Egon Erwin Kisch
Abenteuer in fünf Kontinenten
Egon Erwin Kisch

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Soldaten am Meeresstrand
(1937)

Unter einem Hospital stellt man sich gewöhnlichermaßen ein langgestrecktes, kasernenartiges, schmuck- und trostloses Gebäude vor, wie es sich als Aufenthaltsort für arme Leute gehört, die nicht nur arm, sondern auch noch krank sind, also doppelt zu schaffen machen.

Wenn wir nun sagen, daß ein spanischer Küstenort zu einem Hospital der Internationalen Brigaden geworden ist, so müssen wir unsere Leser bitten, die erwähnte landläufige Vorstellung von Hospitälern von sich zu werfen. Denn dieses Hospital besteht aus vielen schönen Villen in Palmengärten. Eine der schönen Villen ist die Direktion des Hospitals, die Große chirurgische Abteilung ist eine andere der schönen Villen, die Kleine Chirurgie sind zwei oder drei andere, die interne, die zahnärztliche, die röntgenologische, die pharmakologische und die serologisch-immunologische Abteilung sind wieder andere der schönen Villen. Abermals andere und ein Teil des Klosters sind dazu bestimmt, als Warenlager und Küche und Werkstätte und Wäscherei und Kulturklub und Kinderheim zu dienen.

Was würden die Villenbesitzer, die alljährlich zwei Monate hier verbracht haben, dazu sagen, daß ihre schönen Villen das ganze Jahr geöffnet bleiben, daß jede Villa, auf den individuellen Geschmack einer einzigen Familie zugeschnitten, jetzt bis zu fünfzig Menschen Wohnung gibt? Wie schrecklich, ein Massenquartier!

Und Doña Conchita würde (falls sie von solcher Degradierung ihres Sommersitzes erführe und einer 229 einstigen Villennachbarin zufälligerweise in Sevilla begegnete) ihrem Bericht über die Veränderung der Villen empört hinzufügen: »Wenn Sie wüßten, Doña Rafaela, was aus dem gläsernen Speisesaal des Hotels Riviera geworden ist!« – »Was ist denn daraus geworden, Doña Conchita, sagen Sie es mir, ich bin auf das Schlimmste gefaßt.« – »Eine Massenausspeisung, Doña Rafaela, ein Eßraum für Soldaten.« – »Um Gottes willen!« (Doña Rafaela sinkt leblos zu Boden.)
 

Auf der einen Seite der Strandpromenade stehen die schönen Villen, auf der anderen Seite ist der schöne Strand des schönen Meeres. Weniger schön aber ist die Straße selbst, keine asphaltierte »Promenade des Anglais«, wie sie Nizza hat, keine parkettierte »Avenue des Planches«, wie in Trouville; holprig und ruppig ist die Straße des Seebads. Lieber ließen sich die Villenbesitzer in ihren Autos rütteln und schütteln, bevor sie auch nur einen Centimo für etwas ausgegeben hätten, was nicht ausschließlich zu ihrem eigenen, privaten Himmelreich – des Menschen Villa ist sein Himmelreich – gehörte. Der schlechte Weg längs der guten Villen ist eines der Symbole für Alt-Spanien. Ein anderes Symbol ist die Kanalisation; solch eine egoistische Kanalisation gibt es sonst nirgendwo.

Jetzt, wir leben in Neu-Spanien, wird der Weg von Rekonvaleszenten verbessert, damit die in den Sanitätswagen ankommenden Kameraden nicht auf dem letzten Stück der Strecke Schützengraben–Hospital peinvoll emporgeschnellt werden.
 

»Und, Doña Carmençita, wenn Sie erst sehen würden, was für Typen sich jetzt auf unserer Strandpromenade herumtreiben . . .«

Nein, das ist nicht das mondäne Publikum eines mondänen Seebads. Es sind Soldaten, – o, Doña Carmençita, wenn es wenigstens Soldaten wären wie zum Beispiel unser schneidiger General Franco oder unser witziger General Queipo de Llano oder ihre 230 strammen Mauros. Aber es sind keine Berufssoldaten, nicht einmal Zwangssoldaten für Gott, König und unser Bankkonto, es sind Leute der verfluchten Internationalen Brigaden. Noch dazu Verwundete.

In welchem Aufzug sie sich auf unseren Strand wagen! Zwar tragen sie Pyjamas, aber nicht etwa seidene Strandpyjamas mit Verschnürung und Quaste, sondern lediglich die rauhwollenen Krankenanzüge der Hospitäler, und darüber statt bunter Bademäntel Kittel aus blauweiß gestreiftem Linnen. Einstmals bewunderte man hier Badekostüme mitsamt dem, was sie umhüllten, die Damen die Figuren der Herren, die Herren die Figuren der Damen. Jetzt aber, daß Gott erbarm. Dem einen fehlt ein Arm, dem anderen fehlt ein Bein, der dritte hat statt einer Badekappe eine Binde um den Kopf, der vierte ist halb in Gips gepackt, der fünfte, sechste geht auf Krücken, der siebente, achte trägt den Arm auf einem »Avion«, das ist eine dreieckig geflochtene und gepolsterte Drahtschiene.

Ja, ja, liebe Doña Carmençita, so sehen sie aus, die Gestalten, die sich jetzt auf unserem schönen Strand herumtreiben, in unseren schönen Wellen baden, unsere schöne Seeluft schlucken. Aus allen möglichen Ländern sind sie zusammengewürfelt, o Doña Carmençita, und sprechen belgisch und negerisch und österreichisch und balkanisch und gottweißwienochisch; ich danke für derart internationale Badegäste.
 

Was auch immer der Mann sich gedacht haben mag, der vor 48 Jahren in der nahen Provinzhauptstadt eine Lokalzeitung zu gründen sich unterfing, so kühn seine Phantasie auch schweifte, keinesfalls erträumte er sich eine Leserschaft, wie das Blättchen sie 48 Jahre später fand.

Sieh dorthin: auf der niederen Ufermauer sitzen drei Verwundete, alle drei aus der gleichen Stadt. Der eine ist ein Chinese und las daheim nur sein chinesisch geschriebenes, chinesisch gedrucktes Blatt, der andere ein Jude, der in San Francisco teils jiddische, 231 teils russische Zeitungen las, der dritte ein Armenier, der zeit seines Lebens nie eine andere Schrifttype las als die armenische. Sie versuchen gemeinsam, den Heeresbericht zu entziffern, der auf spanisch in jenem vor 48 Jahren gegründeten »Heraldo de Levante« abgedruckt ist. Auch über das gestrige Bombardement des Kurorts steht etwas darin; alle hier wissen mehr Details darüber als der amtliche Bericht und dennoch werden dem kleinen Zeitungsverkäufer die Exemplare des »Heraldo de Levante« abgekauft von Engländern und Polen, Kubanern und Deutschen, Franzosen, Balten, Ungarn, Jugoslawen, Italienern, Skandinaviern, Rumänen, Türken und dem Polarfuchsjäger aus Alaska, dem immer so heiß ist und der deshalb auch in Sommersglut einen dicken Schaffellmantel und eine Schaffellmütze trägt.

Wie gesagt, obwohl wir von dem Gründer unseres »Heraldo de Levante« nichts wissen, wissen wir doch, daß ihm eine dergestalt polyglotte Leserschaft nicht vorgeschwebt haben kann. Ferner wissen wir, daß er sein Blatt vor 48 Jahren gegründet hat, denn auf der Titelseite steht: 48. Jahrgang.
 

»Und diese Gesellschaft, liebe Doña Luisita, wohnt heute in unseren schönen Villen mit unseren schönen Namen, in der Villa Conchita, in der Villa Carmençita, in der Villa Rosita, in der Villa Lola, in der Villa Luisita, in der Villa Eulalia, in der Villa Rafaela . . .

