnisvollen Gründen und auf geheimnisvollem Weg hatte sie einer der spanischen Muttergottesstreiter dem verruchtesten Muttergottesleugner gesandt. »Guajaka« heiße die Substanz, schrieb der Absender, und sie helfe, als Tee gekocht, unfehlbar gegen Lustseuche.

»Fünfzig Centavos«, sagt die Verkäuferin.

Ulrich von Hutten trank die Infusion, es verschwanden sowohl die Ekzeme der Lues wie der Quecksilberausschlag, und er fühlte sich geheilt. Dankbar verfaßte er ein Buch über die rettende Arznei: »De Guajaci medicina et morbo gallico.«

Sarsaparille und Guajaka waren nicht die einzigen Naturstoffe aus Mexiko, die in Europa Mirakelheilungen vollbrachten. Aus der Rinde des Tamahaca-Baums machte man einen Wunden- und Wunderbalsam. Maniok, das den Indianern der Karibischen Inseln (von dem Wort »Kariben« kommt »Kannibalen«) einst das Menschenfleisch würzte, wurde in Europa äußerlich gegen Hautausschläge, innerlich gegen Magengeschwüre, Krebs und luetische Entzündungen verordnet. Aus 172 der Gegend von Jalapa, das kaum jemand in Europa kennt, stammt die Jalapawurzel, die viele in Europa kennen, vor allem die Hartleibigen. Elemi, das balsamische Ölbaumharz, schloß augenblicks klaffende Wunden und öffnete augenblicks verhärtete Geschwüre. Noch mehr vermochte Sassafras: vor dieser Pflanze flüchtete das Zipperlein mit gelenken Beinen, die Syphiliskranken durchströmte gesundes Blut, und auf den glättesten Glatzen sprossen Locken.

Wie weit der Glaube an die neuspanischen Pflanzen ging, beweist die Auferstehung des Rizinus. Schon im Altertum der Alten Welt hatte er großes Vertrauen genossen. Um sich von Verstopfung zu befreien, tranken ihn die Griechen kalt, empfahl ihn Herodot warm. Nach und nach aber geriet der Rizinus in den Nachtstuhl der Vergessenheit.

Im achtzehnten Jahrhundert war eine mexikanische Pflanze namens Higuerilla höchst modern, welche die menschlichen Därme so geschwind leerte wie Herkules den Stall des Augias. Erst als die Arzneikundigen feststellten, daß das neue Purgativ mit dem alten ehrlichen Rizinus identisch sei, wurde der Rizinus unter seinem alten ehrlichen Namen wieder eingeführt.

Heute wächst der Rizinus nicht mehr bloß wild, sondern wird angebaut, gedüngt und gepflegt, hunderttausende Sträucher. Dabei deckt die mexikanische Produktion nur einen verschwindenden Bruchteil dessen, was die USA. einnehmen, um die Verdauung ihrer Bürger und die Beweglichkeit ihrer Flugzeugmotoren zu regeln; nicht weniger als 113 Millionen Pfund Rizinusöl zu 16 Dollar per Pfund importieren sie.

Vom sechzehnten bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde der europäische Arzneischatz von der Botanik Neu-Spaniens beherrscht. Dann aber wich sogar in Mexiko die Ära des Wunderglaubens an die Kräuter der akademischen Pharmakologie.

1854 erkrankte in Mexiko die Sängerin Henriette Sontag, Abgott der Kunstwelt. Sie erkrankte an Cholera, gegen welche 173 die mexikanische Volksmedizin eine heilende Infusion kannte. Besorgte Bewunderer holten einen renommierten Kräuterkenner vom Lande, aber die Ärzte ließen ihn nicht ans Krankenbett. Am 17. Juni 1854 schwand Henriette dahin, die in der Sprache der Romantiker »Sonntag der Götter« hieß. Um die Panik über das Wüten der Choleraepidemie nicht zu erhöhen, wurde die Abendvorstellung abgehalten, und General Santa Ana, Präsident der Republik, applaudierte begeistert einer Sängerin, die für die tote Henriette eingesprungen war.

