Wolfgang Kirchbach
Der Leiermann von Berlin
Wolfgang Kirchbach

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Die Milch-Rose

Der Morgen dämmerte noch, als im langsamen Holpergang ein Einspännerwäglein über Land fuhr und in den Wald einlenkte, der sich gleich hinter dem Rittergut über das Hügelland hinzog. Alle Bäume, die dornigen Akazienäste und die schwarzgrünen Kiefernadelbüschel waren mit einem zarten Kristallreif überzogen, sodaß der Wald wie ein weißumschleiertes Morgengespenst an beiden Seiten des Wägleins langsam vorüberglitt. In den steinhart gefrorenen Wagenfurchen des Sandwegs waren da, wo Regenlachen stehen geblieben waren, lange Glatteisrinnen entstanden. Das Pferd trabte zwar ganz langsam und vorsichtig, rutschte aber doch bald einmal rechts oder links mit dem Hufe aus und der Wagen schleuderte entsprechend schräg zur Seite und scharrte auf, als habe er Lust, lieber nach rückwärts als vorwärts zu fahren. Dabei klapperten die großen, blechernen Milchkannen, die in Reih und Glied auf dem Wagenteller standen oft einmal rasselnd aneinander und die kleinen Maßkännchen taumelten an ihren Henkeln mit 428 klirrendem Schaukeln zusammen. Ein scharfer Winterwind blies die Waldstraße lang aus dem schneelosen ebenen Lande her und rötete das Gesichtchen der Wagenführerin, die mit großen, dicken Handschuhen über den Fingern die Zügel hielt und ihre Ohren fest in ein dunkles Kopftuch vermummt hatte. Mit ein paar hellen, blauen Augen spähte sie den Weg entlang, um in der allmählich sich auflichtenden Dämmerung gute Fahrspur ausfindig zu machen. Dabei klapperten ihr aber öfters die Zähne frostig zusammen, und sie rüttelte sich im Sitze zurück, denn der Wind blies ihr gar zu scharf durch die Röcke. Auch die festen, großen, rindsledernen Schuhe, in denen sie ihre Füße auf den Bockboden stemmte, schienen nicht zu verhindern, daß ihr der Frost tüchtig in die Zehen biß.

So lange sie auf dem hockrigen Waldweg fuhr, mußte sie stark auf den Weg acht geben, daß ihr der Wagen nicht etwa von der Glätte gegen den Graben rutschte, denn mit ihrer ganzen Milchladung umzuschlagen war keine angenehme Aussicht. Allmählich aber wurde der Weg besser, sie kam auf eine breite schöne Landstraße hinaus, wo sie das weite Land erblickte, in der Ferne die Bergkämme und Waldrücken des Havellandes, vor sich aber den ersten Vorort Berlins mit seinen Gärten und den niederen Dächern und Türmchen der Villen, hingebreitet im kristallschimmernden Reifland auf der schiefen Ebene einer Landplatte. Hier ging das Pferd langsam und sicher und die 429 Fahrerin zog daher unter der Sitzdecke ein Buch hervor, das sie, die Zügel in der Hand, aufschlug, um ein paar rasche Blicke hineinzutun. Dann bewegten sich ihre Lippen, als lerne sie irgend etwas auswendig, ja, ein Vorbeigehender hätte wohl auch zusammenhängende Worte verstehen können, die in die kalte Landschaft hinausflogen. Betete die junge Kutscherin? Aber das Buch sah gar nicht wie ein Gebetbuch aus. Oder war es ihr Milchbuch, in dem die abgesetzten Milchposten eingezeichnet waren? Aber was von ihren Lippen im Fahren kam, klang nicht wie Zahlen.

Übrigens kam kein Wanderer an ihr vorüber. Drüben in der Ferne schnurrten dämmrig auf dem hohen Damme ab und zu Eisenbahnzüge hin, die wohl dicht besetzt mit Arbeitern waren, am Horizont rechts und links rollten wohl auch Bauernwäglein und Milchwagen auf den Landstraßen, alles in der einen Richtung auf einen ungesehenen Mittelpunkt zu, der hinter den Landwellen verborgen liegt und nur durch einen fahlen, winterlichen Lichtschein bezeichnet ist, der in unabsehbarer Länge schwach durch die Dämmernisse bricht, bis er mit dem Lichtwerden des Morgens sich immer mehr verflüchtigt und auflöst.

Im Vorort brannten noch die Lampen und leuchteten aus den Küchenfenstern und Stuben auf die Landstraße im Morgendämmer heraus, als der Milchwagen in eine lange Baumstraße einlief. Bald hielt er auch vor einem kleinen Häuschen; 430 die Führerin steckte ihr Buch unter die Sitzdecke, sprang ab und begann aus einer großen Blechkanne Milch auf ein kleines Kännchen abzufüllen. Dann warf sie Hände und Arme über der Brust zusammen, um sich etwas zu erwärmen, faßte ihre Kännchen und ging ins Haus, um zu klingeln.

Die Tür öffnete sich und ein Dienstmädchen mit einem Milchtopf in der Hand schüttelte sich frostig und sagte:

»Na, Milchrose, auch schon da?! Brr! Ich möchte doch nicht an Ihrer Stelle sein! Bei der Kälte! Und da muß man auch noch so früh aufstehen!«

Die Milchrose goß die Milch aus ihrem Kännchen in das Gefäß des Dienstmädchens und sagte:

»Na, und ich möchte doch nicht so eine Langschläferin sein, die sich den ganzen Tag nicht aus dem Schlafe fitzen kann und höchstens Sonntag zum Tanze aus dem Hause kommt!«

»Na, was haben Sie denn für Lohn da draußen auf dem Dorfe, daß Sie gar so groß tun mit Ihrer Milchmanscherei?!« fragte das Dienstmädchen schnippisch.

»Zehn Mark monatlich. Und Schuhe extra. Dazu die Kost! Morgen!«

Und mit einem flotten Klapp, mit dem sie den Deckel in die leere Kanne schlug, hatte die Milchrose dem Mädchen den Rücken gekehrt und war die Treppe hinuntergesprungen, während die Jungfer mit einem Brr! sich wieder in ihre Küche zurückzog. 431

Die Milchrose fuhr nun wieder ein Stückchen weiter, wobei sie aber auf ihrem Kutscherbock immer etwas vor sich hinredete, bis sie wieder an einem Landhaus hielt. Hier dauerte die Milchausgießerei etwas länger und es waren mehrere Blechkannen ins Haus zu tragen. Auf das Klingeln öffnete die Hausfrau selbst, noch in der Nachtjacke, nahm das Mädchen aber gleich bei der Hand und zog sie in die Küche.

»Na, kommen Sie, Röschen, wärmen Sie sich ein bißchen auf. Der Kaffee ist auch schon fertig,« sagte die schöngewachsene, behagliche Blondine. »Mein Dienstmädchen schnarcht noch, aber wir beide, wir lassen uns nicht im Stich!«

»Frau Professor,« sprach lachend die Rose, »wenn ich verspreche, das und das zu bringen zu der und der Zeit, und wenn's ein Viertelliterchen Milch wäre, das kommt pünktlich. Darauf können Sie sich verlassen!«

»Und das ist wahr, Röschen. Und hier ist auch ein Täßchen Kaffee.« Damit hatte die gute Hausfrau eine große Tasse wohl duftenden Kaffee eingeschenkt und auch gleich Zucker und Sahne auf den Küchentisch gestellt, während die Rose in eine ganze Reihe von verschiedenen Töpfen und Töpfchen ihre frische Sahne, abgerahmte und unabgerahmte Milch verteilte.

