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»Der Haag« und »'s Hage« sind eine Abkürzung von »'s Gravenhage.« Anm. d. Uebers.
Um die Mittagszeit des ersten Juni herrschte im großen Audienzsaal des fürstlichen Palais zu 's Hage ein ungewöhnliches Gedränge. Man harrte auf das Erscheinen der Gräfin, die, seit einem Monat in der Hauptstadt anwesend, jetzt erst ihre Edlen zu einer Audienz zusammenberufen hatte. Freudig ward diese Stunde von Vielen begrüßt und ihr mit einer Spannung entgegengesehen, die irgend ein wichtiges Ereigniß erwarten ließ.
In einem der Vorzimmer, wo man auf die Gräfin wartete und wo nur denen der Eintritt gewährt war, die ihrer Person unmittelbar nahen durften, sah man zwei Herren in lebhafter Unterredung.
Der Eine von ihnen, uns schon bekannt, ist Herr Johann von Baiern, Bischof von Luik; der Andere, bereits in vorgerückten Jahren, trägt die Kleidung eines angesehenen Edelmannes; sein von der Sonne gebräuntes Antlitz ist von Runzeln durchfurcht, sein Blick von zerschmetternder Wirkung für den, der sich im Zorn davon getroffen fühlt, hat mehr Abstoßendes als Zutrauen Erweckendes, seine Haltung zeugt von Hochmuth und Kraft. Er ist der Rathsherr der Gräfin und stammt aus dem erlauchten Hause von Brederode. Mütterlicherseits Erbe der Grafschaft Gennep, gehört Herr Walraaf zu den Ersten des Landes und niemals noch sah sich die Gräfin genöthigt, ihm das einmal geschenkte Vertrauen wieder zu entziehen.
Das Harren, im großen Saal so ermüdend, schien auch diesen beiden Herren lang zu werden, wenigstens rief der Bischof verdrießlich aus:
»In der That, meine Nichte stellt unsere Geduld auf eine harte Probe!«
»Darüber können wir uns nicht wundern,« antwortete Brederode; »ich begreife, daß die Gräfin so lange als möglich zögert, um die Audienz, die eine Frau sicher ungern ertheilt, so viel möglich abzukürzen.«
»Fürwahr, mein Herr, hegt Ihr von Eurer Gebieterin solche Gedanken, so kennt Ihr sie noch wenig,« erwiderte Herr Johann mit leisem Spott; »die Frau Gräfin, meine Nichte, gehört wahrlich nicht zu denen, welche den Umgang mit Edlen scheuen.«
»Das würde ihrer Stellung auch wenig angemessen sein,« entgegnete Brederode; »überdies wissen die Edlen zu gut, was sie einer Frau schuldig sind, um –«
»Um ihr alle Ehre zu erweisen, die ihr rechtmäßig zukommt,« ergänzte der Bischof; »doch sagt, läßt man es niemals daran fehlen?«
Herr Brederode schwieg, und Jener fuhr nach kurzer Pause fort:
»Ihr scheint mit den Angelegenheiten der Gräfin so völlig vertraut zu sein, daß selbst ihre Gemüthsstimmung Euch nicht fremd ist und werdet mir deshalb, besser als sonst Jemand, Auskunft über ihre Pläne in Bezug auf Dordrecht geben können.«
»Meint Ihr, Monseigneur?«
»Gewiß; theilt mir dieselben mit und es soll Euch nicht unbelohnt bleiben.«
»Ich bedarf keines Lohns.«
»Nun, so thut es ohne das. Ihr versteht wie nothwendig es für mich ist, Gewißheit darüber zu haben.«
»Verzeiht, Monseigneur; aber Niemand ist besser im Stande Euch davon zu unterrichten, als die Gräfin selbst; fragt Ihro Gnaden und Ihr werdet die richtige Antwort erhalten.«
Der Bischof erbleichte vor Zorn, machte aber dennoch einen letzten Versuch, indem er ruhig sagte:
