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Theater

 

I

Newyorks Theater ist im Aufstieg. Ein Irrtum des Durchschnittseuropäers, zu denken, daß auf der Bühne hier Bumswirkung, Sensation, Knallerbse, Spannungsreiz herrschen … Blind, wer das glaubt. Newyork ist eine europäische Theaterstadt.

Freilich, im Werden.

Wenn ich nach dem Gefühl schätzen soll: drei Viertel der alten Tricks – und ein Viertel der neuen Kunst. (Aber dies eine Viertel macht heut stärkeren Eindruck drüben als die andern drei.)

Wir in Deutschland sind ja weiter. Berlin ist immer noch die erste Theaterstadt der Welt. Aber in dem neuen Land beginnt etwas zu sprossen.

Dabei lebt, in der Regie, jenes Merkmal, das wir »amerikanisch« nennen. Hierin steckt Zukunft,

Es ist … das Schlagend-Sichere.

 

II

Der neue Dramatiker drüben heißt Eugene O'Neill. Sein starker Erfolg jetzt: »The hairy ape« – also: »Der Waldmensch«. Wortgetreu: »Der haarige Affe«. Wer ist das?

Entweder die komitragische Hauptgestalt: ein Schiffsheizer, dumpf und schwer. Oder: der Gorilla, der ihn am Schluß mordet. Beide sind Vettern.

Der Heizer wird kopfscheu beim Anblick der überfeinen Schlemmerwelt. Wenn ein Fräulein der ersten Kajüte zu ihm hinunter in den Heizraum guckt. Wenn er Schaufenster der Fünften Avenue mit Pelzwerk und Diamanten sieht, zierlaffige Luxusmenschen davor. (Paare trippeln fühllos-geckisch – nebenan läutet fromm die presbyterianische Glocke.)

Das ist also die Oberwelt? Der Tropf irrt in ihr herum … wie beim Verlaine der arme Kaspar Hauser. Manches versucht er umsonst. Auch die Bolschewikenschar will nichts von ihm wissen, – »ils n'ont pas voulu de moi«, klagt Kaspar; doch so heißt er nicht bei O'Neill.

Am Schlusse steht er vor dem Gitter des Gorilla (vielleicht im Bronx-Park bei Newyork). Begreift ihn der? Kaspar öffnet ihm die Pforte; bietet dem Gefangenen shake hand. Doch anders als der Löwe des Androklos bei Shaw, ist hier ein verständnisloses Vieh. Es umarmt den Bruder; zerdrückt ihm den Brustkorb; schmeißt ihn still in den Käfig; tappst, tappst, tappst von hinnen.

 

III

O'Neill ist Mitte Dreißig. Von irischem Stamm – was kaum zu sagen not tut. Zuvor schrieb er die Tragik eines tollen Niggers: »Emperor Jones«. Dann das Seestück »Anna Christie« – mit einem verworfenen Vater, seinem entjungferten Kind … und jenem Fremden, der schließlich »darüber weg kann«. Also Menschentum – statt Puritanertum.

O'Neills letztes Werk ist expressionistisch. Nicht aus erster Hand. Er kennt Strindbergs »Traumspiel« reichlich … mit seinen losen Szenen. Und wir kennen den Gegensatz reichlich zwischen: »Hie Tiefenmensch – dort Luxuswelt«. Zwischen: »Hie Heizraum – dort Verdeck«. Man kennt auch die Weber in Dreißigers Wohnung. Auch die zwei Stockwerke von Björnsons »Über unsere Kraft« im Schlußteil – unten Arbeiter, oben Unternehmer. Auch reichlich Vorderhaus und Hinterhaus.

Was tut es? Ein Dichter schlägt hier Öffnungen in die starr goldene Mauer des Kapitalbergs. Das Zeitgewissen ruft aus ihm. Er faßt irgendwie dem Hörer ans Herz – der über Talmihaftes hin eine Kraft sieht.

 

IV

R. E. Jones, dafür Spielordner und Bildzeichner, sah Tollers »Masse Mensch« eingestandenermaßen in Berlin. Jeßners Jünger Fehling hat es hergerichtet. Jones hat verstärkt, was er sah.

