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Amerika-Deutschtum

 

I

Die Professoren der Sektion für deutsche Literatur an der Columbia-Universität haben mich durch eine Einladung tief erfreut und geehrt. Es war ein Essen im Faculty Club auf dem umwehten Hochschulhügel. Nach dem heißen Tag hauchte vom Hudson frischere Luft.

Ich stieg den »campus« der Universität hinan; danach die paar Freistufen eines Backsteinbaues. Hier standen in der Kühle des großen, fast klösterlich zurückgezogenen, vielfältigen Anwesens wertvolle, mir damals noch unbekannte Menschen.

Der Abend bleibt mir eingedenk. Es war ein herrliches, herzliches Beisammensein.

 

II

Professor Dr. Fife, Amerikaner aus Virginia, der Deutsch vollendet spricht, steht an der Spitze dieser Abteilung. Neben ihm wirkt Professor Heuser, der als Kind aus Deutschland kam. Ich nenne von denen, die am Tisch saßen, Professor Braun, Professor Schuster und (nicht nur durch seine Indianerforschungen berühmt, sondern wegen des großen Hilfswerks für Deutschland verehrungswürdig) Professor Boas; aus Westfalen.

Wenige Tage zuvor hatte Professor v. Klenze mir erzählt, daß (o Balsam für einen Schriftsteller!) am newyorker City College die sieben Bände meines Werks »Die Welt im Drama« und »Die Welt im Licht« für die Studenten eingeführt seien.

Ich spreche von alledem … Erstens, weil es mich beglückt hat (»o laßt uns wahr sein, vielgeliebte Freunde!« sagt Grillparzer). Zweitens, weil nicht ein zufälliges Ich, sondern überhaupt etwas Deutsches hier Gegenstand ist.

Drittens: weil aus der Berührung manches über das Amerika-Deutschtum zu erkennen blieb.

 

III

Von jener strotzenden Fülle der Studiosenschaft, die sich vor 1914 im »department of germanic languages« um deutsche Werte bemüht, ist nur ein trüber Rest geblieben. Auch hier hat der Krieg fast alles zerstört.

Wie war das möglich? Bis zur Lusitaniaversenkung, bis 1917 ging es. In Provinzschulen war Deutsch Unterrichtsfach. Jetzt reisten aber, von einem newyorker Bund betraut, Sendlinge herum, auch Frauensbilder, – und forderten Abstellung. Von einem Tag zum andern hörte der Unterricht im Deutschen auf. (Dafür wird heute Spanisch gelehrt … Vorbei!)

Was im Krieg mancher geistig hochstehende Deutschamerikaner gelitten hat; von welcher seelischen Drangsal sie gepeinigt wurden: davon wissen wir nicht genug. Schon vorher, ja seit zwanzig Jahren haben England und Frankreich gegen die Deutschen Amerikas dort Propaganda gemacht.

»Der Wagen brauchte nur glatt einzurollen – die Tür stand auf«, sagte mir (prachtvoll, klug, frisch) Frau v. Klenze.

Wir selber taten, was wir zu oft getan: schlummerten … oder begingen Taktfehler. (Parole: »Zu lau – oder zu laut«.)

Heute läßt sich das Rad nicht wenden.

 

IV

Der Amerikaner Dr. Henderson hat eine zweibändige Geschichte Deutschlands verfaßt. Sie ging bis 1914. Er schreibt jetzt, auf Ersuchen, die Fortsetzung. Seine Frau (seit einem Menschenalter lebt sie drüben, ihre Schwester ist Marie v. Bunsen) erzählt mir, daß Deutsche sich im Krieg plötzlich als Schweizer oder Skandinavier ausgaben. Es war eine Brotfrage – denn Diener, Gärtner bekamen als Deutsche nicht Stellung. (Andren ging es durchaus leidlich … wie mir ein schlauer Steward erzählt, welcher bei Kriegsausbruch drüben – das ist sein Wort – »strandete«. Dieser Mann aus Hamburg fuhr in die Mittelstaaten, trat fix in eine Freimaurerloge, hielt sich zur Bruderschaft … und blieb, bis auf Daumenabdruck und Lichtbild, ganz unbehelligt. Nicht nur er.)

Die feine Enkelin des verblichenen Josias v. Bunsen weiß, daß bis zum Lusitania-Jahr die Stimmung erträglich stand. Da erst brach es los … Heut ist zwar der Groll ruhig – doch leben die Deutschen Amerikas, meint sie, »wie auf einer Insel« … Die Kinder fühlen rein amerikanisch. Und die Enkel erst! »Man kann ihnen da nicht dreinreden.«

Sie kamen ja schon drüben zur Welt.