»Ihr habt Recht, die Gräfin wird mir ihre Pläne nicht vorenthalten; da es mir indessen heute an Gelegenheit, sie allein zu sprechen, fehlen wird, möchte ich von Euch etwas darüber hören. Ihr seht ein, edler Herr, daß dieser Wunsch berechtigt ist; Eure Seele wird nicht dadurch beschwert, und überdies ertheile ich Euch völlige Absolution.«
»Ist nicht nöthig, Eminenz; Absolution kann ich auch von dem Hofcaplan erhalten. Uebrigens beharre ich besser bei meinem einmal gefaßten Vorsatz, niemals Fragen zu beantworten, die Geheimnisse Anderer betreffen; – ob ich darin recht handle, wird sich zeigen.«
»Ihr weigert also meine Bitte?«
»So ist es, Monseigneur, der Graf von Gennep ist wohl unerschrocken in der Stunde der Gefahr, die Gefahr aber die Gunst der Gräfin, die in ihrem Recht ist, zu verlieren, wiegt schwerer für mich, als jeglicher Lohn von Andern. Ew. Eminenz können mir solche Verrätherei nicht zumuthen;« und ein Blick seiner zornsprühenden Augen traf den Bischof, der immer noch muthig fortfuhr:
»In ihrem Recht, sagt Ihr? Jacoba hat kein Recht auf den Thron. Das Recht gehört mir! Wißt Ihr aber, Brederode, was Ihr mit Eurer Weigerung thut? Wißt Ihr, daß der Luik'sche Kirchenfürst die Macht hat zu vernichten, oder mit Gunsterweisungen zu überhäufen und daß ihm reiche Mittel zu Gebot stehen?«
»Ich weiß es, Eminenz. Doch, was Druten schreckt, verachtet Brederode! Auch bedarf ich Eures Lohnes nicht, ich besitze selbst überreichlich Mittel, bin dazu als Diener und Berather der Gräfin meiner Sache gewiß.«
»Einer Sache, die nicht ohne Nebenzwecke sein wird,« murrte der Bischof.
In diesem Augenblick wurden die Flügelthüren weit geöffnet und ein Kammerdiener meldete das Erscheinen der Gräfin. Herr von Brederode trat ihr entgegen und bot ihr, nach Kniebeugung und Begrüßung den Arm; ein einziger Blick auf den Bischof schien sie unangenehm zu berühren, dunkle Röthe färbte plötzlich ihre Wangen und finster zog sie die Augbrauen zusammen; dennoch nahte sie ihm ungezwungen und, sich tief verneigend, blieb sie vor ihm stehen, bis er ihr segnend die Hand aufs Haupt gelegt. Sobald die hohe Frau den Audienzsaal betreten, herrschte lautlose Stille darin.
Jacoba durchschritt denselben, nahm ihren Sitz ein, um den sich Hofdamen und Edelleute schaarten und begann, in Haltung und Stimme ruhige Würde zeigend:
»Meine Freunde! Euch Alle heiße ich hier willkommen. Es kann Euch nicht fremd sein, wozu ich Euch zusammenberufen; Viele unter Euch begehrten längst eine Audienz und wir sind bereit Gesuche und Berichte entgegenzunehmen, um nach bester Einsicht das Rechte zu thun.«
Auf ihren Wink nahten alsdann einige der Edlen; dieser hatte einen Auftrag, jener eine Bittschrift – die junge Frau hörte und prüfte, erwog sorgfältig und geduldig auch das Geringste mit so viel Bescheidenheit und Tact, wie nur reiferen Jahren eigen zu sein pflegt. Als Alles erledigt war, trat augenblickliche Stille ein, bis die Gräfin ihre Stimme abermals erhob und laut sagte:
»Ist das Besondere verhandelt, so wenden wir uns dem Allgemeinen, d. h. dem allgemeinen Interesse zu. Ihr Alle habt mich als Eure gesetzmäßige Regentin anerkannt; nicht allein ist es das Recht der Erbfolge, sondern zunächst und vor Allem das Gelübde Eurer Ergebenheit und Treue, welches mir den Muth gegeben, eben jetzt einen Beweis Eurer Gesinnung zu fordern, mich auf die Anhänglichkeit zu berufen, die Ihr einst meinem Herrn Vater und nach ihm, mir geschworen habt. Einen Beweis! Ach, meine Freunde – und Freunde seid Ihr mir Alle,« fügte sie hinzu, den Blick umherschweifen lassend, »wir leben in schweren Zeiten, Zeiten, in denen es nicht allein an Höfen Sorgen und Kämpfe gibt, sondern auch in Bürgerhäusern, ja, in allen Schichten der Bevölkerung, und Jeder einer stützenden und helfenden Freundeshand bedarf. Solch eine Freundeshand ist auch uns nöthig, wo wir uns so viel Schmerz zugefügt sehen; denn Ihr verlangt nicht von Eurer Gräfin, daß sie theilnahmlos bleibe, während Berichte von Blutvergießen und Thränen ihr zugehen, noch daß sie Mord und Plünderung ungestraft in ihren Staaten geschehen lasse. Ebensowenig könnt Ihr erwarten, daß wir Städte, die sich gegen uns auflehnen, nicht die Macht des uns in die Hand gelegten Scepters sollten fühlen lassen, und während Dordrecht uns alle Rechte der Regierung abspricht, bedarf ich Eures Rathes, wie solchen Aufwiegelungen mit so wenig Zwang als möglich zu begegnen und Ruhe und Friede in unsern Grenzen herzustellen seien.«
Ein Geflüster des Beifalls ging durch den Saal, doch gab Niemand eine laute Antwort. Jacoba saß mit gesenktem Haupt, erwartend was geschehen werde; als aber die Stille fortdauerte, erhob sie sich und sagte, sich zum Bischof wendend:
»Monseigneur von Luik! Ihr bekleidet die höchste Würde in unserer Mitte, Ihr seid uns nahe verwandt, folglich kommt Euch zunächst das Recht zu Eure Meinung kund zu thun.«
Festen Schrittes nahte der Kirchenfürst und erwiderte:
»Ihr fordert mich auf zu sprechen, Gräfin, wo ich zu schweigen gewillt war, weil mein Wort dem Euren widerstreiten muß. Was wollt Ihr? Unruhen, deren Ursprung Euch unbekannt ist, und die nicht selten von den Bürgern und untern Volksklassen ausgehen, werdet Ihr nicht zu bekämpfen vermögen; dasselbe gilt von Mord und Plünderung. Wie wollt Ihr ihnen entgegen wirken? Durch Waffengewalt? Was nützt aber ein Kampf in Utrecht oder Leyden für Gouda oder 's Hage? Ihr würdet auf die Weise immerfort Waffen gebrauchen und die eigne Ruhe einem – Trugbild opfern. Ihr sprecht von aufrührerischen Städten, von Dordrecht, und nanntet es eine Sache allgemeinen Interesses – ist das richtig? Ist es nicht ausschließlich Euer Interesse, Eure Ehrsucht, die hier Genüge sucht und Eure Edlen ruft gegen Edle zu kämpfen, während doch – bei ein wenig Nachgiebigkeit von Eurer Seite – der Kampf sich vermeiden ließe. Nein, Gräfin, mein Urtheil in dieser Sache steht Eurer Auffassung gerade entgegen und deshalb spreche ich es hier mit voller Ueberzeugung aus: Ihr müßt auf bessere Zeiten warten, augenblicklich ist es Euch nicht möglich Euer Recht geltend zu machen –«
»Aber warten kann und will ich nicht!« fiel ihm die Gräfin kühn in die Rede; auch ist Eure Begründung in so fern mangelhaft, als Ihr zu vergessen scheint, wie es, um ein Volk zu bezwingen und Aufwiegler zur Ruhe zu bringen, nicht selten hinreicht ein einziges Strafexempel zu statuiren. Uebrigens, Monseigneur, ist Jacoba zu sehr Frau, um sich ungestraft beleidigen zu lassen!«
»Ist nicht aber Selbstverleugnung die schönste Tugend einer Frau?« versetzte der Bischof heftig.
