Egon Erwin Kisch
Entdeckungen in Mexiko
Egon Erwin Kisch

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Was immer der Peyote sei . . .

. . . ob ein Gott oder ein Teufel oder Gott und Teufel zugleich – jedenfalls ist er gut getarnt. Zerrumpelt und verrunzelt steht er auf meinem Fensterbrett. Ganz ohne Stacheln und Grannen und Dornen. Offenkundig will er harmloser scheinen als seine Nachbarschaft: seht her, ich bin der einzige Kaktus, der keine Waffen trägt.

Auch durch die Vielfalt seiner Namen tarnt er sich. Botanisch heißt er Lophophora Williamsii oder Ariocarpus, pharmakologisch ist er und sein Extrakt Pellonium oder Anhalonium Lewinii, die Drogenhändler führen ihn als Mescal Buttons (etwa: Schnapsknöpfe), und die Indios, die weder botanisch noch pharmakologisch noch kommerziell verstehen, nennen ihn Peyotl oder Peyote, so wie er von ihren Vätern genannt wurde und von ihren Vorvätern. Denn der Gebrauch und die Verehrung dieses Kaktus reicht, dem gelehrten Missionar Bernardino Sahagún zufolge, mehr als zweitausend Jahre zurück.

Vor zweitausend Jahren ahnten die Urindios noch nicht, daß sie, wenn sie Peyote genossen, eine Todsünde begingen. Sie erfuhren es erst, als die Missionare ins Land kamen und sich nicht genug empören konnten über den Aberglauben, eine Pflanze für einen Gott zu halten, welche doch offensichtlich ein Teufel war. »Und selbst wenn sie Gott wäre«, sagte der Priester zu den Indios, denen er die Hostie verweigerte, »kann man denn den Leib Gottes essen?«

Daß der Peyote magische Kräfte besitze, glaubten auch die Spanier. Doktor Francisco Hernández meldet 1570 dem König Philipp II., dessen Leibarzt er ist, der Peyote sei imstande, strategische Enthüllungen zu machen. Er verrate denen, die ihn essen, wann, wo und wie der Feind angreifen werde und welches Wetter in der Schlacht bevorstehe. 266

Anno domini 1626 hält Fray Jacinto de la Serna den Genuß von Peyote für die heidnische Art der Kommunion. »Es steht fest, daß die Indianer, indem sie Peyote einnehmen, einen Pakt mit dem Satan schließen.« Deshalb wird jedem Missionar auf die Reise nach Neu-Spanien das »Manual para administrar los Santos Sacramentos« mitgegeben, das Bartolomé García verfaßt hat. Bevor einem Indio das Sakrament der Taufe, der Beichte, der Ehe oder der letzten Ölung erteilt wird, müssen ihm die Fragen gestellt werden: »Hast du Peyote gegessen?« – »Hast du anderen Peyote gegeben, um Geheimnisse zu erfahren, Gestohlenes oder Verlorenes wiederzufinden?«

Der Indio kalkuliert: es gibt keinen Gott außer dem christlichen Gott, das ist richtig. Aber richtig ist auch, daß der Peyote ein Gott ist, ein, wie wir am eigenen Leib erfahren haben, sehr mächtiger Gott. Also ist Peyote der christliche Gott.

Gegen diese Logik war nichts auszurichten, und es kam zu dem üblichen Kompromiß zwischen Heidentum und Christentum. Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert war selbst der kollektive, mit Zeremonien verbundene Genuß von Peyote keine Sünde mehr. In den Vereinigten Staaten ist der Peyotekult als christlicher Gebrauch anerkannt und die Peyotegemeinden sind eine »chartered sect« im Sinn der Federalgesetze unter dem Namen »The Native American Church«. Die Indianerkirchen von Nebraska, Iowa und Kansas erklären allerdings den Peyote als »vegetal incarnation of the Holy Ghost«, eine wahrhaft mystische Formulierung, denn eine pflanzliche Fleischwerdung ist nicht leicht vorstellbar.