 

V

Innerhalb amerikanischer Familien gab es Zwiespalt. Mr. Dresel, bis vor kurzem Geschäftsträger in Berlin, löste den gemeinsamen Haushalt mit seiner Schwester, … denn der Bruder war englisch gesinnt, die Schwester mehr deutsch. Es litt sie nicht zusammen. Dresel, der in Berlin bei Tisch manches Mal neben mir saß, spricht Deutsch wie ein Deutscher – und stand sogar zu vielen amerikanischen Kulturerscheinungen sehr kritisch … Über den furchtbaren Gerard, vormals Botschafter an der Spree, ist kein Wort zu verlieren. Aber auch Hill, einer von seinen Vorgängern – ich rühmte sein Buch (im »Pan«), das Übereinstimmung der politischen Moral mit der Moral jedes Privatmannes fordert, – auch Hill war der deutschen Sache nicht wohlgesinnt. Wer war es nach 1917?

Pfälzer aus Californien, Holsteiner aus Long Island erzählen mir von den Schrecknissen, die man bei dem Tun der Papen, Boy-Ed, Dr. Albert durchgemacht. Hier empfing das Deutschtum, sagen sie, die stärkste Schädigung, – für immer.

 

VI

Also die Qual für manchen Deutschen lag nicht in äußerer Gewalt. Nicht im Einsperren oder Bewachen. (Überwachung war ja auch bei uns; kerndeutsche Berlinerinnen, die Engländer geheiratet hatten, in Schwalbach vom Krieg überrascht wurden, sogar für unser Rotes Kreuz arbeiteten, – die mußten in Berlin zweimal wöchentlich auf die Polizei; Krieg ist Krieg!)

Die Qual steckte tiefer. Eingewanderte, prodeutsch in Wort und Schrift wirkend, sahen ihre Söhne sich als Kämpfer freiwillig wider Deutschland melden. Mißbilligen konnten sie's nicht – nach dem verworrenen, unsren Erdball noch beherrschenden Wildenbrauch: Krieg ist Krieg.

 

VII

Heut ist in Amerika die Lage so: Die reichen, gebildeten, ehrgeizigen Familien gleiten vom Deutschtum ab. Also die einflußstärksten. Ihre Söhne sind in scharfbeachteten Stellungen, ihre Töchter oft mit Amerikanern verheiratet. Wer als Deutscher gesellschaftlich strebt, hält seine Kinder nicht mehr ab, stockamerikanisch zu sein. Und die Deutschen hier verdenken's ihnen kaum.

Ein deutscher Gastwirt aus Los Angeles, geborener Berliner, sagt mir: »Keiner will bei uns Deutscher sein. Vorher, – na!«

Es will auch keiner zurück. Warum? Der Bergedorfer, in Florida seßhaft, ehemals Korpsstudent, sagt mir: »Die Deutschen bei uns haben das Assessorentum satt, – ihnen graut vor Beamten, die oft gut aussehen und fesch sind und distant, aber nicht fähig. Wo also der Norddeutsche höhnisch denkt: Ecken vergolden!«

Keiner läßt sich das gefallen, der einmal drüben war.

Keiner will zurück – schon aus wirtschaftlichem Grunde. Der Webereiarbeiter (das sagt mir ein gebildeter manufacturer aus Philadelphia, hessischen Ursprungs) – der gute Webereiarbeiter verdient wöchentlich bis hundertfünfundzwanzig Dollars; freilich nur in Ausnahmefällen. Das sind pro Jahr achtundvierzig Millionen Mark …

Denkt er an die Heimkehr?

 

VIII

Von hundert Amerikadeutschen sind fünfundachtzig aus der schlichtesten Klasse. Von diesen kleinen Leuten ist vorläufig nur ein geringer Satz bewußt sozialistisch. Der größere Teil ist … rührend erfüllt von gewissen Erinnerungen an die Heimat – und um zehn Jahre hinter der Gegenwart zurück. Monarchentreu in dem Sinn, daß Familienfeste deutscher Fürsten etwas fürs Gemüt sind … Ein Schwarm, der halt ohne viel Begründung am Gewohnten hängt. Oft liebe Menschen.

