Paul Keller
Das letzte Märchen
Paul Keller

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Der verbotene Berg.

Die holde Frühlingsnacht war vergangen.

Ich war wieder in Marilkaporta. Aber der kurze Ausflug hatte mich gestärkt und mir neuen Mut gegeben, meine Mission zu erfüllen.

Unsere Zeitung war indes beliebt geworden, ja, es ist nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß ich auf Wochen der populärste Mann in Herididasufaturanien war.

Etwas besonders Gutes hatte mein Alkoholartikel gebracht: die »Posaune« war lahmgelegt. Sie tobte und wetterte, beschimpfte mich in der gehässigsten Weise als einen Säufer und Volksvergifter, aber das nutzte ihr nichts. Sie machte sich dadurch nur noch unpopulärer und mit sich selbst auch alle die, deren Interessen sie vertrat. In erster Linie den Erbprinzen Juvento.

Der Erbprinz wurde auf der Straße selten noch gegrüßt, ja er begegnete offenen kleinen Feindseligkeiten. Dagegen stieg die Popularität Hamrigulas in demselben Maße, als ihn die »Posaune« beschimpfte.

Oft konnte ich ein tiefes Bedauern mit dem Erbprinzen nicht verwinden. Das war immer der Fall, wenn ich seiner herrlichen Gestalt einmal begegnete. Er hatte sich verändert. Seine Gesichtsfarbe war bleicher geworden, in seinen sonst so lachenden Augen lag ein kalter Stolz. Manchmal huschte ein bitteres Gefühl des Schmerzes über sein Gesicht. In solchen Augenblicken richtete er sich allemal mit einem energischen Ruck empor, und ein eisiger Trotz trat auf seine Züge. Das war sicher, daß viel innerer Kampf in ihm war.

Wegen Angelika hatte ich keinen Groll mehr auf Juvento. Ich war überzeugt, daß er sie wirklich geliebt habe. Jetzt schickte er ihr keine Briefe mehr und benahm sich gegen sie mit der korrektesten Höflichkeit. Die schöne, Königstochter sah er kaum, er war überhaupt meist auf der Jagd.

Da sickerte durch, der König von Hakulatotuland habe durch seinen Botschafter am Hofe von Marilkaporta dem Sohne insgeheim bedeuten lassen, er wünsche seine sofortige Rückkehr. Der Erbprinz habe sich aber entschieden geweigert, dem Befehl des Vaters zu gehorchen, und sich dadurch dessen Zorn zugezogen.

Wieviel Wahres an dieser Sache war, wußten wir nicht, jedenfalls war unverkennbar, daß zwischen den beiden mächtigen Bruderländern eine starke Spannung entstanden war.

Einem friedlich gesinnten Manne wie mir mußte die Erfahrung höchst schmerzlich sein, und so begrüßte ich mit heller Freude eine Einladung des alten Königs, zugleich mit den Prinzen Juvento und Hamrigula, Goldina, Angelika und einem kleinen Gefolge die geheime Schatzkammer des Landes zu besichtigen. Abgesehen von dem Interesse, das ich für die Schatzkammer hatte, ehrte mich der Beweis des Vertrauens, und ich hoffte, daß die Einladung des Erbprinzen im Nachbarlande einen guten Eindruck machen würde, ja ich glaubte, daß sie von dem gütigen alten König nur zu diesem Zwecke ergangen war.

Es war an einem Sommertage, als wir der Einladung des Königs Folge leisteten. Dicht vor der Hauptstadt lag der verbotene Berg, ein Riesenmassiv mit ringsum senkrecht abstürzenden Felswänden.

Ich begrüßte den Erbprinzen sehr freundlich, als wir durch die Straßen von Marilkaporta ritten. Er sah mich mit einem eigentümlichen Lächeln an und dankte mir kurz, aber höflich. Eine Weile ritt er schweigend neben mir her, dann begann er unvermittelt:

»Ich glaube, daß es sehr wenig schlechte Menschen gibt.«

»O, das glaube ich auch,« sagte ich freudig. »Diesen Glauben zähle ich zu meinen besten Gütern.«

Er nickte, aber er fuhr fort:

»Ich habe mich nicht gut ausgedrückt. Ich wollte sagen, es gibt wohl unter den Menschen nie und nirgend einen ganz abgefeimten Schuft.«

»O, doch! Sie sind nur nicht leicht zu erkennen. Die äußerlich leicht erkennbaren Bösewichte haben alle ihre lichten Seiten. Aber unter den Scheinheiligen sind Scheusale.«

Er sah mich ernst an.

