Paul Keller
Das letzte Märchen
Paul Keller

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Rübezahls Grab.

Das Leid um meine verlorene Liebe trieb mich auf die Wanderschaft. In Marilkaporta war ich nie sicher, daß mich die Freundlichkeit des alten Königs zu Hofe lud und daß ich alsdann die wiedersehen mußte, die mir so schweren Herzenskummer bereitet hatte.

Sie war nicht treulos gegen mich gewesen; ich hatte kein Recht auf ihre Liebe und Treue. Aber die Freundin hatte sie gekränkt, hatte ein lichtes, liebes Bild in mir zerstört. Ich wollte sie nicht mehr sehen. Nie mehr!

Weiß wie Schnee!
Rot wie Blut!
Schwarz wie Ebenholz!

wenn ich nur die unselige Melodie dieser Worte noch einmal aus Sinn und Seele bekommen hätte! Sie klang mir im Wachen und Träumen immer in der alten Qual.

Das Schneewittchen hatte seinen Prinzen. Nicht einen, der es vom Tode zu einem schönen Leben erweckte, einen, der es aus dem Leben zum Tode der Entwürdigung brachte.

Der Haß zog in mein Herz gegen den Mann, der das getan. Weil er schön war, blendete er sie, wie er auch mich geblendet hatte, wie er alle blendete. Dem schönen Menschen ist es leichter, seine Verbrechen zu verschleiern, als dem häßlichen, seine Güte zu erweisen.

Den Prinzen Hamrigula traf ich einmal. Er drückte mir die Hand und sprach ein paar freundliche Worte über gleichgültige Dinge; aber ich gewahrte, als ich einmal schnell aufschaute, daß er mich mit traurigem Blicke ansah.

Vielleicht wußte er es. Gewiß wohl! Er liebte das blonde Königskind, das der andere hinterging, das der andere nur deshalb begehrte, weil die Mitgift eine goldene Krone war.

Als ich noch mit Hamrigula sprach, fuhr Prinz Helgin vorüber. Er saß in einem Wagen, der von vier weißen Ziegenböcken gezogen wurde, von denen jeder einen schwarzen Fleck an der Brust trug. Und er lächelte glücklich und dumm.

Auch ein Anwärter auf den Thron! Der und Prinz Matturga, dessen Kraft im Sumpfe vermoderte, und – Juvento, der Treulose. Da sagte ich zu Hamrigula:

»Ich bleibe nicht lange hier. Schnell wird mein Jahr vergangen sein. Aber wenn ich lange fort bin, wünsche ich, daß Sie in diesem Lande die Krone tragen mögen.«

Sein Gesicht blieb unbeweglich; aber sein Atem ging schwer, als er sagte:

»Ich wünsche es auch! Wenn es anders kommt, ist es nicht um mich. Ich finde wohl eine stille Ecke für mich. Aber das Vaterland wird leiden, und Goldina wird verderben.«

Darauf ging er schnell davon, ohne mich noch einmal anzusehen.

Ich zog auf die Wanderschaft, – floh aus der goldenen Stadt. Was hatte mich das Leid befallen in dieser wunderbaren Welt? Warum genoß ich nicht glücklichen Herzens, was mir nur einmal beschert war im Leben?

Weil ein anderer Mensch mit mir gezogen war. Auf der Reise ins Land der Märchen ist der störendste Genoss' das Weib.

Weiß wie Schnee!
Rot wie Blut!

Das ist das Törichte, das Kleine und doch das rein Menschliche im Künstler, daß ihm die Farben eines Weiberkopfes alle schimmernde Schönheit rundum überstrahlen können.

Ich sah alles nur in der Verschleierung meiner sehnsüchtigen Augen, die glänzenden Berge, die tiefen Kohlentäler, die zugleich schwarz sind und diamantenweiß schillern, die heimlichen Wiesensteige und wundersamen Schnitzwerke der Brücken.

Es war ein tiefer Zorn über die törichte Hoffnung in mir, daß alles noch gut werden könne. Und ich wußte doch, daß die meisten Romane tragisch enden oder sich in der Öde verlieren.