»Ich muß nun gleich wieder fort!« sagte sie eilig, indem sie mit glücklichem Blick in den Augen 432 sowohl die Frau Professorin wie die Tasse Kaffee ansah.

Sie mußte aber doch stillhalten und den Kaffee blasen und in kleinen Schlückchen trinken. Das war der Frau Professorin gerade recht, denn sie hatte sich so in die blauen, glücklichen Augen des Mädchens verliebt, daß sie immer mit ihr plaudern wollte. Und so fragte sie:

»Und nun sagen Sie mal, Röschen, wie das kommt, daß Sie so munter und frisch sind und so tapfer dazu bei der Kälte!«

»Soldatenblut!« sagte die Kleine, indem sie die Fersen aneinanderschlug, die Finger an die Schläfen hielt und grüßte.

»Mein Vater war ein Feldwebel! Und ich bin auch sonst militärisch erzogen!«

»Ach, was Sie sagen, Röschen! Wie ist denn das möglich?!«

»Weil ich im Militärwaisenhaus aufgewachsen bin. Denn der Vater ist früh gestorben und von meiner Mutter weiß ich auch nicht viel, aber sie ist auch von einem guten Bürgerhaus gewesen. Und als Waise bin ich dann in der Provinz Sachsen aufgewachsen bis zu meiner Einsegnung. Da ging's auch mit uns Mädchen stramm und militärisch zu!«

»Darum sprechen Sie auch so schönes Hochdeutsch!« sagte die Hausfrau. »Wie ein Buch, Röschen. Nun wird mir vieles klar!«

»Ja, auf eine gute, deutsche Aussprache habe ich immer gehalten!« sagte das Milchmädchen, 433 während es den letzten Kaffeerest austrank. »Man hält sich auch selber gleich ordentlich und gibt sich nicht so herab.«

»Und wie sind Sie denn aus dem Militärwaisenhause fortgekommen?!«

»Nun, da ich selbständig werden mußte, wurden mir gleich mehrere Stellen angeboten vom Vorsteher, denn sie haben ja immer Nachfrage. Es war allerhand, Dienstmädchen, Stubenmädchen in Berlin, Magdeburg und so weiter. Ich bin aber immer mehr für Land wie Stadt gewesen und wollte in die Mark, weil ich eine Märkerin bin. Und darum wählte ich meine jetzige Stelle. Man ist da doch nicht bloß Dienstmädchen oder nur Magd, man kann selber kutschieren und kommt in der Welt herum.« Sie erzählte, indem sie immer ein fröhliches, glückliches Gesicht dazu machte, daß sie im Dienst bei einer Witwe sei, die einen Milchhandel habe, die Milch bei den Bauern zusammenkaufe, auch vom Rittergut sie beziehe und sie an die Herrschaften in den Vororten und bis Berlin hinein als Kunden bringe. Manchmal fahre sie auch mit herein, habe aber meist daheim zu viel zu tun, sodaß fast immer sie, die Rose, die Stadtfahrt machen müsse.

Die Frau Professorin war so erfreut, wieder etwas Näheres von dem Schicksal der Rose erfahren zu haben, daß sie ihr gleich noch eine Tasse Kaffee einschenken wollte. Aber das Mädchen wehrte ab mit den Worten: 434

»Ach nein, um Gotteswillen nicht! Ich muß fort! Denken Sie, Frau Professorin, wie vieles noch auf mich wartet. Da sind ja allein mindestens zehn kleine Kinder in Lichterfelde und Lankwitz und Südende, die fangen jetzt schon an zu schreien und lassen ihre Mutterchen nicht mehr schlafen. Da ist doch vieles zu tun und viele haben's auch nicht so, na, und da muß ich eben heran, na, und ich halte auch darauf, daß die kleinen Gören zur rechten Zeit was kriegen! Was sollte denn aus dem ganzen Nachwuchs werden ohne mich?!«

Sie sammelte ihre Milchkannen ein, daß sie aneinander klapperten, machte einen Knicks und wollte rasch zur Tür hinausgleiten. Aber ehe sie sich's versah, hatte die Frau Professorin einen rotwollenen Unterrock, der schon auf einem Küchenstuhl bereit gelegen hatte und außerdem eine neue, hübsche Latzschürze zusammengewickelt, schob sie dem Mädchen unter den Arm und sagte:

»Na, Röschen, ich will Sie nicht weiter aufhalten, aber so etwas kann man immer brauchen. Und morgen dasselbe wie heute!«

Die Milchrose schaute die gütige Frau ganz verdutzt und starr an; dann aber kam wieder solch ein glücklicher Ausdruck des Dankes in ihre Augen, während sie die Kannen absetzte und zum Danke der Geberin bieder die Hand reichte, daß die Professorin wiederum ganz glücklich war, ihre Liebesgaben einem so tüchtigen Wesen angeboten zu haben. Und dann packte die Rose alles auf, sprang mit 435 raschen Füßen die Treppe hinunter, machte ihren Wagen zurecht und fuhr munter weiter.

Die Geschenke packte sie unter ihrem Kutscherbock zu dem Buche und, obwohl sie das neue Unterröckchen noch nicht angezogen hatte, wurde ihr in Gedanken schon ganz warm um die Kniee von dem angenehmen Bewußtsein, wie behaglich es sein würde, wenn sie das Kleidungsstück erst angetan haben würde. Denn so etwas hatte sie bei der Kälte gerade notwendig gebraucht. Und im Weiterfahren dachte sie überhaupt darüber nach, wie gut sie es eigentlich auf dieser Welt habe, da fast alle Leute, zu denen sie mit ihrer Milch kam, ihr freundliche Gesichter machten und ihr etwas zuwendeten. Denn jetzt auf dem Wege nach Lichterfelde, wo der Wind freilich rauh über die weite Fläche des Mühlenberges blies, hatte sie die angenehme Aussicht, von dem Küchenmädchen einer Herrschaft wieder eine Tasse Kaffee zu erhalten. Sie hätte ja wohl gern bei der Professorin noch eine getrunken, aber sie konnte der Liese doch keinen Korb geben und sparte sich daher ihren Durst und ihr Wärmebedürfnis bis zu diesem Haus. Der Kaffee bei Professors war zwar besser, aber die Liese in Lichterfelde tat immer so, als dürfe sie eigentlich überhaupt keinen Kaffee anbieten und mache das ihrer Herrschaft zum Trotz heimlich; und dies Geheimtun hatte für beide Mädchen einen so großen Reiz, daß gerade dieser Kaffee doppelt schmeckte. Dann kam im selben Ort eine Villa, 436 da setzte es für die Milchrose eine belegte Schrippe und sie freute sich schon im voraus, ob es Leberwurst oder ein Restchen Kalbsbraten oder Schinken sein würde. Manchmal gab es auch ein kleines Gläschen Schnaps oder Likör dazu, wenn nämlich der Herr vom Hause früh auf war und ins Geschäft nach Berlin mußte. Der traf dann die Rose in der Küche, wenn er sich den Rock noch einmal abbürsten ließ und lachte jedesmal übers ganze Gesicht, wenn er sie sah. Er nahm sie beim Kinn; er lachte, sie lachte, und dann fragte er regelmäßig:

»Na, Milchrose, einen Bittern oder einen Süßen!« und dann schenkte er ihr aus dem Schranke was ein, sagte: »Adieu, Fräulein Milchquelle!« ging fort und tätschelte meistens noch einmal unten ihr Pferd. Sonst erlaubte er sich aber nichts; er hatte auch bloß seine helle Freude an dem fröhlichen Gesicht des Mädchens.

