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Auf den bemalten Fensterscheiben sind Schafe dargestellt. Eines mit goldenem Band um den Hals, eines an himmelblauem Band hängend oder, besser gesagt, schwebend, ein Schafskopf en face und idealisiert, wie anderswo glasgemalte Schafsgesichter auch, oberhalb der Stirn rundet sich eine Aureole.
Das ist durchaus am Platz, denn wir sind in der Wollbörse von Sydney, und hier muß doch das Schaf noch inbrünstiger angebetet werden als sonstwo auf dem Kontinent.
Als nationaler Heros prangt das Schaf auf den australischen Briefmarken, und der Text ehrt den Mann, der das Merinoschaf einführte. Zwar hat es dieser Mann gar nicht eingeführt, doch hat er es immerhin erfolgreich gezüchtet, und darum werden ihm noch nach seinem Tode alle Sünden nachgesehen.
Seine Sünden? Sie würden ganze Bücher füllen, aber solche Bücher würden nicht gedruckt werden, denn der tote Sünder war Großmeister des Ritterordens vom Goldenen Vlies, dem die australischen Schafzüchter, Wollspekulanten, Wollhändler und Wollagenten angehören, und ihn ehren, heißt: die Wollbranche ehren, die Nährmutter Australiens.
John Macarthur war der erste Großkapitalist in der australischen Kolonie, und in den hundertfünfzig Jahren ihres Bestandes sind seine Ausbeutungsmethoden wohl nachgeahmt, aber nie erreicht worden. Anläßlich seines hundertsten Todestages wurde er vom Staatenbund kanonisiert, seine Familie gilt noch heute 339 unbestritten als die erste des Landes, und Königssöhne steigen in dem Schloß von Camden Park ab, das er sich von gefesselten Sträflingen erbauen und mit dem Wappenspruch »Fide et opera« schmücken ließ.
Mit einem Trupp von Hütern der Ordnung war John Macarthur ins Land gekommen, mit dem 102. Regiment, das England ausgesandt hatte, um die nach Botany Bay verbannten Sträflinge zu bewachen. Die Offiziere lösten diese Aufgabe, indem sie die Sträflinge entweder für sich arbeiten ließen oder zu eigenem Nutzen an Farmer vermieteten, die weiblichen Sträflinge schändeten, bevor sie sie einem Siedler zum Weibe gaben, Mann und Weib nach Willkür peitschten und hängten, den Ausschank von Rum als ihr Monopol erklärten – noch heute ist das Andenken an das »Rum Selling Corps« nicht erloschen – und alle einlangenden Waren mit Beschlag belegten. Zahlmeister dieser Schachergesellschaft in Uniform war Capt. John Macarthur, und der wucherischste, geldgierigste und skrupelloseste von allen.
Als in der Zeit einer furchtbaren Hungersnot das heißersehnte Hilfsschiff mit Nahrungsmitteln endlich in den Hafen einlief, denunzierte Macarthur der Behörde, daß es Tee an Bord habe, – nach britischem Gesetz durfte außer der Flotte der Ostindischen Kompanie kein Schiff, das Tee mit sich führte, in einem britischen Hafen Ladung löschen. Die Zollbeamten durchsuchten die Luken und fanden keinen Tee. Da zeigte ihnen der Vertreter von Macarthur, wo der Tee lag: ein kleines Päckchen in der Kabine eines Schiffsoffiziers. Woher hatte Macarthur das gewußt? Hatte er selbst die Mitnahme veranlaßt? Gleichwohl, das Schiff mußte Anker lichten, ohne Rettung bringen und dem Warenhaus Macarthurs Konkurrenz machen zu können.
Die Gouverneure Sr. Britischen Majestät, einer nach dem anderen, versuchten die Tyrannei Macarthurs zu brechen; einen nach dem anderen, fünfe im ganzen, brachte Macarthur zu Fall, den Gouverneur Bligh 340 verhaftete er sogar, verschleppte ihn auf ein Schiff und setzte einen militärischen Geschäftsfreund als Gouverneur ein.
Solche Betätigung hinderte ihn nicht daran, das Lämmlein zu hüten; auf seinem unentgeltlich gekauften Grund in Rosehill bei Paramatta weideten seine Bengalschafe, nicht viele für ein so großes Gebiet. Da brachten zwei Offiziere, Capt. Waterhouse und Leutnant Kent (die sind die wahren Stifter des australischen Exportartikels), vom Kap der Guten Hoffnung eine Herde Gordon-Merinos mit (die sind die wahren Ureltern des australischen Exportartikels).
