Egon Erwin Kisch
Abenteuer in fünf Kontinenten
Egon Erwin Kisch

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Sportbetrieb bei den alten Mayas
(1944)

Man fährt in Chichen Itza ein, der Stadt, die einstmals aus majestätischen Tempeln und Palästen bestand und nunmehr aus majestätischen Tempelruinen und Palastruinen besteht. Architektonische Wunderwerke und zugleich Orgien der Bildhauerkunst waren die Bauten der Mayas, die noch erhaltenen Reliefs und Skulpturen zählen nach Tausenden.

Jene Anlage, die man – aus Merida kommend – zuerst passiert, ist einst der Ballspielplatz gewesen. Die beiden Längsseiten, je hundert Meter lang, sind steinerne, fast senkrechte Tribünen. Zwei Tempel ragen über den Galerien empor und an den Querseiten des Sportplatzes je einer, wahrscheinlich als Zuschauerloge für die Götter gedacht, sicherlich aber für deren Vertreter auf Erden. Daß die Götter und die Teufel sportliebend und sportausübend waren, wissen wir aus der Bibel der Mayas; einmal traten sie sogar gegen eine Mannschaft von Menschen zu einer Partie »Pok-ta-Pok«, des mayaschen Ballspiels an.

In diesem Stadion gab es auch Konzerte; sie waren sakraler Art, den Schutzgöttern des Sports gewidmet, und fanden zu einer anderen Tageszeit statt als die Veranstaltungen in den Musikhallen der Alten Welt: die Konzerte der Mayas begannen zur Mitternachtsstunde. Die Musikinstrumente und die Kompositionen waren gleichfalls von den unsrigen durchaus verschieden. In unsere würde das beispiellose Echo von Chichen Itza störend hineinpatzen. Aber die Maya-Flöte ließ nach jedem ihrer acht Töne ein Intervall für die vierzehn 392 gestuften Kadenzen, mit denen das im Dickicht placierte Orchester der Götter antwortete.

Man kann die Macht dieses Nachklangs noch heute erproben, und auch Spuren des Sportbetriebs lassen sich noch heute wahrnehmen. Man kann auf den Tribünen sitzen oder über die Grasnarbe des Spielfelds gehen und sieht zu Häupten das Ziel des Balls. In den heiligen Büchern der Mayas, in ihren Kodizes und auf ihren Reliefs ist das Spiel dargestellt und in den Aufzeichnungen der christlichen Priester finden sich die Spielregeln.

Aus einem Wettspielbericht, den Padre Diego Duran hinterließ, geht hervor, daß er selbst fasziniert, ja fanatisiert war von dem heidnischen Sport, an dessen Ausrottung die christlichen Priester teilnahmen. Statt seiner brachten sie den Mayas Stierkämpfe, Hahnenkämpfe und dergleichen.

Staunend liest man, daß dieses Ballspiel weder mit dem Fuß noch mit der Hand gespielt wurde, sondern mit dem Gesäß. Man staunt noch mehr, je länger und fachmännischer man das Goal beschaut. Mehr als vier Meter hoch schwebt es über dem Spielfeld, an der Seitenwand befestigt, im rechten Winkel zu ihr, ein Reifen aus skulptiertem Stein, der Rahmen für ein kleines Loch. Der Ball war nicht viel kleiner, er mußte haargenau einfallen, und zwar mit solcher Wucht, daß er durchstieß, selbst wenn er den Steinrahmen streifte.

Wie konnte der Ball, eine Kugel aus Hartgummi, wie konnte er mit dem augenlosen Hintern so zielgerecht geschossen werden? Wie konnte es dieser ungelenke Körperteil dem Queue des Billardspiels gleichtun, den Ball indirekt anzuspielen, mit »effet«, »über die Hand« oder »von der Bande«, das heißt von der Wand? Wie konnte der Spieler mit abgewandtem Gesicht so zielen, wie konnte er es inmitten des Gewühls um den Ball?