»Wohl, Eminenz; doch wird jene Tugend zu häufig ein Deckmantel für weibliche Schwachheit und – bei meinem Schutzpatron! – Jacoba ist nicht schwach. Zu lange schon waren unsere Staaten ein Schauplatz der Zügellosigkeiten; wir hörten Berichte, unter denen ein Frauenherz zittert und jeder edle Mann nach dem Schwert greift, um, wenn es sein muß, durch Kampf die Ordnung wieder herzustellen. Es stehen noch viele solcher Tapfern uns zur Seite, noch dürfen wir auf unser gutes Recht vertrauen, wollen für Gott und dieses Recht kämpfen und, wie wir hoffen, auch siegen. Wir wissen jedoch nicht,« – und fragend wandte sich die Gräfin wieder specieller an den Bischof – »in wiefern es Ew. Eminenz gefallen konnte, die von der Stadt Dordrecht Euch angetragene Würde – Ihr seht, wir sind wohlunterrichtet – anzunehmen, anstatt die frommen Bürger durch die Macht Eurer hochgerühmten Rednergabe zur Pflicht gegen ihre Gräfin zurückzuführen?«
Der Bischof stampfte zornig mit dem Fuß, gewann aber schnell die seiner Würde schuldige Ruhe wieder und sprach salbungsvoll:
»Meine Tochter, Ihr seid nicht wohlunterrichtet; wie könnte ich, durch mein geistliches Amt gebunden, mich in Staatsangelegenheiten mischen?«
»Bisher war es freilich nimmer üblich, daß Geistliche sich in Dinge mischten, die nicht zum kirchlichen Gebiet gehören,« erwiderte die Gräfin streng.
»Was bisher üblich oder nicht üblich war, davon sprechen wir hier nicht,« versetzte der Bischof ernst; »unsere Aufgabe kennt Ihr und wie wir sie lösen zeigt Euch der Erfolg unserer Handlungen.«
»Das ist zweideutig,« entgegnete Jacoba; »ich dächte, besser als der Erfolg sagte es die Stimme des Gewissens; – klagt diese Euch nicht an, ja, dann tretet frei und mit aufgehobenem Haupt auch der strengsten Untersuchung entgegen. Hörte die Geistlichkeit mehr auf sie, dann –«
»Dann geziemte auch der Gräfin das Schweigen,« ergänzte der Bischof ärgerlich.
Jacoba sah ihn einen Augenblick aufmerksam an; sie mißtraute Herrn Johann und war überzeugt, er habe in der Dordrechter Angelegenheit selbst die Bürger zu seinen Gunsten gestimmt, vielleicht gar durch Bestechung – sei's mit Geld, sei's mit Heilsverheißungen – sich einen Anhang erworben, der auch über die Stadt hinaus Verbreitung fand. Deshalb versetzte sie:
»Wir wollen denn annehmen, Monseigneur, weil ja ein Priester Gottes keinen Scherz treibt, Ew. Hochwürden haben nur zufällig so lange Zeit in Dordrecht Wohnung genommen; doch verstehen wir in der That nicht, was Euer Rath zu warten, nützen kann, – es sei denn, daß Ew. Eminenz Zeit bedürften, um Maßregeln zu ergreifen, die entweder uns stützen, oder Euern eigenen Zwecken dienen würden.«
Der Bischof überlegte eine Weile und sagte dann:
»Ich sehe wohl, Frau Gräfin, der Kampf wird nicht zu vermeiden sein, laßt Ihr, anstatt ihn zu verhüten, Euch von Euren Edlen dazu treiben durchs Schwert zu vernichten, was durch gute Worte wieder auf den früheren Stand zurückgeführt werden könnte – sei's denn! was mich betrifft, so werde ich kein Wort mehr darüber verlieren. Denkt aber daran, trifft Euch auf diesem Wege Unglück, daß der Bischof von Luik Euch als Freund gewarnt hat!« Damit sich verneigend, wandte sich Se. Eminenz rasch der Thür zu die ihm sofort geöffnet wurde.
Die Gräfin hatte nicht versucht ihn zurückzuhalten; sie fühlte, mit ihm ging ihr größter Feind fort, der nur anscheinend sich als ihr Freund bezeugte, um von Stund an öffentlich gegen sie aufzutreten.