Die Menschendarstellung ist zureichend; mehr als zureichend alles rein Szenische.

Ersten Ranges die Kette von Heizern – mit expressionistischem Drill schaufelnd … vor Feuerlöchern. Das Rollen des Schiffs; die Töne der Fahrt. Glänzend.

Schwerer wiegt am Schlusse: daß der Gorilla nicht komisch wird. Daß man erschauert – wenn er abtrottet … und ein Leben zu Ende kam.

 

V

Im wunderbar Klappenden steckt jene Zukunft. Das Ganze »steht«. Vielleicht ergötzt vorläufig der Bildwechsel die flacheren Beschauer – das Viertel der Andren geht auf den Kern.

Dies Stück wird jeden Abend gespielt. Ständige Theater gibt es nicht; die Häuser sind an Truppen vermietet. Was Erfolg hat, mimt man auch nachmittags dreimal in der Woche.

 … Shaws Methusalem-Stück hat solchen Erfolg. Drei Abende fordert es – wegen der Ausdehnung in drei Teile geteilt. Newyork läuft in alle drei.

Sie achten auf jede Stufung des phantastisch-witzigen Trauerspiels. Shaw gibt in »Back to Methuselah« seinen Faust. Das Abschiedswerk eines Erkennenden, bei dem noch das Röcheln … ein Lächeln ist.

Erkalten der Erde; Schweigen des Getriebs; Schlaf nach dem Gewimmel: – das hat mich, beim Schlußteil, zu Tränen inmitten der diesseitigsten aller Städte gebracht.

In fremder Sprache folgt man kaum wie in der eignen. Ich bliebe sonst kälter; zweifelnder; umschränkender. Wer aber durch Nebel und Wirrnis nichtheimatlichen Lauts jemanden so bewegt: der muß ein Dichter sein. (Nicht nur, was die Trottel einen Schriftsteller nennen – es ist ja das gleiche; kommt bloß drauf an!)

Auf den Parkettsesseln in der Umgebung spürt man, ob Leute hier mit Verwunderung hinsehen … oder ob innen was mitklingt in einem, ob was zerreißt – und noch erbebt, wenn er lacht.

Auch die Hörer von Newyork sind zukunftsvoll … zu einem Viertel.

 

VI

Alles, was amerikanisch ernst ist, haben zwei Gesellschaften dort ans Licht gebracht: die »Theatergilde« – und die »Provinzspieler«. (»The theatre guild« und »The provincetown players«).

Die zweite Gesellschaft hat ein eignes Haus … vielmehr eine eigne Scheune. Fast eine bewußte Scheune – möcht' man sprechen.

Ich saß dort. Ich sah bei Gebälk und getünchter Wand in dem früheren Kramladen ein leider schwaches Stück – von Susan Glaspell, der jungen, als wertvoll gehißten Dramatikerin. (Es ging um »birth control«; also Verhinderung der Empfängnis.)

Freiwillige spielen hier. Jeden Abend. Aus Liebe zur Sache. Menschen, die tagsüber geschuftet.

Das Spiel ist oft laienhaft – vor den Holzbänken ohne Nummern. Doch alles Versprechende kam halt von hier; auch der »Hairy ape«. Feine Leute sitzen sich das Gesäß mürbe; Mal-Zigeuner; Schreib-Zigeuner daneben. Ein lateinisches Viertel – also die Hoffnung.

Warum macht Ihr Ähnliches nicht in Berlin? Statt vor Protzen zu Protzenpreis Protzenstücke zu spielen? Hier winkt eine Versuchsbühne spesenlos. Auf, in die Brunnenstraße.

 

VII

Dies wäre der vierte Teil amerikanischer Bühnenkunst. (Amerikanischer – denn von Newyork ziehn die Truppen rings durch das Land.)

Und die andren drei Viertel? Nur Stichproben sind möglich … Ich sah das Zugstück »The cat and the canary«. Halb ein Gespensterwerk, halb eine Posse. Einsames Spukhaus am Hudson, Geheimtür in die Bibliothek. Testamentsverlesung. Und so.

