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Gegen das am 10. November 1919 gegen mich erlassene Erkenntnis der Polizeidirektion Wien, Kommissariat Innere Stadt, Zahl 38957, führe ich im nachstehenden in offener Frist den rechtzeitig angemeldeten Rekurs an die Niederösterreichische Landesregierung der Deutschösterreichischen Republik aus.
Ich fechte das genannte Erkenntnis seinem gesamten Inhalte nach an: 1. wegen Gesetzwidrigkeit, 2. wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, 3. wegen unrichtiger Beweisführung.
Das Prügelpatent ist auch nach der Abschaffung des zur Prügelstrafe berechtigenden Absatzes, nach welchem es seinen Namen führt, in solchem Maße Sinnbild k. k. österreichischer Polizeiwillkür und machtberauschten Absolutismus, daß seine von Amts wegen am Jahrestage der Republik gegen politische Häftlinge erfolgte Anwendung nur als eine offenkundige Verhöhnung der in der demokratischen Republik gewährten Freiheiten angesehen werden kann.
So sehr Unterfertigter Ursache hätte, sich dieses amtlichen und demonstrativen Eingeständnisses zu freuen, muß er doch im Interesse aller, die in Hinkunft durch die Anwendung dieser Verordnung ihrer Freiheit beraubt und mundtot gemacht werden könnten, gegen das erflossene Erkenntnis im besonderen und gegen die Anwendung des Prügelpatentes im allgemeinen Verwahrung einlegen.
Es ist fraglich, ob das Prügelpatent zur Zeit der Monarchie mit der Strafprozeßordnung vom 23. Mai 1873 47 in Einklang stand, da doch deren § 1 besagt, eine Bestrafung könne nur nach vorausgegangenem Strafverfahren in Gemäßheit der Strafprozeßordnung und auf Grund eines von dem zuständigen Richter gefällten Urteiles erfolgen. Selbst in der Monarchie also besaß man die Einsicht, daß jedermann nur durch ein ordentliches Verfahren, in dem die Rechte der Verteidigung gewahrt sind, verurteilt werden könne.
In den Staatsgrundgesetzen der Republik wird betont: »Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.«
Es ist daher ungesetzlich, wenn Personen, die aus irgendwelchen Gründen den Staatsgewaltigen unangenehm werden, der ordentliche Gerichtsweg und das Recht auf Verurteilung durch den gesetzmäßig bestellten Richter benommen wird, um ihnen auf diese Weise das Recht der Verteidigung zu nehmen. Dies beweist, daß die Behörden die Verteidigung eines auf solche Weise Verurteilten mehr fürchten, als dieser die Anklage des ordentlichen Staatsanwaltes zu fürchten hätte.
Das gegen mich erflossene Erkenntnis der Polizeidirektion, das die jedem Bürger durch die Staatsgrundgesetze gewährleisteten Rechte der Laune und Wichtigtuerei eines zufällig diensthabenden Kommissars preisgibt, ist von Grund auf gesetzwidrig und schon deshalb aufzuheben.
Selbst wenn man genügend Ironie und Humor aufbringt, das Zurechtbestehen des Prügelpatentes in der demokratischen Republik anzuerkennen, so wurden in dem gegen mich eingeleiteten Verfahren alle materiellen Bestimmungen auch dieser Kaiserlichen Verordnung in der unverantwortlichsten Weise mißachtet. Der § 13 der Kaiserlichen Verordnung vom 20. April 1854 verlangt ausdrücklich, »daß der Tatbestand zu erheben sei«.
Dies ist nicht geschehen. Unter »Erheben« versteht man im technischen Sinn die Einvernahme von Zeugen über den Tatbestand und – was wohl das Wichtigere wäre – die Anhörung des Beschuldigten. 48
Von einem Inspektor und sechs Wachleuten verhaftet, wurde ich mit einer Eskorte von etwa zehn Mann auf die Wachstube Innere Stadt geführt, wo man die Aussagen des Inspektors und zweier Wachleute zu Protokoll nahm, ohne mich auch nur mit einem Wort über die Richtigkeit der Angaben zu befragen.
Nach Beendigung dieser Tatbestandsaufnahme bin ich mit einem Mörder, einem Einbrecher, zwei Taschendieben und einem Landstreicher ins Arrestlokal gesperrt worden, aus dem man mich nach sechs Stunden wieder vorrief, um zu erklären, ich sei zu fünf Tagen Arrest verurteilt.
Auf meinen Protest, ohne Anhörung verurteilt zu sein, wurde mit mir, nach der Verkündigung des Erkenntnisses, ein Protokoll aufgenommen, und erst hierbei gelangte meine Verteidigung zu Ohren des Kommissars, der meine Verurteilung bereits ausgesprochen und verkündet hatte. Solcherart gewann der gefällte Urteilsspruch das Gesicht oder den Schein von Rechtlichkeit, bringt jedoch die krasse Gesetzlosigkeit des ganzen Verfahrens deutlich zutage.
