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»Ich?« fragte er und wurde über und über rot vor Verlegenheit. Daß er so auf meine Anrede reagieren würde, hatte ich mir gedacht, deshalb hatte ich mich ja gerade an ihn gewendet, obwohl viele andere sich begierig zeigten, mir ihren Weg nach Spanien zu erzählen. Er aber hatte stumm im Hintergrund gesessen und mit großen Augen den Abenteuern gelauscht, die die Genossen vom österreichischen Bataillon »12. Februar« bestanden hatten auf ihrem Weg von Österreich bis nach Albacete in Spanien.
Seine Augen waren auch dann groß, wenn er nicht zuhörte. Über die hohe Stirn fiel eine dunkelblonde Strähne, weit holte sein Hinterkopf aus, bevor er sich zum Nacken senkte, und sein Mund glich in seiner Schwingung einem Mädchenmund, wie er denn überhaupt einem jungen gesunden Mädchen ähnlicher sah als einem Bürgerkriegssoldaten.
»Und wie bist du hergekommen?« hatte ich mich an ihn gewandt.
»Ich?« fragte er.
»Ja, du.«
»Ich bin einfach mit der Bahn nach Paris gefahren und von dort hergekommen wie alle anderen.«
»Warst du Arbeiter?«
»Ich war Bauer.«
»Bauer? Du meinst wohl: Landarbeiter.«
»Nein, ich hab ein kleines Anwesen gehabt in Tirol.«
»Da hattest du also Geld?«
»Geld hab ich keins gehabt, ich hab meine Küh verkauft, um herzufahren.« 211
Die Kameraden ringsumher fingen zu lachen an. Keiner von den Kameraden ringsumher hat seine Fahrkarte nach Spanien aus seinem Bankkonto bezahlt. Viele von ihnen hatten irgend etwas veräußert, der eine vielleicht einen ererbten Rollstuhl mit Handbetrieb, der andere eine Schmetterlingsammlung, der dritte ein Maskenkostüm (Ritterrüstung aus Pappendeckel), der vierte ein Tandem, vorne Herrensitz, hinten Damensitz, der fünfte, sechste sonst welche andere eigenartige Sachen. Aber – Kühe! Daß jemand seine Kühe verkauft, damit er in Spanien gegen den Faschismus kämpfen könne, schien ihnen maßlos komisch.
Ihn jedoch, den meine bloße Anrede in Verlegenheit gebracht hatte, brachte das Lachen der Kameraden gar nicht in Verlegenheit, er lachte mit und erzählte frei und ohne Scheu, wie das war mit seinem kleinen Anwesen in Tirol und wieso er kein Geld hatte, obwohl er ein Bauer auf eigenem Grund mit eigenem Viehstand war. Ermuntert, auch zu sagen, wie in ihm die Absicht entstand, nach Spanien zu gehen, sagte er auch das, nicht mehr und nicht weniger, sachlich und gerundet, nie über den Bereich der Frage hinausgehend und mit einem Schlußpunkt, den er definitiv hinsetzte, um Frager und Hörer nicht zu ermüden, falls sie sich für nichts Weiteres interessieren sollten. Ich mußte wieder fragen, wie sich sein Entschluß verwirklicht, wie er die Kühe verkauft, die Reise vollzogen und wie sein Schicksal im Krieg sich gestaltet hatte, bevor er je einen Bericht zur Antwort gab, wiederum jeden als ein abgeschlossenes Kapitel. Es wurde eine Bauerngeschichte, aber eine anderer Art als die, die man bei Peter Rosegger oder bei Adolf Pichler oder bei jenem Berthold Auerbach liest, über den der Schüttelreim geht: »Ganz anders ist der Bauer, ach – Als wie bei Berthold Auerbach.«
Der Bauer, der uns hier im Kreise seiner Kameraden seine Bauerngeschichte erzählt, heißt Max Bair, ist Tiroler, zwanzig Jahre alt, im Weltkrieg geboren. Sein Vater war Bauer und hatte den Hof geerbt, den 212 er später seinem Sohn vererbte, einen kleinen Hof zwischen dem kleinen Weiler Staatz und dem kleinen Weiler Salfaun. Wipptal heißt die Gegend, und man kann dieses Tal nur dann ein Tal nennen, wenn man eben jeden Zwischenraum zwischen zwei Bergen ein Tal nennen will. Die Landstraße hat gerade noch Platz in der schmalen Furche, die Eisenbahn muß sich ihren Weg schon höher oben suchen, auf dem Abhang. Auf dem Abhang stehen auch die Bauernhäuser, ihr Fundament ist ebenso schief wie die Felder. Für die Fuhrwerke ist kein Fuhrweg da, die Bauern tragen den Dünger und die Bäuerinnen die Jauche auf dem Rücken ins Feld hinauf und das Heubündel auf dem Kopf in den Stall hinab. Nur an den tiefsten Stellen des Berghangs, bevor der Fichtenbestand anfängt, ist Feld, also wenig.