Dabei tragen unsere Villen nicht mehr unsere Namen, Doña Luisita! Die Roten, diese glaubenslosen Heiden, denen nichts, gar nichts auf der Welt heilig ist, haben unsere Namen beseitigt, und unsere Villen heißen jetzt nach irgendwelchen Personen, von denen ein anständiger Mensch nie etwas gehört hat: Garibaldi, Masaryk, Maxim Gorki, Luise Michel, Dombrowsky, John Reed, Henri Barbusse, Rosa Luxemburg, Lina Odena, Diakovic, Paul Vaillant-Couturier, Hans Beimler, Ralph Fox, Edgar André, Pawlow, Sozzi, Henri Vuillemin, Jacquemotte und Durutti, Ernst Thaelmann, Mathias 232 Rakosi und Anna Pauker, Dimitrow, Azaña, Marcel Cachin, Miaja, Pasionaria, André Marty, Jacques Duclos, Maurice Thorez und Alvarez del Vayo.«
 

Nach Schluß der Badesaison wohnte früher nur ein Wächter mit seiner Familie im Badeort, jetzt leben an 1.600 bis 1.700 Menschen das ganze Jahr hier. Unaufhörlich ziehen ihrer Hunderte von dannen, aber niemals sinkt die Bevölkerungszahl. Unaufhörlich fabrizieren die Mordmaschinen des Krieges neuen Nachschub.

Oben auf den Bergen toben die Schlachten. In der ersten Eisenbahnstation hinter der Front werden die Verwundeten in den Sanitätszug verladen, der, falls er Soldaten der Internationalen Brigaden befördert, in eines ihrer Hospitäler rollt.

Über die Sanitätszüge ist auszusagen, daß sie an Ausführung des Mobiliars, der Nickelgestänge, des Operationstisches, der Schränke für Instrumente und Medikamente, des Badeabteils und dergleichen oft jedes vornehme Sanatorium in den Schatten stellen. Ist das nicht Luxus, unangebrachter Luxus, fragt mancher kopfschüttelnde Kopf, ist das nötig für eine so kurze Fahrt? Der Frager erhält die Antwort, es sei nicht gerade nötig für die transportierten Kranken, aber es sei dringend nötig für die Arbeiter, die das hergestellt und geschenkt haben und die nur das Schönste und Beste und Teuerste für ihre verwundeten Kameraden herstellen und schenken wollten.

Vermittels dieses fahrbaren Paradieses entschwebt der verwundete Soldat dem Bereich des höllischen Feuers, des überhöllischen, von Handgranaten, Wurfminen, Brandbomben, Artillerie, Mitrailleusen, Gewehren geheizten und gespeisten Feuers.

Bei der Ankunft am Bahnhof werden die Kranken in Sanitätsautos umgeladen. Fahrt zur Triage, zur Verteilung. In den grauen Zeiten des Vorkrieges war an der Landstraße eine großmächtige Garage angelegt worden. Da man auf der Strandpromenade nicht gut 233 fahren konnte (siehe oben) und sie auch nicht fahrbar machen wollte (siehe oben), ließen die Villenbesitzer ihre Autos in der Garage und gingen die paar Schritte von und zur Villa zu Fuß. Platz war genug in der Garage und überdies Platz für die Autos jener Herrschaften, die von der ganzen spanischen Levante ins Hotel Riviera kamen, um in ebenbürtigem Kreise zu dinieren.

Die neuen, die jetzigen Bewohner des veränderten Badeorts haben keine Privatautos, und so wurde die Garage zu einem Theater umgestaltet mit Bühne, Schnürboden, Garderoben, Kulissen und was dazu gehört. »Teatro Henri Barbusse« heißt dieses Theater mit auswechselbarem Zuschauerraum. Und der Zuschauerraum wird öfter ausgewechselt als das Repertoire. Das Repertoire besteht meist aus Bunten Abenden. Ein bessarabischer Chirurg erweist, daß er nicht nur ein Bessarabier und ein Chirurg, sondern auch ein Bariton ist, und zwar ein guter. Mit Kastagnetten treten eine Krankenschwester und die Lehrerin des Kinderheims auf; beide Andalusierinnen, singen und tanzen sie den Dreivierteltakt einer Malagueña. Ein amerikanischer Verwundeter, erster Cellist der Metropolitan-Oper von New York, spielt eine Komposition von Saint-Saëns. Zwei Bayern führen ein Schattenspiel aus der Heimat auf und hinterher ein zweites, in dem sie einen Militärbürokraten verulken. Ein Negerchauffeur stept – und mitten im Steptanz kommt Adolphe auf die Bühne, sein Gang ist dem Chaplins ähnlich, aber keineswegs tritt Adolphe als Komiker auf, keineswegs, um dem Negertänzer ein Partner zu sein. Er macht eine Mitteilung: Verwundetentransport angekündigt.

Sofort sind die Bühne leer, das Orchester leer und der Zuschauerraum leer. Ein Szenenwechsel, ein Dekorationswechsel vollzieht sich, wie er sich im technisch modernsten Großstadttheater nicht schneller vollziehen könnte.

Statt mit Stühlen und Bänken ist die Halle im Nu 234 mit Betten gefüllt, mit sechzig schneeweiß überzogenen Betten. Statt des kalten Büfetts stehen Kessel mit Tee oder Kaffee und Suppe auf der Theke. Auch Zigaretten, sonst ein rarer Artikel, tauchen aus einer Versenkung, die zum Glück niemand kennt, plötzlich kistenweise auf; soviel Verwundete avisiert sind – und es können bis 250 sein – soviel Zigarettenpäckchen.

An der Eingangstür, wo vor der Theatervorstellung der Billeteur stand oder wenigstens hätte stehen können, sind jetzt Tische mit Papieren und Stempeln aufgestellt.

Vom Bahnhof rollen die Sanitätsautos heran, in die die Patienten vor fünf Minuten aus dem Zug gehoben wurden; jetzt kommen sie auf Bahren, getragen von den starken Armen der Brancardiers, durch die Sperre, wo die Papiere kontrolliert werden. Flinke Garderobiers helfen ihnen aus den Kleidern, helfen ihnen in neue Wäsche und in die Betten.

Die Ärzte treten in Aktion, sie wickeln die Verbände ab und legen neue an, sie stellen die Diagnose und nach ihr und nach der Zahl der in den einzelnen Villen verfügbaren Bettstellen weisen sie jedem sein künftiges Quartier im Orte zu. Es wird gefuttert oder gefüttert, die Schwadron der Pflegerinnen schwestert durch den Saal, der sich allmählich von Menschen leert und schließlich auch von Bazillen, denn im Laufe der Nacht muß alles desinfiziert sein.

Am Morgen ist der nachts Angekommene ein richtiger Kurgast, das heißt einer, der dem Tag entgegenharrt, da er wieder an die Front gehen kann und das Teatro Henri Barbusse, das sein Empfangsraum war, zu seinem Abschiedsraum wird.

Alle hier sind von dem Wunsch . . .

Nein, so leicht läßt sich dieser Satz nicht beenden. So ohne weiteres läßt sich nicht etwas aussprechen, was allen Lehren vom Selbsterhaltungstrieb widerspricht und den Verdacht erwecken könnte, hier werde heroisiert und idealisiert. Man kann insbesondere dann das Ende des Satzes nicht schlechtweg als Feststellung hinschreiben, wenn man den Weltkrieg erlebt hat mit 235 seiner Massenverfitzung von Desertiererei, Simuliererei, Selbstverstümmelei und anderen Abarten von Drückebergerei. Bevor gesagt wird, daß und warum dem anders ist bei den Internationalen Brigaden, muß deren Genese vergegenwärtigt werden.