Kaum hatte der Bischof den Saal verlassen, als viele der Edlen ihre Zufriedenheit damit laut zu erkennen gaben; man flüsterte einander verständlich genug zu, der Kirchenfürst sei wohl nur gekommen, um die Meinung der Gräfin zu hören und danach seine Maßregeln zu nehmen. Einige der Höflinge enthielten sich nicht, Anspielungen auf seine muskulösen Hände zu machen, für die das Schwert besser passe, als der Rosenkranz, während Andere von seiner Rednergabe sprachen, die nimmer des Eindruckes auf die Zuhörer verfehle; wieder Andere hatten ihn in Gesellschaft von Feinden der Gräfin getroffen, während Einzelne sogar Namen nannten und Thatsachen berichteten, die als Beweis dienen konnten, wie wenig dieser kräftigen Mannesgestalt das Priesterkleid gezieme. Die Gräfin aber brachte plötzlich Alle zum Schweigen, indem sie ernst und ruhig sagte:
»Unsere Berathung ist noch nicht zu Ende. Brederode, wir haben zunächst mit Euch zu reden.«
Der greise Staatsmann erhob sich und trat vor die Fürstin.
»Frau Gräfin,« begann er, und seine Stimme klang laut und vernehmlich durch den vollen Saal, »Frau Gräfin, Ihr habt wohl gesprochen; warten wäre hier Schwachheit. Wer Euer ärgster Feind ist, Ew. Gnaden wissen es: der Mann im Priesterkleid, doch ohne Priesterherz; wir wissen Alle, er will Herrn Wilhelm's Sprößling verderben – so lange aber Eurer Edlen Herz noch in der Brust schlägt, sollen seine Anschläge nicht gelingen, unsere besten Kräfte werden wir dazu aufbieten. Doch nun auch nicht gesäumt, keine Zeit ihm gelassen sich öffentlich als Euer Feind zu zeigen! Aus Vlaardingen ist vor kaum einer Stunde ein Courier angekommen, mit Meldungen – ach! wie sehr wünsche ich, sie möchten anderer Art sein! denn leider, auch diese Stadt wurde Euch untreu.«
Die Gräfin horchte athemlos und Todesblässe bedeckte ihr Antlitz. »Auch das noch!« flüsterte sie leise; doch plötzlich sich bezwingend fragte sie laut: »Kennt Ihr die Gesinnung der Bürger Vlaardingens?«
»Auf die Bürger ist nicht zu rechnen, Ew. Gnaden. Der Befehlshaber hat die Stadt den Kabeljauischen überliefert, ohne zuvor Hülfstruppen zu requiriren; er selbst hielt es lange schon heimlich mit Eurer Gegenpartei, was aber die Bürger betrifft, so werden sie, wie unwissendes Volk, meinen, wer am meisten Lärm macht, hat Recht.«
Jacoba schwieg einen Augenblick, anscheinend in ernste Gedanken vertieft. »Fürwahr,« sagte sie dann, »warten wäre hier Thorheit! die Sache fordert Eile – doch auch Ueberlegung.«
»Ihr sprechet wohl, Frau Gräfin,« versetzte Brederode, »doch hört noch weiter. Mir sind Berichte aus Gorkum zugegangen, daß auch dort nicht lange mehr Ruhe herrschen wird; unter den Bürgern ist Uneinigkeit und die Mehrzahl ist nicht Euch, sondern Herrn von Arkel zugethan, während mir von anderer Seite mitgetheilt ist, dieser Edelmann habe sich mit Herrn von Egmont zu Plänen gegen jene Stadt verbunden.«
Ehe noch die Gräfin geantwortet hatte, trat Herr von Wassenaar hervor und sagte: »Auch ich muß leider Ew. Gnaden eine schlimme Botschaft bringen: Im Norden haben die Feindseligkeiten wieder begonnen und traurig ist dort der Zustand. Schlösser und Wohnhäuser des Adels dienen der Rachsucht und Mordlust, der Ackerbau wird mit wüster Hand zerstört, Brand und Plünderung erfüllen Alles mit Angst und Schrecken. Deshalb, Frau Gräfin, wir bitten Euch, sendet aus unserer Mitte eine starke Anzahl hier- und dorthin, auf daß wir unsere Mannschaften versammeln und uns zum Kampf rüsten, so und so allein wird unserm Lande der Friede zurückgegeben.«
Die Gräfin erhob sich. Aufmerksam, aber bebend hatte sie zugehört und als die Unglücksboten schwiegen, sprach sie bewegt: »Nun, meine Freunde, was ist Euer Aller Meinung?«
Eine einstimmige Antwort klang durch den Saal: »Laßt uns hinausziehen!« und »Es lebe unsere Gräfin, es lebe Jacoba!« ertönte es von Aller Lippen.