Nicht in jedem Jahr kann geerntet werden. Wenn der Sommer nicht warm ist, war alle Feldarbeit vergeblich, die Weizenhalme stehen leer. Wenn im Winter zu wenig Schnee fällt, vereist der Boden, dann gibt's auch keine Ernte. Arm sind die Bauern im Wipptal, von hundert sind höchstens drei, deren Haus schuldenfrei dasteht. Zwangsversteigerungen sind an der Tagesordnung; zuerst wird das Inventar versteigert. Wütend sieht der Bauer, weinend die Bäuerin, wie ihre Habe geringgeschätzt und Stück für Stück davongeschleppt wird; das nächstemal kommt das leere Haus mit dem Grundstück dran und findet meistens keinen Bieter.
Die Landstraße unten ist keine gewöhnliche Landstraße. Es ist die Brennerstraße, seit zweitausend Jahren der Hauptweg ins Italienische. Ununterbrochen sausen Autos vorbei, glitzernde, schöne Autos, aber noch keinem ist es eingefallen, in Staatz oder in Salfaun Halt zu machen, geschweige denn vor dem Bairschen Häuschen, das just dazwischen liegt.
Bair-Vater hatte eine Frau, die hat ihm drei Kinder geboren und sich dann so lange gerackert, um das Essen für sie aus dem Hof herauszuwirtschaften, bis sie starb, zweiunddreißig Jahre alt. 213
So geht's also nicht, sagte sich Bair-Vater, man muß den Hof vergrößern, damit er etwas trägt. Er kaufte ein Feld, und weil er kein Geld hatte, borgte er es sich von der Raiffeisenkasse aus, 3.600 Schilling, die wurden als Hypothek eingetragen. Außerdem heiratete er zum zweitenmal.
Die drei Bair-Kinder gingen nach Matrei in die Schule. Maxl lernte am besten, nicht nur am besten von seinen Geschwistern, sondern auch am besten von allen Schülern. Der Lehrer hätte es gern gesehen, daß der Bair-Max studieren gegangen wäre an die Lehrerbildungsanstalt nach Innsbruck. Aber es war ja kein Geld da für so etwas. Da hat der Lehrer mit dem Pfarrer gesprochen und der Pfarrer mit dem Bair-Vater, er, der Pfarrer könnte dem Jungen einen Freiplatz im Priesterseminar verschaffen. Auch darauf konnte der Vater nicht eingehen, weil er die Kinder ja zur Arbeit brauchte. (Avis für Leser, die glauben, mit Stipendien und Schulgeldbefreiung sei den Kindern der Armen die gleiche Möglichkeit zum Studium gegeben wie den Reichen: Immer werden die Kinder der Armen daheim zur Arbeit gebraucht.)
Der Maxl hat schon vom vierten Lebensjahr an gearbeitet, Holz getragen, gemolken, »aber vom sechsten Jahr«, sagt Max, »hab ich schon Arbeiten gemacht, die Kinder erst mit zwölf Jahren machen sollen, Holz sägen, kochen, waschen, buttern«. Selbstverständlich konnte ihn der Vater nicht entbehren. »Daß ich nicht nach Innsbruck gangen bin, wie's der Lehrer gwollt hat, dös hat mi gstiert, i hätt gern studiert. Aber daß mich der Vater dem Pfarrer nit gebn hat, dös hat mi gar nit gstiert, a Pfarrer wär i doch nit worn, dös glaub i nit.«
1934 starb der Vater, ein paar Wochen lang bewirtschaftete die Witwe das Haus, kam nicht vorwärts und nahm ein Darlehen auf, 400 Schilling. Dann wurde der Bruder vom verstorbenen Bair-Bauer, ein ausgedienter Weichensteller mit 200 Schilling Monatspension, als Vormund auf das Gut gesetzt und sollte es so, wie 214 er es übernommen hatte, dem Max bei dessen Volljährigkeit übergeben. Onkel Bair behauptete, er werde es sogar in noch weit besserem Zustand übergeben, man solle ihn nur schalten lassen. Gut. Max verdingte sich in Matrei als Holzknecht, die Schwester, kaum fünfzehn Jahre alt, ging ins Oberinntal, und die Stiefmutter im Stubaital als »Dirn« in Dienst. Onkel Bair saß auf dem Hof, verstand nichts von der Wirtschaft, trank gern Weinschnaps und noch lieber Kranewittschen Beerenschnaps, machte 500 Schilling Schulden für Gespanne zur Feldwirtschaft und verkaufte schließlich die Vorratssäcke mit Mehl, die Feldgeräte und alles andere, was nicht niet- und nagelfest war, einschließlich der Bettüberzüge.
So übernahm der Max, als er im Januar 1937 volljährig geworden war, das hohle Haus mitsamt den Schulden von Stiefmutter und Onkel. Sozusagen bei seinem Einzug standen schon die Gläubiger da und mahnten, von Tag zu Tag wurden sie dringlicher. Der Max, jetzt selbständiger Bauer, mußte eine neue Schuld aufnehmen, um etwas von der alten bezahlen zu können und eine Kuh zu kaufen. 900 Schilling bekam er geborgt.