»Verzeihen Sie, ich halte Sie wohl für einen klugen Mann, aber daß Sie diese Weisheit begriffen hätten, glaubte ich nicht. Ich glaubte, Sie seien zu jung oder auch noch immer zu glücklich gewesen, um diese Erfahrung gemacht zu haben. Sie nehmen mir das nicht übel!«

»Gewiß nicht, Königliche Hoheit, wenn ich auch sagen muß, daß ich diese Worte nicht begreife.«

Er schwieg. Ich sah, daß er mit einem Gedanken rang. Schließlich sagte er:

»Es wäre manches zwischen uns beiden zu sprechen, aber ich bringe es jetzt nicht fertig. Eines sollen Sie mir sagen: Glauben Sie, daß ich mit diesem – Sumpf etwas zu tun habe?«

Und er wies auf ein schmutziges Exemplar der »Posaune«, das am Boden lag.

»Ich glaube das nicht. Ich glaube nur, daß eine ungewollte und unwürdige Dienstfertigkeit sich an Eure Königliche Hoheit herandrängt.«

»Sie irren sich,« sagte er.

Sein Gesicht wurde wieder kalt und stolz.

»Glauben Sie nicht, daß ich mich verteidigen will. Es ziemt sich nicht, daß sich ein Königssohn verteidigt, weil es sich nicht ziemt, daß er eine Verdächtigung beachtet.«

Das mißfiel mir, und auch mein Gesicht wurde hart. Er sah mich an.

»Wir werden uns nicht verstehen?«

»Nein, Königliche Hoheit!«

»Warum nicht?«

»Die königliche Abstammung hebt die Möglichkeit der Schuld und darum auch die Notwendigkeit der Verteidigung nicht auf.«

»Das ist war; aber die tiefste Verachtung ist immer die beste Verteidigung. Glauben Sie das?«

»Nein. Königliche Hoheit! Die Verachtung ist ein graues Kleid, grau wie die Schuld. Es wirkt auf die Ferne, auf die große Menge irreführend, weil es die Seele verbirgt.«

Er dachte eine Minute lang nach, dann sagte er:

»Sie sind ein Dichter! Sie haben schöne Worte; aber Sie haben nicht recht. Immerhin bedaure ich, daß wir nicht Freunde werden konnten.«

»Das bedaure ich auch,« sagte ich und dann trennten wir uns mit stummem Gruß.

Gleich darauf kamen wir an den verbotenen Berg. Als ein riesiger Würfel mit steilen Wandflächen lag er da. Eine eiserne Tür führte in das Innere des Berges; diese Tür hatte sieben Schlösser, zu denen hatten die sieben zuverlässigsten Männer des Landes je einen Schlüssel.

Wir kamen in eine kühle Halle. Ein Aufzug schaffte uns zur Höhe. Oben war ein riesiges Hochplateau, auf dessen Mitte lag ein zweiter Felsenwürfel, dessen Tür abermals von sieben Wächtern bewacht war.

»Die Schätze haben nicht mehr Wächter als diese wenigen Männer?« fragte ich.

Der König lächelte.

»Sieben sind verlässiger als siebzig,« sagte er.

Wir traten ein. Wir waren in einem hohlen, großen Berge.

In Kindermädchen ist viel die Rede von unterirdischen Schätzen, und dann sind es immer Berge von Gold und Kästchen voll Perlen und edlen Steinen, die den Reichtum des Zwergvolks darstellen. Auf meiner letzten Märchenfahrt habe ich dergleichen wenig gesehen. Gemünztes Gold hat kein Interesse, jeder Krämer trägt's im Beutel. Auch die kleinen Diamantsplitter, die unsere Damen tragen, können eine große Phantasie nicht beglücken. Es sind Reste, Ruinen, arme, verstreute Übrigbleibsel.

Als ich aber eine Nachbildung der ägyptischen Pyramiden in Originalgröße aus Diamanten sah, interessierte ich mich dafür, denn die Nachbildung war tadellos. Auch der Reichtum machte Eindruck auf mich.