Macarthur wollte den ganzen Posten Schafe an sich bringen, wie er es mit jeder Fracht tat, um die Konkurrenz auszuschalten. Aber die beiden Offiziere lehnten es ab, Macarthurs Monopolherrschaft auch auf Schafe ausgedehnt zu sehen, und verteilten die Herde an sechs Farmer. Aus unaufgeklärten Gründen gingen alle Tiere, die nicht in den Besitz Macarthurs gekommen waren, sehr bald ein, – auf dem gleichen Boden, im gleichen Klima, wo fürderhin Millionen und aber Millionen ihrer Rassegenossen wuchsen, blühten und gediehen.
Nur Macarthurs Herde ging nicht ein, sie allein vermehrte sich, und das bei Rosehill und Camden, der einzigen Schafweide Australiens, die heute als Schafweide aufgelassen ist, weil hier die Tiere vom harten Boden fußkrank werden. Just hier haben sie sich vermehrt, und Macarthur vermehrte sie noch durch Ankäufe. Unter anderem ersteigerte er bei einer Auktion aus den königlich englischen Ställen in Kew einige Widder und Mutterschafe, gleichfalls Merinos von spanischem Geblüt.
In den Parlamentsakten war festgelegt, daß der Versuch, Schafe aus England auszuführen, dem Verbrechen des Hochverrats gleichzusetzen sei und strafbar mit Geldbuße, Einbrennen des Sträflingsmals auf den Handrücken, Freiheitsverlust und Ehrlosigkeit. Solche Bestimmungen galten schon damals nur für 341 kleine Leute, nicht für kapitalstarke Kapitäne vom Schlage eines Macarthur. Er brachte seinen englischen Kauf unbehelligt nach Neusüdwales und züchtigte dort nach wie vor Männer und Frauen, die einst ein Gesetz übertreten hatten.
Vor allem empörte sich John Macarthurs rechtlicher Sinn dagegen, daß gerichtlich Verurteilte jemals wieder frei werden, jemals aufhören sollten, unbezahlte und willenlose Arbeitskraft für ihn und seinesgleichen zu sein. Wer von seinen Sträflingen nach beendeter Strafzeit die Freilassung anstrebte, wurde vermittels der Neunschwänzigen Katze, der Haft auf dem Hungerfelsen oder des Galgens von solchen Wünschen geheilt. Wer bedingt frei war, ein »ticket o'leaveman«, den brachten Macarthur und seine Getreuen mit Denunziation und Verleumdung oder einfach durch neue Verhaftung in den alten Stand zurück. Gegen die freien Siedler aber, die die Emanzipationsbestrebungen der Sträflinge unterstützten, organisierte er Boykott und Überfälle.
So reich an Schafen und Sklaven er auch war, ihm stand der Sinn nach weiteren unentgeltlichen Ländereien und Arbeitsheeren, er wollte den ganzen Kontinent sein eigen nennen, die Knute als Zepter schwingen und unter einem Thronhimmel aus Galgen unumschränkt regieren über Untertanen in Ketten.
In seiner Bewerbungsschrift um dieses Reich, gerichtet an den britischen Staatssekretär Hobart, erklärt er, daß sich die drei Widder und fünf Schafe, die er 1797 von Capt. Waterhouse gekauft, binnen sechs Jahren auf viele hundert vermehrt haben, das Gewicht der Schur von dreieinhalb Pfund pro Schaf auf fünf Pfund gestiegen, die Qualität der Wolle besser sei als die der spanischen. So könne er sich denn erbötig machen, binnen zwanzig Jahren hinreichend Schafwolle zu produzieren, um die bisherige, jährlich zwei Millionen Pfund Sterling kostende Einfuhr aus Spanien und anderen Ländern nach England überflüssig zu machen. Er verlange »nur« so viel Land in Besitz nehmen 342 und so viele Sträflinge einstellen zu dürfen, wie er brauche.
Der Boden frei und die Arbeiter unfrei, das waren ideale Voraussetzungen für eine rentable Produktion. Das sah man im Mutterland ein, aber man fürchtete die Überlassung von so viel Macht an einen einzigen Mann. Macarthur wurde nicht mit ganz Australien belehnt, doch maß man ihm neue Territorien und neue Sträflinge zu. Um diese Zeit war es, daß Gouverneur Bligh sich dem unersättlichen Tyrannen zu widersetzen versuchte, und wir hörten bereits, wie Bligh diesen Widerstand büßte. John Macarthur blieb an der Macht zeit seines Lebens und über den Tod hinaus.