Der meines Wissens letzte Bericht über die Mirakel mexikanischer Naturheilkunde findet sich in den Memoiren des armlosen Musikers, Artisten und Menschenfreunds Untan. Er war vor seinem Auftreten in Guadalajara so schwer erkrankt, daß die Ärzte ihm den sofortigen definitiven Abschied vom Podium befahlen, ja, die Hoffnungslosigkeit seines Zustandes andeuteten. In seiner fast selbstmörderischen Verzweiflung akzeptierte Untan die Hilfe eines einheimischen Thaumaturgen und seiner Arznei. Daraufhin fiel er in einen Schlaf, aus dem er nach drei Tagen gesund erwachte und seine Gastspielreise ohne Beschwerden fortsetzen konnte.

Eine schwangere Indiofrau kauft ein Büschel schwarzen Bilsenkrauts für zehn Centavos. Da sie endlich weggeht, erklärt mir Don Severino, Besitzer der Bude, der Tee aus diesem Bilsenkraut sei gut für die Entbindung. Die Wöchnerin verfalle in einen Schlaf, in dem sie keine Wehen verspürt und wache erst auf, wenn das inzwischen angekommene Kind danach verlangt, ein Säugling zu werden.

Don Severino zeigt mir ein Bündel von besserer Qualität und rät mir, es zu kaufen. Ich? Ich werde doch nicht in die Wochen kommen? Er flüstert mir zu, sein Kraut sei gut gegen jede Art von Wehen und Sorgen. »Man ist tot, solange die Sorgen währen, und man lebt wieder, wenn sie weg sind.«

Vor ein paar Tagen habe ich den Brief einer Bekannten aus London erhalten. Sie hat ihr erstes Kind geboren, sie beschreibt, wie schön und leicht das im Mondscheinsanatorium vor sich 174 ging; ihr einziger Schmerz wäre der Gedanke gewesen, daß nicht alle Frauen im Schlaf gebären können.

Don Severino verlangt für das Paket achtzig Centavos, aber das Büschel, das die Indiofrau für zehn kaufte, tut's wahrscheinlich auch. Wie lange vor den Mondscheinsanatorien mögen die Indios solche Linderungsmittel gekannt haben?

Kühe und Kuhpocken lernten die Indios erst durch die Europäer kennen, kaum aber hatten sie sie kennengelernt, fanden sie auch die Schutzkraft der Kuhpocken gegen Menschenblattern heraus, lange vor der ersten Impfung durch den Engländer Edward Jenner, dessen Name in Mexiko über allen Impfstationen steht. Schon lange ehe Hahnemann die Homöopathie entdeckte, wußten die Mexikaner, daß man dem Gift einer Schlange mit dem Gift der gleichen Schlange begegnet und der Körperhitze mit Körperhitze. Und Schnupftabak war in Mexiko ein Heilmittel, mindestens ein halbes Jahrtausend, bevor ihn der Wiener Professor Wagner-Jauregg wieder dazu machte.

Auf dem Kräuterstand von heute gibt es die gleichen Medikamente wie einst, denn schon damals gab es die meisten Krankheiten, die es heute gibt. Dennoch ist's schwer vorstellbar, daß sich Häuptling Falkenauge, Held der Wildwestromane unserer Kindheit, wegen Bindehautentzündung die Augen mit Tomatensaft einreiben ließ. Daß der Fliegende Pfeil geplagt war von Asthma (als Neihiotzaqualizti dem Indianer leicht zu merken). Daß der Stammesvater Fruchtbarer Eber gegen Impotenz behandelt wurde. Daß der Comanche Büffelkeule auf dem Kriegspfad an Furunkulose litt. Daß Winnetou Hämorrhoiden hatte und seine Schwester sich aus dem Wigwam einer Curandera folgenvertreibende Mittel holte.

Nicht nur Internistik und Arzneien gab es, sondern auch Chirurgie und Instrumente. Die Chirurgie war entwickelter als die europäische, was keineswegs so erstaunlich ist wie es scheint. Konnten doch die medizinischen Priester ihr anatomisches Studium im Innern des lebendigen, noch 175 funktionierenden Körpers betreiben, während sie das Menschenopfer vollzogen.