Etwas Ablenkendes, etwas recht Banales brauchte ich.

In einem Buchhändlerladen hatte ich mir einen Baedeker von Herididasufoturanien gekauft. Er machte mir keinen Spaß. Baedeker machen ja selten Spaß; aber der von Herididasufoturanien hätte es doch tun müssen. Darum hatte ich ihn ja hauptsächlich gekauft.

Nein, es war nichts! Mürrisch suchte ich unter »R« im Register nach »Rübezahls Grab.«

Ich hatte mancherlei davon gehört und wollte hingehen und es anschauen. Da – Seite 257!

**Rübezahls Grab. Grabmal Rübezahls. Gott 2. Klasse. Herrschte im südwestlichen Schlesien und in Nordböhmen von 3462 bis 526879l7 (nach der Erbauung Marilkaportas gerechnet). Grab befindet sich genau unter der Schneekoppe. Diese inwendig zu einer

**Kuppel ausgebaut. Pläne von Primuguntosto († 49518004), bis zur zweiten Galerie ausgeführt von Bramatinogo († 500l7819), die Vollendung bis zur Laterne von verschiedenen Meistern. Die Kuppel ist kassettiert, bis zur ersten Galerie aus l8 kar. Gold, von da bis zur 2. Galerie aus Diamanten, bis zur Hälfte gegen die Laterne hin aus Rubinen und von da (weil unten nicht mehr erkennbar) aus böhmischen Granaten ausgeführt. Genau im Brennpunkt der 5719½m hohen Kuppel das Grab Rübezahls. Granitplatte. Gewicht 36715 t mit etwas Knieholz (Pinus Pumilio) Habmichlieb und verschiedenen Gebirgskräutern. Rechts und links Geyser. Der linke Schacht ist der tiefere. Aus dem nahen Gebüsch gerühmte Bergmusik. Der Gott liegt lang ausgestreckt auf dem Granit. Sehr wohl erhalten. Über ihn gebeugt Emma, ehemalige Braut des Gottes; ebenfalls tadellos erhalten.

Entree frei. Der älteste der zahlreichen Wächter gibt auf Wunsch Auskunft. (Kein Trinkgeld!)

Zehn Minuten entfernt (den Weg links über die Brücke einschlagen!) Hotel Rübezahls Ruh. Logis 100 Gulden, Frühstück 50 Gulden, Diner 80 Gulden, Souper 60 Gulden. Meist gelobt!

Ich warf das Buch auf die Erde, besänftigte aber meinen Zorn und hob es wieder auf, da es sehr teuer gewesen war. Für das Wegefinden, für die Auswahl der Hotels und hundert Nebensächlichkeiten war das Ding wohl zu gebrauchen. Schließlich war es auch nicht Schuld des Buches, wenn die Leute angesichts eines Kunstwerks oder auf historischer Stätte nicht den Geist des Genies, nicht die Wucht der Jahrhunderte auf sich wirken ließen, sondern lieber in der Glücks- und Feierstunde ihres Lebens im elendesten Telegrammstil Namen, Jahreszahlen und öde Maßziffern lasen. Nicht Schuld des Buches war es, es lag lediglich am Stumpfsinn der Herididasufoturanier. Deshalb hob ich den Baedeker auf. Aber ich irrte drei Tage lang umher, ehe ich das Rübezahlkapitel so weit vergessen hatte, daß ich mich an die hohe Stätte des Riesengrabes wagte.

Daß der Berggeist gestorben war, wußte ich längst, wußte es schon, als ich noch droben war. Wer glaubte noch an ihn, wer hatte noch Freude an seiner romantischen Gestalt? Keiner! Der kleinste Knabe zeigte ein ledernes Skeptikerlächeln, wenn ihm einer vom Rübezahl sprach.

Der Sturmwind fegte wie einst über die Berge, aber Berggeists Stimme klang daraus nicht mehr, nur Windrichtung und Temperatur maß ein eifriger Beamter; wie sonst zogen sich die Wege aus dem Tal hinauf zur Höhe, aber Rübezahl legte darauf seine Wurzelgeflechte als neckische Fußangeln nicht mehr; die seinen Strandschuhtreter würden sich bei der nächsten Zeitung gar bitter beschweren; wie einst liegen Menschenhäuser auf den Wiesenplänen, aber die Einsamkeit mit ihren Schauern der Furcht und Größe ist längst geflohen vor Kellnergeschnarr, Kartengedresche und albernen Gassenliedern.

