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Polo; punt; Posse

 

I

Dankbar bin ich englischen Freunden für die Einführung in den Ranelagh-Club, – der bei London Sportgründe seltener Art besitzt.

Vor Mitgliedern und Eingeführten (es waren eine ganze Menge) focht hier der Prinz von Wales einen Polokampf; auf der Seite von drei Oberhausherren wider vier Unterhausherren.

Der Herzog von Westminster stritt bei ihm; auf der Gegenseite Sir Philipp Sassoon, welcher gewissermaßen der andre Rothschild ist; und im Hintertreffen Winston Churchill; von bekannteren Namen.

 

II

Das Spiel selber, Fußball zu Pferde, verblaßt gegen das Drumunddran. Das Nebenher wird ja Hauptpunkt – wie auf jeder Jagd. Ich weiß es von allen Seehundsfahrten. (Vollends vom Stierkampf! Eine Französin war im Recht, wenn sie nach dieser blutigen Schweinerei zu mir in Sevilla sprach: »Mais c'est beau comme couleur.« – » … Aber hübsch als Farbe.«)

Polo ist hübscher: weil kein Ekel über Grausamkeit herrscht. Weil die Pferdchen fast vermenscht sind; sie spielen aus Leidenschaft mit; sie zeigen die Gier, zu gewinnen; die Pferdeln haben gewiß ihren eigenen Polo-Club.

(Ich denke mir die übrigen Ponies in Zeitungen blätternd: welche Mitrösser gestern gesiegt.)

 

III

Bezaubernd, wie ein leidenschaftliches Scheckerl ausgreift. Ist es ein Gaul oder eine Katze? Sie stürzen auf die weiße Kugel – die von den Reitern mit Harken gejagt wird.

Es scheint: die Pferdchen gucken rascher als die Herren. (Ihr Volksstamm sieht ja Kleinstes an Bewegungen – wofür wir zu dumm sind.)

Die Teilung der Tätigkeit ist wohl so: daß die Reiter mit der Harke, die Ponies mit dem Intellekt arbeiten.

 

IV

Ernst oder Spaß – das Bild erinnert irgendworan … Ja: an die »fantasia« der Araber. Auch hier so ein blitzschnelles Ausschwärmen, Wegfliegen, Hinrasen, Wenden zu Pferd. So ein Rudelreiten, Sichlösen, Zerstieben, Sammeln, Knäueln, Entwirren, Auseinanderflitzen – bis die weiße Kugel durch das Tor ist.

Beglückender Augenreiz. (»C'est beau comme couleur.«)

 

V

In dem zaubervollen Club Ranelagh scheint jeder Farbstrahl sozusagen lovelich gedämpft, abgepaßt, zartgestumpft. Alles auf dem kurzen, juchzgrünen Rasen ist weiß und rot. Rings Weiß und Rot. Der eine Reiterschwarm weiß, der andre rot – auf dem Grün des Lichtgrases.

Noch die Schwärme von Wärtern und Gärtnern sind oben rot, unten weiß … Vor dem Clubhaus rote Geranien, weiße Lilien. Jeder Pfahl: halb weiß, halb rot – auf dem grünen Grund.

 

VI

Ein Duft von frischgeschnittnem Gras und edlen Blumen. Alles voll Ruch und Umwehtheit. Fernbegrenzte Wiesenflächen. Teiche mit weißen Seerosen. Inselchen mit einem Urbaum drauf. Rotbuchen auf der Trift. Lichthalden. Rosenbekletterte Gänge.

Wunderbar.

(Nebenbei rote Brücklein, braune Brücklein; Tempelchen; grünverschollne Standbilder; Säulen mit Köpfen. Ein sandsteinalter Pelikan irgend in einer Flut … Flauschiges Moos, Farren, Hügel. Porig alte Grotten über dem Wasser dachen ein Bootshaus. In vergessen-steinernen Körben bröckeln versteinte Sträuße. Rauschendes Quellgelall. Und Baumschlag – aus Bilderbüchern … Ecco.)

