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I
Als ich das erstemal in Amerika war, vor dem Krieg, machte besonders ein Glaskästchen im Hotelzimmer Eindruck, während ich auf dem Diwan lag, – es leuchteten da plötzlich Buchstaben auf mit der Inschrift: »Post für Sie angekommen«; »mail in office for you«. Im Zimmer war auch ein Spalt für abzusendende Briefe – die beim Pförtner in den Kasten glitten. Und so.
Seit dem Krieg ist Neues entstanden … Mit neuem Stil. Ich sagte schon, wie auf dem Buckel eines rechteckigen Grundbaues vier heitere, helle flachgepreßte Schornsteintürme leuchtend mit unzählbaren Fenstern in den Himmel ragen.
II
In diesem absonderlichen und wunderbaren Rasthaus, dem größten der Welt, mit zweitausendzweihundert Zimmern samt zweitausendzweihundert Bädern, ist alles von langer Hand grüblerisch auserdacht. Mit einem ans Ende dringenden, vor nichts nachgebenden, klammernd-wuchtigen Scharfsinn. Ein Hotel, das aus Tricks besteht.
Bloß eine starke Phantasie bringt solcherlei zustande. Bloß wer hellste Tagmärchen träumt … und sie ohne Rücksicht auf Üblichkeiten tapfer ins Werk setzt. Es gibt da keinen, der träg und gewohnheitsfeig und überlieferungshörig immer einwendet: »Das geht denn doch nicht; es widerspricht allem Herkommen«.
Der Menschenschlag hier sagt nicht: »Ja, aber …«, sondern: »Ja, also …«
Darin ruht für mein Gefühl der ungeheure Reiz. In jenem Neusinn, der nicht Überlieferungen anglotzt, sondern Überlieferungen schafft.
(Das »Ja, also …« ist der Hebel zum Aufstieg.)
III
Ein Franzose schrieb vor hundert Jahren die Schrift: »Voyage autour de ma chambre«. Man könnte das heut wieder schreiben. Jedoch die »Reise rings im Haus« kriegt nun ein ganz andres Gesicht.
In meinem Stockwerk, ich hause ziemlich hoch, sind zwölf Lifts nebeneinander. Genau: je sechs beisammen. Auf der einen Flurseite sechs Expreßlifts; die halten bloß in jedem soundsovielten Stock. Gegenüber sechs lokale Lifts: die halten überall.
Solche zwölf Lifts hat auf allen Fluren jeder von den vier Wolkentürmen über dem gemeinsamen Grundbau. In jedem Stockwerk, bis zum Äther, sitzt in ihrer Koje, mit bezifferten Fachkästchen und einem Ferndrucker, wie aus dem Ei gepellt, je eine Pförtnerlady. Sie hat alle Schlüssel dieses Flurs; hegt angekommene, sofort nach oben verteilte Briefschaften, und bewahrt jede Meldung vom Erdgeschoß, die mit dem Ferndrucker von unten einläuft.
Über achtzig Pförtnerdamen in über achtzig Stockwerken – außer der Zentralpförtnerschaft unten.
IV
Irgend jemand ruft an, während ich weg bin. Der Ferndrucker meldet sogleich auf schmal quellenden Streifen hinauf: »Mr. X. will see you at 12.30 p. m. to-morrow«; dabei Stunde samt Minutenzeit der Meldungsaufnahme.
Oder der Ferndrucker spricht: »Mrs. Y. wird Sie morgen vormittag 9.30 anrufen«. Oder: »Mr. Z., publicity manager, bat um ein Interview heut um fünf«. Oder: »Mr. Soundso fragte 6.20 vergebens; kommt morgen 9.15 wieder«.
Das Ende des Druckstreifens ist auf eine Karte geklebt; auf ihr haften Stempel der verantwortlichen, weiterleitenden Stellen des Hotels. Alles kontrollierbar.
V
Im Hotel ist eine Untergrundstation. Auch wer mit gewissen Fernzügen abfährt, kann direkt zu den Waggons. Dahin führt ein Lift und ein Sonderweg; unterirdisch.
Das Hotel hat im Erdgeschoß sieben Restaurants mit verschiedener Aufmachung – vom »Springbrunn-Raum«, wo man morgens ein »leichtes Klubfrühstück« haben kann, bis zum dining-room, bis zum Teeraum, bis zum Grillraum, bis zum »Café«, bis zum gläsernen Schmetterlingsraum, bis zum Dachgarten über dem zweiundzwanzigsten Stock, bis zum Ein-Uhr-Frühstücksraum im Keller.
