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Unter den spärlichen Freuden, welche dem Reisenden im hohen Norden Ersatz bieten für die vielen Beschwerden und Mühsale, ist keine größer und nachhaltiger, als das Schauspiel der Aurora borealis, welche gelegentlich die Finsternis der langen Polarnacht erhellt und das ganze Himmelsgewölbe in überirdischem Strahlenglanze erscheinen läßt. Keine andere Naturerscheinung ist so großartig, so geheimnisvoll, so schrecklich schön in ihrer himmlischen Pracht wie diese; der Schleier, welcher dem sterblichen Auge die Strahlenkrone des Ewigen verhüllt, scheint gelüftet, und der von banger Ehrfurcht erfüllte Beschauer, der Atmosphäre des täglichen Lebens entrückt, wähnt vor Gottes Thron zu stehen.
Am 26. Februar, als wir noch alle in Anadyrsk beisammen waren, hatten wir das Glück, ein so großartiges Nordlicht bewundern zu dürfen, wie seit mehr als fünfzig Jahren keins gesehen worden war; selbst die Eingeborenen staunten ob seines außergewöhnlichen, wunderbaren Glanzes. Es war eine kalte, dunkle, aber klare Winternacht, und in den frühen Abendstunden war am Himmel noch keine Spur von der prächtigen Illumination zu entdecken, die sich vorbereitete. Im Norden zuckten zwar dann und wann einige Lichtströme auf; ein matter Glanz, wie der des aufgehenden Mondes, zeigte sich über dem dunkeln Gebüsch, welches das 277 Flußufer einfaßte; aber das waren gewöhnliche Erscheinungen, die niemandes Aufmerksamkeit erregten. Spät am Abend, da wir uns anschickten, zu Bett zu gehen, begab sich Dodd zufällig noch einmal ins Freie, um nach seinen Hunden zu sehen; kaum an der Hausthüre angelangt, stürzte er zurück und schrie mit vor Aufregung glühendem Gesichte: »Kennan, Robinson, heraus! schnell!« – Unter dem Eindruck, daß das ganze Dorf in Flammen stehe, sprang ich auf und lief, ohne mir zum Anziehen meiner Pelze Zeit zu nehmen, hinaus, von Robinson, Harder und Smith gefolgt. Als wir ins Freie kamen, umfloß uns eine so überraschend großartige Lichtfülle und Farbenpracht, daß unsere erschreckten Augen ganz geblendet waren. Das ganze Weltall schien in Flammen aufzulodern. Gleich einem gigantischen Regenbogen spannte sich am Himmelsgewölbe von Osten nach Westen ein breiter glänzender Streifen in allen Farben des Prismas, von dessen convexem Rand sich eine lange Franse roter und gelber Lichtströme bis zum Zenith erstreckte. Diesem Bogen parallel tauchten plötzlich am nördlichen Horizont breite Lichtwellen auf, die in ruhiger Majestät sich über den ganzen Himmel ergossen, wie lange Wogen phosphorescierenden Lichtes, die aus einem schrankenlosen Lichtmeere hervorquollen.
Für die Dauer eines Augenblicks wallte und zitterte der majestätische Bogen, wechselte die Farbe, und die glänzenden Lichtströme an seinem Rande wogten in großen Curven hin und her. Dann bewegte sich der herrliche Nordlicht-Regenbogen mit seinen zuckenden Lichtströmen langsam nach dem Zenith, und ein zweiter Bogen von gleicher Pracht bildete sich unter demselben, aus dem eine lange, dichtgedrängte Reihe bunter Lanzen zum Polarstern aufschossen, als ob himmlische Heerscharen die Waffen präsentierten.