»Wohlan denn!« begann die Fürstin wieder, »Brederode, Heemstede, Wassenaar Brederode, Heemstede und Wassenaar standen auf hoek'scher Seite. Waalraaf van Brederode, einem der angesehensten Geschlechter Hollands entsprossen, fiel, nach dem Tode seiner Mutter Johanna, die Grafschaft Gennep zu, so daß er dadurch zu den mächtigsten Edlen gehörte. Er fiel bei Gorkum und hinterließ sein ganzes Vermögen seiner einzigen Tochter Walrawina und seinen beiden Söhnen, von denen der älteste später zum Bischof von Dordrecht berufen wurde., Ihr Alle kennt Eure Gräfin genugsam, um zu wissen, daß nichts uns so sehr am Herzen liegt, als das Wohl unserer Staaten. Deshalb bitten wir Euch uns noch einmal zu versichern, Ihr wollet zu Allem, was wir nach reiflicher Erwägung beschließen und im Interesse unserer Unterthanen für nöthig erachten, Euch zustimmend verhalten.«
Ein abermaliges »Es lebe Jacoba, unsere Gräfin!« erklang als Antwort aller versammelten Edlen, worauf Graf von Gennep der erlauchten Frau den Arm bot, um sie nach ihren Gemächern zurückzuführen; die Flügelthüren öffneten sich ihr und von ihren Damen gefolgt, trat die edle Fürstin in den langen Corridor, an dessen Ausgang sie Brederode entließ, ihn ersuchend, die Edlen in den nächsten Tagen abermals zu einer Audienz zu berufen. Als der Graf nach dem Saal zurückkam, fand er noch Alle in lebhaften Gesprächen; Bewunderung über Entschiedenheit und Scharfsinn der Gräfin, dem Luik'schen Bischof gegenüber, wurden laut, Vermuthungen, was Ihre Gnaden mit ihren letzten Aeußerungen, mit der Bitte, sie noch einmal zu versichern, »man wolle zu Allem was sie beschließe, und im Interesse ihrer Unterthanen für nöthig erachte, sich zustimmend verhalten« habe sagen wollen – doch Keiner löste das Räthsel und man trennte sich endlich in der Hoffnung, die Sachen bald eine günstige Wendung nehmen zu sehen.
Jacoba aber blieb den größten Theil des Tages still und in sich gekehrt; hin und wieder zwar mischte sie sich bei der Tafel in die Unterhaltung; doch färbte ein dunkleres Roth ihre Stirn und Schläfen, das häufig mit Todesblässe wechselnd, von tiefem Leid zeugte, und sichtlich kämpfte sie innerlich einen heißen Kampf. Vergebens suchte Aleide Eggert Aleide Eggert, die Tochter bürgerlicher aber edler Eltern, war von Herrn Wilhelm, Jacoba's Vater, zur Gefährtin seiner Tochter erzogen und unterschied sich von allen andern nicht allein durch Schönheit und Anmuth, sondern auch durch seltene Geistesgaben und wahre Einfalt. ( van Lennep. Nederl. Legenden: Jacoba en Bertha.) das Recht einer Herzensfreundin geltend zu machen und die hohe Frau zur Mittheilung ihres Kummers zu bewegen – selbst ihr verhehlte die Gräfin was sie so tief beugte, und etwas gekränkt durch dies geheimnißvolle Verhalten ihrer Gebieterin, gehorchte die Jungfrau dem fürstlichen Befehl, nach aufgehobener Tafel mit den übrigen Damen im großen Saal zu bleiben, während der Hofkaplan zu einer besonderen Unterredung nach den Gemächern der Gräfin entboten wurde.