Ganze Kolonnen, ganze Zenturien, ganze Kompanien, ganze Bataillone, ganze Brigaden aus je einem fremden Land, viele nichtspanische Formationen stehen im spanischen Feld. Diese Formationen kamen nicht als Formationen, nicht als Truppentransport, nicht brigadeweise, nicht bataillonweise, nicht kompanieweise, ja kaum gruppenweise in den Krieg gezogen, beinahe jeder Mann erschien allein, einzeln, auf eigenen Entschluß hin aus persönlicher Überzeugung.

Keine Kriegsgeschichte kannte bisher ein Freiwilligenheer von solch nationaler Vielfalt und solch ideologischer Einheit, und noch niemals gab es Freiwillige, denen auf ihrer Fahrt zur Freiwilligkeit ein derartiges Maß von Schwierigkeiten, Strapazen, Opfern auferlegt ward. Woher das Reisegeld nehmen? . . . Frau und Kind daheim . . . die Grenze . . . wieder eine Grenze . . . wieder Paßkontrolle . . . wieder Verhör . . . wieder Haft . . . die Entfernung vor dir . . . Hunger . . . Fußwanderung, Fußschmerz . . . ein hartnäckig dich begleitender, unheimlicher Hund . . . als blinder Passagier im Zug, als blinder Passagier im Laderaum eines Schiffes . . . kommst du noch zurecht? . . . kommst du noch zurecht?

Endlich, endlich waren die Pyrenäen überschritten, atmete man Spanien, war man unter Kameraden. Endlich, endlich bekam man eine Waffe, nachdem man jahrelang ein wehrloses Opfer in der Gewalt höhnischer Schergen gewesen war. Endlich, endlich ging's zur Abrechnung mit dem Faschismus.

Und – und –

Und nun liegt man da in einem Lazarett. Darum Weltumwanderung? Soll dieser Scheißschuß meinen ganzen Anteil am Krieg gegen den Faschismus ausmachen? Soll schon Schluß für mich sein? 236

Nein, es ist noch nicht Schluß mit dem Kampf. Und es ist auch nicht Schluß mit dem oben begonnenen Satz. Er lautet: Alle hier sind von dem Wunsch erfüllt, möglichst rasch an die Front zurückzukehren. Wie es sonstwo in Armeen Deserteure gibt, gibt es hier ihre Gegenspieler, für die wir das Wort »Inserteure« versuchen wollen; sie »flüchten« aus Etappenstationen und aus Spitälern des Hinterlands in die Schützengräben. Wie man in anderen Kriegen strafbare Soldaten an die Front schickt, schickt man in dieser seltsamen Armee strafbare Soldaten aus dem Land. Und – ist das nicht noch seltsamer? – Von diesen strafweise Repatriierten versuchen viele wiederzukommen.

Frage irgendeinen Arzt der Brigaden, was das Auffallende seiner Kriegspraxis ist, und er wird antworten: »Dissimulation. Die Burschen simulieren Gesundheit. Umgekehrte Schwejks, lügen sie, die Wunde schmerze nicht mehr, der Stuhlgang sei so in Ordnung wie der eines Prinzgemahls. Sie schwindeln die Fieberkurve herunter, und wenn es ginge, würden sie auch die Röntgenbilder retuschieren.«

Um zwei Uhr nachmittags fährt ein Sanitätsauto den Strand entlang, nimmt aus den Villen Passagiere auf und führt sie zum und vom Röntgenlaboratorium, wo Lichtstrahlen die Leibesvisitation des Patienten vornehmen.

Schlachtfelder sind Massengräber der Geschosse. Auf der Sierra de San Just oder am flachen Ufer des Ebro, bei Teruel und bei Saragossa schwirren Myriaden von Projektilen im Wirrwarr und im Kreuzundquer durcheinander, die zehntausendfach meisten bohren sich ins Erdreich oder bleiben in den Furchen liegen, aber viele, noch viel zuviele verlieren sich in menschliche Körper. Diese Projektile und die Verheerung zu suchen, die sie im Organismus angerichtet haben, ist die Aufgabe des Röntgenstrahls – nicht immer weist die Einschußöffnung und nicht einmal die Ausschußöffnung, falls eine vorhanden ist, den Weg zu den 237 verletzten Organen. Da ist ein Stück vom Rippenknochen abgesprungen und, den Schußkanal verlassend, in die Lunge geschnellt, um dort mehr zu verwunden, als es das Geschoß vermochte. Dort wiederum ist eine Kugel an einem Knochen abgeprallt und kauert, als wäre sie nie in den Körper eingedrungen, neben dem Loch, durch das sie gekommen.

Bei Unfällen des Zivillebens läßt sich schon nach der Art des Unfalls, nach der Struktur der Knochen das Wesen der Verletzung und der Sitz des Fremdkörpers einigermaßen begrenzen. In den Sanitätsstationen des Krieges gibt es die typischen Frakturen fast nicht, wie sie die chirurgischen Kliniken und die Rettungsstellen friedensgesegneter Städte tagtäglich behandeln. Schüsse kennen keine Regel und haben keine Gewohnheiten. Nur eine, und die ist keine gute: sie verbinden die innere Wunde mit der Außenwelt, jede Fraktur ist demnach eine offene Fraktur, und durch den Schußkanal kann sich die Infektion einschleichen, selbst wenn der Verband dicht und fest anschließt. Die Blendlaterne des Röntgenologen sucht, und nicht bloß einmal, den Körper nach allem Feindlichen ab. Gibt es Gewebszerstörung? Wohin fließt das Blut aus der Wunde ab? Wie hoch steht das Exsudat im Hämothorax, sinkt der Pegel? Wandert das Geschoß?

»Komm in vier Tagen wieder, Kamerad.«

Täglich um zwei Uhr nachmittags fährt das große Auto zum und vom Röntgenlaboratorium.
 

Die Kleine Chirurgie ist keine kleine Sache, wiewohl sie kaum Amputationen vornimmt, es sei denn Finger oder Zehen, und wiewohl sie ohne Narkosen auskommt, abgesehen von dem recht kurzfristigen Kelen-Rausch. Ihre Operationen sind septische Operationen, für Laien gesprochen: sie betreffen eiternde Wunden. Aber auch Schüsse, die nicht tief unter der Epidermis stecken, können gefährlich, auch leichte Schüsse können schwer sein, die Masse tut's. Wir erinnern uns eines Kameraden, eines Bildhauers aus Wien, der hatte zweiundachtzig 238 Sprengstücke abbekommen, aber man sah sie nicht und ihn nicht, er war eine einzige Eiterbeule. Eine gutgelaunte Eiterbeule übrigens, er sprach so optimistisch von seiner Heilung, daß den beiden jungen Ärztinnen, die seinen Optimismus nicht teilten, die Tränen in die Augen traten. Dann kam noch eine Lungenentzündung hinzu . . .

Vor unserem Fenster spaziert jemand den Strand entlang. »Hallo, Franz, gerade schreibe ich, wie du ausgesehen hast, als du herkamst.«
 

Die Große Chirurgie arbeitet aseptisch, mit Narkosen und mit Sägen, in Bauchhöhlen und in Gehirnen, sie näht und gipst, sie fügt Knochen, Muskeln und Sehnen zusammen. Das »Lehrbuch der Kriegschirurgie« ist ein dickes Buch mit dreiundzwanzig Haupt- und mehr als hundert Nebenkapiteln, allumfassend. Dennoch könnten die Ärzte der Internationalen Brigaden es um ein Kapitel bereichern. Es würde etwa heißen: »Wirkungen von Kriegsverletzungen auf die in Konzentrationslagern mißhandelten Organe«. Bestimmte Zustände der Nieren oder des Darms ermöglichen die Diagnose, in welchem deutschen Konzentrationslager der Patient gewesen ist.