Dreieinhalb Joch hat er gehabt, fast nur Weide. Für drei Kühe hat's grad noch gereicht zum Füttern, das heißt, nur für das, was sie an Gras brauchten.
Das Essen mußte er einkaufen, für sich Mehl und für die Kühe Futtermehl. Ein wenig Kartoffeln hatte er, das Schmalz und das Salz zahlten für ihn die Kühe mit ihrer weißen, flüssigen Währung. In Staatz, ein paar Kilometer weiter, ist eine Spinnerei, deren Personalhaus ihm täglich acht Liter zu je dreißig Groschen abnahm.
Mit Buttern kommt der Bauer schlechter weg, als wenn er die Milch als Milch verkauft, der Händler will an der Butter noch mehr verdienen als an Margarine. Zu einem Kilogramm Butter braucht man 25 Liter Milch, das sind zu obigem Preis 7 Schilling 50 Groschen, aber für ein Kilo Butter werden nur 215 3 Schilling gezahlt, also weniger als die Hälfte von dem Wert des Materials. Und wo bleibt die Bezahlung der Arbeit? Nur zwei Kilo butterte Max allwöchentlich für die Milchkundschaft, die sich das ausbedungen hatte, und ein drittes Kilo für sich. Jedoch aß er es nicht selbst auf, sondern tauschte es gegen zwei Kilo Margarine ein. Wie die Reisbauern in Japan zu arm sind, um Reis essen zu können, so essen die Viehbauern in Tirol nur Margarine. Wie soll man da die Schulden abarbeiten, das geht gar nicht. Wenn nicht der Bruder, die Schwester und die Stiefmutter in Dienst gegangen wären, hätten sie alle miteinander verhungern müssen, trotz ihrem eigenen Hof.
»Da hab i halt die Küh verkauft und bin nach Spanien gefahren, über Paris, wie alle andern hier. Das ist die ganze Gschicht.«
Schön, Max, aber wie bist du auf die Idee gekommen, gerade nach Spanien in den Krieg zu gehen?
Da muß man zurückgehen in die Zeit, als Maxl noch ein ganz kleiner Junge war, ins Jahr 1928 nämlich. Da ist im nahen Gschnitztal ein fürchterlicher Wolkenbruch niedergegangen, habt ihr nicht davon gehört? Nun, macht nichts, es war also damals ein Wolkenbruch und gleichzeitig ist das Wasser vom Ferner heruntergekommen, alle Brücken und alle Dämme und alle Archen wurden damals in Stücke zerschlagen, und die Grundlawinen haben die Häuser weggerissen. Alles sollte wieder hergerichtet und ein Reservebett für den Gschnitzerbach gemauert werden. Seit neun Jahren arbeiten sie dort, sind noch nicht fertig, aber jede Weile wird ein Teil der Arbeiter entlassen. Unter den zuletzt Entlassenen von 1937 war ein gewisser Knotzer Johann, ein Steinmaurer und Mineur, er hat die Bäche mit Steinmauern eingedämmt und in den Steinbrüchen hat er die Sprengungen gemacht.
Zuerst, als sie ihn abgebaut haben, hat der Knotzer Johann eine Arbeitslosenunterstützung von 2 Schilling 10 pro Tag bezogen; nach fünf Monaten, als die Abgebauten schon zerstreut waren und nicht mehr zusammen 216 etwas dagegen machen konnten, wurde ihnen die Unterstützung auf 1 Schilling 60 gekürzt. Johann ist in der Gegend geblieben, weil ihm gesagt worden ist, man werde ihn bald wieder einstellen, und er ist Kostgänger beim jungen Bair-Bauer geworden. Dafür zahlte er dem Max zwanzig Schilling für je vierzehn Tage.
Mit Politik hat sich der Max nie sehr viel befaßt. Als die illegale Hitler-Jugend von Steinach ihn aufforderte, gelegentlich zu einem Wochenabend zu kommen, hat er ihnen gesagt, dazu sei ihm der Abend zu schade. Wanderredner der Nazi hatte er ja schon gehört und gemerkt, daß das, was sie da schwitzend und schreiend vortrugen, ihn nichts anging. Vielleicht, wenn sie etwas von Bodenaufteilung für die armen Bauern erzählt hätten oder davon, daß man Schulden nicht erben dürfe oder daß auch der Arme studieren solle, vielleicht hätte ihn das schon interessiert. Aber mit ihrer »Wehrhaftmachung« und ihrem »Schmachfrieden« konnten sie ihn am Arsch lecken, wie er auf gut tirolerisch dachte.
Von Zeitungen hat der Max die »Bauernzeitung« und den »Innsbrucker Volksboten« gelesen; darin waren eigentlich nur die Ankündigungen der Viehmärkte und die Vieh- und Milchpreise für ihn wichtig, sonst stand nicht viel Gescheites drin.