Ueberreich und fürstlich war die Pracht dieses großen Saales, einst von Graf Wilhelm II. gebaut und jetzt, wegen der schönen Aussicht, die man aus seinen Fenstern in's Freie hatte, ein Lieblingsaufenthalt der Hofdamen.
Gobelins, so kunstvoll und schön man sie nur sehen kann, bedeckten die Wände, an denen hin und wieder die werthvollsten Gemälde angebracht waren, während man in den Zwischenräumen das holländische Wappen wahrnahm, von faltig geordneten Sammt- und Seidenstoffen umrahmt. In früheren Zeiten wurde dieser Saal nur bei ganz besonderen Veranlassungen geöffnet; Graf Wilhelm ertheilte seinen Edlen Audienz in demselben, Graf Floris wurde hier zum Ritter des St. Jacobs-Orden geschlagen und manche Jungfrau hatte an dieser Stätte zuerst die Gefährtinnen begrüßt, die ihr bei ihrem Klostergelübde Treue schwören sollten. Seitdem war freilich Vieles anders geworden, und der Ereignisse der Vergangenheit nicht mehr gedenkend, wandelten die jetzt hier versammelten Jungfrauen fröhlich plaudernd umher, bald die Stickereien aus alter Zeit mit den ihrigen vergleichend, bald aus den Fenstern nach den Vorübergehenden sehend, wodurch sie jedoch heute weniger als sonst gefesselt schienen. Einige hatten sich auf die rings an den Wänden angebrachten Sitzbänke niedergelassen, Andere in die hohen Sessel in der Mitte derselben, Aleide sang mit ihrer silberhellen Stimme sinnige Lieder zur Harfe, sie sang von »brauner Haide« und von »Nachtigallen«, welches zu jener Zeit der Grundton fast aller Lieder war, und ihre Gefährtinnen lauschten denselben unter lieblichen Träumen, und während Scherz, Spiel und Gesang so unter ihnen wechselten, war die Gräfin mit ihrem Beichtvater allein und in ernster Unterredung in ihrem Privatgemach.
Abt Bernhard hatte einen Blick in ihre Seele thun dürfen, was er aber darin gelesen, war wenig geeignet ihn zu erfreuen, ja, er schien sogar schmerzlich davon berührt; denn nachdenklich saß er in einem Sessel, während die Gräfin fast in der Haltung einer Büßenden vor ihm stand. Endlich hob sie ihr geistvolles Antlitz auf und sagte:
»Mein Vater, ist es denn wirklich etwas Böses, seine Gegner zu lieben?«
»Und das fragt Ihr mich, Gräfin?« erwiderte der Geistliche, »mich, der ich, ein Diener Gottes, predigen, ermahnen muß zu lieben auch die uns hassen und nach dem Beispiel unseres Herrn, für unsere Feinde zu beten? Aber, meine Tochter, welch ein Unterschied zwischen solcher heiligen Liebe und der Liebe, von der Ihr zu mir gesprochen!«
»Aber kann sie nicht eben das Mittel werden, dem unheilvollen Streit, der Land und Leute seit Jahren zerreißt, sowie der zunehmenden Macht Sr. Eminenz des Bischofs von Luik, ein Ende zu machen? O mein Vater, ich zweifle nicht daran! Verlangen aber die Edlen – und mit Recht, wie Ihr selbst sagt – daß ihre Gräfin die Stütze eines Gemahls zur Seite habe, wen könnte ich besser dazu erwählen als denjenigen, den einst mein Herr Vater für mich bestimmte?«
»Ew. Gnaden würden Recht haben, wären nicht seit jener Zeit Jahre vergangen, Jahre, in denen Euer Herr Vater den damaligen Jüngling aus den Augen verlor, während Ihr durch andere Pflichten und Bande gefesselt wart. Aber glaubt mir, könnte Euer Herr Vater jetzt hier sein, er würde nimmer zugeben, daß Ihr Eure Hand einem Verräther Eurer Partei reichet –«