Der andere Säulenheilige der Woll-Kathedrale ist Thomas Sutcliffe Mort. Von ihm sind keine Gewalttaten und Niederträchtigkeiten überliefert, wenn er jedoch aus seinem Grabe auferstünde und an seinem Monument auf Macquarie Place vorbeikäme, würde er sicherlich kichern: »Gott ist mein Zeuge, daß ich im Leben nie daran gedacht habe, dem öffentlichen Wohl zu dienen oder meinem Vaterland oder gar der Menschheit. Ich habe mich als Wollauktionator etabliert, weil ich mein Geschäft machen wollte, sonst nichts. Und jetzt stehe ich als leuchtendes Denkmal da, hihihi.«
Immerhin, das von ihm begonnene Geschäft hat merkantile Weltbedeutung gewonnen, er ist der Ahnherr der Sydneyer Wollbörse. Sein kleines Gewölbe in George Street, in dem er bei seiner ersten Auktion am 15. September 1843 sage und schreibe zwei Ballen Wolle anbot, war ein organisatorischer Fortschritt. Bisher hatten die »Squatters«, die Besitzer der von Weideland zu Weideland ziehenden Herden, ihre Schur nach London verschifft und mußten warten, bis sie dort losgeschlagen wurde und die Bezahlung rund um Südafrika nach Australien kroch. (Die Nabelschnur des Kabels, den Kaiserschnitt des Suezkanals gab es noch nicht.) Andere Züchter fuhren ihre flockige, gekräuselte Ernte mit sechzehn vorgespannten Ochsen zur nächsten Stadt, wo in einer Schenke Einkäufer saßen, die 343 einander nicht überboten, sondern Hand in Hand arbeiteten, um dem Verkäufer das Fell über die Ohren zu ziehen.
Nur an ihren Arbeitern konnten sich die Züchter schadlos halten. Das taten sie denn auch gründlich, und die Ausbeutung wurde nicht geringer, als die regelmäßigen Auktionen des Meisters Mort rasche Profite sicherten und technische Neuerungen diese Profite vervielfachten. Der Schere folgte die Hand-Haarschneidemaschine, dieser die elektrische, die erste australische Textilfabrik erstand (selbstverständlich im Zuchthaus von Paramatta), die Dichte und Länge der Wolle wuchs, das Gewicht eines Vlieses stieg von dreieinhalb Pfund auf nahezu das Dreifache, die Zahl der Schafe auf das Zehnfache, und die Arbeitszeit dementsprechend. Nur die Löhne blieben die gleichen, und noch an der Verpflegung der Scherer, die diese selbst bezahlten, verdienten die Besitzer der Schafstationen bis zu 150 Prozent.
Da brach in den neunziger Jahren der Schererstreik aus, ein allumfassender Ausstand und Aufstand mit wahren Schlachten zwischen Polizei und Streikern und zwischen Streikern und Streikbrechern, mit Feuersbrünsten und Todesopfern. Gesetze und Gerichte, Polizei und Presse, Schiffsladungen »Arbeitswilliger« von den Inseln Australiens, Militär und Munition wurden gegen die Scherer aufgeboten, die das Recht auf Organisation und Normierung der Arbeitszeit verlangten und höhere Löhne dafür, daß sie während eines relativ kurzen Aufenthalts auf der Farm nichts weniger als die ganze Jahresarbeit leisteten.
Denn sonst gibt das Schaf wenig zu tun. Mit wahrer Lammsgeduld weidet es, lämmert es, begnügt sich mit den kargen Grasnarben der Steppe oder Halbwüste, läßt sich die Locken wachsen und folgt dem Leithammel, wie einem Rattenfänger von Hammeln, überall hin, in den Stall, auf neue Weiden oder auf die Schlachtbank. Kein Wolf bedroht in Australien die Herde, kein Frost wird ihr gefährlich. Die Bäume, die dem Boden Feuchtigkeit und dadurch der Weide 344 Gras entziehen, müssen nicht einmal gefällt werden, schon ein kreisrunder Schnitt in die Rinde (ringbarking) bringt sie zum Absterben. Gäbe es nicht die ungeheure Invasion der wilden Kaninchen, die den Rasen mit Stumpf und Stiel abnagen, so wäre auch das Aufstellen des Drahtzauns um den Weideplatz überflüssig.
