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Am Abend brannte das Reichstagsgebäude, und am Morgen wurde ich verhaftet.
Das Zimmer in der Motzstraße hatte ich genau vier Wochen vorher bezogen, an dem Tage, an dem Herrn Hitler die Macht über Deutschland von Hindenburg übergeben worden war, von Hindenburg, den die Sozialdemokraten einige Monate vorher mit ungeheurer Agitation zum Reichspräsidenten kandidiert hatten.
Dienstag, den 28. Februar, am Morgen nach dem Reichstagsbrand, klingelte es um fünf Uhr an der Wohnungstür. Ich höre, wie meine Hausfrau fragt, wer draußen sei, jemand sie fragt, ob ich zu Hause sei, ob mein Zimmer eine zweite Tür habe . . . Gleich darauf klopft die Hausfrau an meine Tür: »Herr Kisch, bitte, öffnen Sie.« Ich schließe auf, herein springt ein Mann: »Kriminalpolizei! Hände hoch!« Ich zeige, daß ich nichts in den Händen habe, ein zweiter Mann ist auch ins Zimmer gesprungen. »Herr Kisch, wir haben Befehl, Sie ins Polizeipräsidium abzuführen.«
»Bitte sehr, meine Herren, nehmen Sie Platz. Ich werde mich inzwischen anziehen, wenn Sie gestatten.«
»Haben Sie eine Waffe?«
Ich verneine. Sie schauen in meinem Nachttisch nach, in meinen Kleidern. Keine Waffe.
Darf ich mich waschen? Ja, ich darf mich waschen, sogar auf die Toilette darf ich gehen, aber in Anwesenheit eines fremden Herrn ist es nicht das Rechte. Während ich mich ankleide, so im Gespräch, fragen mich die Herren – es sind ein Kriminalkommissar und ein 85 Inspektor von der Kriminalpolizei –, wann ich heute nach Hause gekommen sei.
»Es wird wohl halb ein Uhr nacht gewesen sein.«
»Hm. Wo waren Sie denn?«
»Hier im Westen. Mit dem Brand des Reichstags habe ich nichts zu tun.«
»Wieso wissen Sie von dem Brand? Sie haben unseren Besuch wohl erwartet?«
Ihnen scheint klar, daß sie in meiner Person den Brandstifter gefaßt haben. Sie ahnten nicht, was wir alle schon heute nacht vermutet hatten: daß zur gleichen Stunde von hundert anderen Beamten hunderte andere Linksradikale abgeholt wurden.
Ich sagte ihnen zwar, daß ich mitnichten der Brandstifter sei, aber sie antworteten nur, das sei egal, sie hätten den Auftrag, mich aufs Polizeipräsidium zu bringen. Außerdem müßten sie eine Haussuchung vornehmen.
»Ich habe gar kein Geld bei mir. Darf ich mir von der Hausfrau etwas leihen?« . . . »Bitte sehr.« Die Hausfrau borgt mir fünf Mark . . . dieser Betrag hat sich auf dem Polizeipräsidium als gleich null erwiesen, denn von dem Geld, das dem Gefangenen dort abgenommen wird, bleiben sieben Mark sechzig Pfennig zur Deckung der offiziellen Haftspesen zurück. Nur wenn man mehr als 7 Mark 60 bei sich hat, kann man sich vom Überschuß Zigaretten oder eine Aufbesserung der Menage leisten.
»Haben Sie die Absicht zu flüchten oder sich zu widersetzen?« fragen mich meine beiden Gäste.
»Nein, habe ich nicht.«
»Gut. Wir nehmen das zur Kenntnis – eigentlich sollten wir Ihnen nämlich Handschellen anlegen.«
Wir gehen zur Untergrundbahnstation Viktoria-Luise-Platz. Dort verteilt ein Arbeiter gedruckte Flugblätter: »Die Brandstiftung des Reichstags . . . bestellte Arbeit! Provokateure am Werk!«
Meine Begleiter sehen einander an. Sollen sie den Kolporteur verhaften? Der Kommissar schüttelt den 86 Kopf. Er ist nur angewiesen, den Kisch aufs Präsidium zu bringen, warum soll er durch eine polizeiliche Fleißaufgabe den Vollzug dieses ausdrücklichen Auftrags gefährden? Wir fahren mit der Untergrundbahn zum Alexanderplatz.
So, und jetzt geht es zur I A, der Politischen Polizei. Auf dem Korridor ist es schwarz von Menschen. Der erste, den ich von weitem erblicke, ist der Rechtsanwalt Dr. Apfel, der Verteidiger von Max Hölz. Fein, denke ich, fein, daß er da ist, der kann gleich für mich intervenieren. »Hallo, Dr. Apfel, ich bin verhaftet.«
»Ich auch«, sagt er nur.
