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Der Tag, an welchem Catharina bestattet werden sollte, war angebrochen, und von allen Seiten strömten Theilnehmende und Neugierige herbei, um der Feierlichkeit in der Kapelle beizuwohnen, denn die Jungfrau war von Allen geliebt. Mit freundlichem Sinn und zarter Hand hatte sie, namentlich unter den Armen, viele Thränen getrocknet, viel herbes Weh gelindert – kein Wunder, daß manches Auge feucht wurde als man die theure Hülle forttrug, daß die Herzen Aller von innigem Mitleid für den jungen Mann erfüllt waren, der todtenbleich, von dem Abt gestützt, schwankenden Fußes dem Trauerzuge folgte. »Ruhe sanft, du Theure!« hatte er geflüstert, als er zum letzten Mal Catharinens kalte Lippen küßte, »ruhe sanft, ich folge dir bald!« Von dem Augenblick an blieb er still und schweigsam – aber dies Schweigen schien dem Abt eine tiefere Bedeutung zu haben, es schien ihm etwas Beunruhigendes darin zu liegen.
Auf dem Gottesacker sprach Alles von Frieden: die Blumen, die still auf den Gräbern blühten, die hohen Linden, durch deren sanft bewegte Zweige es gleichsam klagend rauschte, selbst die kleinen Vögel zwitscherten leise, und das ernste Grabgeläute klang dumpf durch die Stille, wie zum Gruß der Entschlafenen. In der Kapelle stand die schwarze Bahre von Wachskerzen umgeben und von den Lippen des Priesters vernahm man das: »Sei gesegnet! Gehe ein zu deines Herrn Freude.« Die Seelenmesse wurde gelesen, aber der Fähndrich hörte nicht danach; den Blick starr auf den Sarg gerichtet, der sein Theuerstes umschloß, war er nur in seinen Schmerz versunken. Erst als man Jenen hinaustrug ermannte er sich, doch lag ein herzzerreißender Ausdruck bittern Weh's auf seinem Antlitz. Am Grabe sprach der Priester Worte des Trostes zu dem gebeugten jungen Mann; er sprach aus der Fülle des Herzens, denn er fühlte selbst, die Wunde sei unheilbar. Wie schwer es ihm aber ward, hier zu reden, das ahnte Keiner; – er hatte gewünscht, sich dieses Mal seiner Amtspflicht zu entziehen, aber der Abt drang auf die Erfüllung derselben, sowohl der Gemeinde, als der leidtragenden Familie gegenüber; es kostete ihn einen Kampf bis aufs Blut – aber er kam. Doch als die ersten Erdschollen auf den Sarg hinabrollten und Wilhelm van der Houve die Hand zum Himmel aufhebend, laut ausrief: »Dieser Tod soll gerächt werden!« da erbebte des Priesters Herz, daß auch er sich nur mühsam aufrecht hielt.
Etliche Tage danach kehrte der Abt an den gräflichen Hof zurück, von dem Fähndrich begleitet. »Ich kann nicht länger dort bleiben, wo Alles mich an Catharina erinnert,« versicherte Wilhelm und erzählte jetzt erst, wie plötzlich die Thür seines Kerkers geöffnet worden sei, nachdem er die Gräfin mehrfach um Gnade angefleht, und wie er alsdann zugleich den Befehl erhalten, so rasch als möglich nach dem Wendenberg'schen Landhause zu eilen, wie er die Nacht durch gereis't – und dennoch zu spät gekommen sei. Im Uebrigen blieb der junge Mann schweigsam und weder der Versuch des Abtes, ihn in ein Gespräch zu ziehen, noch der Ritt durch die belebte Gegend waren im Stande ihn aus seinen Träumereien aufzurütteln. Als sie endlich die Residenz erreicht und sich von einander verabschiedet hatten, begab der Abt sich nach dem Schloß, während der Fähndrich in der Stadt eine kleine Wohnung suchte, die ihm bis zum Ablauf seines Urlaubs als Aufenthalt dienen sollte.