Sind die Tage der Schur vorüber, die Scherer zur nächsten Farm gezogen und die Ballen stadtwärts abgegangen, könnte der Eigentümer der Schafstation ruhig einen Halbjahrsurlaub antreten. Ohne sein Zutun werden die Widder rammeln, die Schafe lämmern und die Vliese sprießen. Wenn alles gut geht, vermehrt sich während seines Urlaubs die Herde um ein Drittel und der nächste Ernteerlös um ein paar tausend Pfund Sterling. So war es wenigstens, als jener erste Schererstreik ausbrach, damals brachte das Schaf seinem Herrn 13 Schilling pro Jahr ein. Das scheint nicht viel zu sein, aber es läppert sich zusammen, denn der mittlere Züchter besitzt bis zu 510.000 Schafe, der reiche hat eine Million Schäflein ins trockene gebracht.
Obwohl das Agrarkapital alle Mittel spielen ließ, endete der Streik mit dem Sieg der Scherer. Die Arbeiter der großen Güter schlossen sich gewerkschaftlich zusammen und gehören zum größten Teil der laboralen »Australian Worker's Union«, zum kleineren Teil der radikalen »Pastoral Worker's Union« an.
Heute ist auch der Unternehmer ein unzufriedenes Element, er verdient längst nicht mehr 13 Schilling pro Schaf, sondern ist pro Schaf etwa den gleichen Betrag der Bank schuldig. Deshalb ist er entweder Anhänger der »Douglas Credit-Reform«, einer Partei, der eine dilettantische Idee von Währungsreform und Bankenenteignung vorschwebt, oder ein Faschist, der Zwangsarbeit zu seinen Gunsten eingeführt sehen möchte.
Die Verkäufe in der Saison von 1927 hatten noch einen Erlös von 61 Millionen Pfund Sterling gebracht, drei Jahre später war die Krise so hoch und der Preis so niedrig, daß nur für 28 Millionen Pfund Sterling 345 Wolle losgeschlagen wurde. Die Züchter des Staatenbundes verkauften in der Saison 1933/34 zweieinhalb Millionen Ballen, um eine halbe Million weniger als im Jahr vorher.
1933war der Durchschnittspreis eines Ballens (Gewicht: 313 Pfund) 19 Pfund Sterling 7 Schilling 8 Pence, oder 15,03 Pence pro Pfund, im gesegneten Jahr 1924 hatte der Ballen Wolle 33 Pfund Sterling 13 Schilling 10 Pence gebracht, im verfluchten Jahr 1931 nur 10 Pfund Sterling 6 Schilling 4 Pence, oder 8,04 Pence pro Pfund. Im letzten Jahr ist der Schafbestand Australiens um mehr als anderthalb Millionen Köpfe zurückgegangen, er beträgt heute 111.738.000 Stück.
Dieser sinkenden Statistik zum Trotz steht Australien noch immer als der erste Wollproduzent des Erdballs da. Und der Erdball ist ein großer Konsument, denn im Weltmaßstab gilt (der Redensart strikt zuwider) das Wort: Viel Geschrei und viel Wolle. Je mehr Kriegsgeschrei nämlich, desto mehr Uniformen.
Der größte Teil des Weltbedarfs wird in der Sydneyer Wollbörse gedeckt, auf deren bunten Scheiben das Merinoschaf im Sonnenglanz erstrahlt. Eigentlich ist es keine Börse, sondern eine Auktion, denn die Ware ist als ganzes vorhanden, wenn auch natürlich nicht im sakral gefensterten Börsensaal. Die Dauerwellen aller Schafe von Neusüdwales und vieler Schafe aus den Nachbarstaaten rollen in den Hafen von Sydney und branden hier in den Speichern von Millers Point und Pyrmont. Sägeförmig gezackte Glasdächer lassen das Tageslicht gleichmäßig über die ausgestellte Ware fluten, so daß kein Schatten über sie huscht und über ihre wahre Qualität hinwegtäuscht, obwohl die Einkäufer sicherlich Männer sind, denen kein Lichtreflex ein X für ein U vormachen könnte.