Der König sah mein Erstaunen und sprach:

»Unsere Urväter haben mit Diamanten ihre Öfen geheizt. Jetzt ist der Stein selten und darum kostbar, Nach einer Million von Jahren werden Ihre Fürstinnen Broschen aus Kohlen tragen, und die kostbarsten Ringe werden aus Eisen sein.«

Wir schritten durch lange Reihen von Zimmern, die an den Seiten des hohlen Bergwürfels hinliefen. Wenn ich sage, daß die Wände aus Gold waren, so wolle man darum keine geringschätzige Vorstellung haben, denn ordinäres rotes oder gelbes Gold war es natürlich nicht. Selbst das Weißgold dient dort nur als Fußbodenbelag. Aber das grüne Gold gilt als wertvoll. Es handelt sich dabei nicht um die bekannte Legierung, die schon die Meister der Spät-Renaissance herzustellen wußten, sondern das Gold ist naturgrün. Das kostbarste Gold ist das hellgraue, besonders dann, wenn es feines, dunkelblaues Geäder aufweist. Das ist sehr selten; der größte Block (er stellte eine Nachbildung des verbotenen Berges dar) hatte höchstens zwei Meter im Kubus.

In den Gesteinsammlungen natürlich auch nur Seltenheiten: weiße Rubinen, rote Smaragde, dunkelbraune Opale, weintraubengrüne Perlen.

Ich hätte mir menschliche Gesellschaft gewünscht: Sezessionisten und Protzen. Die einen hätten eine Freude erleben können, den andern wäre ihre ganze armselige, aufgeblasene Froschherrlichkeit zum Bewußtsein gekommen. Eine kostbare Bibliothek war da. Sie reichte in eisgraue Zeiten zurück. Es gab viele wertvolle, alte Pergamente, auch viel graue Mauerreste und Steinplatten mit denkwürdigen Inschriften. Unter andern war eine Platte nicht allzuharten Gesteins da, in der war oben ein rundes Loch, unter diesem eine Menge schwer erkenntlicher, wilddurcheinanderlaufender, geheimer Zeichen. Es waren keine Hieroglyphen, keine Keilschrift-, auch keine Runenzeichen. Aber übersetzt war die Platte siebenmal. Jedesmal anders! Die letzte Übersetzung eines großen Gelehrten zitierte der freundliche König:

»Wanderer, steh' still und erwäge: An diesen Stein band König Plusquamberebbero der Verliebte sein Roß, wenn er zu seiner Geliebten ging. Des Königs Majestät blieb lange, und sein ungeduldiges Rößlein bearbeitete indes mit den scharfen Hufen diesen ehrwürdigen Stein.«

Von den Handschriften interessierten mich außer sechs Original Liebesbriefen des Mohammed am meisten die uns durch die Engherzigkeit Ludwigs des Frommen verlorengegangene Volksliedersammlung des Großen Karl und die Urniederschrift des Nibelungenliedes. Auf dem Titelblatt dieses großen Epos stand groß und breit der Name des Verfassers nebst der genauen Adresse. Ich könnte das Geheimnis nun mit wenigen Federstrichen hier enthüllen und damit die Welt aus qualvollen Zweifeln reißen. Aber ich werde mich schön hüten, denn ich bin ein Literat und werde es mit den Literaturhistorikern nicht dadurch verderben, daß ich ihnen Verlegenheiten bereite. . .

Von Zeit zu Zeit begegnete uns Bedienungspersonal. Diese Leute sind Zeit ihres Lebens in dem ungeheuren Schatzgewölbe eingeschlossen. Sie haben sehr schöne Wohnungen innerhalb des Berges und erhalten alles, was zu einem guten Leben gehört. Trotzdem sah ich nie unzufriedenere Gesichter als bei diesen gefangenen Hütern der Mäichenschätze.