Auf all das freute sie sich schon im voraus, auch, wie sie sich weiter bis nach Berlin hineinfrühstücken werde. Und wie sie es sich so vorgestellt hatte, so geschah es auch. Der Kaffee bei der Liese wurde getrunken, dann die Schrippe in Empfang genommen und überall wurde ein kurzes Wörtchen gesprochen, aber blitzschnell; denn die Kundschaft war groß und jeder erwartete pünktlich seine Milch. Und zwar wurde überall zumeist ein Wörtchen aus ihrer Lebensgeschichte fallen gelassen wie bei der Frau Professorin; denn mehrere Frauen waren sehr neugierig und wollten immer 437 etwas wissen. In Lichterfelde sagte eine, die das Mädchen gern in Dienst genommen hätte und glaubte, sie werde keine Ansprüche machen, weil sie nur mit zehn Mark Lohn zufrieden war:

»Na, Röschen, viel gelernt haben Sie ja wohl nicht, daß Sie als Milchmädchen gehen! Und Sie könnten sich doch verbessern. Man würde Sie ja allmählich eingewöhnen; wenn Sie acht geben, könnten Sie von einer Hausfrau doch allerhand lernen, um ein guter Dienstbote zu werden.«

»Ach,« sagte die Milchrose ganz harmlos und geradezu: »Ich fürchte, da würde ich den Herrschaften doch zu teuer werden. Denn ich kann auch Nähmaschine nähen, und zwar nach zwei Arten, dann verstehe ich die Feldarbeit, dann die Hausarbeit mit allem Drum und Dran und außerdem kann ich Plätten, Waschen und Ausbessern. Alles die militärische Erziehung im Waisenhause.«

Das warf sie wie eine Bombe in die Küche und verschwand schleunigst, während die Hausfrau ganz starr ihr nachsah, zumal klar war, daß die Kleine nicht aufschnitt. Und so blieb überall ein Stückchen von Röschens Biographie in der Küche und an den Wohnungstüren hängen und jeder erfuhr etwas, aber in so kluger, spannender Verteilung, daß es fürs nächste Mal auch wieder etwas zu erzählen gab und die Parteien nicht verwechselt wurden. Denn die Milchrose hatte bemerkt, daß alle Hausfrauen und Dienstmädchen am frühsten Morgen auch am neugierigsten sind und 438 zwar dann am meisten, wenn sie am besten geschlafen haben. Sie sah, daß sie allen interessant war und suchte sich durch Abwechslung in ihren Mitteilungen interessant zu erhalten, was auch ihr frisches Selbstgefühl angenehm belebte. Klatschgeschichten, etwa von ihren Kunden, erzählte sie nie; aber wenn es auf dem Dorf ein Fest, einen Tanz gegeben hatte, so ließ sie da und dort ein Wörtchen davon hängen. Brachte Neuheiten über Eierpreise, erzählte von jungen Hündchen, die auf die Welt gekommen waren und erregte damit hinreichende Neugier auf das Weitergedeihen der jungen Hündchen. Denn, wie gesagt, sie redete nur mit »Fortsetzung folgt« wie die Zeitungsromane, und sie fühlte mit Genugtuung, daß sie damit eine gewisse Gewalt über die Gemüter ausübte.

* * *

Sie fuhr von Lichterfelde unter bereifter Rüsternallee ins Lankwitzsche Revier und holte jetzt wieder mehrfach ihr Büchlein vor und redete laut vor sich hin in die Kälte hinaus. Dann hielt sie, machte ihre Milch zurecht, steckte aber diesmal das Büchlein zu sich und ging zur Kundschaft.

Hier öffnete ihr ein rosiges Stubenmädchen, das ihr gleich wie eine alte Bekannte zunickte, ihr die Milch abnahm und sogleich auf feinem, silbernem Präsentierteller eine Tasse Kakao in einer schönen, 439 vergoldeten Tasse anbot. Die Milchrose nahm sie ganz zierlich im Stehen wie eine feine Dame in großer Gesellschaft, rührte leicht um, wobei sie den kleinen Finger einknixte und sagte: »Er läßt auch schön grüßen! Recht sehr schön!« Darüber war das Stubenmädchen wie verhext und meinte:

»Er bleibt doch auf dem Rittergut? Und er kann ja noch Verwalter werden! Gott einen Verwalter!«

»Freilich kann er! Die Waldwirtschaft hat er sowieso schon! Und der ganze Forst ist schon schöner geworden! Er spielt übrigens auch bei uns mit!«

Es war kein Wunder, daß das rosige Stubenmädchen gleich noch eine Tasse Kakao anbot, aber die Rose lehnte ab und sagte:

»Wenn Sie mich nun ein bißchen überhören wollten! Sie wissen schon!« Damit zog sie das Büchlein aus ihrem Brustlatz, gab es aufgeschlagen der anderen, und begann in sehr deutlichem Hochdeutsch mit unterdrückter Stimme, daß es die Herrschaft nicht hören sollte:

»Eilende Wolken, Segler der Lüfte,
Wer mit euch wanderte, mit euch schiffte,
Grüßet mir freundlich mein Heimatland.«

Sie kam ohne Stocken bis ans Ende der letzten Strophe. Die andere half ein. Dann sagte sie:

»Wollen Sie denn die Maria Stuart spielen?!«

»Nein,« antwortete die Milchrose. »Ich will diese Partie nur auf alle Fälle können, damit man 440 an der Probe sieht, wenn ich dann in meiner Leidenschaft gegen die Elisabeth losgehe und den Grafen mit meinen Abschiedsworten beschäme, daß man mir gewisse Dinge nicht zumuten darf. Denn denken Sie, Fine, was passiert ist! Zum nächsten Turnerfest da soll doch wieder ein Lustspiel gegeben werden, und Ihr Bekannter vom Rittergut, der spielt ja auch mit. Und nun haben sie eins ausgesucht, worin eine feine Damenrolle ist, und was bietet man mir an? Na so was! Ich soll das Dienstmädchen spielen! Ich eine Dienstmädchenrolle! Wo ich bisher immer nur die Herrschaft gespielt habe, die vornehmen Damen! Aber ich habe die Rolle gleich zurückgeschickt! Und ich habe gesagt, ich wäre zwar nur die Milchrose, aber doch kein Küchendragoner und ich wäre imstande, Königinnen richtig darzustellen, aber zu einem Dienstbesen gebe ich mich nach meiner künstlerischen Vergangenheit nicht herab. Und nun mögen sie 'mal kommen! Die Maria Stuart spiele ich Ihnen vor, Fine, denn ich lerne alle Tage daran!«

Die Fine meinte: »Das finde ich allerdings auch für eine Herabsetzung! Aber wie kann das nur sein?!«