In den Gemächern der Gräfin wurde eine lebhafte Unterhaltung geführt, als man der hohen Frau die Rückkehr des Abtes meldete, den sie sofort zu sich entbieten ließ und im Kreise ihrer Damen empfing; sie erkundigte sich nach allen Einzelheiten seiner Reise, und der Bericht über Catharinens Sterben ergriff Jacoba so gewaltig, daß sie ihre jungen Gefährtinnen für eine Weile entließ, um ungestört in der ernsten Unterredung mit ihrem Beichtvater zu sein. Er sagte ihr Alles, was seine Seele erfüllte, schilderte ihr den Schmerz, dessen Zeuge er gewesen und wies auf ihr Zögern mit der Freilassung, als auf eine schwere Schuld. Er sprach zum Herzen der Gräfin und sie weinte.
Jacoba weinte. Waren es Thränen der Reue, weil sie so hart gewesen, Thränen der Furcht, weil der Geistliche sie vor möglicher Rache des gereizten jungen Mannes warnte, Thränen des Mitleids über das plötzliche Ende einer so glücklichen Verbindung, oder weinte ihr Hochmuth Thränen, die Wahrheit ohne Rückhalt hören zu müssen? Die Gräfin wußte, kein Wort ihres Gespräches mit dem Abt werde je über seine Lippen kommen und deshalb gestand sie ihm freimüthig, wie schwer es sie jetzt drücke, seiner Fürsprache für Wilhelm van der Houve nicht früher willfährig gewesen zu sein; – in solcher ernsten Gemüthsstimmung aber hielt der Abt es für richtig, die hohe Frau allein zu lassen, wohl wissend, wie stilles Nachdenken oft tieferen Einfluß auf die Seele übt, als strenge Worte und Ermahnungen, und vielleicht hätte die Gräfin sich stundenlang in melancholische Gedanken versenkt, wäre nicht plötzlich Aleide mit der freudigen Botschaft bei ihr eingetreten: »Es naht ein Ritter auf schwarzem Roß! eilt Euch, meine Gräfin!«
Jacoba lächelte wehmüthig.
»Wie nun?« fragte die Jungfrau, »hat der Abt Euch Unangenehmes gesagt, oder reut Euch Euer Glück? Zürnt Herr Arkel Euch? – Doch nein, dann würde er so eilig nicht reiten.«
»Herr Wilhelm mir zürnen?« entgegnete Jacoba, während sie Aleiden's Wangen freundlich streichelte; »nein, mein fröhliches Schwesterchen, nimmer wäre das möglich und nimmer reut mich mein Glück. Auch hat unser ehrwürdiger Abt mich nicht gekränkt – aber Trauriges erzählte er mir und das stimmt mich ernst.«
»So ernst, daß Ihr nicht einmal eilt, Herrn Wilhelm zu begrüßen? Theilt es mir doch mit, meine Jacoba, wenn's nicht Geheimnisse sind, und ich werde Herrn Wilhelm bitten, Euch zu trösten.«
»Als ob das noch nöthig wäre! Nein, liebste Aleide, was er wissen muß, das werd' ich ihm selbst sagen, was ich jetzt aber Euch vertrauen will, das behaltet für Euch;« und ihre Freundin sanft zu sich ziehend, sagte sie leise:
»Erinnert Ihr Euch eines Morgens, als wir, noch nicht nach der Residenz zurückgekehrt, spazieren ritten und uns eine Jungfrau begegnete, die mit anmuthiger Verneigung uns einen Strauß Blumen bot? Ich fragte Euch damals, wer das junge Mädchen sei, und Ihr wies't mich auf ihren Begleiter, ihren Verlobten, der das rautenförmig gewebte Wamms der Kabeljauer trug. Erzürnt warf ich die Blumen von mir und wandte mich mit verächtlichem Blick von dem schönen Kind – erinnert Ihr Euch dessen?«
»Es wird sich wohl so verhalten, liebe Gräfin, doch muß ich gestehen, daß mir jener unbedeutende Vorgang entfallen ist.«
