Paul Keller
Das letzte Märchen
Paul Keller

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Die Liebe.

Weiß wie Schnee!
Rot wie Blut!
Schwarz wie Ebenholz!

Die Melodie dieser Worte ging mir durch die Seele, immer, immerfort.

Ich glaubte wohl, das Wunder sei schuld daran, das ich sah, glaubte die Melodie, die mir einst im Kinderohr geklungen, halle mir nun wie ein spätes Echo durch die Seele.

Glaubte anfangs, es sei alles nur ein Erinnern.

Aber beim Erinnern ist Friede!

Und in mir lebte der Wunsch.

Der brennende Wunsch, die eine wiederzusehen, immer wiederzusehen, die mir die selig-unselige Melodie im Herzen erweckt hatte, die mir mit quälender Wonne den Frieden scheuchte bei Tag und bei Nacht.

Weiß wie Schnee!
Rot wie Blut!
Schwarz wie Ebenholz!

Ich ging hinaus in den Märchenwald, setzte mich unter einen großen Baum und stützte das Haupt auf die Hände.

Ein Vermächtnis war mir geworden; das tote Zwerglein hatte mir seine zehrende Schneewittchensehnsucht vererbt.

So saß ich junges Menschenkind im Märchenwalde und träumte, wußte nichts von Himmel und Welt. Nur ein süßer Duft war rings umher, ein müder, seliger Duft.

Ich wußte nicht, von wannen dieser Duft kam. Saß da im Walde mit schlafenden Sinnen. Hielt alles für einen fremden Sehnsuchtshauch und war nun ganz in der Fremde, war wie ein Kind, das sich verlaufen hat in einem blühenden Königsgarten, – so scheu und so glücklich, so unwissend und so voll Staunen und Bangigkeit.

Es kam eine lange Prozession daher mit blinkenden Lichtern. Leuchtkäfer gingen durchs hohe, bebende Gras. Und wie sie zu mir kamen, teilte sich die Reihe, sie gingen zur Rechten und zur Linken und nahmen Aufstellung im Kreise.

Als ich das ansah, war es wie ein großer, goldener Ring, der sich um mich geschlossen hatte.

Dann kamen kleine Waldmädchen gegangen, viele hundert. Sie hielten Zweige in den Händen mit zarten Blättern und noch zarteren, weißen Blüten. Als sie zu mir kamen, teilte sich abermals die Reihe, sie gingen zur Rechten und Linken und nahmen jenseits des leuchtenden Ringes Aufstellung im Kreise.

Als ich das ansah, war es ein großer, blühender Myrtenkranz.

Und hundert und aberhundert andere Waldmädchen kamen, die trugen blütenweiße Schleier in ihren Händen, wehende weiße Brautschleier.

Dann die große Schar der Spielleute im Märchenwald. Wer kennt alle die feinen Geigerlein, die Männlein, die auf Grasflöten blasen, die Mädchen, die Laubblätter zwischen den Lippen haben und zirpen wie die Grillen, die Blumengeister alle, die läuten und singen, flüstern und kosen?

Eine Sängerschar kam von lauter kleinen Elfenkindern, die sangen jubelnd immer den einen Namen:

»Angelika! Angelika!«

Und Kobolde drangen herbei, zeigten ihre Künste und banden mir Hände und Füße mit einer Girlande von Rosen.

Ich sank zurück ins Gras und schloß lächelnd die Augen.

Nun wußte ich, woher dieser süße, müde Duft kam.

Die Göttin der Liebe stand hinter mir, die rosenduftig Göttin der Liebe.

Lockend und lachend klang um mich das große Liebeslied des Märchenwaldes. Aber die Augen blieben mir geschlossen, ob ich auch hörte, daß tausend flinke, zierliche Jungfräulein sich um mich schwangen im Tanze. Die Sehnsucht meiner Seele schwieg nicht still bei diesen Wundern. Ein größeres Glück suchte sie, noch ein größeres Wunder.

Da kam ein milder Traum.

Versunken Märchenwald und goldene Stadt, verklungen das Lied der Elfen!

Ein kleines Haus sehe ich im Traum, droben auf der Welt. Ganz allein, ganz heimlich liegt es mitten im Wald. Nur Hirsch und Reh kommen zum Besuch. Vor den Fenstern blühen rote, einfache Blumen. Und drinnen in trauter Häuslichkeit waltet mein Glück:

Weiß wie Schnee!
Rot wie Blut!
Schwarz wie Ebenholz!


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