»Wie wird's sein?!« meinte die Milchrose. »Das Gouvernantenfräulein vom Rittergut hat einmal Lust bekommen, auch mitzuspielen, denn sie interessiert sich ja wohl mit für Ihren Bekannten, wenn der mal Verwalter werden sollte! Und in dem Stück hätte sie eine Liebesszene mit ihm, wo man 441 ganz hin sein muß! Und natürlich hat sie es beim Turnvorstand so eingefädelt, daß sie die Rolle spielen soll und ich soll den Dienstboten spielen! Aber das darf nicht sein, daß Ihr Bekannter mit der spielt! Und ich habe etwas vor! Finchen, morgen überhören Sie mich wieder ein Stück!? Ich ein Dienstmädchen spielen?! Ja, was sollte denn da der Herr . . . . . denken?!«

Sie hatte zwar rasch einen Namen, der ihr auf die Zunge gekommen war, unterdrückt, wurde aber feuerrot dabei und stand, als wollte sie in den Boden versinken, dann aber packte sie plötzlich die Kannen zusammen, daß sie rasselten, und lief windschnell fort und die Treppe hinunter, indem sie noch einmal von der Treppe fast heiser der nachschauenden Fine zurief: »Nein, Dienstbotenrollen spiele ich, wie gesagt, grundsätzlich nicht!« –

Es war längst Tauwetter eingetreten, leichte Frühlingslüfte spielten über den blauen See, die ersten grünen Knospen stachen aus den Sträuchern hervor, und in den Gärten und Feldern um den Ort waren schon die Beete bestellt, in denen die berühmten Rübchen erwachsen. Ein voller, warmer Sonnenschein, in den sich noch heitere Frühlingskühle mischte, strahlte über den See herab und auf seine Südbucht, in der hinter winterlich verdorrtem Schilf das Laubwäldchen lag mit den Tischen und Bänken darin und mit dem großen Bretter- und Lehmhaus des Tanzbodens. Das war gutes Turnwetter und die Sonne beschien zwischen den noch 442 kahlen Ästen des Wäldchens ein dichtes Gedränge von Frauen, Kindern und jungen Mädchen in ihren Sonntagskleidern und bunten Hüten. Junge Arbeiter, Soldaten von Lichterfelde in ihren Uniformen drängten sich mit ihren Mädchen und Fräuleins durcheinander: am See standen Leiermänner und ließen ihre Kasten spielen; die Turner aber, in ihren grauen Turnanzügen mit farbigem Bande um den Hut, hatten auf der Wiese in der Mitte des Wäldchens ihren Turnplatz eingerichtet und gaben ihre Kunst zum besten, während die Gäste in einem weiten Kreise um den Platz standen, oder auf herbeigebrachten Bänken und Stühlen saßen.

Nach dem Turnen sollte eine Pause sein und dann drinnen auf der Bühne des Tanzsaales das Lustspiel: »Die feine Dame« aufgeführt werden, worauf das allgemeine Tanzvergnügen folgen sollte.

Die Milchrose saß mit der Kakaofine aus Lichterfelde auf einer Bank am Turnplatz. Beide waren hübsch angezogen, die Fine sah schon ganz aus wie eine junge Dame aus der Stadt; die Milchrose hatte freilich nur ein schwarzes Hütchen und eine verfrühte Kattunbluse an, aber mit ihren Augen machte sie alles wett, es sah doch alles auf diese blauen Blitzaugen und niemand auf den Hut. Beide Mädchen sahen mit Eifer dem Turnen zu und besonders verfolgte die Fine den schmucken Forstmann vom Rittergut mit ihren Augen. Wenn er eine Riesenwelle am Reck schlug, drehten sich ihre Augen selber mit einem Bogen im Kopf 443 herum, wenn er die Achselwelle machte, wobei er die Fußspitzen schön geschlossen hielt, mußte sie unwillkürlich ihre Beine übereinanderschlagen, damit ihre Fußspitze unter dem Rocksaum vorschaute. Dann warf sie rasch einen Blick darauf, als meinte sie, daß ihre Fußspitzen sich doch auch neben den seinen noch sehen lassen könnten und daß sie gut zu einander paßten. Am Barren machten die Turner den Hochstand und den Knickstütz, sie machten am Reck die Knieschwinge und Hochschwinge, andere sprangen übers Pferd weg den Hechtsprung; Hochsprung und Weitsprung über das Seil wurden vorgeführt: es war ein fortwährendes Auf- und Abschweben von Gliedmaßen, das selbst der Milchrose die Einbildungskraft derart verwirrte, daß sie zuletzt gar nicht mehr wußte, welche Beine dem Freunde der Fine gehörten und was zum Bestand eines anderen schmucken Turners zu rechnen war, dessen Kunst sie ganz heimlich mit ihren Augen verfolgte. Sie tat zwar, als ob sie nur Interesse für diejenigen habe, welche die größte Zahl von Riesenwellen schlugen und den gewagtesten Hechtsprung machten, aber dazwischen hafteten ihre Augen doch immer verstohlen auf einem dunkeläugigen Mann, der ein kurzes Schnurrbärtchen besaß und mit einfachen, schlichten Bewegungen sich unter die anderen reihte. Er war gar nicht sehr geschickt, sondern zappelte sogar etwas mit den Beinen, wenn er am Reck den Bauchaufzug machte und schief auf der Höhe der Reckstange anlangte. 444 Aber die Milchrose schielte doch äußerst gespannt nach ihm hin und er schien das mit gleichem zu erwidern, denn sogar als er mit den Kniekehlen am Reck hing und sich so, den Kopf nach unten, schwang, schien es, als werfe er jedesmal, wenn er im Schwung auf die Milchrose loskam, beide Augen verkehrt aus dem Kopfe heraus. Und ihr war es dabei nur immer, als müsse sie ihren Rock aufhalten, damit er hineinfiele, falls er aus Versehen den Halt in den Kniekehlen verlieren und schräg hinausfliegen sollte.

Das alles war so aufregend, daß die beiden Mädchen fast die Hauptsache vergessen hätten, bis die Fine sagte:

»Fräulein Röschen, ich glaube, es ist Zeit, daß Sie sich jetzt in Kostüm werfen. Das Turnen ist bald vorbei und dann kommen Sie daran. Hoffentlich geht alles gut!«

»Wie soll es gut gehen,« sagte die Milchrose scheinbar sehr entsagungsvoll, »wenn ich nun doch das Dienstmädchen spielen muß?«

»Was? Sie spielen es doch?!« –

»Man wird ja sehen, daß ich zu so etwas gar nicht fähig bin, wo soll ich denn die Manieren hernehmen, die zu einem Dienstmädchen gehören? Ich habe doch so etwas gar nicht an mir bei meiner militärischen Erziehung!«

»Aber ich verstehe gar nicht,« meinte die andere, »ich habe Ihnen doch die ganze Zeit die Rolle der »feinen Dame«, der Frau Ulrike, selbst 445 überhört und die Maria Stuart dazu! Und nun spielen Sie doch das Dienstmädchen!«