Und schon sehe ich andere. Carl von OssietzkyOssietzky, Carl von, Deutscher Friedens-Nobelpreisträger, geb. 1889, gest. 1938. Aufrechter, entschlossener Kämpfer für den Frieden. Herausgeber der »Weltbühne«. Wegen eines Angriffs auf die Umtriebe in der Reichswehr noch in der vornationalsozialistischen Zeit ins Gefängnis gesteckt. Nach seiner Freilassung von Hitler ins KZ geworfen und dort grausam ermordet., Chefredakteur der »Weltbühne«, Deutschlands Demokrat, der unter einem Hagel von Spott erklärt hatte, man müsse Thälmann wählen, denn »wer Hindenburg wählt, wählt Hitler.« Heute ist es genau ein Monat, seit Hindenburg das deutsche Volk an Hitler ausgeliefert hat, seit einem Monat lacht von den demokratischen und sozialdemokratischen Hindenburgwählern keiner mehr. Da sitzt Erich Mühsam, Idealist, Humorist und Anarchist, ein ewiger Junge trotz des Vollbarts, da sitzen die Romanschriftsteller Ludwig Renn und Kurt Kläber, Dr. Hodann, der Sexualforscher, der Abgeordnete Schulz-Neukölln, Otto Lehmann-Rußbüldt, der alte Obmann der Liga für Menschenrechte, Dr. Schminke, der sozialistische Stadtarzt, Vorkämpfer für Sozialmedizin in Deutschland . . . Da sitzen noch viele andere, für welche die nächtliche Verhaftung von heute, dem 28. Februar 1933, die erste Station auf dem direkten Wege zu ihrer Opferung bedeuten wird. Sie wissen es schon heute. 87
Ein Kordon von Polizisten riegelt uns vom übrigen Teil des Korridors ab. Je einer hält den Revolver erhoben in der Hand, der Nebenstehende schwingt den Gummiknüppel. Es sind durchwegs Leute mit den stumpfen Gesichtern professioneller Raufbolde, »Schläger«, wie man in ihrer Welt sagt. Ihre Rolle als Polizisten ist ihnen, denen der Polizist als der Feind schlechthin galt – diese Rolle ist ihnen neu. Wie haben sich Strolche zu benehmen, wenn sie als Obrigkeit verkleidet sind? Sie beantworten diese ihrer Unsicherheit gestellte Frage damit, daß sie sich noch strolchischer benehmen als sonst. Sie machen höhnische Bemerkungen über uns, und wenn sie einen anschreien, so apostrophieren sie ihn als »Dreckkerl«, »rote Sau« und per Du.
Nach einigen Stunden Wartens wird die Kompanie der Gefangenen in die Kellerräume eskortiert, wo sie die Schuhbänder aus den Schuhen zu ziehen und die Tascheninhalte in den Hut zu leeren haben. Die mit dem Hakenkreuz geschmückten neuen Beamten kontrollieren genau, ob keiner etwas von seiner Habe zurückbehält. Sie haben sich schon oft in fremden Taschen zu schaffen gemacht, fachmännisch gleiten ihre Hände das Rockfutter und die Hose entlang, geschulte Finger fahren in Strümpfe und Taschen.
Während dieser Prozedur, die an den Überfall einer Postkutsche erinnert, kommt der neuernannte Polizeipräsident mit seinem ganzen Stab vorbei, Herr von Levetzow, – ja, er heißt Levetzow wie die geliebteste Geliebte der deutschen Poesie, und er ist vielleicht aus dem gleichen Geschlecht wie Goethes Ulrike. Der Nachfahre wäre nicht imstande, Goethes Zuneigung zu wecken, aber die Zuneigung Noskes hatte er zu wecken vermocht; Noske hat ihn gegen den Protest der Linken zum Admiral der Deutschen Republik gemacht. Und jetzt steht der Admiral auf der Kommandobrücke am Alexanderplatz und befehligt die Schlacht.
»Das ist also das Pack?« fragt er und schielt das 88 Pack verächtlich an.
»Jawohl, Herr Polizeipräsident«, beeilt sich der Adjutant zu schnarren.
»Wo bist du verhaftet worden?« fragt er einen grauhaarigen Häftling. »Wirst du die Hacken zusammenreißen, wenn ich mit dir rede, du Saubengel?«
Und schon hat er einen anderen erspäht, der ihm nicht stramm genug zu stehen scheint. »Schmeißen Sie den Lümmel sofort in den Bunker und legen Sie ihm Eisen an, daß ihm die Schwarten krachen.«
Diensteifrig stürzen sich zwei Büttel auf Otto Lehmann-Rußbüldt und zerren ihn fort. Bleich ob ihrer Ohnmacht erleben die Gefangenen den ersten amtlichen Greuel.
»Die Menschenrechte sind vorbei«, flüstere ich meinem langen Freund zu, der neben mir steht.
»Für einige Zeit allerdings«, antwortet Ludwig Renn. 89