»Jener unbedeutende Vorgang!« wiederholte die Gräfin, »ja, so sagte ich damals auch; aber die Sache hat jetzt eine Bedeutung gewonnen, die mir für's ganze Leben bleibt. Ich sah damals mit Haß auf den jungen Mann, weil sein kräftiger Arm meinen Gegnern diente und er dazu verlobt und glücklich war.«
»Aber liebe Gräfin,« wandte Aleide ein, weshalb quält Ihr Euch damit! die Jungfrau weiß das nicht und wird Euch nicht zürnen.«
»Ach nein,« entgegnete Jacoba, »sie wird's auch nimmer wissen, denn sie ist todt. Arme Catharina! sie hat viel gelitten und nicht ohne meine Schuld; Ihr Bräutigam wurde bei Gorkum gefangen und war, trotz der Fürsprache des Abtes, nicht unter den zuerst Ausgewechselten. Nicht so sehr geschah dies, weil ich ihn für mitschuldig hielt an dem Verrath der Bürger Gorkums, sondern weil ich mich des Glückes seiner Braut zu lebhaft erinnerte, ein Glück, das mir damals versagt war und mich ärgerte. Als man später wiederholt auf die Freilassung des jungen Mannes drang, durfte ich sie nicht gestatten, um nicht seinen Mitgefangenen gegenüber ungerecht zu erscheinen, und sicher säße er heute noch im Kerker, hätte nicht Herr Wilhelm sich so kräftig für ihn verwandt.«
Die Gräfin schwieg und Aleide störte sie nicht in ihrem Sinnen, endlich jedoch fuhr Jacoba fort: »Jetzt wißt Ihr, was mich drückt, liebe Freundin, und nicht wahr, solches könnte einen stärkeren Geist, als den meinigen, beugen? Vermöchte ich aber jenes arme Kind in's Leben zurückzurufen, alle meine Schätze gäbe ich dafür hin!«
»O meine Jacoba, könnten Euch in diesem Augenblick doch Viele sehen!« rief die Jungfrau erregt aus, die kleine Hand der Gräfin mit Wärme erfassend, »Ihr werdet oft so unrichtig beurtheilt und –«
»Und mir genügt es, versteht und liebt meine Aleide mich,« unterbrach die Gräfin sie. »Es geht den Fürsten einmal nicht anders,« setzte sie hinzu; »nach dem Schein nur beurtheilt, sind sie genöthigt die Beweggründe ihres Handelns vor Vielen verborgen zu halten, und während man ihre Irrthümer bespricht und rügt, denkt Keiner daran, wie sehr sie selbst in der Folge ihre Mißgriffe beklagen und richten. Nein, Aleide, leicht und segensreich ist das Leben der Herrscher nicht; – von Einzelnen geachtet, von Vielen verkannt, wenn nicht gehaßt – das ist ihr irdisch Loos.«
»Nun, völlig so schlimm ist's wohl noch nicht,« versetzte die Jungfrau scherzend. »Ihr wißt doch, liebe Gräfin, wie Eure Unterthanen treu zu Euch stehen und daß die aufrührerischen Edlen sowohl, als die städtischen Regierungen eine Hochschätzung für Euch haben, größer als je Eure Gegenpartei sie genossen. Doch, liebe Gräfin, wir verplaudern die Zeit, und Herr Wilhelm zürnt mir wohl gar, daß ich ihm seine Jacoba so lange raube. Seid nur getrost und vertraut Euch Eurem Ritter, er wird der beste Arzt sein für Euren Gram; – übrigens kann Euch ja nicht einmal eine Schuld beigemessen werden, da die Jungfrau doch keine Sekunde länger gelebt haben würde, hätte sie ihren Verlobten noch zurückkehren sehen; ihre Stunde hatte wohl geschlagen.«
»Möglich, daß Ihr Recht habt; aber doch ist's mir, als klebe Blut an meiner Hand, Blut,« wiederholte Jacoba zusammenschauernd, »das einst von dieser meiner Hand gefordert werden könnte.«
»Wie stellt Ihr Euch Alles so schwarz vor, liebe Gräfin,« entgegnete Aleide kopfschüttelnd, indem sie aufstand, um in den Vorsaal zurückzukehren, wohin ihr Jacoba bald folgte.