Die Rose ergriff die Hand der Freundin und zog sie aus dem Gedränge etwas zur Seite, wo man ungestört sprechen konnte. Sie sagte: »Ja, ich habe die Rolle gelernt, damit ich auf alle Fälle einspringen kann. Und so etwas kann heute noch kommen! Denn wir wollen mal sehen, ob die Jungfernante vom Rittergut der Darstellung einer wirklich feinen Frau gewachsen ist, zumal ihrem Fürsten vom Rittergut gegenüber. Vorhin ist sie in einem Landauer angekommen von meinem Dorfe her, sie hätte auch mit der Dampfstraßenbahn kommen können, aber nein, es mußte der Landauer sein. Der Turnvorstand hat mir nämlich jeden Tag zugeredet, ich sollte das nicht übelnehmen; das nächstemal bekäme ich sicher wieder eine Damenrolle, aber diesmal sei man es dem Rittergut schuldig! Denken Sie! Dem Rittergut! Wo ich doch gerade die beste Milch vom Rittergut täglich absetze an meine Kundschaft! Also da habe ich gesagt: Dann allerdings! Ich werde das Dienstmädchen spielen! Aber wissen Sie, Fine, meine Freundin, die Anna, die im Gasthof dient, die hat die Dienstmädchenrolle auch gelernt und ich kann die Rolle der Frau Ulrike – und geben Sie mal acht, was sich daraus entwickeln wird!«

»Na, da muß man gespannt sein! Wenn's nur nicht in die Zeitung kommt!«

»Und wenn's mitten in Berlin gedruckt wird; 446 ich muß hier beweisen, daß ich eben zu so was kein Talent habe, aber als feine Frau immer meine Rolle spielen kann, denn, Fine, die jungen Männer lassen sich heutzutage so leicht falsch einnehmen und denken gleich sonst was, wenn man so gewöhnlich als Dienstbesen auftritt, der womöglich nicht einmal etwas gelernt hat, nicht kochen und plätten, höchstens scheuern kann!«

Wieder errötete die Milchrose heftig, sodaß der Fine nun doch der Gedanke aufstieg, die Rose müsse auch schon einen Anhang haben, obwohl sie dem all die Tage und Wochen widersprochen hatte. Ihre Spannung auf das, was da kommen sollte, steigerte sich daher mächtig; sie wollte aber keine weiteren Fragen tun, sondern hielt es für richtiger, den Dingen ihren Lauf zu lassen.

Die Rose verabschiedete sich und machte, daß sie in das Tanzhaus kam. Hinten bei der Bühne war ein Garderobenraum. Als sie eintrat, fand sie die Gouvernante gerade damit beschäftigt, ihre Schuhe zu schnüren und weil das nicht gut ging und sie schon eine lange Weile mit den Senkeln sich abgemüht hatte, sagte sie:

»Ei, da kommt ja gerade zur rechten Zeit mein Dienstmädchen! Das ist gut, Jette – oder vielmehr Rose – denken Sie, ich verwechsele schon ganz das Stück und die Jette im Stück mit Ihnen – ach, seien Sie so nett, mir die Schuhsenkel ein bißchen durchzufädeln, da Sie heute doch bei mir dienen.« 447

Die Rose stand ganz starr über solche Zumutung und sie wollte gleich etwas sehr Deutliches sagen: sie besann sich aber, daß das ihren Plänen hinderlich sein würde und spielte lieber mit, indem sie sagte: »Ach, gnädige Frau, sind so gütig. Ich werde mir die Freiheit nehmen, Ihnen Ihre Schuhsenkel zu knüpfen, aber eben nur als Dienstmädchen. Im Stück müssen Sie sie ja dann ausziehen und ich muß Ihnen Ihre Hausschuhe bringen, und da habe ich gleich eine kleine Vorübung. Für gewöhnlich bin ich ja freilich nur Milchmädchen!«

Damit kauerte sie auf den Boden und nahm die Füße des Fräuleins auf ihren Schoß. Und indem sie die Senkel straff zog, kam ihr ein rascher Gedanke, der, richtig ausgeführt, alles zur Katastrophe treiben mußte. Sie sah nämlich, daß die Gouvernante einen sehr großen Fuß hatte, was ihr um so auffälliger war, als sie selbst sehr zierliche, kleine Füße besaß. Und plötzlich hatte sie ganz verstohlen und heimlich statt der Senkelschleifen an jedem Fuße starke, fast unlösbare Knoten gemacht und verstopfte die Senkel recht fest, unter das Schuhleder, sodaß die Gouvernante nichts merkte. Wie sie dann auf der Bühne die Senkel lösen und die Schuhe herunterkriegen sollte, das mochte sie selber sehen. Als ob nichts geschehen wäre, erhob sich die Rose wieder, zog ihr Kleid aus und schlüpfte in ihr Dienstmädchenkostüm.

Die Vorstellung begann. Der Tanzsaal war ganz 448 dicht gefüllt mit Turnern und ihren Bräuten und Schwestern. Vorn standen Stühle, auf denen Platz genommen hatte, wer zuerst gekommen war, hinten stand man dicht gedrängt. Die Tanzmusik spielte ein Stückchen auf, bis auf der Bühne die nötigen Vorbereitungen fertig waren, die diesmal etwas lange dauerten. Auch bauschte sich der Vorhang manchmal und es schien, als herrsche auf der Bühne eine gewisse Verlegenheit. Endlich klingelte es aber und der Vorhang ging auf.

Die Gouvernante als Frau Ulrike saß auf der kleinen Bühne, wo man sich kaum umdrehen konnte, während der heimlich Geliebte der Fine, der junge Forstmann, als Anbeter der schönen Witwe auftrat und seinen Part schlicht und recht herunter sagte, ohne Stocken, aber auch ohne allen Ausdruck. Dann ging die Frau Ulrike ab und die Milchrose erschien als Dienstmädchen. Alle wunderten sich, daß sie gleich von Anfang an das wohlgesetzte Deutsch sprach, während die Rolle doch eine Dialektrolle war. Sie trat auf, als habe sie eine Maria Stuart zu spielen, stemmte nicht die Arme an die Hüften, sondern besah sich wie eine feine Dame fortwährend die Fingernägel oder setzte sich dem Herrn gegenüber auf einen Stuhl, indem sie die Hände im Schoße zusammenlegte wie eine Dame im Konzert. Dabei konnte man aber ganz deutlich bemerken, daß sie sehr oft ihre großen, blitzblauen Augen verstohlen ins Parkett schweifen ließ, wo in der zweiten Reihe der junge Turner 449 saß, der bei seinen Kunstübungen soviel gezappelt hatte. Die Milchrose glaubte zwar nur ganz verstohlen zu ihm hinüberzuschielen, um zu sehen, welch einen Eindruck ihr vornehmes Spiel als Dienstmädchen auf ihn machen würde; aber sie ahnte nicht, daß jeder Blick ihrer großen Augen hinunterfiel wie ein Vollmondsanblick, der tageshell eine Gegend jedesmal wieder erleuchtet, wenn eine dunkle Wolke an ihm vorbeigeglitten ist. Allmählich wurde der junge Mann unruhig, er fühlte sich verlegen, der Gegenstand dieser öffentlichen Blicke zu sein, wie einer, der etwa in einem Gesangscafé sitzt, wo die Chansonette ihn zum Ziel ihrer Kußhändchen und Blicke macht; er rückte auf seinem Stuhle oder starrte in eine Ecke der Bühne, um nicht den Blicken der Rose zu begegnen. Unterdessen aber begannen die Zuschauer zu kichern und ihre Bemerkungen zu machen über das sonderbare, gezierte Dienstmädchen, das in so gewählten Ausdrücken sprach, daß die wieder auftretende Frau Ulrike im Stück mehrfach nicht recht fort konnte in ihrer Rolle, denn sie fühlte, daß ihre eignen feinen Manieren allmählich lächerlich wurden durch die künstliche Feinheit ihres Dienstmädchens.