Ein alter Missionsort im mexikanischen Staat Coahuila heißt »El Santo Nombre de Jesús Peyote«, und einige Indianerkirchen sind der »Mutter Gottes von Peyote« geweiht. Auf den Altären liegen Kruzifix und Bibel neben einem großen Peyote, dem Allerheiligsten. Die zwölf Teile eines Fächers aus Adlerfedern, mit dem das heilige Feuer geschürt wird, sind Sinnbilder der zwölf Apostel. Ein Erdwall um die Kirche bedeutet 267 den Kalvarienberg. Ein Topf mit Peyotesaft ersetzt das Taufbecken. Mit dem Ritus, den die Eucharistie für die Verabreichung von Brot und Wein vorschreibt, werden Peyote und Wasser genossen. Die christlichen Festtage feiern die Indianer mit den Gebräuchen ihrer Ahnen.

In mondblauen Nächten, die ein längst abgeschaffter, aber nicht vergessener Kalender bestimmt, ziehen Indios trommelwirbelnd aus ihren Dörfern, um den Gott Peyote zu suchen, ihn aus der Gefangenschaft zu erlösen, in der ihn ein Hirschgott halt. Wenn sie den Hirschgott mit Pfeil und Bogen erlegt haben, befreien sie den Peyote aus dem Kerker des Erdbodens und führen ihn heim in rituellem Triumph.

Einst war der Peyotesaft ein Kriegsmittel gewesen, ein gütiges Kriegsmittel selbst für den Feind, denn die in Peyote getränkten Pfeile betäubten ihn nur. Wurde der Gefangene die Opferpyramide aufwärts geführt, dann spürte er keinerlei Todesangst, und die Extraktion seines Herzens vollzog sich sozusagen in Narkose.

Für den Freund aber war die Gottheit noch mehr, sie vertrieb ihm Hunger und Durst während des Feldzugs, verlieh ihm Kampfesfreude, schenkte ihm Ausdauer in der Schlacht und nahm ihm bei einer Verwundung jeden Schmerz, o, gutes Gift.

Vorbei sind die Stammeskriege mit dem Pfeil, dem Bogen, durch Gebirg und Tal, vorbei die Menschenopfer, vorbei der Aberglaube, daß es gegen Hunger und Durst eine andere Remedur gäbe als Essen und Trinken. Aber noch immer wird nördlich vom Wendekreis des Krebses in heiligen Nächten der Peyote geerntet. Er gilt den Indios als Arznei der Arzneien, bei ihnen ist das Wort »Medizin« mit dem Wort Peyote identisch.

Diese Droge ist allmächtig, sie heilt gegensätzliche Krankheiten. Einerseits vertreibt sie Mannesschwäche, andererseits wirkt sie gegen Sexualgelüste. Sie fördert Kindersegen und hilft gegen unerwünschte Liebesfolgen. Sie 268 beseitigt Erregungszustände ebenso wie Apathie. Dies und andere Wunder beeiden die Indios.

Bei den mitternächtlichen Zeremonien wird den Sterbenden ein Scheibchen der gedörrten Peyotekrone in den Mund gelegt und mit dem zwölfgliedrigen Adlerfächer der Rauch der sakralen Flamme entgegengewedelt, auf daß der Tod entweiche.

Für die Peyotegläubigen in den dürren Hochsteppen von Nordmexiko ist dieses Mittel gegen Schmerz und Tod leicht erhältlich. Sie wissen, wo und wann man es aufsuchen darf. Schwerer haben es die Glaubensgenossen der Nachbarstämme, die müssen Einkäufer ins peyotegesegnete Gebiet senden, und zwanzig bis fünfundzwanzig Centavos für ein Pfund der Kaktusköpfe zahlen.