 

VII

Das hört nicht auf … Das hört nicht auf.

Taxusschnitt. Blau-dichte Lebzäune. Leuchtgelb schnurgrade Hecken. Seltsam gelbe Baumsiedlungen. Rittersporn! Efeu! Ketten von goldnem Blattgesträuch, dazwischen Flammenbeete.

Wonnen – aus verwöhnter, stammgesessener, behagensvoll eingewohnter Zeit.

(Mittendrin Plätze für Tennis und Crocket. Sie spielen Crocket mit spaßig langen Hämmern am Stiel. Statt seitwärts zu schlagen, schieben sie – seh' einer an! Kochen auch mit Wasser. Jeder Schub wichtig; fast in brütendem Ernst.)

 

VIII

Clubpavillon mit indischen Teppichen, verjährten Stichen, exotisch feinem Duft. Gewählt … und wie zu Hause. Zimmer eines verschollen reichen Kurorts – mit anheimlichen Möbeln, Vasen, leis parfümierten Teppichdecken. Die Teeterrasse davor.

Durch die Clubstuben mit offener Gartentür gehn Damen und Herren; oder sie hocken und lesen. Sealpelze. Parfüms. Der Springbrunn draußen rinnt.

 … Und an alledem fließt die Themse vorbei.

 

IX

Die Zuschauer des Polokampfes waren, obschon ganz heiter und frisch, nur von der gemäßigten Aufregung erzogener Menschen.

Erzogener Menschen – die man auf diesem sittigenden und anständigen Eiland mit ernster Dankbarkeit so häufig trifft.

Die roten Bedieneriche gaben den Tee. Weißbrotscheiben fesseln mich kaum, – doch der englische Kuchen, mit Ingwer und Cardemom und sonstwas. (Wie das Ingwerbier, ginger ale, zur Sommerzeit … in Suffolk. Schön war das damals. Eoh!)

 

X

Der Prinz von Wales, dieser Behang für den Mittelständer eines Weltreichs, ist achtundzwanzig Jahre; sieht jünger aus; fast weiblich, mit unbeschriebenem Antlitz.

Mädelhaft schlenkrig ritt er, doch voll guten Willens – und schlug mit der Harke fast immer fehl. Dann hilflos neben den Reitern. Aus des »Knaben Wunderhorn« klagt es:

Wo soll ich mich hinkehren.
Ich armes Brüderlein?

Jedoch war er ganz gewinnend in solcher gutartigen Kümmernis  … Die Mitspieler jagten die weiße Kugel durchs Tor. Schluß des Kampfes.

Die Prinzessin Arthur von Connaught übergab dem Prinzen den silbernen Preis. Er hatte gesiegt.

 

XI

 … Kein Club, sondern volkstümlich ist Henley. Von London eine Stunde. Massenziel, bei der viertägigen Regatta.

O heilsame Themselandschaft. Hügelbuschungen in der Gegend von Reading …

Reading? War es dort, wo Oscar im Zuchthaus gesessen hat?

Er schritt wohl in der Sträflingsschar,
Im Anzug grau und schlicht,
Mit leichtem Schritt, ein Käppchen nur
Beschützte sein Gesicht,
Doch nimmer sah so sehnsuchtsvoll
Ein Auge in das Licht.

Die Zuchthausballade … Vorbei. Bloß den Hut ab.

 

XII

Wiesen! Kleine grüne Wände seitwärts – und ein gekringelter Fluß.

Am Ufer redet ein Bootsmann zu mir … es klingt ungefähr so: »Du ju leik ä Panzer?« Was bietet er mir an – ein Panzerboot? Er meinte jedoch: »Do you like a punt, sir?« Dies punt ist ein langschmales Fahrzeug, das man hinten staakt.

 

XIII

Gleißende Luftballons an Schnüren in Menge. Manche riesenhaft. Weißblau, gelb, grün. Dazwischen phallisch langgestreckte … Sie strahlen Farbtupfen in die Natur.