Aber der Knotzer Johann, der hat etwas gewußt von der Welt, er war ein Linzer und ein Arbeiter, und hat den Max aufgeklärt über Sowjetrußland und warum der Pfarrer von Kufstein und die Zeitungen so darauf schimpfen, und dann über den Sozialismus. Mehr darüber zu hören und zu lesen, das wurde Maxens stärkster Wunsch. Es gab im Steinbruch einen, der hatte solche Literatur, der Knotzer Johann kannte ihn, und bald saßen sie mit diesem dritten, dem Stefan, auf Maxens Hof und ein vierter gesellte sich dazu, der Ludwig, ein Arbeiter aus der Staatzer Spinnerei, und lasen »Weg und Ziel« und »Rote Fahne« und andere illegale Zeitungen Österreichs, und redeten von der Sowjetunion und von Spanien. 217
Nach Spanien müßt man! Nach Spanien müßt man, um mitzutun, mitzuhelfen.
»Zu den Internationalen Brigaden«, wurde plötzlich eine ganz leise und langsame Stimme laut.
Danach sprach keiner etwas. Nachdenklich saßen sie um den Tisch, das Wort »Internationale Brigaden« war in ihnen wie eine Sehnsucht.
Eine unerfüllbare Sehnsucht, denken sie. Es geht doch nicht, einfach zum Schalter zu gehn und eine Fahrkarte zu lösen, dritter Klasse von Matrei nach Guadalajara. Selbst wenn man Geld hätte, geht das nicht.
Der nächste Tag ist ein Samstag, wieder sitzen sie abends beisammen, die Arme haben sie auf den Tisch gelegt und schweigen. Sie schweigen alle das gleiche: »Internationale Brigaden«.
Wie sie am Sonntag zu viert in Schönberg spazierengehen, treffen sie den Hugo, einen Zimmermann, der früher mit Johann und Stefan auf dem gleichen Bau geschafft hat. Jetzt arbeitet er am Bau einer neuen Finanzerkaserne auf dem Brennerpaß, gerade an der Grenze, und hat viel zu erzählen von oben. Heute nacht seien wieder zwei junge Italiener herübergekommen, um den Weg nach Spanien zur republikanischen Armee zu machen. In den letzten Wochen kamen schon zehn herüber, einmal drei Soldaten, einmal ein Reservist, die anderen waren Militärpflichtige. Alle schimpften darauf, daß der Mussolini die ganze italienische Jugend nach Spanien verfrachtet. »Wenn wir schon nach Spanien müssen, so wollen wir dort lieber für das Volk gegen die Generäle kämpfen als für die Generäle gegen das Volk.« Die österreichischen Arbeiter oben helfen ihnen so gut sie können. Sind doch auch aus Innsbruck schon Freiwillige nach Spanien gegangen.
»Aus Innsbruck?« fragen der Max und der Johann und der Ludwig und der Stefan, »von wo denn in Innsbruck?«
Das weiß der Hugo nicht, Adresse weiß er nicht. 218 »Nun«, meint der Stefan, »wenn wir hinwollten, eine Adreß hätt ich schon. In einer von den Zeitungen steht die Adreß von der Redaktion. Die ist in Paris. Von dort könnten wir uns ja weiterfragen bis nach Spanien.«
»Ja, das könnten wir«, nickt der Max, »und das werden wir auch machen.«
»Wenn wir nur a Geld hätten«, seufzt der Johann.
Darauf hat ihnen der Max erklärt, er werde seine Küh verkaufen. »Das hab ich gmacht«, sagt uns der Max, um seinen Bericht abzuschließen, »und alsdann sind wir vier über Paris nach Spanien gefahren. Das ist die ganze Gschicht.«
Ob er denn seine Kühe sofort zu Geld machen konnte?
O ja, ganz leicht. Drei Kühe hat er gehabt, die »Graue«, die »Moltl« und die »Schwarze«. Die Graue war die beste, sie hat manchmal vierzehn Liter Milch täglich gegeben und alle Jahre gekälbert, und vier Wochen nach dem Kälbern konnte der Max schon mit ihr fuhrwerken.
Diese also, die Graue, verkauft der Max gleich am Montag einem Großbauern in Mühlen, der schon lange ein Auge auf sie geworfen hat; noch vor einem Monat hat der Großbauer 640 Schilling für sie zahlen wollen, aber inzwischen sind die Preise für Kälberkühe um hundert Schilling gefallen, und weitere dreißig Schilling zieht der Großbauer ab, weil er sieht, daß der Max sie loswerden möchte.
So hat denn der Max die Graue für 510 Schilling nach Mühlen hinaufgeführt, ganz offen, denn das kommt öfters vor, daß ein Bauer eine von seinen Kühen verkauft.
Bei der zweiten, der »Moltl«, mußte schon vorsichtiger zu Werk gegangen werden, damit die Nachbarn nicht stutzig werden und Gedanken darüber anstellen, warum denn der junge Bair-Bauer seine Kühe verkauft. Dabei war's, was die Moltl anlangt, eigentlich viel einleuchtender, daß der Max sie loswerden wollte. 219 Die hat ja im Tag nicht weniger als zwölf Kilo Heu verfressen, ein halbes Kilo Futtermehl und ein Viertelkilo Roggen, also weit mehr als die Graue, die vier Liter Milch mehr gegeben hat.