In einer Seitenhalle wurden Urnen gepackt. Ein Mann füllte zwei beträchtlich große Töpfe mit Goldmünzen aus der römischen Kaiserzeit. Ich tat eine Frage nach der historischen Echtheit und nach der Verwendung des Geldes. Der König sagte:

»Das Geld ist echt, wir haben alles gesammelt, was an Schätzen und Altertümern unter der Erdrinde lag, damit es nicht verstreut werde und untergehe. Langsam und ratenweise geben wir den Menschen ihr Eigentum zurück; einem armen Bauern, der es verdient, schieben wir einen Topf mit Goldmünzen unter die Ackerfurche, einem Gelehrten, den wir lieb haben, legen wir ein paar alte Waffen und Knochen unter den Spaten, Es liegen ungeheure Schätze bei uns, die wir alle nach und nach den Menschen in die Hände spielen werden.«

Eine große Erregung faßte mich an. Jetzt erst erkannte ich, was für eine Schatzkammer der verbotene Berg des Märchenlandes war. Das menschliche Brudergefühl wurde in mir rege und ich sprach:

»König und Herr, wäre es nicht hochherzig, den Menschen diese Altertumsschätze auf einmal zurückzugeben? Wieviel tausend Rätsel würden uns gelöst, wieviel Unwahrheit zerstört, wieviel neues Licht auf die Welt gebrächt werden, welche Sicherheit und welcher Friede!«

Milde schaute mich der König an und sagte:

»Die Menschen sind für die Erkenntnis ihrer Geschichte nicht reif. Nicht einmal der Geschichte ihrer eigenen Zeit wagen sie lange und scharf ins Auge zu sehen. Bald senkt sich ihnen die Wimper; sie hören auf zu sehen und fangen an zu träumen; denn die Menschen sind alle Dichter. – Und es ist keine Sicherheit bei euch, was ihr mit dem ernsten Eifer der Weisen und mit der asketischen Hinopferung der Heiligen sucht, findet ihr mit dem Jauchzen des Kindes. Und ihr hebt es auf, freut euch des Besitzes und hütet ihn mit großer Treue. Aber ein anderes Volk kommt, das töricht und stark ist, und vernichtet euren tausendjährigen Fleiß in ein paar rohen Siegernächten. Dann ist die Menschheit arm wie zuvor, tappt im dunkeln und wohnt bei den Tieren. Und wir fangen wieder an, Steinplatten unter die Erde zu schieben, Pergamente, Waffen und Geräte hinzulegen und freuen uns, wie die Menschen langsam wieder einen Besitz sammeln, freuen uns, daß wir für sie gespart haben.«

Als ich den König das sagen hörte, beugte ich mich tief und küßte ihm das blütenweiße Kleid. Er aber fuhr mir liebkosend mit der Hand über das Haupt, mir, einem Sohne des unstetesten Geschlechtes der Erde. –

Längere Zeit hielt die Beklemmung an, die mich überkommen hatte bei dem Gedanken, daß die tiefsten Quellen unserer Erkenntnis jenseits unserer Geschichte liegen, aber dann raffte ich mich auf, um nicht an allzuviel Dingen mit träumenden Augen vorbeizugehen.

Da sah ich noch viele Schätze und Raritäten, ernste Dinge und solche, über die ich lächeln mußte. Das Modell des Perpetuum mobile, das schon vor Jahrhunderten erfunden worden ist, eine Goldmacherwerkstatt, einen lenkbaren Luftballon, etliche tausend unfehlbare Volksbeglückungsrezepte, eine Runzelwalze für alternde Damen, eine tadellos funktionierende Sparmaschine für Künstler, eine gesetzlich geeichte Talentwage und sonstige große Dinge, nach denen die Sehnsucht der Menschen geht und die im Märchenland alle fix und fertig daliegen. Wie gern wollte ich euch die großen Rätsel lösen, ihr lieben Brüder und Schwestern. Aber ach, ich bin ein armer Tor, der vor physikalisch kosmetischen Geheimnissen bewundernd aber ratlos steht und nicht begreift, was er sieht. Wenn ich sage, daß ich euch diese Dinge nicht erklären kann, so sollt ihr mir das nicht als falsche Bescheidenheit, aber auch nicht als Hinterlist auslegen, sondern mir glauben, daß ich es infolge mangelhafter Vorbildung nicht imstande bin.

Daß wir alle photographiert wurden, wird als selbstverständlich erscheinen; ich erwähne es nur, weil wir die farbigen Photographien sofort mitnehmen konnten.