Als Letztere eintrat, erhoben die Hofdamen sich; die Gräfin grüßte sie freundlich, während ihr Auge Wilhelm von Arkel suchte, der ihr schon ehrerbietig nahte und den sie sofort nach einem geöffneten Fenster führte, durch welches frische Kühlung strömte, um dort, von ihren Damen unbeachtet und unbelauscht, mit ihm sprechen zu können.
Die Gräfin ließ sich auf eine Sitzbank hinter den schweren Vorhängen der Fensternische nieder, aber Herr Wilhelm nahm bald ihre wehmüthige Stimmung wahr, fragte nach der Ursache derselben, und als sie mit der Antwort zögerte, versetzte er in scherzendem Ton, obgleich auch auf seiner Stirn eine dunkle Wolke lag:
»Hat meine Jacoba Geheimnisse vor mir?« und weil die Gräfin immer noch schwieg, fuhr er fort: »so will ich denn offenherziger sein. Auch ich bin heut' gar nicht aufgelegt, selbst Eure Gegenwart übt dieses Mal nicht den belebenden Einfluß auf mich, wie sonst, ohne daß ich einen besonderen Grund meiner trüben Stimmung anzugeben wüßte.«
»So geht's auch mir,« erwiderte die Gräfin zerstreut.
»Nein Jacoba,« entgegnete Herr Wilhelm, ihre Hand erfassend, »nein, Ihr seid nicht ohne Ursache so ernst, ich fühle es;« als sie es aber immer noch nicht über sich gewann, zu sagen, was sie so bekümmerte, wandte er sich etwas unmuthig ab. »Fällt's Euch denn so schwer, Euch mir zu vertrauen?« versetzte er rasch, »darf ich denn nicht in Eurem Herzen lesen?« Plötzlich aber den Ton ändernd, fügte er hinzu: »mir ist, als müßte der heutige Tag verhängnißvoll für mich werden, und doch ist der Himmel so klar und heiter und die Zukunft liegt so freundlich vor mir.« Jacoba tief in die Augen sehend, begann er nach kurzem Schweigen wieder im Flüsterton: »Werden diese Augen um mich weinen, trifft mich einst ein schweres Verhängniß? wird dies Herz wirklich um mich trauern, wenn ich nicht mehr bin?«
Jacoba schauerte zusammen. War dies eine zweite Warnung, war es eine Prophezeihung? Aengstlich blickte sie zu ihrem Verlobten auf: »o Wilhelm, was sprecht Ihr doch und verstimmt mich noch mehr!«
»Ja, ich bin wunderbar erregt heute,« versetzte er jetzt in heiterem Ton; »möge denn kommen, was will, ich habe das höchste Glück genossen, habe einen Himmel auf Erden gehabt,« und liebevoll zog er Jacoba an sich.
»Unsere Liebe macht uns so glücklich,« sagte sie sanft, »und arm und todt wäre, bei aller Herrlichkeit, das Leben ohne sie. Und doch konnte ich vergessen, daß auch Andere ein Recht an unsere Liebe und Fürsorge haben.«
»Was meint Ihr damit, theure Jacoba?«
»Ich meine, daß ich über das eigene Glück das Glück Anderer vergessen konnte,« erwiderte sie und erzählte ihm jetzt die Geschichte Catharinens, wie der Abt sie ihr mitgetheilt. Herr von Arkel hörte ihr aufmerksam zu und als sie geendet, schwieg er einen Augenblick. Dann sagte er: »Ich verstehe es sehr wohl, daß Ihr von solchem Ereigniß tief ergriffen seid; bei einem so zarten, weiblichen Gemüth wie das Eure, kann das nicht anders sein; aber liebste Jacoba, trifft Euch gleich der Vorwurf, ein letztes Wiedersehen der beiden Verlobten verhindert zu haben, an dem Tode der Jungfrau seid Ihr doch nicht schuldig. Sprecht mit Eurem Beichtvater darüber und sobald er selbst etwas ruhiger über die Sache geworden ist, wird er Euch damit trösten, daß ja kein Haar von unserm Haupte fällt, ohne den Willen Gottes und daß wohl Catharinens Zeit zum Sterben gekommen war.«
»Wird denn dadurch unsere Schuld an ihrem schweren Leid geringer?« fragte Jacoba ernst; – »o, es muß entsetzlich sein zu sterben, ohne den Geliebten!« setzte sie bebend hinzu.
