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I
Ich war seit Friedensschluß wohl der erste deutsche Schriftsteller, der nach Newyork, nach London ging.
Ich hatte zuvor einmal Amerika, häufiger England besucht … (und in dem Werke »Die Welt im Licht« gemalt).
Ich zeige jetzt, was ich im Lenz und Sommer des Jahres 1922 dort gesehn, gefühlt, gedacht.
II
Newyork und London: Stätten des Geschicks – für Europas Fortbestand; nämlich für Deutschlands. Es ist dasselbe.
Der Zeitpunkt, war denkwürdig … Ich sah: England kann nicht mehr, wie es will. Der britische Löwe – den ein Schulkind als was Unerschütterbares gelernt hat – litt an Zahnschmerzen.
(Ich schrieb das nachher in dem englischen »Observer«: – »But now I have seen that lion in a State of perplexity. A lion with tooth-ache.«)
III
Immerhin … bloß Zahnschmerzen. Wir selbst haben die Schwindsucht.
Doch wie man im Leichnam des Malers Menzel Spuren der Tuberkulose vernarbt sah, nachdem er schaffensmächtig und patriarchenalt gelebt: so wird unser Gebrest eines Tags vernarbt und gewesen sein.
Schöpfertaten wunderbar liegen auf Deutschlands Marsch – lange noch.
Lange noch.
IV
Ich sah jenseits des kleinen, jenseits des großen Wassers die Welt … als Maler.
Ich ging als ein Sohn dieses Sterns in seinen glücklicheren Bezirken herum.
Auch als Relativist. Entschlossen, von den Wirrhandlungen menschlicher Blödiane die karge Frist des Hierseins nicht vergällt zu sehn.
V
Der Aufenthalt war nicht lang. Was tut es? Eine Mutter hat gesagt: Wenn mein Sohn bis Offenbach reist, sieht er mehr als mancher im fremden Erdteil.
Ich gebe hier, was ich empfing. Beglückungen … und Erschütterungen. Auch Nachdenklichkeiten.
Vor dem Kriege ließ ich Hymnisches über Newyork drucken – nicht erst jetzt. Mein Gefühl ist kein Irrtum.
(Ich glaube, daß justament, wer in Amerika bloß hineinschneit, den besseren Blick für die Unterschiede hat. Ich glaube, daß er den Giganten-Umriß zu packen geeigneter ist … als wer, verstimmt von Dauer, zuviel Einzelpunkte kennt. Ich hatte nicht Zeit, mürrisch zu werden.)
VI
Eine Feststellung nebenbei.
Die »New York Times« erklärten mich für schottischen Ursprungs. Dem ist nicht so – trotzdem ich Kerr heiße. Mein Vater trug den Namen: Kempner.
Wegen der Dichterin Friederike Kempner, welche die schlechtesten je auf diesem Planeten bekanntgewordenen Verse schrieb, beschloß ich die Zusammendrängung; in Kerr. Ich teilte der preußischen Regierung mit: der Name Kempner habe genug für die deutsche Literatur getan.
Herr v. Moltke, Minister des Innern, stimmte zu; mit Stempel und Siegel … So daß ich nur das Recht habe, mich Kerr zu nennen.
Des andren Namens erinnern sich dann und wann meine, also: Gegner. Sie stören grausam das Grab der Dichterin – ohne Dank, daß ihr Tod sie an weiteren Arbeiten hindert. Ich sang zur Abwehr an die Verstorbene:
Auf dem Friedhof und Gebeinfeld
Weckt dich manchmal Y-a-Schrei'n,
Wenn dem Esel sonst nichts einfällt,
Fällt ihm Friederike ein.
Namentlich die rechtsstehenden Blätter befanden sich oft in dieser patriotischen Lage.
VII
Soviel über den nichtschottischen Ursprung. Also: geboren in Deutschland, ohne Tropfen britischen Blutes, fuhr ich zu London und Newyork in der seltsamen Beschäftigung fort: das Morgen zu grüßen, das Heut' zu genießen.
VIII
Aus meinem Buche spricht, wie damals, eine Leidenschaft für die Neue Welt. Es wendet sich wider den schwachsinnigen Begriff, den Europa vom »Dollarjäger« hat. Gegen Sätze wie: »Zwar Zivilisation, aber nicht Kultur«. »Zwar Erfolg, aber keine Seele.« Uäh!
Solcher Hokuspokus wird, wie damals, von mir zerpeitscht. Ich glaube, daß Amerikas philanthropischer Zug – nicht er allein – »Kultur« ist. Auch Knappheit ist Kultur. Auch Phantasie ist Seele. Schöpferischer Neusinn ist beides … Aber muß man das im Ernst sagen?
Ja, Künstlergeist ist Seele. Mein Buch singt: »Sieg der Gerätekraft; der taghellen Einbildung; der Ausgesonnenheiten; des erdachten Gefüges; des praktischen Traums« … Von Amerika sagt meine Schrift: Wer solche Dinge schuf, »hat mehr Dringlichkeit des Vorstellens, ein schweifenderes Hirn, exaktere Magie – als derlei in verantwortungslos zerrinnenden Balladen für menschliche Kinderhirne steckt … Die stärkere Dichtung ist hier.«
Ich zeige, worin der Amerikaner eine »Seele«; und worin der Europäer das Bewußtsein einer solchen hat.