Gedrängte Bootmassen, prachtvoll in Selbstzucht. Durch eine Leiste bezirkt. Man sieht vom Sattelplatz lauter wippende, schwebende Ballons auf dem Wasser.

Männer mit Jockeymützen, gelbe Borten auf blauer Jacke – sie schreiten am Ufer hin. Die rote Fahne der Strompolizei. Farben, Farben, Farben. Ein lila Ballon schwimmt als Boje.

(Das Volk – mit braungedeckelten Eßkörben, Thermosflaschen  … Die feine Menschheit schmaust im blumenleuchtenden Frühstückszelt.)

 

XIV

Herren mit rosa Strümpfen, rosa Kappen, weißen Hosen, blauen Jacken.

Immer Farbflecke: das sind Frauen, rings im Bootgewühl. Orangenhüte. Bluthüte. Gelbe Sweater. Veilchenfarbene Burnusse … Lichtgrüne Segel zusammengedreht, als Torbogen gespannt. Tribünen; Farben der Leuchtballons; zitterndes Wasser.

Ha! Hermelinjacke, bei sahnenfarbigem Rock. Dort Hüte wie ausgekrochener Kanari. Weibliche Gummimäntel aus grünem Glas … Farben, Farben. Alles in einer gedämpften, behaglichgrünen Landschaft.

 

XV

Los! Ein Kahn flitzt voran – wie er will.

Bravo … Wie lange geht es weiter? Pausen. Vorstöße.

Halt – jetzt eine Wandlung: Regen fällt … Auf allen Booten wachsen Schirme. Schirme. Gibt es in einer Stadt so viel Schirme? … Doch die bunten Farben sind im Grau des Himmels köstlicher; will sagen: noch stumpfer.

Es gießt. Es pladdert. Es preescht. Es plumpst. Es knallt …

Es regnet Bindfaden; Stricke; Taue; Säulen …

Der lila Ballon wogt im Tropfenfall auf dem Wasser.

 

XVI

Unterdes fragt etwas im Innern: Ist Sport ein Gegensatz zur ernsten Kunst? (Wie der bekannte Gegensatz zwischen Muskelmensch und Hirnmensch?)

In Hellas, lernt man, hat beides nebeneinander geblüht. Aber wohl nicht im selben Leib … Nebeneinander? ja. Mitsammen? kaum. Hat der Läufer von Marathon gedichtet? (Vielleicht ein Expressionistendrama – indem es Berührung mit Turnkunst zeigt.)

Auf den Niedergang wirkt andres. Der wackre Arthur Collins in London, welcher die Ausstattungsbretter von Drury Lane seit einem Vierteljahrhundert betreut (er spielt jetzt ein farbenreiches Kreuzfahrerstück …), sagt mir: »Ernste Kunst ist unmöglich – nach dem Krieg.«

Englands große Schauspieler sind tot; die Zuschauer haben kein Geld … oder sind auch tot. Die Leute kommen um Neun ins Theater; klappen mit den Sitzen … Das Schreiendste zieht.

Ein Geschlecht ist auch hier durch die große Zeit verkaffert.

(Collins schwärmt von der Djuus', nämlich Duse, – und weist mir an seinem Finger den Ring der Ristori. Er borgt jetzt aus Deutschland die phantastisch zukunftsvolle Kreisler-Bühne.)

 

XVII

Die Tragödin Sybil Thorndike spielt in einem Bums die Tosca. Nur Haltungen. Sprachlich ohne Schimmer. Im selben »Coliseum« wirkt aber Grock, musikalischer Clown, der für mich ein großer Schauspieler ist … in der Art von Pallenberg. Ein entzückendes Männdel – so dümmlich, ärmlich, lieblich. Dabei höllisch verschmitzt. Das Haus rast.