Aus der Villa Pawlow sieht man manchmal einen Sanitäter mit einem in Leinwand eingeschlagenen Gegenstand kommen. Das ist ein amputiertes Bein oder ein amputierter Arm.

»Was ist das Schwierigste in der Chirurgie?« fragen wir, »die Amputation, nicht wahr?« – »Nein«, antwortet der Chef der Großen Chirurgie, »schwieriger als zu amputieren ist: nicht zu amputieren.«
 

Die in der Pharmazie vorrätigen Arzneimittel sind zumeist Liebesgaben von ausländischen Organisationen, Fabrikbelegschaften und auch von Ärzten, die die ihnen zugehenden Probepackungen an die Spaniensoldaten weiterleiten. Solch eine Internationale der Medikamente ist nicht leicht zu führen, solange zwar 239 die Spender, nicht aber die Spenden von internationalem Geist erfüllt sind. Verzweifelt rauft sich die Kameradin Pharmazeutin ihr fuchsrotes Haar. Denn was dem Deutschen ein Strophantin ist, ist dem Franzosen ein Ouabaïne. Den Phantasienamen des Präparats, das der amerikanische Doktor dringend fordert, hört sie zum erstenmal; es bleibt ihr nicht einmal Zeit, sich ihr fuchsrotes Haar zu raufen, sie muß rückfragen, welches aktive Prinzip dem verlangten Ding zugrunde liegt, um der Kundschaft etwas Ähnliches anbieten zu können. Oft kann der Arzt die Gebrauchsanweisung oder Dosierung von der Verpackung des ihm fremden Präparats nicht ablesen, denn sie ist zum Beispiel in russischen Buchstaben gedruckt.

Nicht nur mit den Präparaten ist's ein Graus, ein Graus ist's auch mit den Maßen und Gewichten. Engländer rezeptieren nach Grains und Unzen, wie soll die fuchsrote Pharmazeutin auf Grund solcher Rezepte Salben und Tränke mixen, wenn sie zu Paris an der Faculté de Pharmacologie nur nach Gramm zu mixen gelehrt ward? Wie soll sie sich in den aus England gespendeten Fußgläsern und Spritzenröhren und Eprouvetten auskennen, die nach einem mittelalterlichen angelsächsischen Maß kalibriert sind?

An Fieberthermometern gibt es viel zu wenig, und diese wenigen sind sozusagen in Sekten und Fraktionen gespalten; eine Sorte mißt nach Celsius, eine andere nach Fahrenheit, eine dritte, die einheimisch-spanische, besteht aus so dünnen Röhrchen, daß man die Quecksilbersäule kaum erkennen, geschweige denn ablesen kann, auf welchem Breitegrad sie sich eben aufhält.

»What damned kind of gauze have you sent me?« wird von jemandem angerufen, für den jede nicht antiseptische, jede nicht mit Cyangas oder Borsäure imprägnierte Gaze eine »damned kind of gauze« bedeutet.

»Was für ein verfluchtes Zeug von Mull haben Sie mir da hergeschickt?« klingelt es ein paar Minuten später. Hallo, wer spricht? Ein deutscher Arzt, für den nur aseptische Gaze gilt und die cyanide und 240 borische Gaze »ein verfluchtes Zeug von Mull« bedeutet.

Unter solchen Umständen bleibt euch, Verbandstoffe aller Sorten, nichts anderes übrig, als euch zu einem Einheitsverband zusammenzuschließen. Präparate aller Konzerne, einigt euch auf gemeinsame Namen. Medizingefäße, einigt euch im internationalen Maßstab auf einen internationalen Maßstab und kommt nach Spanien. Man braucht euch, man braucht chirurgische Instrumente, Thermometer, Medikamente, Watte . . . Alles, was da ist, ist zu wenig. Eine Kiste von fünfzig Kilogramm Watte reicht im Villenhospital nur für neun Tage, ein Faß mit 50 Liter Alkohol kaum eine Woche, tausend Verbände von je zehn Meter Länge und 600 Meter Gaze für Kompressen höchstens ebensolang.

Wenn man dem Erdball am Äquator einen Bauchverband umwickeln und diesen mit Kompressen belegen wollte, so würde man weniger Verbandzeug benötigen, als allein die Freiwilligen der Internationalen Brigaden seit Kriegsbeginn für ihre Wunden verbrauchten. Von dem Rest könnte man der Erde am Nordpol ein Capistrum aufsetzen, einen Kopfverband. Und der Krieg ist noch nicht zu Ende.
 

Was Menschenblut anbelangt, übersteigt das Angebot bei weitem die Nachfrage. Kaum wird die Nachricht von einer vorzunehmenden Bluttransfusion bekannt, drängen sich so viele Blutspender heran, wie anderswo Arbeitslose zu einer freigewordenen Arbeitsstelle. Krankenschwestern, Zivilarbeiter, Chauffeure, jeder möchte ums Leben gern ein Opfer bringen, wenn er schon nicht an der Front sein kann; und auch Leichtverletzte und Rekonvaleszenten bieten sich an, die eben erst ihr im Feld vergossenes Blut wiederproduziert haben.

In der Villa »John Reed« bittet ein Schweizer Patient, ihn bei der an einem Spanier vorbereiteten Blutübertragung als Spender zu verwenden. »Wir 241 müssen erst feststellen, ob ihr beide die gleiche Blutgruppe habt«, erwidert der Arzt. – »Ich bin von der gleichen Blutgruppe.« – »Das kann niemand wissen, wir haben dem Patienten noch keine Blutprobe abgenommen.« – »Doch, Kamerad Doktor, ich weiß es . . . in Guadalajara habe ich von ihm Blut bekommen.« Die Rückgabe erfolgt.

Ein Norweger von Blutgruppe A bedurfte einer Transfusion. Nur in den Adern eines einzigen aller Blutspender floß diese Blutgruppe, und dieser eine war ein pechrabenschwarzer Neger. Unter diesen Umständen hätte in Hitler-Deutschland der nordische Jüngling verrecken müssen, denn eine Überführung von Negerblut in Germanenblut ist Sünde wider das Blut, ist Rassenschändung und schlimmer als alle Tode, einschließlich eines vermeidbaren Todes durch Entblutung.
 

Zahnärzte gibt es überall, es gibt sie also auch hier. Um ihre blühende Praxis könnte sie jeglicher Zahnarzt der Welt beneiden, wenn nur ihr Handwerk goldenen Boden hätte. Hat aber keinen. Statt mit Gold wird der hohle Zahn mit Zement oder Porzellan gefüttert, statt silberner Gaumenplatten gibt es solche aus nichtrostendem Metall.

Arg sind die Kieferschüsse. Sie wirken auf das Gebiß wie Bomben auf einen Häuserblock; hier sind die Häuser bis zum Keller vernichtet, daneben hängt ein Balkon in schwebender Lage und muß entweder gestützt oder abgetragen werden, dort ist ein Raum mit Geschoßstücken gespickt und mit Schutt verlagert.

Die zahnärztliche Klinik der Villenstadt gehört Johann Amos Comenius, beziehungsweise dessen erberklärten Landsleuten. Die tschechische Demokratie kam der spanischen mit einem Hospital zu Hilfe, einem vollständigen Hospital mit Chirurgen, Internisten, Dentisten, Krankenschwestern; die Anschaffung des Sanitätsmaterials hat eine halbe Million Tschechenkronen gekostet, und die Nachsendungen repräsentieren ein Vielfaches dieses Wertes. So wie die Amerikaner, die 242 Schweizer, die Schweden-Norweger und die Zweite Internationale, so wie das chirurgische Operationsauto der Engländer und die Bluttransfusionskolonne der Kanadier im ganzen Kriegsgebiet arbeiten, so arbeitet auch das tschechoslowakische Hospital an den Fronten und versorgt hier die Pavillons »Masaryk«, »Pawlow«, »Rosa Luxemburg«, »Marcel Cachin« und die Zahnklinik.