IX
In diesem Punkt bin ich durch keinen Gegensatz von überseeischen Freunden getrennt – ob sie schon Tadler ihrer Heimat sind.
Sie haben recht, erziehend zu wirken. Und ich habe recht, ihr Volk von Europa her zu sehn. (Alles ist Einstein.)
Jenes Buch von dreißig Amerikanern, das die Union kritisch zaust; und mein Buch, das sie bewundert: sind es Gegensätze? Nein; Ergänzungen.
X
(Bei alledem weiß ich: Newyork bedeutet nicht Amerika. Doch eine Stichprobe … von einziger Art.)
XI
Ich liebe somit ein höchstkapitalistisches Land. Glaube jedoch keineswegs, daß der Kapitalismus die Form ist, in welcher die Menschheit künftig ihre Angelegenheiten ordnen wird.
Ich glaube vielmehr das Gegenteil.
Mein Entzücken ist eine Privatsache. Die Wonne jemandes, den strotzende Lebensmacht bezaubert. Der für tatverwegnes Gewühl den Pinsel selig aus dem Kasten reißt … Nicht Ökonom, sondern Maler.
Zugleich erblickt hier der Maler eine für Europa hilfsfähige Macht.
… Ich weiß trotzdem: daß Amerika nur für den Augenblick helfen kann. Daß jedoch, für die wimmelnden Erdbewohner, dauernde Hilfe sich wo anders vorbereitet.
Wo?
XII
Nein. Auch Moskau ist vermutlich das letzte Tor nicht, wodurch die Welt zu schreiten hat – (Moskau ist nur eins der neuen und wichtigen Tore, durch derengleichen sie unwidersprechlich wandern wird, … mögt Ihr das Tor Sinai nennen oder Christentum oder Marxismus oder ganz schlicht: Ordnungswille).
Mit andrem Gleichnis: Moskau bedeutet ein, zum Experiment, gepfropftes Reis am sozialen Baum. Das Reis kann dorren, faulen, fallen – der Baum wächst.
Und es wäre nicht undenkbar, daß eine Menschheitsgruppe mit Amerikas Gärtnerkraft eines Tags diesen Baum (der ihm vorläufig kaum die office verdunkelt!) zu jener Höhe züchtet, woran die übrigen sich stets umsonst versucht.
Nicht heut und morgen …
Ja, wenn das scheinbar unsoziale, höchstkapitalistische Yankeevolk (zur Abwechslung einstens umgekehrt) anfängt, nichtkapitalistisch und höchstsozial zu sein: – dann wird es tun, was die andren bloß gewollt; dann wird es können, was die andren bloß geträumt; dann wird es satzen, was die andren bloß ersehnt.
Bis dahin ist gute Weile. Wir schreiben jetzt 1922.
XIII
Soziale Welt … Es kommt nicht drauf an, ob einer das alles liebt oder haßt; billigt oder mißbilligt; lobt oder verwirft; gut oder schädlich findet. Sondern auf das Öffnen der Augen.
Jeder Streik ist halt ein Schritt zur Anteilswirtschaft. Jeder Lohnkampf ist halt ein Beginn der Enteignung. (Man soll den Kopf nicht in den Sand tun und mit dem Popo herumblicken.)
Amerika scheint heute fern von sozialer Zwangsordnung, – aber nicht von Ordnungszwang. (Was nur dem Grade nach Verschiedenes bedeutet …)
Dies Volk ist zu allem fähig – selbst zum Sozialen.
XIV
Ein höchster Reiz war für mich: der Unterschied Newyorks und Londons; zweier so verwandten – und so abweichenden Gebilde.
Ich sah (hier im Buch steht es) »nach einem herrlich maßlosen Land … das besonnenste. Nach betäubender Jugendwildheit … strenge Form des Geschäfts. Nach einem Volk ohne Ferien … ein Volk mit week end«.
Oder: »Newyork ist voll Neu-Gier; London gesetzt. Newyork farbenheiß; London ein Nordplatz.«
Oder: »London das Talent; Newyork das Genie. England hat eine Geschichte; Amerika eine Zukunft.« Beide, zum Donnerwetter, eine Gegenwart!
Endlich: »Vom Krieg ist Amerika kaum berührt. England gestreift. (Frankreich verwundet. Deutschland zerfetzt.)«
XV
Stätten des Geschicks; Newyork und London.
Mein Herz, mit allem Verwegen-Schweifenden, das ein Mensch liebt, ist bei Amerika.
Doch ein still wohnliches Gedenken geht auch zu der britischen Insel … nebst einem Gruß alter Freundschaft an Nora, an Lucy, an den »sehnigen Juristen«. An Machthaber, Diplomaten, Kellnerinnen, Stubenmädchen, Politiker, die sorglich-lind zu mir gewesen sind.
Und an Bernard Shaw von Irland.
Grunewald, Alfred Kerr
Dezember 1922.