Angelpunkt, daß ein Mensch durch die Bücher hindurch verschwindet … Sherlock Holmes plus Barrie. Oder: Poe plus Fulda.

Die Spukregie meisterhaft: mit Geklopf; mit blauen Beleuchtungstupfen; mit verdächtiger Luft. Alles klappt schlagend-sicher – wenn Spuk und Verbrechen immer von Komik abgelöst wird. (Bis zur Verlobung.)

Dabei die Sinnlichkeit zart verzapft; wenn sich ein Fräulein bloß ganz wenig ausgezogen ins Bett legt. Sehr geziemend. Dieser Anstand wirkt ja sinnlicher als ein schwach bekleidetes Bühnenfrauenzimmer mit dem Steißwurf des Röckchens.

 … Gruselig und komisch. Die Zuschauer schlemmen. Backfische mit abgeschnittenem Haar und schwarzrändiger Brille (die Modetracht) sitzen bei den Eltern – am schönsten Abend ihres Lebens.

Lachgekreisch … und Angstgeraun.

 

VIII

Die dürfen auch in die »Czarina« von Lengyel gehn – wo die kalte Macherin Doris Keane bei kostbarster Ausstattung ein paar Fertigkeiten hinlegt. In dieser Pracht erholt sich abends der Kaufmann.

Die Damen halten den Hut im Schoß, das Überkleid ruht hinten auf der Lehne. Hut und Mantel nehmen auch die Herren mit. Nur etliche tragen das schwarze dinner jacket.

Die Theater sind klein. Wie Kinohäuserchen. Parkett, ein Rang: das ist oft alles. Elf Reihen manchmal.

Bei dem Spukstück sitzt ein schönes brandrotes Mädel vor mir … Man sieht oft feine, noch nicht zerseelte Züge … Bei Shaw im Vorraum: schlank-perverse, bildhübsche Kröten.

Auf kleinem Raum Abendkleider massenhaft; rückenlos. Manche hat hinter sich einen Scharfrichter-Burnus liegen, wie aus Blut. Manche den Leopardenpelz. Manche trägt um ihr kurzes schwarzes Florkleid den grellsten Silbergürtel. Andre Gürtel sind öfter als bei uns durchbrochen: immer nur ein Zoll Leder, dann ein großes Loch, vom Ring überbrückt, so fort, immer ein Zoll Leder, ein Zoll Ring, vom Magen bis zurück … Es ist ein Reiz.

Viel Gesichtsmalerei. Autos vor der Tür, mit Blumen.

Der Zettel des Spukstücks zeigt eine gedruckte Bitte, seltsam arglos: »Wenn das Stück Ihnen gefällt, sagen Sie es Ihren Bekannten – aber sagen Sie nicht den Schluß!«

(Dies Gruselwerk bringt in einer Woche mehr als hundertvierundvierzig Millionen Mark. Achtzehntausend Dollars. In ei-ner Wo-che!)

 

IX

 … Die Metropolitan-Oper, mit rotem Grundton und vielen Logen, erinnert irgendwie doch an was Maschinenartiges – im Vergleich zu Wiens Oper mit ebensoviel Logen.

Hier tanzte die Pawlowa. Nach einem Jahrzehnt sah ich sie wieder zum erstenmal. Sie tanzt heute noch flockenzarter, noch verschwebter, noch kreiselhafter als zuvor.

Lenin und Trotzki hätten ihr täglich Kaviar beschafft, wie dem Sänger Schaljapin, – wäre sie in Rußland geblieben.

(Sie blieb aber nicht.)

 

X

Was noch alles hab' ich gesehn! Die Kritiker Newyorks luden mich in eine geschlossene Gesellschaft. Sie spielten im Theater der Neunundvierzigsten Straße selbst auf den Planken – fast wie bei Shaw in »Fannys erstem Stück« die Kritiker auftreten.