An den Toren dieser Villen steht »Komensky« angeschrieben, der tschechische Name des großen Humanisten, der in den dreißigjährigen kriegerischen Zeiten als Emigrant das Labyrinth der Welt durchirrte, um der Menschheit den Weg in das Paradies des Herzens zu zeigen.

Alles werde allen gelehrt, war die große Comeniussche Forderung, und der Alte hätte seine Freude, wenn er in den Schulsaal des Kulturhauses hinunterlugen und das Bild, das sich darbietet, seinem Orbis Pictus einverleiben könnte. Die Schulkinder, die dort lesen und schreiben lernen, sind Erwachsene, spanische Soldaten und Krankenschwestern; überall, wo die Internationalen Brigaden in Reserve- oder Ruhestellung sind, organisieren sie Analphabetenschulen, die mehr Zulauf haben als die von spanischer Seite eingerichteten. Vor ihren Landsleuten schämen sich viele Spanier ihres Unwissens, obwohl dieses doch wahrlich nicht ihre Schuld ist.
 

Hauptaufenthaltsort der heutigen Kurgäste, soweit sie nicht bettlägerig sind, ist das Kulturhaus »Maxim Gorki«, das schon früher eine besonders schöne Villa war und nun noch schöner geworden ist. Freilich ist in diesem idealen Klub noch bei weitem nicht alles ideal. Von der Bibliothek hat zum Beispiel jemand gesagt, daß sie mehr Sprachen enthalte als Bücher. In Wirklichkeit sind es 1.500 Bände in zwölf Sprachen, aber das ist zu wenig für die über viel Lesezeit und viel Lesehunger verfügenden Kranken. Mit den Zeitungsexemplaren, die teils im Kulturhaus aufliegen, teils 243 den Schwerkranken zugestellt werden, ist der Bedarf ebensowenig gedeckt, und die für die Verteilung Verantwortlichen singen in den Wandzeitungen ihr Klagelied.

Kurse und Zusammenkünfte werden sprachlich getrennt in den Räumen des Klubs abgehalten. Einmal in der Woche hat jede der größeren Sprachgruppen den Hauptsaal für eine Veranstaltung zur Verfügung, zu der dann auch Angehörige anderer Nationalitäten erscheinen, – wenn sie der betreffenden Sprache einigermaßen mächtig sind.

Handgeschrieben, handillustriert, in einem Format von vier Quadratmeter und zehnspaltig erscheint der Generalanzeiger des Hospitals. Er erscheint am Gitter der Villa »Azaña« und in jeder Spalte erstattet eine andere Sprachgruppe Bericht vom Leben ihrer Frontformationen und von den Ereignissen ihrer Heimat.

Allsprachig ist die Selbstkritik in den Wandzeitungen der einzelnen Villen, und überdies hat jede Sprachgruppe ihre Wandzeitung im Kulturhaus. Witzig sind manchmal die Titel: »Der Horcher an der Wand«, »An die Wand gestellt«, »Die Wanze (itung)«, »Die spanische Wand(zeitung)«, witzig manchmal auch der Inhalt. Die journalistische Glanzleistung vollbringen – wer denn sonst? – die Ungarn, sie haben die motorisierte Wandzeitung erfunden, deren Notizen und Karikaturen sich auf Kurbelwellen elektrisch bewegen und von verschiedenfarbigen Glühlämpchen ins rechte Licht gestellt werden.

Der Konkurrenzkampf zwischen den Sprachgruppen tobt sich auch sonst aus. Als zugunsten der asturischen Flüchtlingskinder Spendenmarken verschleißt wurden, zehn Centimos pro Stück, beklebte jede Sprachgruppe eine Tageszeitung ihres Landes auf der Titelseite mit diesen Marken. Jedermann, der zehn Marken kaufte, klebte sie dazu. Vorgestern hatten die Deutschen die Führung, gestern die Spanier, heute die Amerikaner, der Rekord Amerikas scheint gesichert, sie haben schon 1.230 Marken auf ihrem »Daily Worker«. Da klebt 244 unversehens eine chinesische Zeitung an der Wand mit 1.250 Marken – ein einziger Chinese hat die ganzen Löhnungsersparnisse geopfert, damit seine Vierhundert-Millionen-Nation an dem Platz stehe, der ihr gebührt: dem ersten.
 

Fast allabendlich findet ein Vortrag statt, an Vortragenden ist kein Mangel. Einer war bei Franco, ist durch die Linien zu den Republikanern übergegangen und kann nun über das Jenseits referieren, das unvorstellbare, weltenferne Jenseits der gegenüberliegenden Schützengräben. Ein anderer kommt aus dem ernüchterten, reuigen, verzweifelten Saargebiet. Ein dritter ist Spezialist in Gewerkschaftsfragen, ein vierter in spanischer Geschichte und Kultur. Oft sprechen mehrere zum gleichen Thema: der Kamerad, der in Deutschland Reichswehrleutnant war, diskutiert mit dem verwundeten Kriegskommissar vom polnischen Bataillon »Palafox« und mit einem Emigranten aus Kiew, der durch seinen Dienst in der spanischen Volksarmee seine seinerzeitige Desertion aus der Sowjetunion wieder gutmachen will, öffentlich über die ukrainische Frage. Ärzte behandeln populärwissenschaftliche Themen.

Wer aus dem Ausland in Spanien eintrifft, sei er Politiker, Gelehrter oder Künstler, macht hier halt, um Landsleute zu besuchen. Und kaum einer, der etwas zu sagen hat, kommt davon, ohne es gesagt zu haben. Übersetzer aller Zungen stauen ihm den schönen Redefluß, und wenn der Redner seine Rede schon geendigt glaubt, muß er noch Fragen beantworten und sich den Salvo Conducto zur Weiterfahrt im Schweiße seines Angesichts verdienen.

Musiker geben zwar keinen Anlaß zu Diskussionen, aber darum kommen sie doch nicht leichter weg. Der Negersänger Paul Robeson, um ein Exempel zu nennen, mußte auf der Durchreise innerhalb eines Vormittags in allen Schwerverwundetenvillen Konzerte geben, jedes mit reichlich abendfüllendem Programm. 245

Gemeinsam ist allen nichtspanischen Gruppen der Unterricht in der spanischen Sprache, allen Sprachgruppen, auch der spanischen, gemeinsam sind die Konzerte, die Schachturniere und der Sport. Die Musik ist sozusagen die außerdienstliche Dienstsprache der Internationalen Brigaden. Wo man singt, in welchem Idiom es auch sei, laß dich ruhig nieder; sofern du eine Mandoline oder eine Harmonika besitzest, mitpfeifen oder mitsingen kannst, gehörst du dazu, woher du auch stammen magst. Aber selbst wenn du keine Lieder hast, so fehlst du keinen Donnerstag beim Konzert.
 