Für 400 Schilling bietet sie der Max einem Viehhändler an, das heißt einem der Großbauern, die sich mit Kauf und Wiederverkauf von Vieh befassen. Höchstens 300, sagt der Viehhändler. Bei 320 wird man handelseins; der Max hat sich ausbedungen, die Kuh könne bis zum nächsten Markttag bei ihm bleiben, damit er mit der Milchlieferung nicht ins Stocken komme, bevor er sich eine neue Kuh angeschafft habe. Der Viehhändler zahlt gleich ein »Kompare« von vierzig Schilling, einen Handschlag in barem Geld, das ist bei jedem Verkauf üblich, gewöhnlich sind's aber nur 10 bis 15 Schilling.
Am 3. Juni 1937 ist Viehmarkt in Steinach. Dorthin geht der Max, nachdem er die Moltl ihrem neuen Besitzer abgeliefert hat, mit seiner dritten und letzten Kuh. Seine Schwester begleitet ihn, sie glaubt, der Max will heute drei neue Kühe anschaffen und ahnt nicht, daß alles anders ist, er noch heute auf eine lange, lange Reise gehen wird. Seine drei Freunde sind schon vorausgefahren, nach Innsbruck.
Die dritte Kuh ist die »Schwarze«, die schlechteste von allen dreien. Ob ich sie nur loswerde, denkt der Max, der am Abend nach Spanien fahren wird, um Soldat zu werden.
Er ist kaum im Ort, noch gute zehn Minuten vom Viehplatz entfernt, da trifft er den Händler, von dem er vor vier Monaten die Schwarze für 420 Schilling gekauft hat. »Na, Bair-Bauer«, ruft der Händler, »willst sie wieder verkaufen, die Schwarze da?«
»Will sie wieder verkaufen«, bejaht der Max, »sie gibt mir zu wenig Milch. Nur neun Liter gibt sie, und du hast gesagt, sie gibt elfe.« Das sagt der Max und er könnte zur Begründung der Verkaufsabsicht und als Vorwurf gegen den Händler noch hinzufügen, daß die Schwarze nimmer kälbert worden ist, obwohl sie in 220 den vier Monaten schon dreimal beim Stier war. Aber das sagt der Max dem Händler nicht, damit der nicht noch weniger bietet, wenn er sie etwa kaufen will.
»Was?« sagt der Händler, »nur neun Liter gibt sie? Wahrscheinlich gibst du ihr nicht das rechte Futter.«
»Kannst du ihr ja das rechte Futter geben, wannst sie haben willst.« Dann handelt man so hin und her und schließlich geht die Schwarze für 280 Schilling an den Händler zurück, der sie vor vier Monaten für 420 verkauft und wahrscheinlich schon damals an dem Verkauf schön verdient hat, – so viel kann der Bair-Bauer und seine Nachbarn bei aller Arbeit in vier Monaten niemals verdienen.
Nun sind die drei Kühe weg, die Graue, die Moltl und auch die Schwarze, und in der Tasche ist das Fahrgeld nach – pst, Maxl, nur Ruhe.
Zur Schwester sagt der Max: »Brauchst nit nach Haus kommen zum Kochen heut. I kauf noch die Küh und fahr dann nach Innsbruck. Die Küh kommen erst abend. Da hast 170 Schilling, damit ich's nit verputzen tu.«
Dann ist der Max nach Hause gegangen und hat einen Abschiedsbrief an die Schwester geschrieben und einen Brief an den Vormund, darin hat er geraten, man soll das Haus verkaufen und das Geld aufteilen an Stiefmutter, Schwester und Bruder.
Ade, Bair-Hof! Abfahrt nach Innsbruck. Vor dem Triumphbogen warten die drei Freunde, sie waren schon im Reisebüro, sie wissen schon alles: Die Fahrkarte nach Paris kostet nicht, wie Hugo behauptet hat, 60 Schilling (vielleicht gilt das für Personenzüge?), leider kostet sie mehr, sie kostet 68 Schilling 50 trotz der Ermäßigung für Weltausstellungsbesucher, und der Zug geht um halb fünf. Um halb vier sind die vier schon an der Bahn, um halb fünf fährt der Expreß Wien–Paris aus der Innsbrucker Bahnhofshalle. Ade, mein Land Tiro-o-ol, ade, mein Land Tirol.
»Dann waren wir in Paris und von dort sind wir 221 nach Spanien. So, und jetzt wißt ihr alles von unserer Reise!«
Und auf der Fahrt, Max, und in Paris ist gar nichts passiert?
Gar nichts. Alles ist glatt gegangen. Ein bißchen haben sich die vier im Abteil darüber Sorgen gemacht, ob sie sich durchfinden werden ohne französisch.