 … Englands Mimen sind zugleich Sprecher, Sänger, Akrobaten. Auch der (sonst mäßige) Robey im Hippodrome – wo Phileas Fogg wieder in fünfzig Tagen um die Welt reist … aber es ist ganz eine neue Reise. Mit Film, Autos, hohen Schiffsseiten, Schiffbrüchen, Rührsamkeit, Farbtaumel, Komik; fast großartig durch Überfülle. Von einem Reichtum des Glanzes und des Klappenden – erschlagen wird man.

Wenn dort ein Schwarm von Likörgeistern im Farbdämmer singt, nähert sich der Kitsch dem Edgar Allan Poe. Stärkere Romantik als je bei Max Reinhardt. Es ist altüberliefertes Könnertum.

Zwischendurch singt Sophie Tucker; mit ihrem Baß derb und seltsam ans Herz packend …

Londons Drama heißt: Hochzeit von Operette, Purzelbaum, gesprochenem Witz, Prunk, Phantastik.

Die Gattung ist vorletzten, die Handhabung ersten Ranges.

 

XVIII

Shaw riet mir, Gladys Cooper zu sehn. Im »Playhouse« gibt sie, ogottogott, die »Zweite Mrs. Tankeray«, von Pinero.

Shaw sprach ganz ernst von dem Stück, auch von Barries Stücken. (Nicht aus Taktik. Sondern – das ist mir seelisch fesselnd – wohl in jenem zeitweiligen Verdämmern des Selbstbewußtseins, das ein starker Eigenwuchs mitunter hat. Eine Art Ermüdung, es im Alltag sehn zu lassen. Oder ein Entgegenkommen? Ein Sichtiefschrauben … als dargebotene Sühne für den wirklichen Hochstand. Kurz: der Gewaltstupps zur Kollegialität; exempelshalber Dostojewski galt als kollegial.)

Also Shaw sprach ganz ernst von Pinero und Barrie – mit dem Beisatz: die Mrs. Tankeray sei vormals von der Patrick-Campbell gespielt worden (die er selbst in Liebesbriefen einst vergöttert hat).

Doch Miß Gladys Cooper ist in Wirklichkeit nur ein blondes, gelenkiges Fleisch. Eine Gallokopistin – ohne was in der (sonst einwandfreien) Brust …

Ich floh.

Galsworthys Drama »Loyalties« entging mir.

 

XIX

Technik ist Englands Bühnenkunst. Auch im Film – in dem himmlischen Spaß »Robinson Crusoe Ltd.« Oder in dem Verbrecherfilm aus Alaska: »The girl from outside«. Jeder Zug von geprüfter Schlagkraft. Jedes Tüpfel sitzt auf jedem i.

Doch im seelisch Ernsten, so in dem Byron-Film (»A prince of lovers«), der jämmerlichste Tiefstand.

 

XX

Für Shaw ist heut kein Raum auf Londons Bühnen. Um Oscar Wilde keine Nachfrage.

Vollends der Hahn, der nach Shakespeare kräht, begab sich in eine Geflügelausstellung.

Englands Bühne zeigt in der Unkultur eine Hochkultur. Im Schmarren ehrwürdige Meisterschaft. Wie kommt das? –

Die sogenannte ernste Kunst entfließt, wo nicht alles täuscht, gewissermaßen sozusagen einer bewegten Seele. Dagegen spricht hier vieles. Erstens: Körperlust im Freien. Dann: Wohnlichkeit, Geborgenheit, Feuerstatt, porridge, Rock und Mütze von gleichem Stoff.

Woher Leidenschaft – wenn sie auf Muskeln und auf Besitz wegging?

Vorbildliches Getier … und noch leise Kunst? Zuviel verlangt.

 

XXI

Immerhin. Auf dieser Insel wohnt ein hochstehendes, werthaltiges, taktvolles, gesittetes, kluges, wenn auch vielleicht unpoetisches Volk.

(Aber laßt's mich aus mit der Poesie. Für die nächsten zwölf Jahre.)


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