Immer besteht der Großteil des Programms aus klassischen Stücken. Von den spanischen Komponisten kennt man im übrigen Europa nur die, die sich als Virtuosen das Ohr der Welt erwarben wie der geigende Teufelsschüler Sarasate oder der Cellist Casals. (Übrigens ist die Hoffnung, Pablo Casals werde im Hospital konzertieren, nicht erfüllt worden; wenn er jede Einladung annehmen wollte, müßte er das Land unaufhörlich kreuz und quer durchreisen.) Ebenso wie Pablo Casals, Spaniens größter Musiker, sind Spaniens größter Maler Picasso und Spaniens einziger Nobelpreisträger der Literatur, der Dichter Jacinto Benavente, begeisterte Verfechter der republikanischen Sache und Hasser der faschistischen Generalsclique. Müßte nicht schon dieses Faktum allein genügen, um die Lüge vom »Vandalismus des roten Spanien« überall zu zerstören, müßte nicht allein dieses Faktum jene, die immer die Suprematie der Kunst im Munde führen, veranlassen zu erklären, auf welcher Seite die Sache der Kultur und der Menschheit steht?

Es ist durchaus fraglich, ob die internationalen und die spanischen Soldaten die spanischen Konzertstücke, die sie an den Donnerstagabenden hören, vorher je gehört haben. Mit offenem, vorgeschobenem Mund sitzen sie da, als wollten sie die Melodien einfangen wie den Strahl einer hochgehobenen spitzen Weinflasche. Ihr Beifall ist Taumel. Man denke aber nicht, 246 daß die nichtspanischen Kompositionen schwächer auf die Hörerschaft der spanischen Verwundeten, Pflegerinnen, Dorfbewohner einwirken. Sind es doch oft genug Motive, die von Spanien, von Spaniens Volksliedern, von Spaniens Volksleben oder zumindest von der darüber bestehenden Vorstellung inspiriert sind und nun zurückkehren zu dem Volk, von dem sie inspiriert wurden.

Irgendeine Carmen hört »Carmen«, ein Figaro eines kastilischen Grafen hört den »Figaro«, ein Mädchen von der Liebesliste eines prinzlichen Don Juan hört den »Don Juan«, ein Barbier aus Sevilla lauscht dem »Barbier von Sevilla«, ein kleiner Untertan eines kleinen Corregidor lauscht dem »Corregidor« Hugo Wolfs.

Die Gralserzählung aus dem »Lohengrin« wird gesungen und ein Chemiker aus Barcelona zwinkert seinem Landsmann zu. Für die beiden ist es eine Arie von der Heimat, mitnichten eine von »fernem Land, unnahbar euren Schritten«, sie wohnen ja am Fuße jener Burg, die Montsalvat genannt. Wieder ein anderer Hörer stammt aus Saragossa, seines Häuschens Mauer stößt just an den Kerker des »Troubadour«, des Nachbarn Lied ist es, mag es auch Verdis Lied sein, was da vom Podium erklingt.

Brauchen die Konzerte den größten Saal, um die Menge der Hörer zu fassen, so braucht – wir wollen ehrlich sein – das Fußballpublikum noch viel, viel mehr Platz. Die Fußballmannschaft der Internationalen Brigaden tritt allsonntäglich gegen Gäste aus Städten der ganzen Provinz an. Sie ist im weiten Umkreis berühmt, obwohl ihre Elf fast jede Woche mit einer anderen Elf auf dem Feld erscheint. Denn wer schon so weit ist, Tore zu schießen, kann auch Faschisten schießen und geht als Stürmer oder Verteidiger an die Front.
 

Wir haben davon gesprochen, daß die im Villenhospital verbrauchten Gazeverbände ausreichen würden, die erkrankte Erdkugel an Bauch und Kopf zu umwickeln. Auch genügend Matratzen wären da, um 247 sie darauf zu betten, wenn sie, die längst apoplektische, ihre Bewegung einstellen würde; und die Matratzen könnten mit Leintüchern belegt werden, 8.000 Stück sind hier vorhanden. Krankenwäsche, Leinenmäntel für Ärzte und Pflegepersonal kommen dazu. Die wollen genäht, geflickt und gewaschen sein, und indem wir uns das vergegenwärtigen, sind wir schon mitten drin in den Betriebsanlagen, ohne die eine solche in ein Heilinstitut umgewandelte Ortschaft nicht funktionieren kann.

Selbstverständlich hatten auch die ehemaligen Kurgäste, die mondänen, ihr elektrisches Licht, aber deren Strom reichte bei weitem nicht aus für den transformierten Badeort. Müssen doch die Ärzte bei starkkerzigen Lampen operieren, die Diathermie und der Röntgenapparat verbrauchen Strom, desgleichen die Motoren der Desinfektionsanstalt, des Brausebads und der Werkstätten. Der Werkstätten gibt's viele: Schreinerei, Schusterei, Schlosserei, Autoreparatur, Wäscherei, Plätterei und Nahrungsmittelbetriebe.

Es gibt eine Küche für spanische Mägen, die ganze Gallonen von Olivenöl vertragen, während ein Quentchen Butter sie im Nu zum Erbrechen bringt. Sie sind nicht daran gewöhnt, Spanien ist nie ein Land der Viehzucht gewesen. Merkwürdigerweise hat auch die spanische Fliege (nicht das männerstärkende Mittel, das man so nennt, sondern die wirkliche spanische Fliege) die gleiche Aversion gegen Butter wie der spanische Mensch. In dichten Staffeln schwärmt sie durch Zimmer und Land, sie schwelgt an allem, am Menschen und seiner Uniform und seinen Stiefeln und mit Vorliebe an seinen Exkrementen, sie knabbert am Holz, an der Mauerwand, am Bettuch, sie bedeckt alles als schwarze Fläche; das einzige, woran sie nicht knabbert und was sie nicht in Schwaden bedeckt, das einzige, von dem sie sich mit Ekel fernhält, ist Butter.

Die nichtspanischen Soldaten hingegen vertragen das Öl nicht und nicht die mit Öl zubereiteten Speisen, und für sie wird mit Butter, soll heißen: Margarine 248 oder irgendeinem Fett unbekannten Ursprungs gekocht, soweit solches vorhanden ist. Was die Eingeweide des Spaniers ferner lieben und die Eingeweide des Internationalen keineswegs, das sind die Garbanzos, ein zum Glück unübersetzbares Gewächs, das zwischen Kichererbsen und Saubohnen die Mitte hält und Knallgas erzeugt.

Fernando Cortez und seine Ritter sollen sich während der Eroberung von Mexiko nach den heimatlichen Garbanzos seufzend gesehnt und den Rückzug beschlossen haben, weil sie diese Ambrosia im Heidenland entbehrten. Das steht in Heinrich Heines Ballade »Vitzliputzli«, aber im »Atta Troll« warnt Heine ausländische Verdauungsorgane vor dieser Speise, hundert Jahre, bevor die Internationalen Brigaden das Maschinengewehrgeknatter der Garbanzos am und im eigenen Leibe verspürten:

Dorten aß ich auch Garbanzos,
Groß und schwer wie Flintenkugeln,
Unverdaulich selbst dem Deutschen,
Der mit Klößen aufgewachsen.

Was hilft's, diese Flintenkugeln muß der Bauch laden, weil ihm selten eine andere Munition zur Verfügung steht. Fürwahr, die Beschaffung von Proviant, die Truppenernährung in einem vom Interventionskrieg zerwühlten Land ist ein mehr als schwieriges Problem. Als kleinen Beitrag zu seiner Lösung haben die Interbrigaden eine bescheidene Hühnerfarm und einen Kaninchenstall angelegt, Hähne und Rammler tun, was sie können, Eier werden gelegt und Karnickel werden geworfen, jedoch alle Vermehrung der Kleinviehbevölkerung ist, wenn man so sagen darf, nur ein Tropfen auf den heißen Stein von anderthalbtausend Soldatenmägen.

Ein Magazin für zusätzliche Lebensmittel, wie Eier, Fett, Fleisch- und Milchkonserven, Kakao, Marmelade, besteht; in diesem Magazin ist noch viel Platz, 249 ganze Regale stehen leer. Zusätzliche Lebensmittel aller Ländereien, her mit euch!