Aus meinen bisherigen Darlegungen geht nun hervor, daß die Verordnung, auf Grund derer man eine Strafe gegen mich fällte, nicht mehr in Kraft steht, daß das Verfahren, das gegen mich geführt wurde, ein ungesetzmäßiges war, ich behaupte aber auch, daß die inkriminierte Tat nur im Kopfe des Polizeibeamten und auf dem geduldigen Papier des Protokolls geschah, während ich in Wahrheit nichts von dem getan habe, wessen ich angeklagt und wofür ich verurteilt wurde.
Die Behauptung, »daß Arrestant Kisch der an die Menge ergangenen Aufforderung, sich zu zerstreuen, nicht Folge geleistet habe«, ist unwahr.
Ich habe mich, als die Polizei, mehrere hundert Mann stark, mit Säbelhieben auf die waffenlosen Versammlungsteilnehmer, insbesondere auf die Frauen, stürzte und diese in der Felberstraße einkeilte, in der zusammengetriebenen und mißhandelten Masse befunden und konnte daher ebensowenig wie jeder andere aus 49 der Menge einer eventuell ergangenen »Aufforderung, sich zu zerstreuen«, Folge leisten, selbst wenn ich gewillt gewesen wäre, meine überfallenen Genossen zu verlassen.
Die Behauptung, daß ich »durch eine Ansprache die Menge zum Widerstand gegen die Polizei aufgereizt« habe, ist gleichfalls erlogen.
Wohl habe ich, als ich von Genossen auf die Schulter gehoben und aufgefordert wurde zu sprechen, dieser Aufforderung Folge geleistet. Doch wäre es vollkommen sinnlos gewesen, zum Widerstand gegen die Polizei aufzureizen, die mit geöffneten Revolvertaschen, mit gezückten Säbeln und in numerischer Übermacht, nachdem sie vier Stunden im Rathauspark in Frost und ängstlicher Erregung lauern mußte, gegen die heimkehrenden Versammlungsteilnehmer losgelassen wurde.
Ich habe in meiner Ansprache der Menge nur eingeschärft, die gegenwärtige Szene nicht zu vergessen und nicht ihr Datum, den Jahrestag jener Republikerklärung, bei der – um die kommunistische Bewegung als überflüssig darzutun – der Arbeiterschaft versprochen wurde, der Zustand einer klerikalen-großdeutschen-sozialdemokratischen Regierung sei nur ein vorübergehender und binnen einem Jahre werde der Kapitalismus, der Großgrundbesitz, der Klerus enteignet, der Nationalismus abgeschafft und die werktätige Bevölkerung im Besitze aller Produktionsmittel sein. Meine Rede habe ich mit einem Bekenntnis zur Russischen Sowjetrepublik geschlossen, das von der Menge mit Hochrufen und von der Polizei mit einem neuen Regen von Säbelhieben aufgenommen wurde.
Die Behauptung, daß ich »Pfuirufe« ausgestoßen habe, ist besonders sinnlos, weil mir während meiner Rede andere Möglichkeiten zu Gebote standen, um die Ausschreitungen der Polizisten, die durch Fußtritte, Püffe und Säbelhiebe begangene Mißhandlung wehrloser Frauen und Mädchen zu charakterisieren.
Hätte ich aber »Pfuirufe« ausgestoßen, so fehlt jeder Anhaltspunkt für den im Protokoll niedergelegten Satz, 50 daß sie sich auf die Polizei bezogen, da leider Anlaß genug vorhanden ist, zu fast sämtlichen von der Monarchie übernommenen Institutionen und Persönlichkeiten der sogenannten Republik meinen oppositionellen Standpunkt zu äußern.
Ich stelle daher den Antrag, die Niederösterreichische Landesregierung wolle das rechtswidrige Erkenntnis der Polizeidirektion Wien aufheben und die Polizeibehörden unverzüglich anweisen, daß die Kaiserliche Verordnung vom 20. April 1854 in keinem Falle, am wenigsten aber gegen Personen, die ihrer politischen Gesinnung wegen der Polizei unbequem sind, in Anwendung gelangen kann und darf, wobei ich jedoch der Hoffnung Ausdruck gebe, daß eine künftige Räteregierung ein ähnliches Prügelpatent erlassen und mitsamt der Züchtigungsstrafe unnachsichtlich gegen Berufsbürokraten anwenden werde, die sich machtberauscht und unsozial benehmen.
Auf diesen gegen Quittung bei der Wiener Polizeidirektion überreichten Rekurs ist die gesetzlich vorgeschriebene Erledigung mir bis zum heutigen Tage nicht zugekommen. 51