Es ist gut, alter Berggeist, daß du gestorben bist; schon gestorben bist, ehe die erste Berglokomotive dich gerädert hätte. Mach Platz, alter Riese! Die Faulen wollen nicht mehr wandern, sie sind dick und können an dir nicht vorbei. Mach Platz, abgedankter Geist! Es fehlt da oben nichts mehr von den Glorien der modernen Zeit, von den elektrischen Glühbirnen bis zur gemalten Dirne, – du und deine Romantik, ihr passet nicht mehr ins Milieu des Gebirges, ihr seid arg stilwidrig.

Leg dich schlafen, Rübezahl, tief unter deine geliebten Berge! Die Romantik hat längst in stille, dunkle Katakomben flüchten müssen, wenn sie ihre Gottesdienste halten will. Droben wird sie mit Pech bekleidet, mit dem schwarzen Kleide der Dummheit, und angezündet. Die Menschen studieren die Natur und entfernen sich von ihr. Weil sie zu kurz schauen, glauben sie, die Natur sei nichts Besseres als ein Studienobjekt. So verlieren sie, was sie erkennen. Die Naiven, die Törichten waren die Besitzenden. Und unsere Zeit ist klug, aber arm.

Ein stiller Wald nahm mich auf, ein Wald, in dem nichts war als keusches Grün. Seine Formen waren feierlich-einfach. Etwas Beklemmendes war da, wie in einer großen, leeren Kirche. Mit der Zeit wurde der Wald dunkler und öder. Parsifal fiel mir ein, der den Weg suchte zum heiligen Gralsberg. Der Weg zu allem Großen geht durch die Stille. Wie ergreifend hat es der große Wolfram gepredigt.

Mich aber befiel das Zittern des Unwürdigen, der in ein Heiligtum treten will. Ich setzte mich unter eine Tanne und faltete die Hände über den Knien.

Da trat ein Mann aus dem gegenüberliegenden Gebüsch. Er trug das Kleid der Zwerge, wie es sich in der Phantasie der Kinder darstellt: einen grauen Rock, eine Kapuze auf dem bärtigen Kopf, grobe Bergschuhe und in der Hand einen wilden Stecken.

»Willst du zum Grabe des Meisters?« fragte er.

Ich nickte.

»Warum setzest du dich hierher? Bist du müde?«

»Mir ist bange!«

Er sah mich freundlich an.

»Ich werde dich hinführen,« sagte er.

»Aber ich bin keiner von euch!«

»Du bist ein Mensch! Ich sehe es aus deinen Augen, die zugleich kinderjung und steinalt sind. Ich werde dich trotzdem hinführen.«

»Wann ist er gestorben?« fragte ich leise.

Das Gesicht des Gnomen wurde traurig.

»Vor wenigen Jahren. Er ist heruntergekommen zu uns, krank und mit bitterem Herzen. Mit der letzten Kraft hat er eine Granitplatte vom Berge gebrochen und sie unter die große Kuppel getragen. Er hat kein Wort mehr geredet und ist auf dem Stein gestorben, dort, wo er jetzt liegt.«

Wir sahen uns an und schwiegen eine Weile.

»Das Weib ist bei ihm?« fragte ich dann. »Wie kam sie hierher?«

»O, es ist eine traurige Geschichte! Du weißt, daß er sie sehr geliebt hat. Er hat sie mit Herrlichkeit und süßen Freuden beschenkt. In unserm Lande hat er ihr einen Prunksaal bauen lassen mit eben derselben großen Kuppel, die unter dem Riesenberge ist. Dort hat er sie hingeführt nach jedem Tage, wenn oben die schwarze Zeit kam, die ihr Nacht nennt. Dann hat er goldene Feste gefeiert unter der großen Kuppel. Ich sage dir, Fremdling, daß nie Herrlicheres war, noch sein wird. Er hat sie geliebt mit der Liebe seiner Weisheit und Güte. Aber so wie er groß war, war sie klein. Sie begriff seines Wesens Hoheit nicht, sie fror an seiner Brust, die Stürme barg, und floh, nachdem sie ihn verspottet hatte.«

»Das alles weiß ich!«

»Zu einem Prinzen ist sie gegangen, zu einem armseligen Menschenprinzlein! Aus den Armen des Riesen, des Helden, zu einem, der nichts war!