»Was kann uns denn geschehen?« sagt der Johann mit gespieltem Gleichmut, »die Adreß in Paris ham wir ja, und die werden uns schon weiter dirischieren. Die Adreß ist die Hauptsach.«
Stefans Hände bewegen sich nervös in seinen Rock-, Hosen-, Manteltaschen, dann im Köfferchen. Stefan ist blaß. »I hab die Adreß vergessen.«
Schöne Bescherung! Aber schließlich und endlich wird sich doch in Paris das Amt ausfindig machen lassen, das die Soldaten zu den Internationalen Brigaden nach Spanien schickt. Schließlich und endlich sind ja schon viele tausend Freiwillige nach Spanien gegangen.
Um sieben Uhr früh sind sie in Paris, der Johann, der Stefan, der Ludwig und der Max, der gestern um diese Zeit die Moltl zum Viehhändler gebracht hat und nachher die Schwarze zum Viehmarkt nach Steinach.
Paris ist etwas ganz anderes, gar kein Vergleich. Man traut sich gar nicht vom Bahnhof auf die andere Seite des Platzes zu gehen, so viele Autos rennen hin und her.
Gegenüber ist ein Hotel, Grand Hotel du Nord heißt es, und der Portier spricht deutsch. Das ist gut. Die vier Ankömmlinge wollen ein gemeinsames Zimmer, und der Portier sagt, er habe eins mit zwei Betten, da können je zwei in einem Bett schlafen. Das ist auch gut. Hundert Franken pro Tag kostet es, sagt er. Das ist nicht gut. Die vier fragen, ob er kein billigeres hat. Nein, antwortete er, ein billigeres hat er nicht.
Ob sie das Zimmer nicht billiger bekommen könnten, fragen sie. Ja, sagt er, da müßten sie es für einen ganzen Monat nehmen, im Monat kostet's nur 2.500 Franken. Teufel, Teufel, staunen die vier. Lacht der Portier und 222 rühmt sich, das sei noch gar nichts, sonst kosten die Zimmer bei ihm bis zu 6.000 Franken im Monat, und wirklich zeigt er ihnen solche Ziffern in seinem Geschäftsbuch.
Was bleibt den vieren übrig? Mit den Handkoffern können sie nicht durch Paris trotten, um die Adresse der Internationalen Brigaden zu suchen. Also nehmen sie das Zimmer für 100 Franken.
Während sie im Fahrstuhl hinauffahren, denkt der Max allerhand. Seines Vaters Leben, ein Menschenleben voll Arbeit, und das Leben seiner Mutter, die sich zu Tode rackerte, hatte als einziges Ergebnis, daß sie ihren Kindern, die sich von klein auf mitgeplagt hatten, eine Schuld von 3.600 Schilling hinterließen.
Immer höher fährt der Lift, und der Max denkt an die 400-Schilling-Schuld, aufgenommen von der Stiefmutter. Der Max denkt an den Bair-Onkel, den pensionierten Weichensteller, der nichts von der Wirtschaft verstand und Kranewittschen Beerenschnaps trank, und binnen zwei Jahren 500 Schilling Schulden machte.
Der Fahrstuhl hält. Geführt von einem Kellner, gehen sie auf einem Teppich zahllose Zimmertüren entlang. In eines treten sie ein, das ist aber ein Zimmer! Der Schrank selbst ist ja ein Zimmer, das Waschbecken ist wieder ein Zimmer, in den Schränken sind Spiegel eingelassen. Dafür kostet's auch 100 Franken. Eine Woche, wenn man hier schlafen müßte, tät mehr kosten als alle drei Küh zusammen, die Graue, die Moltl und die Schwarze.
Es heißt so schnell wie möglich aus Paris wegzukommen. Sie gehen auf die Straße. Und dann? Kurze Beratung. Zwei sollen nach rechts, zwei nach links gehen und ein Arbeiterviertel suchen. Dort wird ihnen schon jemand raten, was zu tun ist. Und mittags wollen sie einander wieder hier vor dem Hotel treffen.
Nur das letztere klappt. Kein Arbeiterviertel haben sie gefunden und keinen, der ihnen Auskunft gegeben hätte, welcher Weg nach Spanien führt. 223
Sie sitzen in einem Kaffeehaus, eigentlich an einem Tisch auf der Straße, aber die Tische gehören zu einem Kaffeehaus. Die vier haben Hunger. Sie wissen aber nicht, wie man auf französisch ein Butterbrot mit Salami bestellt, also trinken sie Kaffee und sind traurig, so schwer hatten sie sich die Reise nach Spanien nicht vorgestellt.
Ein Straßenhändler geht vorbei, bietet Mandeln und Zuckerln an, sie kaufen Mandeln und Zuckerln, und es stellt sich heraus, daß der Händler ein Elsässer ist und deutsch versteht. Sie zwinkern einander zu: Soll man den fragen?
Als er weggeht, folgt ihm der Stefan und fragt ihn. Der Zuckerhändler kauft eine Zeitung: Sehen Sie, das ist das Organ einer Volksfrontpartei und da ist die Adresse. Nehmen Sie die Metro, bei Châtelet müssen Sie umsteigen. Er schreibt es sogar auf, Umsteigestation und Endstation.