Schon für den, der das Bett hüten muß, verläuft das Leben in der Villenstadt anders als für Bettlägerige in friedlichen Landstrichen. Landsleute, auch wenn sie ihn vorher nicht gekannt haben, besuchen ihn und versorgen ihn mit Literatur, kleinere Sprachgruppen halten ihre Schulungskurse oder ihr landsmannschaftliches Beisammensein an seinem Bett ab, so daß man leicht in ein Krankenzimmer geraten kann, wo auf der einen Seite Finnländer und auf der anderen Seite Mazedonier um ein Bett geschart sind und abwechselnd ihre Lieder singen. Die Spanier dazwischen, mit laut betontem Stolz, den Internationalen Brigaden angehörend, singen mit, auch finnisch und mazedonisch.

Manchmal bestreitet der Besuchte die Unterhaltung, indem er Soli singt oder Mandoline spielt, wie Franz Luda zum Beispiel, ein echter Wiener, der nicht untergeht; sein Bett war das Konzertpodium, das Krankenzimmer von Villa »Marcel Cachin« war der dichtbesetzte Konzertsaal, das Programm bestand aus Wiener Liedern, und der Vortragende sprudelte von guter Laune, seinen beiden amputierten Beinen zum Trotz.

Wer sich, wenn auch nur auf Krücken, bewegen kann, begibt sich auf den Strand, bis zur Brandung hinaus. Noch in der ersten Dezemberhälfte kann man im Meer baden. Mit Volks-, Zellen- und Kompaniegenossen sitzt es sich gut auf der Ufermauer, haselnüsseknackend und orangenschälend und von der Verwundung sprechend und vom Verbandwechsel und sonstigen Phasen des Heilungsprozesses.

Glaubt nur ja nicht, daß der verwundete Soldat keinen Besitz habe, dessen er sich rühmen könnte. Er trägt ihn Tag und Nacht bei sich, sorgsam in Gaze gehüllt, und dieser Besitz ist ein Projektil, das vorher in seinem Hals stak oder in einem Knochen oder in der Brusthöhle. Auch ein Feuerzeug kann es sein; es war in der einen Brusttasche und hemmte den direkt aufs Herz zusausenden Faschistenschuß. 250

Aufs Essen wird in allen Tonarten aller Idiome geschimpft. Der Maulesel, den es heute zu Mittag gab, das steht tagtäglich fest, muß der Nestor aller spanischen Maulesel gewesen sein. Von Kameraden, die in den Nahrungsmittelbetrieben erwerbstätig sind, erfährt man, was an außertourlichen Genüssen für heute zu erwarten steht: ob in der Kantine Wermuth ausgeschenkt wird oder Bier (ach, es ist kein echtes Bier), ob es im Klub vielleicht Wurstbrote, Kuchen oder Traubensaft zu kaufen gibt. Oder gar Zigaretten?

Nein, Zigaretten gibt es niemals zu kaufen, man muß sich mit dem begnügen, was man ausfaßt, und das sind leider fast immer die in Farbe und Geschmack greulichen spanischen Zigaretten, die in der Soldatensprache »Antitank« heißen. Manchmal kommen auch Liebesgaben: »Gauloises« aus Frankreich, »Vlasta« aus der Tschechoslowakei, »Guard's Parade« aus England, »Lucky Strike« aus Amerika, aber alles zusammen stopft die Münder der Raucher noch lange nicht. Gibt es nicht mehr Zigarettensorten in Frankreich, England usw., nicht noch andere Staaten mit Tabakmanufaktur? Zigaretten aller Sorten, Soldaten wollen euch rauchen!
 

Vom Balkon der Villa »Dombrowski« herab, deren Betreten Nichttyphuskranken verboten ist, halten halbgeheilte Typhuskranke Cercle, unten auf der Strandpromenade versammelt sich die Hörerschaft. Kommt eine Krankenschwester des Weges, so rufen ihr Dänen und Polen, Kranke und Gesunde wie aus einem Mund »Guapa« zu, »du Schöne«; daß diese Huldigung obligat ist, haben sie schon gelernt, bevor sie noch den spanischen Sprachkursus besuchten, und die Krankenschwestern, auch jene, die noch vor Jahresfrist Klosterschwestern waren, haben schon gelernt, lachend mit »Guapo« zu antworten, »du Schöner«. Nur der Schüttelreimer, der unvermeidliche, steht abseits und brummt in sein unrasiertes Kinn: »Was geht mich denn die Carmen an – Wenn ich sie nicht umarmen kann.«

Eine der Pflegerinnen ist die Trini, um dieses Namens 251 willen besonders bei den Deutschsprachigen populär. Aber Trini ist keine bayrische oder österreichische Trini, sondern eine katalanische Trini, keine abgekürzte Katherine, sondern eine abgekürzte Trinidad. Zierliches Persönchen mit dem Teint eines Kindes, das Haar schlicht über die Ohren gekämmt, bescheiden und hell lächelnd, – ein Frauenkenner würde auf den ersten Blick feststellen, daß das Leben dieses Mädchens immer ruhig und ohne Zwischenfälle verlief. Sie tut in der Villa »Paul Vaillant-Couturier« ihren Dienst, bringt das Essen und die Medikamente, legt die Tampons zusammen, macht Verbände, kommt auf den leisesten Zuruf mit der Flasche oder mit der Pfanne.

Bevor sie Krankenschwester wurde, tat sie ihren Kriegsdienst auf andere Art.

Am 20. Juni 1936, als in Barcelona das Gebäude der Capitanea gestürmt wurde, darin sich der Möchtegern-Diktator von Katalonien, General Godet, verschanzt hatte, war Trini vorneweg und bekam einen Revolverschuß in die Schulter. Vor Tardiente, bei den Milizen, gehörte sie zu den ersten, die das Handgranatenwerfen erlernten, und sie warf gut; dort riß ihr ein Granatsplitter das rechte Ohr weg. In den Huesca-Kämpfen des Herbstes 1936 traf ein Gewehrschuß Trinis Hüfte und sie mußte weg von der Front, für immer, denn das Kriegsministerium verbot den Frauen den Dienst in der Truppe.

»Guapa«, ruft ihr ein Soldat zu, da sie vorbeigeht. – »Guapo«, antwortete Trini mit mädchenhaftem Lächeln.
 

Vor dem Kinderheim spielen in den Schulpausen die Kinder mit den Soldaten. Die Kleinen haben ihre Eltern durch den Krieg verloren, Vater wurde von Francos Mameluken füsiliert, Mutter von Francos Bomben zerrissen. Die internationalen Onkels sind an die Stelle der Eltern getreten. So war es und so ist es wohl in jedem Kriege, daß der Soldat die fremden Kinder liebt; sie erinnern ihn an das Heim, das er entbehrt. Der Internationale liebt die Kinder noch 252 mehr, denn er entbehrt des Heims noch mehr als andere Soldaten, er ist schroffer von der Heimat abgeschnitten, keine Feldpost führt vom Kriegsschauplatz nach Hause, und sofern die Seinen gar in Deutschland, in Italien, in Österreich, in Jugoslawien, in Polen oder in Ungarn wohnen, führt überhaupt keine Post aus dem republikanischen Spanien dorthin.

Mit spanischen Kindern spielt er am spanischen Strand, und die Kleinen sind's recht zufrieden. Sandburgen, wie man sie mit Hilfe der Soldaten bauen kann, gibt es nirgendwo, Sandburgen nach allen Regeln der Festungstechnik. Und die ulkigen Tänze, die ihnen der mit weißen Bandagen umwickelte Onkel Neger beibringt. Und die großen Camarados haben immer Mitbringsel in der Tasche: einen Farbenkasten oder selbstgeschnitzte Marionetten oder etwas Naschbares.