Und siehst du, Fremdling, da ist sie elend geworden!

Wen einmal die Liebe eines Gewaltigen begnadete, der kann nicht mehr glücklich sein im Arm des Kleinen. Seine Schönheit dünkt ihm lächerlich, sein Reichtum armer Flunker, seine Rede Geschwätz. Mitten in den Freuden, die zu bieten sich der Kleine zermartert, spricht die Sehnsucht von dem Großen, Reichen, dem das Schenken ein Spiel war. Was der Kleine mühsam bietet, ist nicht so viel als das, was der Große wegwerfen konnte, Wer das einmal erfuhr, dem hilft keine Täuschung, kein Irrglaube mehr über seine Verbannung weg. Und sie ist abermals geflohen, sie hat zurück gewollt zu ihm, sie hat den Heimweg gesucht zu seiner starken, reichen Liebe!

Das aber ist das Geschick, daß niemand den Heimweg zu verratener Größe wiederfindet.

Durchs Gebirge schlich sie als Bettlerin im Sommer und im Winter. Sie spähte bei Tage nach ihm aus, sie lauerte des Nachts am Wege, ihn zu überraschen. Sie fand ihn nie wieder.

Eines Morgens fanden sie Bauern am Wege und meinten, sie sei tot. Sie gruben in der Sünderecke auf dem Kirchhof ein Grab und senkten sie hinab.

Und gerade an dieser Ecke ist unser Himmel Eurer Welt am nächsten.

Als die Schollen auf den Sarg fielen, sprang die dünne Erdschicht unter dem Sarge. Die Begrabene sank ein Stücklein nach unten und fand sich auf der Spitze unseres höchsten Berges wieder.

So kam sie zu uns. Aber auch bei uns fand sie den nicht wieder, den sie begehrte. Durch ungezählte Zeiträume ist sie suchend durch unsere Länder geirrt. Alljährlich badete sie in der Jugendquelle und blieb blond und schön.

Am Tage, nachdem der Meister gestorben war, kam sie. Sie fand ihn tot unter der Kuppel, dort, wo ihr seine Liebe alle Seligkeitswunder geboten hatte. Da legte sie den blonden Kopf an seine stille Brust und blieb bei ihm.«

Es war eine lange Pause. Dann begann der Gnom aufs neue:

»Den goldenen Prachtsaal hat der Meister niedergerissen, als ihm die Geliebte entflohen war. Jetzt ist dort dichter Wald. Auch die Kuppel wollte er einreißen. Als er aber sah, wie schön sie sei, vermochte er nicht ein Steinchen von ihr zu lösen. Jetzt ist sie sein herrliches Grabmal.«

»Wir wollen gehen,« sagte ich und stand auf.

Es war ein schmaler Pfad, auf dem wir gingen. Der Gnom schritt mir voraus, ich folgte ihm schweigend.

Da plötzlich – etwas, das ich lange nicht sah – wurde es dunkel.

Ein Blitz fiel, und ein prasselnder Donnerschlag durchdröhnte die Luft.

Dann war es wieder hell. Aber eine wilde Sturmmelodie schlug mir ans Ohr.

Und es wurde lichter, – fast, als ob Sonnenschein wäre.

Immer lichter!

Ein Strahlen fing an von weißblauem Licht.

Wir kamen in einen Hohlgang. Über uns wölbten die Bäume ein dichtes Dach.

Wir gingen immer in dem weißblauen Licht. Vor uns war ein Silberglanz, den kein Auge durchbrechen konnte. Und rechts und links waren Wände und über uns das Dach.