Das Hotel gibt eine Zeitung heraus – mit Artikeln über prominente Gäste.
VI
Wer von der See hier ankommt, frisch aus dem Auto geladen, und in einer teppichbelegten, titanischen, blumendurchdufteten, stimmdurchtobten Halle (es ist aber keine Halle, sondern ein reicher, kostbar-wohnlicher, ernster Sammelraum für viele Menschen – mit Sesseln, Tischen, Ledersofas, mit Marmorgalerien im ersten Stock, wo abermals Leute wie im Rang eines Theaters dahindämmern; ein eckigheiterer Tempel mit vielen Schaltern, hier für Auskunft, dort für Bestellung, dort für Post, dort für Billetts … dieser Satz kommt nie zu Ende) – wer nach den Stürmen der See diese nicht überschaubare Menschenversammlung erblickt, wie sie alle sitzen, rauchen, herumstehn, querhasten, plaudern, lesen, Genüsse verabreden, Bekannte sehn, Fragen stellen oder in Sesseln ruhen, ruhen, ruhen (denn der Raum ist von einschmeichelnd koloßhafter Wohnlichkeit) – der faßt sich in diesem verhexten Leviathansheim an die Stirn … und beginnt zu träumen.
Etwas Verwunschenes. Das sind schon Menschen von einem andren Stern.
Ein Weltmeer mußte zwischen so einer schweren, gestuften, überwimmelten Großartigkeit liegen – und dem freundlichen Idyll unsres schleichenden Lebens im gealterten Erdteil.
… Ja, der Anblick des durchsummten endlosen Atriums gleicht einer Sinnestäuschung.
Ein Fabelschloß der Künftigen. Ein Elektro-Sesam.
Das Herz geht schneller.
VII
Die Tür im Zimmer oben ist eine gekrümmte Metallhöhlung. Mit Querbrettern. Dies neue Gerät heißt »servidor«. Hier hinein setzen Diener alles auch an Speisen Bestellte; man muß also die Diener nicht sehen; und sie sehen einen selber nicht. Gar keine Behelligung … Ein Druck auf den Knopf daneben, und Luft strömt ins Zimmer.
Unter dem servidor wird früh tagtäglich die »New York Times« hineingeschoben. Obenauf ein farbiger Druckzettel: »Guten Morgen! dies ist Ihre Zeitung – mit Grüßen vom Hotel«. Darunter stehn (aber jeden Tag mit andrem Wortlaut; nichts eintönig werden lassen!) allerhand Hinweise. Möglichkeiten für das erste Frühstück, wenn man's hier nehmen will. Die Restaurants im Hotel werden aufgezählt, der main dining room, der fountain room und die übrigen – mit Preis.
Darunter steht an jedem Morgen was andres, immer farbig auf die »Times« geklebt. Ein Rat: »Kommen Sie ihr mit Süßigkeiten! delicious candies, chocolates, nut candies …; der Candy-Stand ist im Hotel«. »Nahen Sie ihr mit Blumen; lieblichste Blüten …« – mit dem Zusatz: »Sie sei Schatz, Weib oder Mutter; der florist befindet sich innerhalb des Hotels«.
Oder: »mit einem Lieblingsparfüm! aus dem drugstore des Hotels«. Oder: »Kommen Sie mit Ihrem Bild; das Studio des Photographen ist im Halbstock«.
VIII
Am folgenden Tag steht auf der hineingeschobenen »Times« wieder: »Guten Morgen! dies ist Ihre Zeitung – mit Grüßen vom Hotel«. Darunter: »Was das Herz einer Frau wünschen kann! Schönheitsanstalt. Skalpbehandlung. Hautbehandlung. Türkische Bäder mit Linienpflege. Der Chiropodist! Innerhalb des Hotels die feinste Kleidung, die feinste Wäsche …«
Am nächsten Tag: »Guten Morgen! usw.« Mittel zur stattlichen Erscheinung für Männer – innerhalb des Hotels …
Am nächsten Tage klebt auf der »Times« nicht ein blauer, nicht ein hellgrauer, sondern ein rosa Zettel: »Guten Morgen – dies ist Ihre Zeitung usw. Billetts für Ozeanreisen! Für Pullman-Wagen! Für Theater! Paßangelegenheiten – innerhalb des Hotels« … In dieser Art; jeden Morgen anders. Nur die »Times« bleibt immer; – »dies ist Ihr Blatt«.