Etwas ist schon erreicht, und die Untergrundbahnbillette werden ohne besondere Schwierigkeiten gelöst. Freilich, unten im Labyrinth ist es für vier neuangekommene Tiroler Buam sehr schwer, sich auszukennen. Zum Glück merkt eine Frau, wie die vier verstört herumstehen und nur deutsch sprechen. Sie fährt mit ihnen zu der Zeitung, hat aber keine Zeit, mit ihnen hinaufzugehn.
Bei der Zeitung ist man sehr mißtrauisch und gibt nur den Bescheid, die vier sollen in einer halben Stunde wiederkommen, bis ein Übersetzer da sein wird.
Sie warteten vor dem Haus, und ein Mann tritt zu ihnen, der spricht auch ein wenig deutsch und fragt leise, ob sie weiterfahren wollen. »Ja, das eben möchten wir«, erfährt er. Ob sie eventuell nach Spanien fahren würden? »Warum nicht?« sagt einer. Dazu könne er ihnen verhelfen, noch heute abend könnten sie fahren und 100 Franken bekäme jeder als Handgeld. Der Zug geht direkt nach Mailand, dann mit dem Schiff nach Spanien.
»Nach Mailand?« staunen die vier, wieso denn 224 nach Mailand, wieso denn nach Italien? Sie wollen ja zur republikanischen Armee, nicht zu Franco.
Aber der Fremde erklärt, das sei ein Fehler, Franco stehe militärisch viel günstiger und es gäbe dort mehr zu verdienen . . .
Ohne ein Wort zu erwidern, ohne sich miteinander zu verabreden, ohne sich auch nur anzusehen, treten unsere vier schnell wieder in das Zeitungshaus und warten oben auf den Übersetzer.
Der kommt schließlich, fragt sie aus nach Strich und Faden und fährt mit ihnen in einem Taxi zu einem Büro. Dort fragt ihnen wieder einer das Beuschl aus dem Leib, aber am Schluß der Aussprache, am Schluß spricht er sie mit dem Wort »Genossen« an. »Genossen, Montag werdet ihr fahren.« Quartier wird besorgt für die Genossen, um sieben Uhr sind sie wieder im Grand Hotel du Nord und müssen für das Zimmer, das sie nicht benutzt haben, 75 Franken zahlen. Mit ihren Koffern ziehen sie um zu anderen Genossen.
So ergebnisreich und so glücklich endend dieser Tag auch war, der nächste Tag ist noch viel ergebnisreicher und glücklicher. Ganz zeitig stehen sie auf und gehen in die Weltausstellung. In die Weltausstellung? Sie schauen sich kaum um in der Weltausstellung auf ihrem Weg vom Eingang bis zum Sowjetpavillon, so eilig haben sie's. Sie wollen das sehen, was sie gelesen und gehört und worüber sie gesprochen haben. Drei Tage lang, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, sind sie im Sowjetpavillon, alles fassen sie an, alles wollen sie wissen. Den Max interessiert am meisten die Viehzucht da drüben, er schaut sich die Karten an, die Dokumente, die Photos, die Statistiken, die Zeitungen. Nein, dort kann es keine Viehhändler geben, die an einer einzigen blöden Moltl beim Verkauf mehr verdienen, als sie je tragen kann. Nein, dort kann ein junger Bauer sein Anwesen nicht so verschuldet erben, daß er es sein Lebtag nicht hochbringen kann. Dort kann es auch keine Zwangsversteigerung geben. Dort gibt es 225 Milchkollektive und Milch- und Buttersowchose, elektrische Separatoren, Veterinärpunkte, Tierapotheken, Bauernhochschulen, Bibliotheken, Klubs, dort gibt es . . .
Halt, halt, Max! Wir glauben dir, daß du uns stundenlang vom Sowjetpavillon erzählen möchtest und daß du noch heute dort stündest und gafftest, wenn du nicht nach Spanien hättest abmüssen! Erzähle lieber von der Weiterfahrt.
Da gibt's nicht mehr viel zu erzählen. Von Paris aus ist es nach N . . . gegangen, dort hat der Max den Rest seines Geldes an die Schwester abgeschickt und ihr geschrieben, sie soll ihm einmal einen Brief darüber schicken, was zu Haus geworden ist. Rückadresse: Internationale Brigaden, Spanien. Dann ging's über die Grenze. In X . . . haben schon hundertfünfzig Freiwillige aus allen möglichen Ländern auf den Abtransport zu den Brigaden gewartet. Der kam bald und alle haben sich schon gefreut, es geht an die Front. Aber keine Spur, nach Y . . . ist's gegangen, dort sind sie dreizehn Tage lang ausgebildet worden, und nachher kamen der Max und der Stefan zum vierten Bataillon von der elften Brigade, der Johann und der Ludwig blieben noch in Y . . ., um einen Ausbildungskursus als Telephonisten mitzumachen.
Die elfte Brigade ist eine Internationale Brigade und ihr viertes Bataillon ist ein österreichisches Bataillon, es heißt »Bataillon des 12. Februar« zur Erinnerung an den Tag von 1934, da sich die österreichische Arbeiterschaft gegen die Reaktion erhob.