Einheitlichkeit (darin sind sie deutsche Politiker) ist nicht ihre Tugend. Zum Exempel: Deutschamerikaner haben die »Steuben-Society« zur Förderung des Deutschtums gegründet. Eine Abordnung begibt sich zum Präsidenten Harding und empfiehlt für ein diplomatisches Amt Herrn Pontius. Schön. Der Präsident staunt, als kurz danach eine andre Abordnung derselben Steuben-Society Herrn Pilatus empfiehlt … Einigkeit macht stark. Sinnbild deutscher Politik.

Trotzdem ist Hoffnung, daß ein deutscher Zusammenschluß drüben in gewissem Grade Gutes wirkt. Allerdings wurden bei Gustav Frenssens Vortrag in Newyork bloß vierhundert Plätze (von siebenhundert) verkauft. Peinliches Verhältnis zur Kopfzahl.

Wie trüb es heute mit Geldsammlungen aussieht, hat wahrheitsgemäß Herr Miller, Redakteur der »Newyorker Staatszeitung«, sogar in einem rechtsstehenden deutschen Blatt mitgeteilt  … Ist es zu verwundern? Die Amerikadeutschen selbst wehren sich langsam gegen die würdelos gewordene, von Deutschland aus betriebene Bettelei. Es geht in die Puppen – ohne Geschmack noch Selbstachtung.

Man hätte dort mehr für uns übrig, wenn wir stolzer wären.

 

IX

Der Krieg hat aus zwei deutschen Blättern Newyorks, »Staatszeitung« und »Herold«, eines gemacht; sie sind verschmolzen. Ihre Auflage beträgt hundertzwanzigtausend; die Auflage des deutsch-sozialistischen Blattes achtzehntausend.

Die zwei vereinten Blätter halten den Sinn für das entschwundene Vaterland wach. Ihre alten und neuen Freunde – Hirsch, Weil, Miller, Schmitz – hatten kein leichtes Amt. Die eng zugehörige Familie Ridder, jetzt mit dem Organisator Arnold verbündet, wirkt seit Geschlechtern drüben für alles, was deutsch ist. Bernhard Ridder schrieb in der Kampfzeit Aufsätze zur Verständigung. Der jüngste Bruder, Viktor Ridder, ist mit Hingebung ein Helfer für den deutschen Gedanken; unter ihm arbeitet ein ganzer Ausschuß.

Was der begabte Poet G. S. Viereck für das Deutschtum getan hat, war nicht fördersam. Sein Ton hat Feindseligkeit erzielt. Aus allen Verbänden amerikanischer Blätter flog er hinaus … Er wird's tragen.

Unter diesen angloamerikanischen Zeitungen sind (um nur einige zu nennen) die Hearstschen Blätter uns nicht abgünstig. Auch der »Newyork Herald« heute nicht. Von Wochenschriften vollends die (liberale) »Nation«. Diese gibt Herr Villard ganz uneigennützig heraus, der Sohn des Eisenbahngründers aus Worms. Villard hat die (literarisch wichtige) »Evening Post« veräußert – weil sie ihm zu konservativ geworden ist.

 

X

Kritiker der »Nation« und einer der angesehensten Kritiker Amerikas ist der Übersetzer von Gerhart Hauptmanns Werken, Professor Dr. Ludwig Lewisohn.

Dieser Mann – den man hier Loïson ausspricht – bleibt neben dem prachtvollen Henry Louis Mencken (dessen Großvater aus Leipzig nach Baltimore zog) ein rabiatester Kämpfer für das Deutschtum.

Ludwig Lewisohn war Professor an einem College der Mittelstaaten – und mußte wegen seiner stramm deutschfreundlichen Haltung aus dem Amt. Es gab ein Verhör … zumal als er den Satz drucken ließ, Nietzsche sei doch einer der größten Prosaiker.

Der Professor kam als Kind aus Deutschland mit den Eltern in die Südstaaten. Dieser Jude vergöttert die Dichtung seiner dämmrig verlorenen Heimat.

Er saß dann im sogenannten Mittelwesten.

Der Schrei gegen die »huns« wird ihm widerlich. Ein ehrlicher Geist bellt und rebellt. Der Propagandafilm »The beast of Berlin« ekelt ihn an. Er gewahrt, parteilos, die Kriegserbärmlichkeit bei allen. Auch in der Hungerblockade.

Kurz: als er den einseitig-ungerechten Hexensabbat gegen Deutschland nicht mitmachen will, muß er weg. (Sein deutscher Universitätsgenosse war eben mit einer kranken Frau und drei Kindern auf die Straße geflogen, ging nach Mexiko, starb dort im Elend.)