Im gleichmäßigen Oberlicht, in weiße Leinenmäntel gehüllt, durchwandeln die Einkäufer die Straßen zwischen den Ballen, greifen hinein in die klaffenden Pakete unentschweißter, ungewaschener Schafhaare, nehmen ein wenig davon zwischen die Fingerspitzen, 346 stellen fest, welcher von den 848 registrierten Wollsorten es angehört (im Jahre 1800 unterschied man nur acht Sorten), und kritzeln in ihr Exemplar des Verkaufskatalogs kabbalistische Zeichen.
Von allen Küsten kamen sie, aus Yorkshire in England vor allem, aus Japan, Belgien, Frankreich, Deutschland, Holland, Amerika und Italien. Am Nachmittag des Tages, an dem sie die Musterung der Ballen vorgenommen haben, sitzen sie, nicht mehr in Leinenmänteln, sondern in Hemdsärmeln im Börsensaal, der amphitheatralisch ansteigt. Jedermann hat den von seinem Bleistift gemärkten Katalog vor sich liegen, auf seinem Pult prangt der Name des betreffenden Jedermanns, in großen Lettern dem Auktionator zugekehrt, damit diesem kein Irrtum unterlaufe, er nicht dem Lohmann zuschanze, was Mitsui Rechtens ersteigerte.
Ganz unten in der Ecke ducken sich die Züchter, agrarische Typen, mißtrauisch auf die Herren blickend, die zu ihren Häupten walten. Den Züchtern nützt es nichts, daß sie anwesend sind, aber sie wollen dabei sein, wenn sich ihr Schicksal entscheidet. Es entscheidet sich gewöhnlich innerhalb einer Sekunde, höchstens innerhalb dreier Sekunden.
Der Auktionator auf der Kanzel hält den Katalog wie eine Bibel in der Hand, sein Kruzifix ist der Holzhammer. Er liest Nummern vor, eine nach der anderen. Im Katalog ist neben jeder Nummer allerhand gedruckt, Rubriken mit Zeichen und Formeln, geheimnisrauschend und unverständlich dem Mann ohne Schafsverstand. Da steht zum Beispiel in der ersten EJMIONA Mudgee, in der zweiten Bku E 4 und Bku W 1 in der dritten Rubrik; nur die Zahl der Ballen (Rubrik 4) ist auch dem Laien verständlich, mindestens fünf Ballen werden als ein Posten versteigert.
Die Weisen aber in den Rängen verstehen die gedruckten Zauberformeln, sie verstehen sogar das Mysteriöse, das sie am Vormittag zu jeder Katalognummer hinzugekritzelt haben; nun warten sie, bis die Ware ihrer Wahl drankommen wird. 347
Der Auktionator nennt die erste Nummer und den Ausrufpreis dazu, da bricht ein Sturm los, daß die goldenen Lämmer auf den Butzenscheiben zu beben beginnen, als fühlten sie atavistisch die Angst ihrer Ahnen vor dem Geheul der Wölfe.
Gesetzte Männer springen auf, toben wie Berserker, falls Berserker so toben, solide Hände vollführen exaltierte Schwingungen, Finger, und zwischen den Fingern Bleistifte, zielen und schießen wie Revolver.
»Sechzehn, sechzehn«, schreien sie, den Ausrufpreis wiederholend. Alle begannen gleichzeitig mit diesem Schrei, denn alle, die zum Kauf entschlossen waren, haben diesen Willen in ihrem Exemplar des Katalogs verzeichnet, sie lauerten nur auf ihr Stichwort. Prompter kann kein Einsatz erfolgen, sie schnellten empor, vier in der ersten Bank, hart an des Altares Stufen, zehn in der dritten, fünf in der neunten Reihe, acht im rechten Halbkreis, fünf im linken Halbkreis, »sechzehn, sechzehn«, schreien ihre Lungen, ihre Arme, ihre Hände, ihre Finger, alle gleichzeitig, keiner war der erste . . .
Und doch muß einer der erste gewesen sein, es gibt keine Gleichzeitigkeit in mathematischem und börsenmäßigem Sinne, einer muß der erste gewesen sein, und er, der erste Bieter, gilt als der Käufer, solange kein höheres Angebot erfolgt. So wäre mit einem einmaligen »sechzehn« die Aufgabe getan, aber jeder schreit »sechzehn« und immer wieder »sechzehn«, um am Katheder daran zu erinnern, daß er und nur er mit seinem »sechzehn« der erste war.