IX
Ich glaube nicht, daß in solchen Dingen nur »Zivilisation« steckt. Phantasie bedeutet für mich: Kultur. Es ist Kunst … Weiter.
Der Nachttisch birgt kein Gefäß (entschuldigen!); dafür ist der Baderaum.
Auf einem leichten Tischlein am Bett liegt das Telephonbuch und die Bibel. Daneben ein Branchentelephonbuch.
Im Zimmer findet sich ein steifes Plakaterl mit Schnur, an der Außentür zu befestigen. Inschrift: »Jetzt keine Störung!« (Please do not disturb occupant of this room.)
Am Telephon erscheint vor der Abreise die Inschrift: »Don't miss your train«; versäumen Sie Ihren Zug nicht – mit Anweisungen.
X
Drei Wasserarten im Zimmer. Heiß; kalt; der dritte Hahn führt das Nationalgetränk: Eiswasser.
Im Baderaum hängt ein hübscher gelber Schuhputzfleck … als Überraschung, zum Mitnehmen; »with the compliments of the hotel«.
Was im Badezimmer sonst noch ist (Luther nennt so was »das heimlich' Gemach«), umfaßt alle Durchtriebenheiten der Technik zum Bewahren reiner Luft. (Entschuldigen!)
Die Tür des Baderaums ist ein einziger Spiegel, der im gegenüberhängenden Spiegel des Kachelwaschtisches neben dem Kachelbad eine Rückspiegelung des Körpers bezweckt. Zwei Stück neue Seife täglich in Papier – für Bad und Waschtisch. Das Bett jeden Abend neu bezogen.
Ein beweglicher Vorhang an der Kachelwanne, falls die Brause benutzt wird; damit der Fußboden nach dem Aussteigen nicht naß ist!
Im Zimmer kein Schrank. Sondern eine Gewandkammer mit elektrischem Licht.
Und Kissen mit Zwirn, mit Knöpfen, mit Nadeln.
Sonst (außer dem einsteckbaren Stadtplan mit subway-Linien) ein Angebot vom Hotel: – falls jemand ein Zimmer in St. Louis, in Cleveland, in Detroit, in Buffalo mit erleichterten Bedingungen von hier bestellen will …
(Voyage autour de ma chambre.)
XI
Das Ganze jedoch ist nicht üppig – sondern handfest; abgestuft; gesundheitsfördernd; bequem. Alles, in dem blitzhaften Enaksbetrieb, mit zwei Grundsätzen. Erste Losung: Sofort! Zweite Losung: Nie stören!
Alles fern von Verweichlichung. Nicht nur das Gerissenste vom Gerissenen. Sondern auch das Gediegenste vom Gediegenen …
Sieg der Gerätekraft; der taghellen Einbildung; der Ausgesonnenheiten; des erdachten Gefüges; des praktischen Traums.
Ja, wer das größte Hotel dieses Sterns ersann, hat mehr Dringlichkeit im Vorstellen, ein schwellenderes Hirn, exaktere Magie – als derlei in verantwortungslos zerrinnenden Balladen für menschliche Kinderhirne steckt.
Die stärkere Dichtung ist hier. Denn sie wurde leibhaft.
»Sofort.« Und »Nie stören« … Lautlos rasen Lifts. Flammtäfelchen funkeln auf, grüngleißend, rotgleißend; für den neunten, für den siebzehnten Stock. Bei allen Liftführern leuchtet's. In zweitausendzweihundert knackfrischen Hausungen leben Leute nach ihrer Lust – unbeschnuppert; ungesehn; von Tischlein-deck-dichs bedient.
XII
Eine Himmelsnähe, mit Teppichen.
Geborgenheit.
Die Rast im Rasthaus. Ruhe in Ruhetürmen – blütenrein, gesund, lebensleuchtend.
Ein Obdach … im herrlichen Orkan.
Unten braust und dröhnt und rollt und rauscht und klirrt und saust und schwirrt und summt und harft und schreit und singt die großartigste der Städte.