 

XI

Das jetzt erschienene Buch »Up stream«, worin der Hauptmann-Übersetzer mitteilt, was er als Deutscher und als Jude wechselweis erleben durfte, hat nicht bloß die Deutschamerikaner nachdenklich gestimmt. Ludwig Lewisohn weist hier schäumend auf »the Judas trick of Versailles«.

Er kämpft auch gegen den neuen Nationwillen Amerikas. Und gegen einen Puritanismus, der hintenrum zu Negerhuren schleicht. Und gegen Jazz. Und, offenbar weil seine Väter in Deutschland saßen, gegen das Trinkverbot.

Ich denke von den Amerikanern anders, – er haust ihnen zu nah; er sieht zuviel Einzelheiten statt des grandiosen Umrisses …

Was tut's? Man fühlt einen ernsten, hochstehenden Menschen, der taktische Fehler vielleicht begeht – aber nicht duckt.

(Menckens erfrischende Kulturarbeit wird noch betrachtet.)

 

XII

Ein innerer Umschwung vollzieht sich. Amerika war vor dem Kriege nur ein Land … und ist infolge des Kriegs eine Nation.

Der treffliche Professor Frank Mankiewicz, Lehrer an der High School, ein Deutscher, der bald vier Jahrzehnte dort lebt, klagt mir über die Veränderung: seit Amerika durchaus Nation werden will.

Vormals konnte dort jeder sein, was er war; auch Deutscher; heut muß er seelisch die Uniform tragen. Die Folge sind komische mimicry-Versuche von Deutschen. Haltlos und haltungslos.

Mancher hat mir Ähnliches gesagt.

 

XIII

Die Stimmung in Amerika ist heut ohne Haß. Der neue Beginn bessert Einzelnes. Doch er kann (nach allem, was vertan ist) für uns die alte Lage nicht wiederbringen.

Es war einmal … Und es fragt sich, ob diese Entwicklung zu verwundern ist.

Denn auf andrem Blatte steht: ob die Amerikaner nicht berechtigt sind, von Eingewanderten das zu fordern, was wir von Polen, Dänen, Lothringern stets gefordert haben. (Oder, je nachdem: ob wir berechtigt waren, es zu fordern.)

 

XIV

Auf andrem Blatte wieder steht: ob die wahrhaft großen Verdienste deutscher Mitarbeit in Amerika stärker hervorzuheben sind, als wir den Einschlag fremden Blutes in unsrer Kultur hervorheben – in dem slawisch durchspickten, gallisch beeinflußten Norddeutschland, wo noch eine Königin Luise Französisch an Deutsche schreibt. Dürers Familie kam aus Ungarn, Kants aus Schottland, Beethovens aus Belgien, und Goethes Haar war nicht blond … Betonen wir das? O Menschen! Menschen!

 

XV

Gleichviel. Dies mag ein »zu weites Feld« sein. Auch mag unsre Landsmannschaft jenseits des Meeres vorübergehend sich sammeln, sich raffen, – und hunderttausend gute Wünsche fliegen aus vollem Herzen ihr zu. Der offenmütige Betrachter langer Zeiträume macht sich dennoch nichts vor.

Sicher ist bei alledem eins: der infame, schicksalsverdammte, »frisch-fröhliche« Weltkrieg brach – neben allem, was er sonst verschuldet – auch dem Deutschtum in Amerika das Genick.

*

Nachschrift. Als dieser Essay zuerst erschienen war, knüpfte daran die »New York Tribune« (3. Juli 1922, Beitrag von Maerker-Branden) zutreffende Fragen und Betrachtungen. Ich möchte nicht zweifelhaft lassen, welche Möglichkeit für die Amerikadeutschen ich als ehrlicher Mensch erblicke:

Sie können dort keinen Staat im Staate bilden. Sie selber werden das nicht wollen. Sie werden, selbstverständlich, Amerikaner sein.

Aber sie können die Erinnerung an die alte Heimat hochhalten. (Wie die französischen Kolonisten in Berlin.) Sie können das stolze Wort beherzigen: »Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt«. Und sie können das Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika bessern helfen. Das ist es.

Sie müssen klar die Scheidung machen: zwischen dem hohen Werte des deutschen Volks … und dem geringen Wert seiner vormaligen Führer.

Deren Fehler brauchen sie nicht zu verteidigen – oder gar zu verantworten. Vollends den »Kaiserismus« müssen sie endlich zum Schutt werfen. Sie sind zu gut dafür.


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