»Vereint zu sterben, meine Jacoba, freilich, das müßte wie ein schöner Traum sein, doch ist das nur Wenigen vergönnt,« versetzte er halb ernst, halb scherzend, indem er sie sanft umfaßte und einen Kuß auf ihre Stirn drückte. »Doch kommt nun, und laßt die Träumereien fahren! Ihr sagtet mir ja für heute eine Spazierfahrt zu nach dem Wäldchen; darf ich Eure Damen rufen? Nichts wird beruhigender auf Euer erregtes Gemüth wirken, als die frische Luft und hernach ein eingehendes Gespräch mit Eurem Beichtvater.«
»Jetzt seid Ihr mir der liebste Beichtvater,« entgegnete Jacoba, indem sie sich erhob und aus der Fensternische hervortretend, ihre Damen aufforderte, sich für eine kleine Spazierfahrt bereit zu machen. Bald danach fuhr die Kalesche vor, die Gräfin nahm Arkels Arm, und von zwei Jungfrauen, die heute den Dienst hatten, gefolgt, begab sie sich nach dem Schloßhof, wo der Wagen ihrer wartete.
»Bei dem großen Weiher soll angehalten werden,« befahl Herr von Arkel dem Lakai, und die Gräfin nickte zustimmend. »Dort wollen wir ein wenig wandeln und plaudern,« fügte er zu Jacoba gewandt hinzu, »es ist ein so hübscher Platz.«
»Ja, es ist wirklich romantisch dort,« sagte sie in heiterm Ton.
Nach kurzer Fahrt war der Weiher erreicht, man stieg aus, das fürstliche Paar ging langsam voran und die Hofdamen folgten in einiger Entfernung. Jacoba und Arkel sprachen leise mit einander, vertieften sich in schöne Zukunftsträume, freuten sich ihres Glückes und dachten an kein Leid. Der Himmel war heiter und die Wintersonne spielte in den kahlen Aesten der hohen Linden; in der glatten Wasserfläche spiegelten sich die Ufer und der wilde Epheu rankte bis in die Spitze des Geisblatts, das im Sommer, in üppigen Zweigen herabhängend die Luft balsamisch durchzog und, Schatten gebend, der Fürstin Lieblingsplätzchen war. Unter dem wohlthuenden Einfluß der Natur gedachte das junge Paar nicht mehr der trüben Eindrücke von vorhin; Arkel ließ Jacoba in seiner Seele lesen und ihr Herz lag offen vor ihm.
Plötzlich nahte vom jenseitigen Ufer des Weihers ein junger Mann, eine anziehende Erscheinung, mit bleichem Antlitz; von weitem schon suchte sein Auge dem Blick Herrn Arkels zu begegnen und sobald dieser des Unbekannten ansichtig wurde, ging er der Gräfin ein wenig voran, auf Jenen zu.