Langsam schritten wir weiter. Manchmal standen Sinnsprüche an den Wänden. Einen habe ich mir gemerkt, einen, von dem ich lernen und gewinnen wollte:

»Der echte Spott kommt aus der leisen Trauer eines gütigen Herzens.«


Eine rote, runde Halle tat sich vor uns auf. In der Mitte stand auf einem weißgedeckten Tisch ein kristallener Pokal.

Wir traten rund um den Tisch, und der König sprach

»Dieser Kelch ist ein heiliges Gut. Ein Mann hat ihn gefertigt, der ein Künstler war, ein Weiser, ein Heiliger. Niemals hat eine unwürdige Hand dieses Glas berührt. Von allen, die daraus tranken, bin ich der geringste. Zweifache Macht ist dem Pokal eigen: dreimal kann er vom Tode retten, einmal kann er erstorbene Freundschaft erneuen. Nur die Männer dürfen daraus trinken, die dem Vaterlande dienten, nur in schwerer Not darf der Kelch gefüllt werden. Und nur durch eine große Falschheit kann er zugrunde gehen.«

Der König schwieg. Seine Augen waren ernst und seine Stirn ganz weiß, als ob ein Leuchten von ihr ausginge. Zärtlich schlang der greise Mann einen Arm um sein blondes Kind. Und er sprach weiter:

»Dreimal habe ich aus dem Kelche getrunken. Zweimal haben sie ihn mir gereicht, als ich blutend auf dem Schlachtfelde lag, einmal mußten sie ihn mir geben, als – Goldina, – deine Mutter gestorben war. – Nun hilft er mir nicht mehr!«

Das schöne Königskind fing bitterlich an zu weinen.

»Weine nicht, du Liebe! Noch bin ich stark, noch hoffe ich lange bei dir bleiben zu können. Und ich bin nicht unzufrieden. Nie brauchte ich aus diesem Kelch zu trinken, weil mir eine Freundschaft gestorben war. Keiner von denen, die ich geliebt habe, ist mir verloren gegangen. Mit dem ganzen Besitz meines Vertrauens durfte ich alt werden. Das ist eine so hohe Gnade, wie sie selten einem Leben zuteil wird.«

Langsam gingen wir aus der runden Halle. Wir traten alle leise auf, als wir aus dem Heiligtum schritten. Aber der Kelch auf dem weißen Tische klang, als sage er uns etwas zum Abschied.


Zuletzt sah ich auch die Krone. In einem goldenen, wunderbaren Dom, auf einem Altar lag sie, auf dem Hunderte von Kerzen brannten.

Der König schritt die Stufen des Altars hinauf. Er stand einen Augenblick still mit gefalteten Händen. Dann nahm er die Krone, küßte sie und setzte sie auf sein Haupt. .

Als er sich zu uns umwandte, kannte ich ihn nicht wieder. Das war nicht der freundliche, milde Greis, der mit uns gegangen war in traulicher Gefährtschaft, der plauderte und der scherzen konnte. Nicht der gütige Vater.

Es war der König!

Er erschien völlig gewandelt, viel größer und von edelster Schönheit.

Was alt und schwach an ihm war, gewichen war's einer Stärke, einer Überkraft, vor der wir alle erbebten. Ein Glaube war in uns, dieser eine Mann könne ein Volk zu Boden schmettern. Es war kein Makel an ihm, und alle seine Tugenden waren dreifach verklärt. Seine Augen waren von leuchtender Kraft und blickten scharf, als ob sie bis ins Innere schauen könnten. Heilig und unberührbar schien er, fern von uns allen. Mit diesem König hatten wir keine andere Gemeinschaft als seine Gnade.

Der Zauber der Krone wirkte auf uns.

Der König winkte den beiden Prinzen, und sie knieten nieder vor ihm am Fuß des Altars. Uns aber gebot er hinauszugehen. Auch seiner Tochter!

Einsam wollte er mit den beiden Prinzen sprechen von der Krone. – – –

Als ich die drei wieder sah, waren die Prinzen blaß.

Der König aber lächelte und legte mir einmal die Hand vertraulich auf die Schulter.

Scheu blickte ich nach seinem Haupte.

Eine weiche, grüne Mütze lag auf seinen weißen Haaren. Der Zauber der Krone war gewichen; ich konnte wieder mit ihm sprechen.


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