Mit jedem Augenblick entfaltete das Phänomen noch überirdischere Pracht. Die Lichtstreifen drehten sich schnell wie die Speichen eines leuchtenden Rades; die Lichtströme zuckten von den Enden der Bogen nach dem Mittelpunkte, und dann und wann tauchte im 278 Norden eine Glutwelle auf, die den ganzen Himmel karmesinrot färbte und die Schneehülle der Erde mit rosigem Schimmer übergoß. Aber als die Worte der Prophezeiung »Und die Himmel werden in Blut verwandelt werden« sich mir auf die Lippen drängten, verschwand plötzlich das Rot, ein orangegelber leuchtender Blitz überflutete alles mit seinem blendenden Glanze und erstreckte sich sogar auf den südlichen Horizont, als ob die ganze Atmosphäre momentan in Brand geraten sei. Ich hielt einen Augenblick den Atem an in banger Erwartung des furchtbaren Donnerschlages, der, wie mir schien, dieser lebhaften Lichterscheinung folgen müßte; aber weder am Himmel noch auf der Erde unterbrach der geringste Laut die feierliche Stille der Nacht, außer dem hastig gemurmelten Gebete des erschreckten Eingeborenen an meiner Seite, der sich bekreuzte und vor der sichtbaren Majestät Gottes in die Kniee sank. Mich dünkte, selbst der Allmächtige könne der Herrlichkeit der Aurora borealis, wie sie jetzt erschien, nichts mehr hinzufügen. Der rasche Wechsel von Rot, Blau, Grün und Gelb am Himmel wurde von der weißen Schneefläche so lebhaft zurückgeworfen, daß bald die ganze Welt in Glut getaucht schien, bald in blasser, geisterhaft grüner Atmosphäre zitterte, von welcher sich in unsagbarer Schönheit die roten und gelben Bogen abhoben. Aber das war noch nicht alles. Da wir mit unverwandtem Blick das Hin- und Herwogen der großen himmlischen Fluten bunten Lichtes beobachteten, wurde das letzte Siegel der erhabenen Offenbarung plötzlich gelöst: beide Bogen wurden gleichzeitig in tausend parallele schnurgerade Stäbe zertrümmert, von denen jeder vom einen Ende zum andern in regelmäßiger Reihenfolge die sieben ursprünglichen Farben des Spektrums entfaltete. Von Horizont zu Horizont wölbten sich nun zwei breite Brücken von bunten Stäben, auf denen wir fast die lichten Gestalten einer anderen Welt einherschreiten zu sehen hofften. Unter den Zeichen des Staunens und Schreckens und dem Schrei der Eingeborenen: »Gott sei uns gnädig!« gerieten nun diese zahllosen Stäbe längs 279 der ganzen Ausdehnung der beiden Bogen in rasche, tanzende Bewegung, schossen mit so verwirrender Geschwindigkeit aneinander vorüber, daß das Auge ihnen nicht zu folgen vermochte. Das ganze Himmelsgewölbe schien in ein großes, drehendes Kaleidoskop von zerschmetterten Regenbogen verwandelt zu sein. Daß ein Nordlicht eine so großartige Erscheinung sein könne, hätte ich mir nicht träumen lassen, und ich schäme mich nicht zu gestehen, daß seine Herrlichkeit in diesem Augenblick mich mit Ehrfurcht und Schrecken erfüllte. Der ganze Himmel vom Zenith zum Horizont war ein wogendes Farben- und Feuermeer, karmesinrot und purpurn, scharlachrot und grün, Farben, für welche die Sprache keine Worte und der Geist keine Begriffe hat, – Dinge, die man nur fassen kann, während das Auge sie schaut. Die Zeichen am Himmel waren großartig genug, um den Untergang einer Welt zu verkünden, Blitze von prächtiger, zitternder Farbe bedeckten den halben Himmel für einen Augenblick und verschwanden wie Wetterleuchten; glänzend grüne Lichtströme schossen bis zum Zenith empor; Tausende bunter Stäbe flogen in zwei prachtvollen Bogen aneinander vorbei, und unermeßliche Lichtwogen rollten aus dem Weltenraume daher und durchbrachen mit ihrem Strahlenglanze die Luftschicht der dunkeln Erde.
Mit der Zersplitterung der beiden Bogen in die gleichartigen Stäbe erreichte die Pracht der Naturerscheinung ihren Höhepunkt; von dem Augenblick an verblaßte die überirdische Schönheit langsam aber stet. Der erste Bogen verschwand und bald darauf der zweite; die Farbenblitze wurden weniger häufig und matter, die Lichtwellen zuckten nicht mehr zum Zenith auf, und eine Stunde später erinnerte an dem dunkeln, gestirnten Himmel nichts mehr an die Aurora borealis als einige schwach erleuchtete Dunstwolken.
Ich bin mir nur zu sehr meiner Unfähigkeit bewußt, die einzigartige Pracht dieser großartigen Naturerscheinung in entsprechender Weise zu schildern; aber derartige Lichteffekte lassen sich ebensowenig in Worte 280 fassen, wie ein unerfahrener Anfänger mit Holzkohle die Farbenpracht einer Turner'schen Landschaft wiedergeben könnte. Ich habe nur Winke zu geben vermocht, welche die Einbildungskraft des Lesers ergänzen muß. Aber er möge mir's glauben, auch nicht die getreueste Schilderung, nicht der kühnste Flug der Phantasie könnte einem Schauspiel von so überirdischer Großartigkeit gerecht werden. Ehe der Mensch seine sterbliche Hülle abgestreift und in Gegenwart des Ewigen steht, wird er keine so überwältigende Offenbarung »der Herrlichkeit des Herrn« schauen, wie sie eine Aurora borealis darbietet.