»Seid gegrüßt, edler Herr!« redete er ihn an; die eigenthümliche Gluth aber im Blick des Fremden, von Weh und Bitterkeit zeugend, machte Arkel plötzlich verstummen; übrigens war weder in seinem Wesen, noch in seiner Kleidung etwas Besonderes, doch ließ die Haltung, trotz des bürgerlichen Wammses, den Edelmann erkennen, und als er sich mit den Worten an Arkel wandte: »Verzeiht einem Unglücklichen, der ein glückliches Zusammensein stört,« wich Jenem alle Furcht. Freundlich erwiderte er:
»Woher kommt Ihr, und was wünscht Ihr von mir oder von der Gräfin?«
»Woher ich komme? Drüben steht mein Roß, das mich hierher gebracht und hernach an eine Stätte des Verderbens tragen wird. Doch, sagt mir, seid Ihr Herr von Arkel, der Verlobte der Gräfin?«
»Der bin ich.«
»So hat das Geschick selbst mich Euch in den Weg geführt, ein Geschick, dem ich nicht ausweichen kann.«
»Welch seltsame, räthselhafte Worte sprecht Ihr, junger Mann! – sagt mir einfach, was Ihr begehrt, unsere gnädige Gräfin wird gern Euren Wünschen Gehör geben und zu Eurem Glück mitwirken, steht's in ihren Kräften.«
»Unsere gnädige Gräfin!« und ein spöttisches Lächeln zuckte um die Lippen des Unbekannten, »unsere gnädige Gräfin kann das nicht mehr! Nur einen Brief muß ich ihr einhändigen – da Ihr jedoch für sie einzutreten scheint, gebe ich ihn Euch mit der Bitte: ›vergebt einem Unglücklichen und vergeßt ihn, denn –‹«
»Sagt uns aber doch wer Ihr seid,« unterbrach die Gräfin selbst ihn plötzlich, die, von Neugierde getrieben, Arkel nachgegangen war.
»Wer ich bin, Ew. Gnaden,« entgegnete Jener, sich leicht verbeugend, »thut hier nichts zur Sache. Ich war einst der einzige Sprößling eines alten, angesehenen Geschlechtes, Eurem Herrn Vater treu anhängend, wer ich bin – wer ich sein werde –«
Die Gräfin sah den jungen Mann ernst und bestürzt an; ihr war, als habe sie seine Stimme früher schon vernommen, als sei sie seinem Blick einmal schon begegnet – doch wo und wann –?
»Was enthält der Brief und wer gab ihn Euch?« fragte Herr von Arkel.
»Es ist der Abschiedsgruß einer Sterbenden, die nicht länger leben konnte und lebend schon gestorben war. Seid so gut und lest ihn der Gräfin vor, vielleicht wird sie das Weh, das sich darin ausspricht, mitempfinden!«
»Gebt ihn denn und sagt, was wir für Euch thun können, mir scheint Ihr seid unglücklich.«
»Ich war es, doch bin ich es nicht mehr. Bald wandle ich nicht mehr hienieden, denn sobald meine letzte Pflicht auf dieser schönen Erden erfüllt ist, eile ich zu einem Priester, um zu beichten und zu sterben. Vor wenigen Monaten war Alles anders, ich war glücklich, war hoffnungsvoll, – und jetzt – doch nehmt den Brief und les't!«
Die Gräfin war langsam weiter gegangen um ihre Bewegung zu verbergen; der seltsame Fremde hatte einen eigenthümlichen Eindruck auf sie gemacht und seine Stimme klang ihr so unheimlich, als folge das Unglück seinen Schritten. Eben wollte sie, jenem Gespräch ein Ende zu machen, Arkel zu sich rufen, als sie einen kurzen Schrei vernahm; sie sah sich um – noch stand der bleiche Fremdling neben Herrn Wilhelm. »Es ist nur eine kleine Schramme,« hörte sie diesen sagen, während Jener sich tief verbeugte, sich zurückwandte, sein Pferd bestieg und fortgallopirte.
»Was ist's?« fragte Jacoba, als Arkel ihr seinen Arm wieder bot.
»Es ist nichts,« versicherte er beruhigend; »der Fremde gab mir den Brief und verletzte dabei meine Hand ein wenig; kaum weiß ich wie das geschah, doch that es augenblicklich weh.«
Die Gräfin prüfte ängstlich die wunde Stelle. »Laß uns zurückkehren,« bat sie ängstlich, »wer weiß ob es nicht etwas Schlimmes ist!«
»Sorgt Euch nicht so, meine Jacoba; diese unbedeutende Verletzung darf uns doch den herrlichen Morgen nicht stören. Kommt, setzt Euch an meine Seite, so lese ich Euch den Brief vor – oder wollen wir damit noch warten?«
»Ja, warten wir damit. Der Abschiedsgruß einer Sterbenden möchte uns allen Frohsinn rauben. Gebt mir den Brief; während meine Kammerzofen mich zur Tafel ankleiden, werde ich ihn lesen und Euch später seinen Inhalt mittheilen. Ihr fürchtet doch nicht, Arkel, daß dieser Fremde Böses im Schilde führt?«
»O nein, danach sah er nicht aus.«
»Aber die Wunde?«
»Ist nicht von Bedeutung, liebste Jacoba. Ihr seid stets zu besorgt um mich.«
»Weil Ihr selbst es nicht genug seid, mein Freund!« und jetzt sich zu ihren Damen wendend, fragte sie leise, ob sie den jungen Mann gekannt hätten?