In der mittleren Juliwoche wird das Bataillon »12. Februar« zum Sturm auf Quijorna und Brunete befohlen, der Sturm ist siegreich, der Max und der Stefan sind auch dabei. Der Max ist nachher zum Unteroffizier befördert worden, aber auf unsere Frage, warum das geschehen ist, antwortet er, das könne er nicht sagen, das wisse er auch nicht.
Dann kommt Villalba, eine Station der Ruhe und der Ausbildung, aber keiner langen. Dorthin kommen auch Ludwig und Johann, und die vier sind wieder 226 beisammen. Schon am 24. August sind sie bei Quinto im Gefecht, und dort wird der Max verwundet.
»Damit ist die Gschicht aus«, sagt der Max, »das war eine verflucht lange Gschicht.« Er wischt sich den Schweiß vom Gesicht.
Sag uns noch, wie's bei Quinto war, Max.
Das wissen ja hier alle, wie's bei Quinto war. Um zehn Uhr vormittags wird Sturm befohlen, ohne Tanks geht es vor, der Feind ist auf den Grat eingeschossen, der zwischen ihm und uns liegt, die Republikaner haben große Verluste und ihr Angriff stockt. Die Österreicher bleiben einen halben Tag auf halbem Weg vor Quinto liegen und graben sich ein; dort teilt der Kommandant dem Max mit, daß er zum Sergeanten ernannt ist, aber auf unsere Frage, warum das gewesen ist, antwortet er wieder, das könne er nicht sagen, das wisse er auch nicht.
Um 6 Uhr abends stürmen sie nochmals und nehmen den Ostrand von Quinto, wo sie sich verschanzen. Vor ihnen ist noch die Kirche, ein Offizier und vier Mann wollen rekognoszieren. Durch zwei Straßen kommen sie unbeschossen, als sie wieder um die Ecke biegen, kriegen sie Feuer, vielleicht aus einem Fenster, vielleicht aus dem Kirchturm, der Offizier und drei Männer sind tot, den vierten Mann der Patrouille trifft ein Explosivgeschoß in die Hüfte, zerschmettert sie, nachdem es vorher den Stiel seiner Handgranate durchgeschlagen und das Holz ins Fleisch hineingetrieben hat. Dieser Mann, der sich zwischen den vier Toten vor Schmerzen krümmt, ist der Max. Aus allen Fenstern der Straße böllert's, niemand kann ihn holen, sind doch die Sanitäter nicht einmal bis zur Kompanie vorgekommen und die vier Toten und der Verwundete liegen weit vor der Kompanie, ihr unsichtbar. Drei Straßenecken sind dazwischen. Es dämmert. Keine Hoffnung für dich, Max . . .
Keine Hoffnung für dich, Max, wenn da nicht plötzlich jemand angekrochen käme, das ist der Stefan, und sagt: »Wollt nur mal gucken, ob du noch lebst, Maxl.« 227
»I leb schon noch«, sagt der Max, »aber i bin troffen.«
»Dös seh i ja«, sagt der Stefan, »wart noch a Weil, mir kommen di holen.«
Da wartet der Max »a Weil« und dann kriechen drei heran, schieben eine Decke unter ihn, der Stefan, der Ludwig und ein Wiener von der Kompanie und tragen ihn fort, unterwegs kommt auch der Johann heran, und jetzt tragen ihn die vier hinter eine Mauer, wo sie ihn mit ihren Verbandpäckchen ein bißchen verbinden, und hinterher aus dem Dorf hinaustragen aufs Feld vor Quinto, hinter den Hügel, auf dem sie vormittags lagen, zum Hilfsplatz.
Und dann wird der Max umbandagiert, seine Freunde nehmen Abschied, sie gehen nach vorne zurück, und er wird in einen Ambulanzwagen geladen. Der fährt die ganze Nacht lang über Straßen, die schon vorher miserabel waren, und jetzt noch zerfahren und zerschossen sind. Die schmerzvollste Nacht in Maxens Leben. In Hijar wird er operiert, bleibt ein paar Tage, dann kommt er nach Benicasim, dort kann er schon aufstehen und am Meeresstrand spazierengehn und Bücher lesen, von denen ihm der »Bauernkrieg« von Engels am besten gefällt, über dieses Buch kann man so lange nachdenken, auch wenn man's schon ausgelesen hat. Und jetzt ist er wieder hier bei den Kameraden.
»Ist das alles, Max?«
»Das ist alles, glaub ich. Ja, richtig: von meiner Schwester hab ich einen Brief. Sie haben das Haus nicht verkauft, trotzdem ich es ihnen geraten hab. Die Gemeinde hat es verpachtet, aber der neue Pächter wird gar nichts zahlen, das weiß ich schon im voraus. Bis jetzt hat er nur eine neue Hypothek aufgenommen, 600 Schilling. Was kann er denn dafür kaufen? Zwei schlechte Küh höchstens. Vielleicht die Schwarze und die Moltl.« 228