Der Monat Februar schlich langsam dahin, und der März fand uns noch in Anadyrsk ohne Nachrichten von dem Major oder den Vermißten, Arnold und Macrae. Siebenundfünfzig Tage waren vergangen, seit sie ihr Lager am unteren Anadyr verlassen, und wir fingen an zu befürchten, daß sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden seien. Waren sie Hungers gestorben, oder auf einer der trostlosen Ebenen südlich der Behringsstraße erfroren, oder von den Tschutschken ermordet worden? Wir konnten uns nur in Vermutungen ergehen, ihre lange Abwesenheit war jedenfalls ein Beweis, daß ihnen irgend ein Unglück zugestoßen war.
Von der Gegend, durch die wir von Schestakowa nach Anadyrsk gekommen, war ich durchaus nicht erbaut, erstens wegen ihrer Unfruchtbarkeit und zweitens wegen der Unmöglichkeit, von den wenigen bewaldeten Flüssen, welche sie durchströmten, schwere Telegraphenstangen über die weiten Schneesteppen transportieren zu können. So verließ ich Anadyrsk am vierten März mit fünf Hundeschlitten, um, wenn möglich, zwischen dem Anadyr und den Quellen des Penschina eine bessere Route zu entdecken. Drei Tage nach unserer Abreise begegneten wir auf dem Wege nach Penschinsk einem Boten aus Gischiginsk, welcher einen Brief vom Major überbrachte, der »Ochotsk, den neunzehnten Januar« datiert war. Eingeschlossen waren Briefe von Oberst Bulkley, welche das Landen der Anadyrabteilung unter Lieutenant Macrae meldeten, und ein Situationsplan ihres Lagers. 281 Der Major schrieb Folgendes: »Im Fall – was Gott verhüte – Macrae und seine Begleiter noch nicht in Anadyrsk angekommen sind, werden Sie nach Empfang dieser Zeilen alles aufbieten, um sie aus ihrem allzulangen Winterquartier an der Anadyrmündung zu erlösen, wo sie sich seit September befinden. Ich war versichert worden, Macrae würde nur ans Land gesetzt werden, wenn man mit absoluter Sicherheit darauf rechnen könnte, daß er Anadyrsk per Boot zu erreichen imstande sei, und ich muß gestehen, daß Überraschungen, wie Oberst Bulkley sie mir bereitet hat, mir sehr mißfallen. Nichtsdestoweniger ist es jetzt unsere Pflicht, für die Anadyrabteilung alles zu thun, was in unseren Kräften steht. Sie müssen sofort Hundeschlitten requirieren, sie mit Hundefutter und Vorräten bepacken und sich zur Entdeckung von Macraes Lager aufmachen.« – Diesen Auftrag hatte ich bereits ausgeführt, und Macraes Gesellschaft, oder wenigstens alle, die ich auffinden konnte, befanden sich zu Anadyrsk. Als der Major diesen Brief schrieb, konnte er natürlich nicht ahnen, daß Dodd und ich durch die wandernden Tschutschken von der Landung dieser Abteilung benachrichtigt worden, und daß wir uns zu ihrer Entdeckung ohne Befehl aufgemacht hatten. Er hatte uns ja ausdrücklich gesagt, die Erforschung des Anadyr auf eine andere Jahreszeit zu verschieben, und war überzeugt, daß wir uns nicht über Anadyrsk hinauswagen würden. Auf dem beeisten Lauf meines umgestürzten Schlittens schrieb ich in Eile einige Zeilen an Dodd – erfror beiläufig gesagt zwei Finger bei der Gelegenheit – und schickte den Kurier mit den Briefen weiter nach Anadyrsk. Die Post hatte mir auch Briefe von Kapitän Scammon, dem Flotten-Kommandanten der Gesellschaft, und von meinem naturwissenschaftlichen Freunde Dall überbracht, der mit den Schiffen nach San Franzisco zurückgekehrt war und während eines mehrtägigen Aufenthaltes in Petropawlowsk eine Epistel an mich verfaßt hatte. Er bat mich bei allen heiligen Interessen der Wissenschaft, ein wachsames Auge auf jeden Käfer oder jedes lebendige Ding irgend welcher Art zu haben, aber 282 als ich an jenem Abend am Lagerfeuer seinen Brief las, entlockte mir derselbe ein Lächeln, wenn ich daran dachte, wie wenig günstig die Schneesteppen Sibiriens und eine Temperatur von 30 und 40° unter Null für Vermehrung und Verbreitung von Käfern, ihr Einfangen und ihre Aufbewahrung sind.