Als Gegengabe malen die Kleinen den Onkels buntbunte Bilder; eines stellt zum Beispiel das Innere eines Kaufmannsladens dar, ein anderes einen Urwald mit Affen auf den Bäumen und mit Löwen, ein drittes das brave Rotkäppchen und den schlimmen Wolf, aber auch über diese unmilitärischen Sujets lassen die kleinen Zeichner Flugzeuge mit dem Hakenkreuz schwirren, aus denen rot und gelb gekritzelte Bomben fallen.

Spanische Kinder muß man rezitieren gehört haben, von Stimme, Mimik und Gestus des kleinsten Hosenmatzes könnte ein Hofschauspieler lernen. Zum Gesang scheint gleichfalls ein jedes geboren, und einen Flamenco zu singen, das heißt zur ewig gleichen Melodie keck einen Stegreiftext, macht zehnjährigen Buben keine Schwierigkeiten. Ihr besonderer Stolz aber ist, daß sie »englisch« oder »deutsch« singen können, nämlich die Refrains der fremden Soldatenlieder, die sie sich gemerkt haben: »Smile boy, that's the style« oder »Lore, Lore, Lore, Lore, schön sind die Mädchen von siebzehn, achtzehn Jahren«.

Ob sie jedoch singen oder deklamieren, ob sie 253 Strandburgen bauen oder ulkige Negertänze nachahmen, ob sie spielen oder tollen – aus all ihrer Ausgelassenheit schimmert Melancholie hervor. Irgendwo haben sie, die Waisenkinder Spaniens, ihr ihnen unbegreifliches Schicksal begriffen, das Überstandene nicht überstanden.
 

Früher als einstmals beginnt jetzt im Seebad das Nachtleben auf dem Strand. Nach Sonnenuntergang ist es stockdunkel, kein Licht darf auf Straße und Meer hinausdringen. Man sieht die Hand vor den Augen nicht, stolpert über und in Müllkästen, die vor den Villen stehen, und stößt in jeden Entgegenkommenden. Am Fluch bei diesem Zusammenstoß oder aus dem erhaschten Gesprächsfetzen der ungesehen Vorübergehenden erkennt man die Nationalität.

Der Abendwind kämmt mit phosphoreszierenden Kämmen die brünetten Locken der See. Am Himmel hängt ein Stern, ein kleiner, er hängt so tief, daß er an den Horizont stößt. Man schwört, es sei das Licht eines Mastbaums. Wenn die Wellen hoch emporrauschen, bewegen sich in den Augen des Betrachters nicht die Wellen, sondern das Sternchen, es verlöscht, um wieder aufzuflammen. Man schwört, ein Schiff gebe Lichtsignale.

Rechts zuckt eine Sternschnuppe über den Himmel. Das kann eine Leuchtpistole sein oder eine niederfallende Brandbombe, und zwar eine von neuer Art: sie brennt schon während des Abwurfs. Wetterleuchten, ein Gewitter mit Blitz und Donner, – sind das nicht Schiffskanonen, oder ist eine Seeschlacht im Gange oder eine Truppenlandung oder nur das übliche Bombardement einer harmlosen Küstenstadt?

Im Juni sah man auf dem Meer einen Frachtdampfer, den ein Flugzeuggeschwader mit Bomben bewarf. »Legazpi« hieß das Schiff, es führte einen »Autochir«, einen Wagen für chirurgische Operationen an Bord und Tonnen von Sanitätsmaterial. Knapp vor dem Ziel wurde es von einer Brandbombe getroffen 254 und bald darauf standen Holz und Äther und die Demijohns voll absoluten Alkohols und die Wattekisten und die Gazeballen in hellen Flammen. Die Mannschaft sprang ins Meer.

Rekonvaleszenten fuhren in Booten hinaus, um zu retten, was zu retten war. Der Chef des Hospitals, obwohl er herzkrank war und Gelbsucht hatte, blieb die ganze Nacht und den nächsten Tag draußen, bis von dem Schiff nur der Eisenrumpf sich im Wasser drehte. Dann ging der Arzt heim, legte sich mit hohem Fieber zu Bett. Einige Tage später starb er. Er war ein Emigrant aus Deutschland und hieß Günther Bodetzk.

Dunkel ist die Nacht des Badeorts, dunkel das Meer, in dessen Tiefe die Schiffe mit Nahrungsmitteln und Arzneien torpediert werden unter genauester Überwachung des Nichtinterventions-Komitees, das in der Tat gegen die nichtintervenierenden Interventionisten nicht interveniert.
 

Mit dem Aufheulen der Sirene kommt der neue Tag, er kommt von den Balearen her, von der italienischen Flottenbasis Mallorca, als ein stumpfer Winkel langsam heranschwirrender Bomber. Über dem Meer fliegen sie hoch, über den Villen des Lazaretts fliegen sie niedrig, da die Abwehrbatterien sie nicht beschießen können, ohne die Häuser zu treffen. So niedrig halten sich die Capronis, daß es scheint, ihre Tragflächen würden die Dächer von den Häusern fegen. Sie werfen Bomben auf die Landstraße und auf die Bahnlinie, sie kreisen über den Orangenhainen und beschießen die dahin Flüchtenden mit Maschinengewehren.

Kinder springen schreiend hin und her, fieberkranke Patienten rennen aus den Villen, eine Gruppe von Pflegerinnen stiebt auseinander, sie zerren die ein zu deutliches Ziel bildenden weißen Leinenkittel vom Leib, ein Blessierter wirft sich, da das Flugzeug über seinem Kopf brummt, so heftig hin, daß sein Gipsverband und der eben mühselig zugeheilte Knochen 255 birst, einem anderen platzen beim Laufen die Nähte seiner Wunde und sie beginnt von neuem zu bluten, während aus der Luft das Maschinengewehr klackt und die Projektile pfeifen.

Einer der Raubvögel ist so nah über uns, daß wir seinen Flügelschlag verspüren. Platt auf dem Boden liegend schauen wir ihm nach, eine Bombe löst sich aus seinem Unterleib, im morgendlichen Äther glänzt und blitzt und fällt sie, – Füllhorn der faschistischen Fortuna, beladen mit Gaben aus Pulver, Fulminat und Sprengstoff, beladen mit Mord und Brand und Verderben, dazu bestimmt, Waisenkinder und Samariterinnen zu treffen, schwerverwundete Männer noch mehr zu verkrüppeln oder zu töten.

Wer gab den Befehl, die Bombe niedersausen zu lassen? Generäle. Sie haben den Staat verraten, dem sie den Treueid schwuren und der sie besoldete, sie stahlen die Armee, die ihnen anvertraut war und sie überziehen, beauftragt und unterstützt von fremden Mächten, vom Weltfaschismus, das eigene Land, das Volk mit Greuel und Würgen.

So geschieht es, daß die Bombe ein Hospital anfällt, und nichts und niemand hält sie auf, im Bruchteil einer Sekunde wird sie ihr Mordgeschäft vollbracht haben. Im Bruchteil einer Sekunde . . . Wir liegen da, wir tun das gleiche, was die Lenker der demokratischen Staaten tun, wir stecken den Kopf in den Sand.

Wir haben hier keine Waffen gegen das Geschwader, wir haben kein Mittel, die Bombe aufzuhalten, die herniedersaust. Aber jene Staatsmänner haben Mittel und Waffen.
 

Hoch springen Feuer und Rauch empor wie ein Schrei.

Mögen die menschlichen Menschen ihn hören, diesen Schrei gegen die Barbarei: Fortschrittliche Menschheit, werde zu einer Internationalen Brigade für Freiheit und für Recht. 256

 


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