Da schrillt es »eins«, und ab ebbt der Orkan. Was für sechzehn Pence pro Pfund so vielen eines Kampfes auf Leben und Tod wert schien, für sechzehn Pence plus einem Farthing, also erhöht um das Viertel eines Pennys, ist es ihnen keinen Farthing wert.
Nicht allen, selbstverständlich, manche lassen die Beute noch nicht fahren, sie sind bereit, noch einen Farthing zu opfern, und sinken erst auf ihren Sitz zurück, wenn der Hammer fällt. 348
Dieweil ein Bauer unten in der Ecke, der mit Beben dem Wolfsgeheul um seine Schafe gelauscht hat, den Saal, die Stadt, vielleicht das Leben verläßt, nennt der Auktionator die nächste Nummer, der Lärm setzt wie vorhin ein, »fünfzehn«, »fünfzehn«, »eins«, »eins«, Hammerschlag.
Die Einkäufer aus Bradford, der Hauptstadt von Yorkshire, beherrschen den Markt, sie kaufen viel, das Material, das im Jahr durch ihre Zentralstelle, das »Bradford Conditioning House«, geht, würde ausreichen, dreißig Millionen Männer mit Rock, Hose und Weste zu bekleiden.
Gleich nach den Engländern kommen die Japaner: Mitsui, Mitsui-Bishi und die kleineren Großkapitalisten; sie überbieten und unterbieten einander nicht, ein Kontrolljapaner, von ihrer Regierung gesandt, achtet darauf; er, ein japanischer Detektiv, ist der einzige Detektiv auf diesem bewegten australischen Schauplatz.
Deutschland hat noch vor hundert Jahren jährlich 90.000 Ballen seiner sächsischen Flocke nach England exportiert; Australien lieferte damals nur 14.000 Ballen ins Ausland. Dann wuchs die deutsche Textilindustrie zu solchen Graden an, daß Deutschland mit seinen dreieinhalb Millionen Schafen (England hat achtzehneinhalb Millionen) nur ein Zehntel seines eigenen Wollbedarfs decken konnte und als zweitgrößte Kundschaft in Australien erschien. Nach dem Weltkrieg rückten die Japaner an diese Stelle vor, Deutschland blieb guter Dritter bis zu Hitlers Herrschaftsantritt, dann sank seine Einkaufsfähigkeit unter die Frankreichs, Belgiens und Hollands.
Mehr noch als durch Deutschlands schwache Teilnahme am Markt ist Australien durch die Schaffung der »Wollstra« und anderer künstlicher Spinnfasern beunruhigt, und ein deutscher Wollmakler in Sydney rezitierte uns, unbeschadet seiner Nazi-Mitgliedskarte, mit echtem Gefühl den Vers von Heine: »Denk' ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht.« Sein Sozius, weniger ängstlich und weniger 349 heinefest, widersprach: »Wollstra und die anderen Hochstapelfasern werden schon das Australiengeschäft nicht kaputt machen. Das Zeug ist für die Leute in den Arbeitsdienstlagern gut genug, nicht aber für Winteruniformen. Und auf Winteruniformen kommt alles an. Den deutschen Markt kriegen wir wieder. Wenn wir bloß nicht inzwischen Japan verlieren . . .? That's the question . . .«
Japan hat nämlich lebendige Corriedale-Schafe zu Zuchtzwecken eingeführt (der Sowjetunion wurde der Abtransport bereits angekaufter Zuchtschafe von der australischen Bundesregierung verboten) und produziert selbst schon reichlich viel gute Wolle. Für ihr Verbleiben auf dem australischen Markt verlangen die Japaner die Abnahme ihrer Industrieprodukte in solchem Ausmaß, daß es fast einen Boykott Englands bedeutet. Wenn Australien auf diese Bedingungen einginge, könnte Yorkshire morgen seine Wolle aus Südafrika beziehen, das heißt, Australien würde seinen besten Kunden verlieren, um den zweitbesten zu behalten.
So ist denn um das Goldene Vlies ein Kampf entbrannt wie in den Tagen der Argonauten, wie in den Tagen Jasons und Medeas, wie in den Tagen von Kolchos. Dieser Kampf vollzieht sich zwischen Schaffarmern und Landarbeitern, zwischen Züchtern und Händlern, zwischen Händlern und Wollfabrikanten, zwischen Weltreich und Weltreich, – ein größerer Kampf als der der Sage, und erst Kolchos, im modernen Sinne des Wortes, wird dem Kampf ein Ende setzen. 350