Dieses Gewühl wogte lebensgefährlich, wahrhaft mörderisch. Die Mannschaft war gepanzert mit Bandagen über dem Knie, dem Geschlechtsteil und dem Schienbein und mit Plastrons auf der Brust. Jedoch dieser Schutz aus Raubtierfellen oder Hirschhäuten 393 war kein wirksamer Schutz. So rasant flog der Ball, daß die von ihm getroffenen Spieler Bruch oder Bluterguß erlitten. Oft kam es tragischer, es gab Tote.

Über diese Gefahren berichtet Pater Duran unter anderem: »Einige wurden tot weggetragen. Der Grund war, daß sie trotz Erschöpfung ohne Unterlaß hinter der Kugel von einem Ende zum anderen hergerannt waren, um sie nicht zu Boden fallen zu lassen. Im Ehrgeiz, den Ball als erster zu erreichen, konnten ihm die Erschöpften nicht mehr ausweichen, so daß er ihnen gegen die Wirbelsäule oder das Ende ›des Magens‹ sauste . . . Vor allem will ich von einer merkwürdigen Balltechnik dieser Indios erzählen, die ich oft angewendet sah: in dem Moment, in dem der Ball schon den Boden berührte, brachten sie ihr Gesäß oder ihr Knie so geschickt heran, daß es den Ball mit einer wunderbaren Schnelligkeit wieder in die Höhe schleuderte. Mitunter erlitten die Spieler dabei schwere Quetschungen an den Hüftknochen oder an der Kniescheibe und mußten sich nun mit einem kleinen Messer zur Ader lassen und das Blutgerinnsel ausdrücken.«

Nicht nur Sportbegeisterung und Fanatismus für diesen oder jenen Champion, und nicht nur der Einsatz der Wetten (jedermann wettete) stand auf dem Spiel, das mehr als ein Spiel war. Es war ein symbolischer Kampf, eine Hilfeleistung zugunsten der Astronomie. Nicht um einen Gummiball ging es, es ging um den Sonnenball. Seht ihn! Er will hinab, will durchstoßen zu uns, um uns Licht zu bringen, seht, die Götter des Tageslichts wollen ihm helfen, seht, die Dämonen des Nachthimmels wollen es verhindern. Die Sonne saust gegen die Seitenwand, lächerlich fern vom Ziel. Das nächste Mal scheint es ihr besser zu glücken, ihre Bahn führt diesmal geradewegs dem Ziel zu, aber sie klatscht gegen den Innenrand des steinernen Reifens und prallt, so nahe vom Sieg, wirkungslos zurück. Verzweifelt brechen ihre Freunde zusammen, arme Sonne, keine Hoffnung für dich, keine Hoffnung für uns, im Dunkel müssen wir verenden, wehe, wehe! 394

Aber mitten durch den Trübsinn von Spieler und Zuschauer schießt sie vor und . . . Sie ist durch! Goal!

Alles jubelt, tobt. Niemand sitzt mehr, alle sind besessen. Die Frauen reißen sich den Schmuck aus den Haaren und werfen ihn dem Torschützen zu. Die Männer zerren ihre Kleider vom Leib, spenden sie dem Sonnenretter, verlassen das Match splitternackt, allerdings »die Hand auf ihrem Schamteil haltend«, wie der Padre zur Beruhigung seiner Leser bemerkt. Mancher Maya-Mann hat seine Hütte, sein Vermögen, seine Frau und seine Kinder verwettet, hat sich selbst der Sklaverei preisgegeben und seine Tochter dem Opfertod im Genote, dem heiligen Brunnen.

Droben auf den Tempeln sind die sonst würdevollen Hohenpriester außer Rand und Band geraten. Und draußen in der verstrüppten Natur die Gottheiten und Dämonen nicht minder: sie, der profanen Menge unsichtbar, sind um so hörbarer. Ihr Johlen ertönt vierzehnmal öfter als das Johlen des Publikums.

Auf den die Tribüne krönenden Tempelwänden, auf ihren Säulen und Statuen, Reliefs und Fresken, auf den Prunktreppen und Karyatiden ruhte, bevor das Wettspiel begann, der bewundernde, scheue und flehende Blick der Sportbeflissenen, und nun, da der Kampf siegreich zu Ende ist, wendet er sich dankbar wieder den Kunstwerken zu. Das wäre heutzutage nicht mehr sportgemäß. 395

 


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