Mit dem gleichen Lavastein, mit dem die Priester töteten, operierten sie und stachen den Star, ließen sie zur Ader oder machten Schröpfungen. Zwischen Schienen aus Mahagoni renkten sie Gliedmaßen ein. Narkotisiert wurde mit Tabaksaft oder mit den Giften von Schlangen, Schwämmen und Kakteen; und selbst ein Mitglied der sonst so harmlosen Familie der Salamander, die giftige Krusteneidechse, steuerte ein Narkotikum bei.

Manche Krankheit wurde im Bad oder nach dem Bad ausgetrieben, teils durch Ingredienzien, die man dem Wasser beimengte, teils durch Prügel, die sich der Patient mit Maisstauden verabreichte, ähnlich wie es Russen und Ostjuden mit Birkenruten tun. Fast neben jeder Hütte im Indiodorf sieht man das Schwitzbad Temazcali, einen Sarg oder Backtrog aus Lehm, in dem der Badende sich nicht bewegen kann.

Eben kommt ein Großmütterchen, um Don Severino den Inhalt ihres Korbes zu verkaufen. Ihre Füße sind so schwarz von Schlamm, daß man glauben könnte, sie habe Stiefel an; sicherlich kommt sie von weit, weit her. Sie bringt Maniok und Don Severino bezahlt ihr achtzig Centavos.

Daß das Medizinalgeschäft aus Götterhänden in irdische Hände überging, war nicht so schlimm für die Volksgesundheit. Wären nur auch die Mißstände verschwunden, die mit dem Götterglauben verbunden waren!

Die Götter straften die Sünder mit Krankheiten, selbst wenn die Sünde unbewußt verübt wurde, z. B. wenn jemand im Dunkel auf eine heilige Pflanze pißte. Einer solchen Ätiologie entsprach ein Heilverfahren voll von Aberglauben. Gewisse Kräuter durften nur an gewissen religiösen Tagen gepflückt werden, die Klopfgeister des Puls- und Herzschlags wurden mit Trommelwirbel animiert, und die Dämonen, die sich in den Bahnen des Bluts, der Atmung oder des Stuhlgangs herumtrieben, mit Schreien und Stampfen verjagt. An 176 Krankenlagern gab es lärmende Zeremonien und erregende Tänze. Amulette wechselten von ansteckenden Körpern auf gesunde hinüber. Im Regen oder in Pfützen hielt man Gottesdienste für den Wassergott Tlaloc ab, und Gichtkranke mußten in Wind und Zugluft beten, da ihr Leiden von den Windgöttern verhängt war. An den letzten fünf Tagen des Jahres wurde, weil es Unglückstage waren, jede Behandlung von Kranken eingestellt.

Starb eine Frau im Kindbett, so kam sie automatisch in den glücklichsten der Himmel, – ein schönes Religionsgesetz, das aber zu Leichtsinn der Wöchnerinnen Anlaß gab, denn sie wollten sich diese Chance der Seligwerdung nicht entgehen lassen.

Wer von einem Skorpion gestochen ist, muß tanzen, um geheilt zu werden. In der an Palästen des Kolonialstils reichen Stadt San Miguel de Allende hat sich eine Gruppe von Mariachi (Musikanten) in dieser mexikanischen Abart der Tarantella spezialisiert. Einer von ihnen, den ich dort kennenlernte, erzählte mir, sie würden oft geholt, und gerade vorgestern hätten sie einem vom schwarzen Alacran gestochenen Mädchen sechs Stunden lang den Takt aufgespielt. Das Mädchen tanzte ununterbrochen und sank dann schweißgebadet vor Erschöpfung zusammen. Gestern sei es schon gesund gewesen. Er summte mir die Melodie vor, sie klang wie Trommelwirbel im Urwald.