»Na nu,« sagte Fine, »das ist aber eine Gedrechselte, die Jette! Die kann man ja in'n Glaskasten setzen!«

»Na, ja – so sind die jetzigen Mädchen! Das kommt von die Dienstbotenbewegung. Die Rose will zeigen, daß es mit zehn Mark Lohn bei ihr 450 nichts ist; wenn sie in Dienst jeht nach Berlin tut sie's nicht unter hundert Taler im Jahr, und keine Schrippe ohne Feinwurst oder echten Westfäler Landschinken schon jar nicht!«

Solche und ähnliche Bemerkungen fielen, ein Flüstern und Kichern entstand, was aber dem jungen Turner sehr unangenehm war, denn er glaubte, man mache sich über ihn lustig, weil er das Ziel der Blicke der Milchrose war. Das beengte ihn, er fühlte sich, als müsse er Spießruten laufen. Und nun noch dazu das verdrehte Benehmen der Rose, er glaubte geradezu, sie wolle ihn lächerlich machen. Dies war um so peinlicher, als er tatsächlich auf die Milchrose ein Auge geworfen hatte und das sonst so tüchtige, bei allen beliebte Mädchen gern näher kennen gelernt hätte, um seinerzeit vielleicht einmal mit einem Heiratsantrag herauszurücken. Er war Heilgehilfe in einer großen Privatklinik, freilich mit nur wenig monatlichem Gehalt, konnte daher ans Heiraten nicht denken; aber er hatte gehört, daß die Rose, trotz ihres kargen Lohnes, sich doch schon ein Sümmchen gespart und sogar etwas von ihrer Mutter geerbt. Da lag der Gedanke nahe, sich einmal irgendwo in Berlin als Barbier aufzutun mit den gemeinsamen Ersparnissen. Und nun machte dieses Milchmädchen ihn vor der ganzen Turnerschaft durch sein Benehmen und seine Blicke lächerlich, daß er am liebsten in den Boden versunken wäre. Unterdessen begann die Rose, als sie die beunruhigende Wirkung ihres 451 Spiels auf die Zuschauer bemerkte, so zu tun, als verliere sie von dem vielen Geflüster das Gedächtnis; sie stellte sich verwirrt, brachte die Stichworte nicht richtig, sodaß die Gouvernante auch in verwirrte Spielpausen geriet. Die Zuschauer nahmen das erst geduldig hin, höchstens ein Rauschen ging durch den Saal, wenn sie ihren Satz wiederholen mußte. Und jetzt trat der junge Forstmann, den die Fine heimlich liebte, wieder auf, um als eleganter Lebemann seine Rolle weiter zu spielen, eine Szene, auf welche die Gouvernante ihre Hoffnung gesetzt, weil man sich da manches zu sagen hatte, was man auch aufs wirkliche Leben beziehen konnte. Die Rose sah mit Spannung unter die Zuschauer, wo ihre Freundin Fine saß; sie dachte lebhaft an all den guten Kakao, den diese ihr an kalten Wintermorgen gereicht, und sie merkte, wie die Fine ihren Freund nur mit großer Sorge der schönen Witwe im Stück allerhand Schmeicheleien sagen sah. Da setzte sie gerade an der falschen Stelle mit ihrem Stichwort ein, sodaß auf einmal beide standen und sich stumm und verlegen anblickten. Man lachte bereits im Publikum und, geärgert hierüber, übersprang die Gouvernante eine Stelle, um die Situation zu retten und sagte in ihrer Rolle:

»Ziehn Sie mir jetzt meine Schuhe aus und bringen Sie mir meine Pantoffel, Jette.«

Die Situation war diese. Der junge Lebemann sollte dann, etwas kokett angeredet durch die Witwe, 452 beiseite sehen, während das Dienstmädchen die Schuhe auszog, dann aber der Witwe etwas Angenehmes über ihren zierlichen, kleinen Fuß sagen. So geschah es. Die Rose als Jette holte rasch die kleinen Pantoffeln herbei, kauerte hin und wollte der Gouvernante die Schuhe ausziehen. Aber es war unmöglich. Sie zog und zerrte, sie versuchte die Senkel aufzuknüpfen, aber diese waren so verknotet, daß sie nicht aufgingen. Mit einem Verzweiflungsausdruck hielt die Gouvernante ihren großen Fuß vorgestreckt, während der Lebemann starr in eine Ecke sah; die Rose zog und zog, wobei sie aber immer aus ihren Augen schadenfroh auf ihren Heilgehilfen hinunterschielte, daß dieser feuerrot wurde.

Ein Weilchen blieb das Publikum still, weil man sehen wollte, ob die Schuhe nicht doch noch flott werden würden. Die Milchrose brachte die Senkel nicht auf, hielt aber ihren Finger dabei so zierlich, als ob sie nie im Leben gelernt hätte, einen Schuhsenkel zu lösen.

»Ja, was ist denn das?« kreischte die Gouvernante.

»Es ist ja verknotet!« flüstert die Rose wie verzweifelt.

Aber man hörte das und da brach auch gleich ein schallendes Gelächter bei allen Zuhörern aus, zumal der Liebhaber ganz betroffen jetzt hinschaute. Er wollte die Sache retten, erfaßte rasch einen 453 Pantoffel und fuhr in seiner Rolle fort, indem er ihn aufhob:

»Ach, welch reizendes, kleines Füßchen haben Sie da in Ihrem Pantöffelchen stecken!« während die Gouvernante den großen Fuß hilflos im schwarzen, verknoteten Schuh von sich streckte.

Da brach ein schallendes Gelächter und Gejohle aus, sodaß die Gouvernante aufsprang, mit dem Fuße stampfte und laut rief:

»Das ist zu schändlich! Unter solchem Lärm spiele ich überhaupt nicht mit! Spielen Sie Ihr Stück allein zu Ende!«

Ihre Wut kehrte sich aber vor allem gegen den ungeschickten Forstmann, und triumphierend sahen die Fine und die Rose, daß dieser solche öffentliche Herabsetzung durch die Gouvernante erfuhr, nach der es zwischen der Gouvernante und dem zukünftigen Verwalter ein für allemal aus sein mußte. Denn sie entriß in ihrer Wut auch noch seiner Hand den Pantoffel und stürzte von der Bühne ab.

Jetzt fiel unter lautem Gelächter der Vorhang. Aber schon in dem nächsten Augenblick erschien der Regisseur, ein Herr vom Turnvorstand, und erklärte, da das Fräulein vom Rittergut durch nichts zu bewegen sei, weiter zu spielen, so habe es Fräulein Rosa Schubert übernommen, an Stelle der Dame die Ulrike zu Ende zu spielen, da sie zufällig die Rolle beherrsche. Die Folge war, daß eine Klatschsalve erbrauste, und als dann die Milchrose mit so viel gutem Anstand die schöne Witwe bis 454 zum Schluß spielte, immer neue Klatschausbrüche folgten. Triumphierend aber schaute regelmäßig die Rose dabei mit solchen großen Augen auf ihren Heilgehilfen hinunter, während sie zugleich beobachtete, welchen Eindruck ihre Manieren auf ihn machten, daß dieser in seiner Verlegenheit sich zuletzt hinter einer Gruppe von jungen Mädchen versteckte, denn er glaubte, der ganze Saal hielte hundert Augen nur auf ihn gerichtet.