»Nein, Ew. Gnaden; doch ist er sicher von vornehmer Herkunft; das gab sich schon in der Art zu erkennen, wie er sich in den Sattel schwang und grüßte.«
Das fürstliche Paar wandelte weiter; Herr von Arkel suchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, sie plauderten bald wieder fröhlich mit einander und ahnten nicht, welch schwere Wolken sich über ihrem Haupt zusammenzogen.
Als die Kalesche erreicht war, stieg man ein und fuhr nach dem Schloß zurück; man scherzte viel unterwegs, beobachtete die Vorübergehenden, die, ehrfurchtsvoll grüßend, der kleinen, eleganten Equipage nachblickten und freute sich der köstlichen Waldluft. Herr von Arkel aber, immer schweigsamer werdend, schien abgespannt und trübe; er hatte seine Handschuhe zugeknöpft und Keiner dachte mehr an die geringfügige Wunde, Keiner bemerkte auch, wie er die verletzte Hand krampfhaft mit der andern hielt, als schmerze sie heftig.
Es war bereits spät geworden, als der Wagen wieder vor dem Schloß hielt und schon warteten einige Gäste im Eßsaal. Die Gräfin zog sich sofort zurück, vergaß aber, während sie sich für die Toilette ihren Kammerjungfern überließ, den Brief zu lesen; – man ging zur Tafel, doch schien Herr von Arkel auch jetzt weniger aufgeräumt, als er zu sein pflegte; er kämpfte sichtlich mit unangenehmen Empfindungen. Jacoba indessen war voll Scherz und Frohsein; sie theilte ihren Gästen den geheimnißvollen Vorgang nicht mit, suchte ihn zu vergessen und alle trüben Gedanken zu verscheuchen.
Und das gelang ihr völlig bis zu dem Augenblick, wo – – –
Man war beim Nachtisch. Die Lakaien hatten den Speisesaal verlassen, damit die Unterhaltung freier und ungezwungener sein könne; Plötzlich stand Herr von Arkel auf, leise und hastig bittend: »Ew. Gnaden wollen mich entschuldigen –« doch ehe noch Jacoba geantwortet, war er nach der Thür gewankt, hatte die Vorhänge zurückgeschlagen und im Vorsaal nach einer Stütze gegriffen. Herr van der Burg eilte auf einen Wink der Gräfin ihm nach und bot ihm seinen Arm. Die Gäste verabschiedeten sich nach einander, Jacoba entließ ihre Damen und zog sich in ihre Privatgemächer zurück. Dorthin beschied sie sofort den Abt, sagte ihm in wenig Worten was vorgefallen, sandte ihn nach Arkels Zimmer mit dem Auftrag, sich genau nach Allem zu erkundigen und falls der Arzt irgendwie besorgt sei, es sie sofort wissen zu lassen.
In ängstlicher Spannung harrte sie einer Nachricht, aber Stunde auf Stunde verlief, ohne daß der Geistliche zurückkehrte.
Hastigen Schrittes durchmaß Jacoba das Gemach, Todesangst hatte ihre Wangen bleich gemacht – aber die Etiquette verbot ihr selbst nach dem Zimmer des jungen Edelmannes zu gehen, bei dem begreiflich ihr ganzes Herz weilte. So fand Aleide sie, die, mit dem Recht einer Freundin, unangemeldet zu ihr eintrat.
»Kann mir denn Keiner sagen, was Herrn Wilhelm so plötzlich überkommen ist?« rief ihr Jacoba in höchster Erregung entgegen.