Ich will den Leser nicht mit Einzelheiten über die Erforschungen langweilen, die Lieutenant Robinson und ich auf der Suche nach einer besseren Route für unsere Linie zwischen dem Penschina und Anadyrsk machten. Wir entdeckten, daß das Flußgebiet des Anadyr von dem des Penschina nur durch einen niedrigen, leicht passierbaren Bergrücken getrennt war, und daß wir fast ununterbrochene Verbindung zu Wasser zwischen dem ochotskischen Meere und der Behringsstraße haben könnten, wenn wir gewissen Nebenflüssen des Penschina folgten, die Wasserscheide überschritten und an einem der Anadyrarme flußabwärts gingen. Längs dieser Flüsse war fast überall Holz im Überfluß, und wo das nicht der Fall, konnten die Telegraphenstangen als Flöße transportiert werden. Diese Route war für unseren Zweck vortrefflich geeignet, und am 13. März kehrten wir, von den Resultaten unserer Reise außerordentlich befriedigt, nach Anadyrsk zurück.
Groß war unsere Freude, als der erste Mann, dem wir in der Niederlassung begegneten, uns mitteilte, daß Macrae und Arnold angekommen seien, und fünf Minuten später schüttelten wir ihnen die Hand, gratulierten ihnen zu ihrer glücklichen Ankunft und bestürmten sie mit Fragen über ihre Reisen und Abenteuer und die Gründe ihrer langen Abwesenheit.
Vierundsechzig Tage hatten sie mit den wandernden Tschutschken verlebt und waren auf Umwegen nach Anadyrsk gekommen. Im allgemeinen waren sie gut behandelt worden, aber die Nomaden, mit denen sie reisten, hatten keine Eile gehabt, die Niederlassung zu erreichen, und sie in Tagereisen von zehn und zwölf Meilen über die großen, öden Steppen südlich vom Anadyr mitgeschleppt. An Beschwerden und Entbehrungen hatte 283 es ihnen nicht gefehlt; wochenlang waren Renntiereingeweide und Talg ihre einzige Nahrung gewesen, das Ungeziefer hatte sie fast aufgezehrt; den größten Teil von zwei langen Monaten hatten sie in rauchigen Tschutschkenpologs zugebracht, und gar manches Mal waren ihnen Zweifel gekommen, ob sie je nach einer russischen Niederlassung gelangen oder ein civilisiertes menschliches Wesen zu Gesicht bekommen würden. Sie hatten jedoch den Mut nicht sinken lassen und waren schließlich wohlbehalten in Anadyrsk eingetroffen. Ihr ganzes Gepäck bei ihrer Ankunft in der Niederlassung bestand in einer Flasche Whisky, die in eine amerikanische Flagge gewickelt war. Sobald wir alle beisammen waren, wurde die Flagge über unserem kleinen Blockhause aufgehißt, aus dem Whisky, der in halb Nordostsibirien herumgekommen, Punsch gebraut und zu Ehren der Männer getrunken, welche vierundsechzig Tage bei den wandernden Tschutschken verbracht und das Sternenbanner durch die wildeste, unbekannteste Region der Erde getragen hatten.
Da wir nun unsere Aufgabe erfüllt, trafen wir Vorbereitungen zu unserer Rückkehr nach Gischiginsk. Der Major hatte mir befohlen, ihn am ersten April mit Macrae, Arnold, Robinson und Dodd daselbst aufzusuchen, und der Monat März nahte seinem Ende.
Am zwanzigsten packten wir unsere Vorräte ein, nahmen Abschied von den gutmütigen und gastfreien Menschen zu Anadyrsk und machten uns in einer langen Schlittenreihe nach der Küste des ochotskischen Meeres auf den Weg.
Unsere Reise war einförmig und arm an Ereignissen; am zweiten April zu später Nachtstunde ließen wir die weiße, trostlose Steppe des Paren hinter uns und näherten uns der kleinen Jurte an der Malmowka, die nur fünfundzwanzig Werst von Gischiginsk entfernt war. Hier fanden wir frische Leute, Hunde und Schlitten, die uns der Major entgegengeschickt; wir ließen unsere beladenen Schlitten und müden Hunde im Stich, nahmen auf den leichten »narts« der Gischiginsk-Kosaken Platz 284 und fuhren, beim Schein eines schönen Nordlichtes, der Niederlassung zu.
