Paul Keller
Das letzte Märchen
Paul Keller

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Station Boberquelle.

Herr Eichhorn erschien und meldete, die Krähen schimpften und fluchten ganz greulich und wollten auf- und davonfliegen, wenn sie noch lange warten müßten. Er finde solche freche Redensarten ja schrecklich respektwidrig, habe sich aber für verpflichtet gehalten, die Sache zu melden.

Wir brachen sofort auf. An der Tür hielt Herr von Stimpekrex den Krähen eine donnernde Strafpredigt und kündigte ihnen den Dienst. Es treffe sich gut, sagte er, daß gerade der Quartalserste sei; am l. April sollten die Krähen ihre Stellen als herididasufoturanische Staatskuriere verlieren, während Herr Eichhorn für eine Auszeichnung in Aussicht genommen sei.

Die Krähen nahmen die Kündigung für den l. April nicht tragisch. Sie sind meist nur Not- und Winterarbeiter, während sie sich im Sommer auf die Vagabondage verlegen. Herr Eichhorn dagegen bezeigte eine geschäftige Dankbarkeit, verneigte sich in rasender Eile dreimal vom Gipfel der Eiche bis zur Erde und stand militärisch salutierend an der Tür seines Hauses, als wir abreisten.

Die Damen saßen auf silbergrauen Nebelkrähen, sehr hübschen Tieren von nicht gewöhnlicher Rasse. Unsere beiden Rapphengste hatten Mühe, mit ihnen Schritt zu halten, meist blieben wir um einige Krähenlängen zurück.

Herr von Stimpekrex hatte mit Fräulein Elkaguntascha die Spitze. Sie ventilierten im Anschluß an die Rebellion der Krähen die Dienstbotenfrage. So blieb ich mit der jungen Dame – Angelika hieß sie – allein.

Hoch über die verschneiten Fluren ging unser Weg, über weiße Berge und dunkle Täler. Ein altes Gemäuer tauchte auf, daraus erscholl die keifende Stimme einer Krähenfrau:

»Hör ich dich endlich kommen? Kommst du endlich heim, du Herumtreiber?«

»Nachtdienst!« schnarrte der also begrüßte Eheherr.

Seine Frau schien es nicht zu glauben; ich hörte noch lange, wie sie uns nachschimpfte.

Wie lange wir so flogen, weiß ich nicht. Manchmal kam mir ein Frostgefühl, manchmal schlich mir auch eine leise Bangigkeit ins Herz. Dann schaute ich meine liebliche Begleiterin an, und es ging wohlgemut weiter, immer weiter.

Endlich hielten die Krähen an, streckten breit die Flügel aus wie Fallschirme, und wir sanken langsam zur Tiefe. Mitten im Winterwalde landeten wir.

»Wir sind nun dicht an der Grenze,« sagte Herr von Stimpekrex zu Angelika und mir. »In wenigen Minuten betreten Sie herididasufoturanisches Gebiet. Einen Paß brauchen Sie nicht, da Sie durch uns rekognosziert werden; auch leben wir mit dem Deutschen Reich in bestem Einverständnis und tiefem Frieden.«

Ich erkundigte mich nach den Zollverhältnissen und erfuhr, daß außer Dynamitbomben und Alkohol jeder Reisende bei sich führen dürfe, was ihm beliebe.

Nun galt es für uns beide noch, Abschied zu nehmen von der Welt. Von unserer Welt! Von dem klaren, blauen Himmel und all seinem lieben Licht, von der freien Luft und all ihrem Duft und Klang, von Wald und Berg, von den Strömen und Auen und von den Menschen.

Die Winterluft streichelte uns noch einmal wie eine gute, herbe Mutter die Wangen mit rauhen Händen; der Mond lachte uns noch einmal ermutigend zu wie ein lustiger Onkel zwei Kindern, die sich fürchten; von einer fernen Straße klangen Schlittengeschell und ein abgerissenes, frohes Lachen.

»Lebe wohl, du liebe, herrliche Menschenerde!«

Herr von Stimpekrex reichte Fräulein Elkaguntascha den Arm, ich nahm Angelika an der Hand, hinterher marschierten schweigsam und verdrossen die Krähen. So ging es ein Weilchen in den Wald hinein. Ein grauer Stein stand senkrecht in einer Bergwand; er war kaum so groß wie eine Schiefertafel. Herr von Stimpekrex drückte auf eine Feder, der Stein drehte sich, ein Gang wurde sichtbar, der Stein schloß sich hinter uns, – die Welt lag draußen.

Als wir etwa dreihundert Meter von der Erdoberfläche entfernt waren, stand eine Grenztafel am Wege. »Deutsches Reich« stand auf der einen Seite, »Königreich Herididasufoturanien« auf der anderen. Herr von Stimpekrex blieb stehen und hielt eine kleine Begrüßungsansprache. Er sprach mehr herzlich als gut. Ein Händedruck am Schluß; wir waren im Ausland.

Wenn Deutsche ins Ausland kommen, dann sehen sie gleich immer etwas, was ihnen sehr imponiert. Mir ging es natürlich auch so. Während nämlich der reichsdeutsche Teil des unterirdischen Ganges völlig finster gewesen war, war der herididasufoturanische durch kleine, elektrische Bogenlampen sehr gut erhellt. Ich kann unserem Auswärtigen Amt den Vorwurf nicht ersparen, daß es an der Grenze von Herididasufoturanien nicht für eine dem Deutschen Reiche würdige Beleuchtung gesorgt hat, und ich werde die Sache energisch zur Sprache bringen, falls ich noch einmal in den Reichstag gewählt werden sollte.

Zwei herididasufoturanische Grenzjäger tauchten auf und forschten nach Dynamitbomben und Alkohol. Wir hatten nichts Steuerbares oder Verbotenes und konnten passieren. (In Parenthese bemerke ich, daß deutsche Grenzjäger da unten auch fehlen; ich muß unbedingt in den Reichstag.)

»Achtung, Herrschaften! Der Fahrstuhl!«

Wir bestiegen das elegant ausgestattete Coupé eines Fahrstuhls und sanken zur Tiefe. Wie tief es ging, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß dahinunter auch der riesigste Erdbohrer nimmer reichen wird, daß in jenes Gebiet auch der genialste Doktor-Ingenieur niemals dringen wird. Wenn überhaupt ein Mensch sich dahin durchgräbt, so wird es ein Kind mit seinem Blechlöffel sein.


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