Es war köstlich. Parodien. Gesiebte Hörerschaft. Alles von der Kunst war oben oder unten. Oben Mimen und Miminnen in der kleinsten Rolle. Musiker hinter den Kulissen zur Handreichung. Chorus girls. Vortragsredner … Unten die nichtspielenden Kritiker; Literaten; Frau W. Vanderbilt; Zeitungsbesitzer.

Das Ganze war nicht bloß ein Scherz: auch ein Merkmal für den Regiegeist Amerikas. Ich sah mit Lust, wie klappend-schlagend Kritiker (so Alexander Woollcot, Marc Conelly, George S. Kaufman) spielten. Alles fertig, bis aufs i-Tüpfelchen. Im Hörer nicht Augenblicke der Angst vor einem Laienversuch. Aus der Pistole geschossen.

Die Luft des »Hôtel Algonquin« (das newyorker Hotel der Literaten) schwebte darüber.

Man lachte sich krank. Witz – und Regie, Regie, Regie. Nicht guter Wille … sondern Können. Ausgeprobtheit. (Technik Ehrensache!)

Darin sind sie uns voraus.

 

XI

Eines Abends ging ich zu den Negern. Sie spielen, in der Dreiundsechzigsten Straße, bei großem Zulauf ein Sing-, Sprech- und Tanzstück »Shuffle along«. Es war mein stärkster Theaterabend in Amerika.

Fünfmal könnt' ich das hintereinander hören und sehn.

 … Die Neger sitzen auf der Galerie; die Weißen im Parkett. (Weiße sitzen auch oben; doch Neger nicht unten …)

Das Stück spielt im Grünkram zweier Schwarzen. Zwischen Schwank und Zirkus. Boxkampfparodie – mit einem schmächtigen Kerl im roten Sweater. Manchmal ein Patsch auf den Kopf. Ganz ruhig.

Die zwo Kerls im Laden sind schwärzer geschminkt als von Natur. Sie stibitzen. Verspotten die eigne drollige Faulheit. Ihre Komik ist langsam; unaufheblich. Man liegt unter dem Stuhl.

Sie mogeln gegeneinander. Mit einer Registrierkasse. Mit Griffen und Kniffen. Bezahlen will keiner … Ihr Spiel ist ganz unbefangen – als ob sie den Zeitbegriff nicht kennten.

Himmlische Tänze kommen hernach: mit Fußtrillern auf einem Fleck. Mit Knöchelorgien. Ein Taumel, toll und kunstreich. Als ob nur Neger tanzen könnten …

Ein schwarzer Policeman cakewalkt. Ein Sohlengenie. Ein Ballenwunder. Ein Zehentraum. Ein Taktmirakel. Ein Rhythmenzauber.

Und in der Regie kein toter Punkt. (Hübsche Mädel singen zwischendurch vor einer goldenen Gardine. Weiße Negerinnen spielen mit.) Alles vollendet. Ins Letzte bombensicher gestuft.

Amerikas Leitung …

 

XII

Aber dann singen die Neger. Unsterblich. Die vier »Harmony Kings« brummen und summen. Das Herz schlägt einem Menschen jetzt im Ohr.

Das ist mit Europäischem nicht vergleichbar! Töne gleitend, eine halbe Oktave … als wär's ein einziger Ton. Gleitend. Aus nicht gekannter Ferne.

Ein breiter Negeronkel singt Baßpiano. Unsterblich. Ja, wunderbarer als Mailands Cantilenen. Sie schmeichel-schmalzen alle vier, a capella, ohne Begleitung. Ich habe so herrlichen Männerchorsang nie gehört. Das Pianogesumm! Fremd und erschütternd. Klagedämmrig. Oft sonor. Mitunter fast wie ein aufschießendes Gejodel; ein Dschungel-Juhuu. Der Wald ist darin. Die verlorene Heimat.

Halb melancholisch – nicht rührsam. Fremd. Gütig. Fragende Schwermut.

Afrika! Afrika! …

 

XIII

Ich vergesse das nie. Beide Strömungen können sich in solcher Musik treffen: das eine Viertel – und die andren drei.

Denn hier ist zugleich Schlagendes … und Inniges. Zugleich Unterhaltendes … und Herztiefes.

*

Ein Symbol für die Zukunft?


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