Die Milchrose aber feierte einen großen Triumph. Beim Tanze hinterdrein wollten alle Turner mit ihr tanzen. Nur der Heilgehilfe war verschwunden.


Das Milchwäglein fuhr wieder am frühen Morgen über Land. In den Büschen zwitscherten schon die Meisen und die Finken, über dem Junggrün der Felder schwebten da und dort die ersten Lerchen in die graue Morgendämmerung hinaus, um von oben ihren Gruß an die ersten Sonnenstrahlen zu versenden. Lustig versuchte das Roß, das den klappernden Milchwagen zog, in der frischen Morgenluft hinzutraben, aber nach einem Weilchen kam es jedesmal wieder in eine mürrische, langsam trottende Gangart, augenscheinlich, weil es gar keine rechte Ermunterung durch die Zügel erhielt und die Peitsche tatenlos in ihrer Hülse steckte. Denn die Milchrose saß traurig und in rätselhafter Stimmung unter ihrem Plan auf dem Kutscherbock und dachte über ihr sonderbares Los 455 nach, das mit der letzten Theatervorstellung über sie gekommen war. Während die Fine sich noch am selben Abend mit dem zukünftigen Verwalter, mit dem jungen Forstmann vom Rittergut, verlobt hatte, wozu er, infolge des Bühnenabenteuers mit der Gouvernante ganz besonders gestimmt gewesen war, hatte die Rose schon seit geraumer Zeit den Heilgehilfen überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie hatte zwar erfahren, daß er nach wie vor in der Heilanstalt tätig war, die doch nur anderthalb Stündchen von ihrem Dorfe entfernt lag. Aber wenn er früher regelmäßige Spaziergänge herüber gemacht hatte und dann in einer Wirtschaft gegenüber vom Grundstück ihrer Herrin rastete, um ihr nachmittags beim Spülen der Milchkannen und anderer Haustätigkeiten zuzusehen, war er seitdem überhaupt nicht mehr gekommen und das war um so bänglicher, als er ja auch nach dem Theater spurlos verschwunden war. Lange hatte die Rose sich mit Gedanken abgemüht, wie das zuging, sie konnte so durchaus keinen Grund finden, weshalb sie sichtlich gemieden wurde, daß sie ganz traurig und trübsinnig wurde, und ihre alte Lustigkeit nur noch vorbrach, wenn sie an all' diese Dinge nicht dachte. Sie hatte sich doch soviel Mühe gegeben, fein und von guten Manieren zu sein, damit er merken sollte, was in ihr stecke, und nun war alles vergebens gewesen. Endlich hatte die Fine ein Herz gefaßt, und um zu erfahren, was überhaupt eigentlich vorgefallen sei, einen 456 Brief an den Heilgehilfen geschrieben, in dem sie ihn zur Rede setzte, warum er sich seit kurzem in einem gewissen Orte nicht mehr sehen lasse, wo er doch wohl wisse, daß dort jemand sei, der das ganz und gar nicht begreifen würde.

Darauf war folgender Brief bei der Fine eingetroffen:

»Mein verehrtes Fräulein! Sie fragen mir, warum ich nicht mehr nach so und so gehe. Nun, ich lasse mir nicht gern vor allen Leuten so beblickäugeln, als wäre ich 'nen August für gewisse Theaterdamens. Denn was helfen mir die feinen Manieren, wenn man mich mit solchen Zudringlichkeiten vor die janze Welt lächerlich macht? Denn man hat mich doch nur zum Dummen machen wollen mit ununterbrochenem Kleingewehrfeuer, um mir auf diese Weise wegzujraulen und das widerstreitet meinem Ehrgefühl. Man kann ja wohl unbeliebte Gouvernanten mit ähnlichen Mitteln fortekeln, aber, was mich anbelangt, so spiele ich in solchen Fällen das Präveniere. Da sich eine Gelegenheit gefunden hat, so werde ich wegen gewisser schmerzlicher Erfahrungen mit Nächstem nach Afrika gehen als Ambulanz zu die verwundeten Buren und Engländer. Es hätte ja anders kommen können, denn mit schöne Manieren hätte man ja vielleicht einmal zusammen einen höheren Betrieb mit Champöoing und Damensalon auftun können, aber diese Hoffnungen sind nun zu Seife geworden. Bitte mich an gewisse Adresse zu empfehlen, aber 457 um sich über mir lächerlich zu machen bin ich zu gut. Alle Glückwünsche zur Verlobung wie ich höre. Achtungsvoll Gustav Pietsch, Heilgehilfe.«

Als die Milchrose diesen Brief gelesen hatte bei der Fine vor einer viertel Stunde, hatte sie erst ganz lustig dreingeschaut, weil ihr die Verwechslung gar so wunderbar vorkam, daß sie sollte den Mann mit ihren Blicken haben weggraulen wollen, wo sie nur hatte sehen wollen, wie sie ihm gefiel. Sie hatte auch der Fine gegenüber so getan, als ginge sie die Sache gar nichts an, denn die Gründe ihres Blickens konnte sie doch keinem Menschen gestehen, zumal die Fine tat, als habe sie gar nichts von solchen Blicken gemerkt und meinte, der Heilgehilfe sei wohl verrückt geworden.

Sie hatte aber den Brief zu sich gesteckt und im Wagen wieder und wieder gelesen, und da hatte sich erst das ganze Bewußtsein von der tiefen Kluft eingestellt, die zwischen ihr und dem Heilgehilfen aufgerissen war. Denn »beblickäugelt« sollte sie ihn haben, und Zudringlichkeit hatte man in ihr gefunden und sie überhaupt auf eine Stufe gestellt, daß ihre Würde ihr jedes fernere Entgegenkommen gegen den Mann unmöglich machte. Auf der andern Seite aber lag doch noch das Geständnis darin, daß er sie gerne geheiratet hätte, und damit verdoppelte sich das Gefühl eines unwiederbringlich verlorenen Glückes und des Schmerzes um ein verfehltes Leben. Darüber achtete die Rose immer weniger auf ihr Pferd und auf die Straße. Sie 458 bemerkte nicht, daß der Gaul sich einer Stelle näherte, die ausgebessert werden sollte und wo angeschüttete Steinhaufen neben dem Straßengraben lagen. Auf einmal krachte und scharrte es, der Wagen war schräg in eine tiefe, erst halb mit Steinen ausgefüllten Straßenfurche geraten und saß auf einmal schief darin, sodaß die Rose schier vom Kutscherbock herunterrutschte. Da sah sie, daß sie mit ihren Gedanken an den Brief des Heilgehilfen an dem Übel schuld war, und in ihren Gedanken wurde im Ärger hierüber der Heilgehilfe selbst zum Pferd, das sie und ihr ganzes junges Leben so verfahren hatte. Sie griff auffahrend zur Peitsche und schlug auf den Gaul hinein, als ob es der Heilgehilfe selber wäre und rief ganz laut: »Was, geblickäugelt hätte ich? Zudringlich wäre ich gewesen? Was! Ich will dich beblickäugeln!« Indem sie aber so rief, erschrak der Gaul, der solche Behandlung gar nicht gewöhnt war, bockte und zog scharf an, daß er mit einem Ruck den Wagen aus der Furche zog und nach zwei Schritten ihn gegen einen Prellstein schleuderte. Im selben Augenblick wurde, indem der Wagen umschlug, die Rose in einem Bogen vom Bock geschleudert, und den Brief in der fest zusammengeklammerten Hand, flog sie in den Straßengraben, wo sie mit einem hörbaren, dumpfen Schlage liegen blieb.