Aber nicht nur an den Konsumenten wird die Gottheit verkauft, sondern auch an den Zwischenhandel, der in Nuevo León sitzt und seinerseits den Großhandel in der Grenzstadt Laredo (USA.) beliefert. Die Peyotefirmen versorgen nicht weniger als vierunddreißig nordamerikanische Indianerstämme bis hinauf nach Kanada. Sechs Dollar werden für tausend Köpfe der Pflanze bezahlt. Sowohl der Peyotekaktus wie die vier Alkaloide, die er enthält (Anhalonin, Meskalin, Anhalodin und das besonders giftige Lophophorin) sind in den Bundesgesetzen Nordamerikas als erlaubte Narkotika angeführt.

Und da nun mal weiße Hände im Peyotegeschäft drinnen sind, so liefern sie auch fürs weiße Geschäft, und der Gott oder Teufel Peyote wird nach Europa geschickt, um dort die Segnungen des Schmerzvergessens einschließlich verzückter Räusche zu spenden.

So pur jedoch wie die Indianer die Panazee schlucken, so pur kann sie der Europäer nicht vertragen, er würde in Starrkrampf verfallen, wahrscheinlich in einen, aus dem es kein Erwachen gibt. Nur mit Antidoten gemischt und in winzigen Dosen dürfen Mescal Buttons eingenommen 269 werden, wenn sie als zeitweiliges und nicht als endgültiges Schlaf- und Beruhigungsmittel ihre Wirkung tun sollen.

Ich habe mit zwei abenteuerlustigen Freunden einen Aufguß von Peyote getrunken, um aus eigener Erfahrung die Wirkung schildern zu können. Aber alles was ich aus eigener Erfahrung schildern kann, ist, daß wir alldritt das große Kotzen bekamen.

Ein paar Tage später hörte ich, ein österreichischer Psychiater, dessen Untersuchungen über Rauschgifte in der Peyoteliteratur zitiert sind, mache in Mexiko Peyoteexperimente an sich selbst. Ich war neugierig, was der Fachmann der Pflanze entlocken werde. Aber er, durch jahrelange Selbstversuche mit Giften geschwächt, starb kurz darauf ganz plötzlich.

An Europas Universitäten wurden Versuche teils mit syuthetischen Peyotepräparaten, teils, wie in den Vorworten zu den Büchern »Der Mescalinrausch« von Kurt Beringer und »Le Peyotl« von A. Rouhier erwähnt ist, mit der Pflanze selbst gemacht; die Exemplare stammten vom tschechoslowakischen Konsul in Mexiko, dem gleichen, der mir die Pflanze zu meinem kläglich mißglückten Experiment stiftete. Auf den psychiatrischen Kliniken von Paris und Heidelberg sind die Experimente besser gelungen. Die Versuchspersonen erfuhren die seltsamsten Veränderungen ihrer Sinnesfunktionen: Die Gesamtpersönlichkeit spaltete sich und die fünf Sinne verschmolzen miteinander, so daß der Trunkene Farben hörte, Geräusche sah, Empfindungen roch und Gerüche greifen konnte.

Wer dieses Gottes voll ist (oder dieses Teufels), schwelgt in szenenreichen Märchenwelten, erlebt das Aufleuchten vielfarbiger Fluiden und ihre Vermählung in einem Brautbett vibrierender Lichtfülle. Stilisierte Feuerbrände umzingeln seinen Körper, ohne ihm wehe zu tun.

Alle künstlichen Paradiese aus Opium und Haschisch, die uns Thomas de Quincey, Baudelaire und Gauthier 270 dichterisch rekonstruierten, müssen vor denen des Mescalinrausches verblassen. Wenn man die Protokolle über die klinischen Experimente und die Selbstschilderungen der Versuchspatienten liest, so versteht man, daß die Indios den Peyote für einen Gott, und die Missionare ihn für den leibhaftigen Gottseibeiuns hielten, versteht man, warum sich die Kranken in ihrem Schmerz und die von ihrer Gesundheit gelangweilten Gesunden dem Peyote verschreiben. Beiden hilft er, dieweil er nicht nur Gott und nicht nur Teufel ist, sondern Gott und Teufel zugleich. 271

 


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