Gegen ein Uhr vernahmen wir fernes Hundegebell, und einige Augenblicke später rasten wir in das stille Dorf und hielten vor dem Hause des russischen Kaufmannes Worrebeoff, bei dem wir im vergangenen Herbst gewohnt hatten, und wo wir auch den Major zu finden hofften. Ich sprang von meinem Schlitten, tastete mich durch den Eingang in ein warmes, dunkles Zimmer und rief: »Fstavaitia«, um die schlafenden Insassen zu wecken. Plötzlich erhob sich jemand von dem Boden zu meinen Füßen, packte mich am Arme und rief in einer seltsam bekannten Stimme: »Kennan, bist du es?« Erschreckt, verdutzt und ungläubig konnte ich nur hervorstoßen: »Bush, bist du es?« und als ein schläfriger Junge mit einem Lichte eintrat, war er nicht wenig erstaunt, einen ganz in Pelze gehüllten Mann in den Armen eines andern zu finden, der nur mit Hemd und Unterhosen bekleidet war.
Da ging's lustig her in jenem Blockhause, als der Major, Bush, Macrae, Arnold, Robinson, Dodd und ich um den dampfenden Samovar saßen und die Abenteuer, Ereignisse und Unfälle unseres ersten arktischen Winters besprachen. Einige von uns waren vom äußersten Ende Kamtschatkas, einige von der chinesischen Grenze und andere von der Behringsstraße gekommen, und wir alle trafen uns in jener Nacht zu Gischiginsk und gratulierten uns gegenseitig zur erfolgreichen Erforschung der ganzen Route von der Anadyrbai bis zum Amur, welche der russisch-amerikanische Telegraph durchschneiden sollte. Die verschiedenen versammelten Mitglieder der Gesellschaft hatten in sieben Monaten im Durchschnitt fast zehntausend Meilen zurückgelegt.
Die Resultate unserer Winterarbeit waren kurz folgende. Bush und Mahood hatten, nachdem sie den Major und mich in Petropawlowsk verlassen, sich nach der russischen Niederlassung Nikolajewsk an der Amurmündung begeben und die Erforschung der Westküste des ochotskischen Meeres sofort in Angriff genommen. 285 Sie waren mit wandernden Tungusen durch die dichtbewaldete Region zwischen Nikolajewsk und Ajan gereist, auf Renntieren über die zerklüfteten Höhen des Stanowoigebirges südlich von Ochotsk geritten und schließlich an letzterem Orte am zweiundzwanzigsten Februar mit dem Major zusammengetroffen. Der Major hatte allein die ganze Nordküste des ochotskischen Meeres untersucht und wegen der erforderlichen Arbeiter und Pferde der russischen Stadt Jakutsk, sechshundert Werst westlich von Ochotsk, einen Besuch abgestattet. Er hatte sich die Gewißheit verschafft, daß er in den Niederlassungen längs der Lena tausend jakutische Arbeiter zu sechzig Dollars im Jahr pro Mann haben und so viel sibirische Pferde, wie wir nötig haben würden, zu ganz anständigen Preisen kaufen könnte. Und endlich hatte er eine Route für die Linie zwischen Gischiginsk und Ochotsk festgestellt und die Oberaufsicht über das ganze Werk geführt. Macrae und Arnold hatten fast die ganze Gegend südlich vom Anadyr und am unteren Main bereist und schätzenswerte Kenntnisse über den wenig bekannten Stamm der wandernden Tschutschken erlangt. Dodd, Robinson und ich hatten zwei Routen zwischen Gischiginsk und Anadyrsk kennen gelernt und ein waldreiches Stromnetz aufgefunden, welches das ochotskische Meer mit dem stillen Ozean in der Nähe der Behringsstraße verband. Die Eingeborenen hatten sich überall als friedliche und gut gesinnte Leute erwiesen, und viele von ihnen waren längs der Route der Linie bereits mit der Herstellung von Telegraphenstangen beschäftigt. Obgleich das Land für die Errichtung einer Telegraphenlinie keineswegs günstig war, so bot es doch keine Hindernisse, welche mit Ausdauer und Thatkraft nicht hätten überwunden werden können; und indem wir unsere Leistungen des verflossenen Winters überblickten, waren wir überzeugt, daß, wenn auch das Unternehmen kein leichtes sei, dasselbe doch günstige Aussichten auf Erfolg habe. 286