Eine Weile hatte sie nur das Gefühl tiefen, unsäglichen Wehs. Erst allmählich konnte sie sich aufrichten. Sie glaubte sicher, sie habe etwas 459 gebrochen. Aber es ging doch mit dem Aufstehen. Nur war sie sehr schwach. Ratlos stand sie bei ihrem Wagen und wußte nicht, wie sie ihn aus dem Graben herausholen sollte. Einen Augenblick versuchte sie selbst Hand anzulegen, aber es war gar nicht daran zu denken, daß sie den Wagen wieder flott machen konnte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen; sie konnte so am frühen Morgen vielleicht eine Stunde warten, ehe jemand käme.

Da sah sie auf einmal, daß sie ganz in der Nähe der Heilanstalt war, wo der Schreiber des Briefes wohnte, den sie noch in der Hand hielt und der klärlich genug die Ursache ihres jetzigen Unfalls war. Denn hätte sie sich nicht so gegrämt und geärgert über den Brief, so hätte sie ja gewiß auch nicht so ungeschickt auf den Gaul eingeschlagen. Da faßte ihre Seele einen raschen Entschluß. Sie ließ den Wagen liegen, wie er lag, ging die fünf Minuten hinüber zum Krankenhaus. Sie klingelte am Torweg und erklärte dem Pförtner, der über so frühen Besuch sehr erstaunt war, sie wünsche den Heilgehilfen Pietsch zu sprechen. Der Pförtner wunderte sich, sagte aber: »Na, det können wir gleich haben, schönes Kind!« Er drückte den Knopf einer elektrischen Klingel. Nach einer Weile kam auch der Heilgehilfe ziemlich verschlafen den langen Korridor heruntergeschlürft, sodaß er die Rose erst erkannte, als er schon unmittelbar vor ihr stand. Er wurde ganz verlegen; sie aber sagte mit einem strengen Ausdruck ihrer Augen, der ziemlich 460 von oben herabzublicken suchte, trotzdem sie zu ihm hinaufschauen mußte:

»Herr Pietsch, es ist gleich hier in der Nähe ein Unglück passiert. Es liegt einer im Graben. Sie müssen wohl doch mal an die Unglücksstelle kommen.«

Der Heilgehilfe erschrak und dachte, irgend ein Verunglückter harre seiner Hilfe.

»Soll ich Verbandszeug mitnehmen?« fragte er besorgt.

»Nein, ist wohl nicht nötig!« sagte die Rose finster.

Sie ging schweigend voran und er folgte in dem sonderbaren Gefühle, daß ihm irgend etwas bevorstehe, oder irgend etwas in der Luft liege. Es lag so etwas besonders Energisches in dem Gang und in der ganzen Gestalt der Milchrose, daß er die Vorempfindung hatte, die Geschichte gehe ihn auch persönlich und besonders an. Unterwegs sagte sie kein Wort.

Endlich standen sie vor dem Graben und er sah den Milchwagen drinnen liegen. Er wußte nicht, was er dazu sagen sollte und sah sprachlos die Sache an. Sie schwieg auch und wartete, was nun werden würde. Endlich sagte sie ziemlich kurz angebunden:

»Na, allein bring ich ihn doch nicht heraus!«

»Ach so,« meinte er. »Na, denn man los.«

Er sprang in den Graben und faßte an. Sie zog oben und munterte das Pferd auf. Das 461 Wäglein war nicht schwer; er hob mit solcher Kraft in den Rädern, daß nach einigem Schieben und Drängen das Pferd doch imstande war, das Gefährt wieder flott zu machen. Die Rose atmete erleichtert auf, blickte aber, als die Hilfe geleistet war, noch strenge auf den Heilgehilfen, tat, als wäre er übrigens nicht vorhanden, stieg auf ihren Bock und wollte wortlos weiterfahren.

Da sagte er: »Na, mein Fräulein, ein Dankeschön hätte ich ja wohl verdient.«

»So,« sagte sie geringschätzig. »Damit Sie sich wieder einbilden, ich hätte mit Ihnen geblickäugelt.« Sie zog heftig den Brief aus der Tasche. »Diesen Brief haben Sie geschrieben! So reden Sie von einer Dame wie ich bin. So wissen Sie wahrhaft gute Manieren zu schätzen! In den Graben geworfen haben Sie mich mit Ihrer Eitelkeit, mit der Sie sich einbilden, eine feine Dame, wie ich sein kann, würde vor aller Welt mit Ihnen blickäugeln. Mit so einem! Den Karren hier haben Sie wohl herausgebracht, aber wie Sie Ihren eigenen Karren mal aus dem Dreck ziehen wollen, und wenn Sie bis Afrika fahren, das möchte ich mal sehen. Mich so zu beleidigen! So ein gescheiter Mann wie Sie!«

Sie peitschte das Pferd und fuhr los. Aber im selben Augenblick war auch der Gehilfe ins Tretstück getreten und schwang sich langsam auf den Wagen und neben sie auf den Bock. Denn gescheit hatte man ihn noch nie genannt. 462

»Ja, wo haben Sie denn da hingesehen, wenn nicht auf mich, Fräulein Rose?!« frug er ganz erstaunt, indem er sich neben sie setzte, wobei das Wäglein schon losfuhr.

»Auf Ihr Knopfloch habe ich gesehen, weil Ihre Turnerschleife heruntergerutscht war!« sagte die Rose, indem sie in ein heuchlerisches Schluchzen ausbrach, mit innerem Triumph aber weiter fuhr, daß sie den Mann doch nun auf dem Wagen hatte, wo er zunächst überall dahin mußte, wohin sie wollte. Er aber wußte nicht, wie ihm geschah, und statt daß sie blickäugelte, blickäugelte er, indem er fortwährend ihre Augen suchte, die schönen Augen, die ihn gar nicht einmal in Wirklichkeit hatten »weggraulen«, sondern nur sein Knopfloch hatten ansehen wollen. Und das war ja so glaubwürdig . . .

Einen kleinen Schaden hatte die Milchrose doch von ihrem Fall gehabt. Sie konnte auf die Dauer nicht mehr den anstrengenden Fahrdienst und Kannendienst versehen. Sie trat gegen höheren Lohn als Dienstmädchen bei ihrer Freundin, der Professorin, ein, und wenn sie genug gespart hat, soll die Hochzeit mit dem gescheiten Heilgehilfen sein. Dienstmädchenrollen aber spielt sie trotz alledem noch immer grundsätzlich nicht.

 


 


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