Da plötzlich war der Hohlgang zu Ende.

Die Kuppel war über mir.

Ich fiel auf beide Knie.


Lange, lange später kniete ich am Haupte des Riesen und schaute in seine Augen.

Sie standen weit offen und waren nach oben gerichtet.

Blau wie das Meer!

In uralter Zeit, ehe die Menschen waren, schlug das Meer an den Fuß des Riesengebirges. Erst als das Meer in die Ferne zurückwich, kamen Menschen und bauten Häuser auf den Sand und säten Samen in den Schlamm, den das Meer zurückgelassen hatte.

Als das Meer noch an die Berge schlug, hat es der Meister gesehen alle Tage.

Und seine Augen wurden blau und tief.

Jetzt noch liegt die Königsmacht darin, die Liebe und der Groll, die Heiterkeit des Starken und die Bitterkeit des Erfahrenen. Nur einen leichten Schleier hat der Tod über diese Tiefen gelegt.

Er schaut hinauf in den Himmelsbau, der sich über ihm türmt, in die Kuppel. Ein Berg, eine Erdenlast, eine Unendlichkeit des Stoffes und der Schwere und doch leicht als ob alles entfliegen und zerrinnen könnte wie ein leuchtender Abendhimmel.

So baut das Genie, so spielt es mit der Last, mit der Schwere.

Da werden die Steine wie Seide. Sie bleiben glänzend, aber sie werden weich, biegsam und fügsam. Da wird das Märchen zur Wahrheit und die Wahrheit zum Märchen.

Nur der nicht sieht, der muß glauben. Aber solches Werk siehst du und bist wie ein Ungläubiger.

Ich stehe auf und gehe den ausgestreckten Arm des Riesen entlang. Auf die letzte Spitze des Fingers drückte ich scheu meine Lippen.

Auch an meine Kinderheimat hat dieser Finger heimlich geklopft, auch mir hat er die buntesten Bilder meiner Jugend gemalt.

Und abermals küsse ich den Finger.

Nicht für mich! Für meine Brüder droben, für die ich Abbitte tun will.

Meine Gedanken sprechen zum Meister:

»Verzeihe den Brüdern! Sie irren! Der Qualm ihrer Schlote hat ihnen die Luft verdunkelt, der Hunger des Leibes hat ihrer Seele Sehnsucht übertäubt. Wenn sie in deine Berge kommen, treibt sie ihr Leid, auch wenn sie es nicht wissen. Und sie lieben dich noch immer auch wenn sie über dich spotten!«

Von der Brust des Schlafenden her blinkt ein goldlockiger Scheitel.

Das Weib!

Eine von uns!

Meine Schwester!

Das Sinnbild aller derer, die sich von der Natur abwenden, die ihrer Majestät spotten und im kleinlichen Prunk enger Häuser Ersatz suchen. Wenn die Reue kommt, sind sie zu Bettlern geworden. Und erst nach langer Irrfahrt, wenn sie sterben, ruhen sie wieder an der Brust des Gewaltigen.

Mein Auge hängt an der Gestalt des Meisters und des toten Weibes. Zwei springende Feuerbrunnen sprudeln zur Höhe an beiden Seiten. In ihrem roten, rinnenden Lichte liegen die beiden.

Und eine wundersame Musik ertönt unter wechselnden Wetterzeichen. Die Dunkelheit kommt und birgt die Kuppel in Nacht. Die Blitze ziehen ihre Flammenknien über das aufleuchtende Gestein. Dann grollt der Donner in schwerem Zorn seine wilden Flüche. Der Sturmwind rast durch die Finsternis, und wenn er sich an den Felsen stößt auf seinem eilenden Lauf, schreit er auf in seinem Schmerz, und mit ihm klagt das Echo. Aber der Tag kommt bald wieder und das helle Licht. Dann ist eine große Stille, und nur ein Brünnlein singt sein zartes Liebeslied für kleine Blumen.

Ich aber gehe durch all diesen Klang und Glanz hindurch zu dem toten Menschenkinde und streiche mit zärtlicher Bruderhand eine blonde Locke aus der Stirn der Schuldigen.


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