Auch Prophylaktika des Aberglaubens gibt es gegen Skorpione und giftige Spinnen, so zum Beispiel einen herzförmigen Kiesel, den man den Kindern um den Hals hängt. Vor Vampiren braucht man sie nicht zu feien, denn gerade die saugen kein Blut, wie der Mexikaner weiß, weil er keine Gruselromane von Hanns Heinz Ewers liest. Das Ojo de Venado (wörtlich: Hirschauge; dinglich: Obstkern) bewahrt die Kinder vor dem Bösen Blick. Gegen diesen götzendienerischen Fetisch haben die Missionare und ihre Amtsnachfolger weidlich gewettert und dargetan, daß gegen Bösen Blick nur ein geweihtes 177 Medaillon helfe. Erfolg dieser Aufklärung: im Kinderdispensaire ist die Hälfte der Babies nur mit dem heidnisch-indianischen Amulett behängt, die andere Hälfte trägt zwei – das geweihte Medaillon ist auch dabei.

An das »Versehen der Schwangeren« glaubte man schon unter der Götterherrschaft. Noch heute geht auf dem Land keine Schwangere bei Mondwechsel aus dem Haus, um sich – besonders an Wegkreuzungen – nicht an Dämonen zu versehen. Nach der Entbindung mußte die Wöchnerin vierzig Tage lang jede Waschung unterlassen, um die Dämonen nicht zu verärgern. Das steht gleichfalls noch in Geltung, wenn auch nicht für die Arbeiterinnen in den Städten, die weder vierzig Tage feiern können, noch an die Schutzkraft von Nichtwaschungen glauben. Aber ein Amulett aus Milchstein tragen sie doch auf der Brust, damit die Milch nicht versiege.

Am Kräuterstand gibt es eine nichtmedizinale, räumlich von der medizinalen nicht getrennte Abteilung mit Weihrauch, Haarwasch-, Zahnputz-, Insektenpulver, Lack, Gerbstoff, Brennöl, Aromatika für Schnäpse und Kaugummi.

Damit möchte ich's genug sein lassen und nur noch eines Handelsartikels Erwähnung tun, eines steinernen Topfes, den ich auf dem Markt von Ixmiquilpan für zwei Pesos hätte kaufen können. Ich erkannte ihn sofort: es war der Lapis mexicanus, einstmals eine internationale Berühmtheit, Destillationsapparat und Refrigerator mit magischen Wirkungen. Im siebzehnten Jahrhundert hatte in Blois der Jesuitenpater de Martel ein Traktat über diesen mexikanischen Filter verfaßt, später hat Doktor Schatz in Straßburg die medizinischen Wirkungen des Steins gepriesen, und schließlich war die Sehnsucht nach seinem Besitz allgemein geworden.

Der Marquis de Louvois, der für Ludwig XIV. ein Riesenheer ausrüstete und ganze Länder ausraubte, starb, ohne den einzigen Gegenstand, den er für sich ersehnte, erlangt zu haben, oder weil er ihn nicht erlangt hatte: den »mexikanischen Stein des verlängerten Lebens«. Die Gelehrten behaupteten, es 178 handle sich um »Schwämme, als welche an etlichen Orten des Mexicanischen Meer-Busens, ohngefähr 100 Clafter unter dem Wasser an den Felsen wachsen, und von selbsten in der Luft erharten; deren größte Stücke werden von den Spaniern, nicht ohne gröbliche Unkosten, auss America an das Suder-See gebracht, und von dar nach Japponien in Schiffen geführet, allwo diese Art Steine, allsonderlich wann sie groß und dick sind, sehr hoch gehalten und dem Golde gleich verkauffet werden, indem sie der gäntzlichen Meynung sind, daß diese zu Stein gewordenen Schwämme eine Krafft das Leben zu verlängern, empfangen hätten.«

Die Töpfe aus Lapis M., in denen das eingefüllte Wasser kristallklar und eiskalt wird, kommen noch heute auf den Markt, freilich nicht mehr »dem Golde gleich verkauffet«. Es scheint vielmehr, als ob der Indio, so viele Mittel gegen seine Leiden er auch am Kräuterstand einkauft, für die Verlängerung seines Lebens höchstens zwei Pesos übrig hat. 179

 


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