»Beruhigt Euch doch, liebe Gräfin,« tröstete die Jungfrau, »es wird vielleicht eine heftige Erkältung sein.«
»Ach nein! ich fürchte, es steht im Zusammenhang mit – o mein Gott, der Brief! wo ließ ich ihn doch? Herr Wilhelm gab mir jenen Brief und über die Eile mit der ich zur Tafel Toilette machte, vergaß ich ihn zu lesen; vielleicht gibt er einige Aufklärung – o meine Ahnung, meine Ahnung!«
Aleide suchte und fand das Pergament, uneröffnet noch, wie der Fremde es Herrn von Arkel eingehändigt.
»Gebt, gebt!« sagte Jacoba hastig und erbrach das Siegel, das die Buchstaben v. d. H. trug.
Jacoba las – aber das Blatt entfiel ihren zitternden Händen. »Entsetzlich, entsetzlich!« rief sie aus, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend. Aleide hob das Papier auf und las: »Catharina, du bist gerächt! Hat die Gräfin mein Glück vernichtet, so soll auch sie Schmerz tragen um den Jüngling, den sie liebt, und stirbt er, danke ich Gott, daß ich dich rächen durfte.«
Todtenbleich und bewußtlos sank die Gräfin in einen Sessel.
Indessen verlebte der Abt schreckliche Stunden. Schon als er auf Geheiß der Gräfin nach Herrn von Arkels Zimmer ging, vernahm er beim Eintritt in dasselbe einen Hülferuf. Der junge Edelmann lag ganz zusammengesunken in einem Lehnstuhl, das Antlitz von Schmerz verzerrt. Der eiligst gerufene Hofarzt hatte beim Anblick der kranken Hand sofort Herrn Wilhelms Aermel bis zum Ellenbogen aufgeschnitten – der Arm war dunkelblau und geschwollen, schwoll zusehends immer stärker, fast schon bis zur Schulter hinauf.
»Mein Gott, was ist hier geschehen?« fragte der Abt.
»Ohne Zweifel hat mich Einer, der mir einen Brief gab, vorsätzlich verwundet und mit einem giftigen Gegenstand,« erwiderte Arkel, indem er sich aufs Neue krampfhaft im Sessel hin- und herwarf.
»Wer war denn der Mann?«
»Ich weiß es nicht – ein Unbekannter – vielleicht gibt der Brief an die Gräfin Licht darüber – o mein Gott, mein Gott, wie leide ich!« jammerte der Kranke, sich in Schmerzen krümmend, während sein Antlitz sich dunkelroth färbte.
Der Arzt erklärte, es sei dieser Zustand Folge einer Vergiftung, möglicherweise in böser Absicht durch einen sogenannten Giftring bewirkt, durch den man Leichengift in den menschlichen Körper zu bringen verstehe – und nun ging dem Geistlichen plötzlich ein Licht auf; er gedachte des Fähndrichs und seines Racheschwurs am Grabe der Braut, den er nur für einen Ausbruch des augenblicklichen, heftigen Schmerzgefühls gehalten – nun aber erfahren mußte, wie der beklagenswerthe junge Mann ein so entsetzliches Vorhaben wirklich ausgeführt zu haben schien.
Noch ehe der Gräfin das Bewußtsein zurückgekehrt war und sie die Nachricht von der Erkrankung ihres Verlobten erhielt, noch ehe sie im Stande war an sein Sterbebett zu eilen, hatte sich das Gift dem ganzen Körper mitgetheilt und der Kranke, unter den furchtbarsten Leiden, seinen letzten Seufzer ausgehaucht.
Nur in abgebrochenen Worten hörte Abt Bernhard seine letzte Beichte und versah ihn danach noch mit den Sterbesakramenten.
Als nach der schreckensvollen Nacht der Morgen anbrach, war Herr von Arkel dem ewigen Morgen entgegengegangen und mit seinem Sterben tiefe Trauer in's gräfliche Burgschloß eingekehrt.
Die Rache aber hatte einen schauerlichen Sieg gewonnen.