»Ein Verräther ist er nimmer gewesen!« fiel die Gräfin dem Abt heftig in die Rede; dann aber sich fassend, fügte sie ruhiger hinzu: »Ist denn das die Liebe, die Ihr predigen sollt?«
»Meine Tochter,« erwiderte Jener ernst, »laßt Euch rathen, bezwingt Euer Herz! noch ist es nicht zu spät; – Ihr und er paßt nicht für einander.«
»Ehrwürden, wer könnte besser für mich passen, selbst wenn mein Herz nicht für ihn spräche! – ist er nicht durch Jugend, Rang und Reichthum mir gleichstehend?«
»Gewiß, in dieser Hinsicht wird er von keinem Edlen übertroffen; doch ebenso gewiß ist er durch die geschehenen Dinge für Euch unmöglich gemacht. Die stolze Jacoba kann nimmer vergessen, daß er ihr Verräther und Gefangener gewesen, daß sein Vater zu den gegen Euch Verbündeten gehört, ja, daß vielleicht schon in diesem Augenblick seine Freunde bei Vlaardingen ein Lager aufgeschlagen haben, wo, verhütet Gott es nicht, ein schreckliches Blutbad der Euren wartet; ebenfalls dürft Ihr nicht vergessen, Gräfin, daß Ihr gelobt habt, rasch zu handeln.«
»Aber eben dazu muß zuvor dieser eine heiße Wunsch erfüllt sein! Wie kann ich mit schwankendem Herzen mich den Staatsinteressen ganz hingeben? Nein, mein Vater, Gewißheit muß ich haben und habe ich sie – sei's denn auch die einer schmerzvollen Täuschung – so werden Muth und Willenskraft mir zurückgegeben sein.«
»Und um diese Gewißheit zu erlangen, scheut Ihr auch den Haß der Edlen nicht, Frau Gräfin? Könnt Ihr wirklich vergessen, wer Euer Verräther war?«
Jacoba richtete das Haupt empor; ein Glanz strahlte aus ihren Augen, der sich über ihr ganzes Antlitz breitete, und färbte auch die dunkle Röthe weiblicher Schüchternheit ihre Wangen, dennoch sagte sie mit einer Entschiedenheit, die nur aus der festesten Ueberzeugung hervorgehen konnte:
»Ja, Alles, Alles kann ich vergessen um meiner Liebe willen! Mein Gefangener war er, doch – er ist es nicht mehr; er wird die Freiheit erhalten.«
»Die Freiheit, Gräfin? die Freiheit in diesen unruhvollen Tagen?« fragte der Abt erstaunt.
»Ihr habt mich verstanden! Grade in diesen Tagen, da das Land in Aufruhr ist, seine Freunde sich gegen mich erheben und mein Recht durch sein Geschlecht wird angetastet werden, grade jetzt will Jacoba durch eine große That beweisen, daß sie edelmüthig sein kann. Wir hoffen auf Dankbarkeit, Ehrwürden, ja, wir rechnen darauf.«
»Wenn Euch dieser Edelmuth nur nicht theuer zu stehen kommt!« versetzte der Abt; »Dankbarkeit ist in unserer Zeit eine seltene Waare!«
»Also darf ich mich Eurer Hülfe nicht getrösten!« versetzte die Gräfin leise.
»Meiner Hülfe! Ja, Ew. Gnaden; wie's einem treuen Freund geziemt will ich Euch helfen und beistehen so viel ich vermag. Kann ich Eure Wahl auch nicht billigen, fern sei's von mir Euch meine Stütze zu entziehen. Euer Vorhaben Euch zu widerrathen war meine Pflicht, – weiter darf ich nicht gehen. Handelt denn nach Eurem Ermessen, meine Tochter; seht Ihr Euch aber in Euren schönsten Hoffnungen getäuscht, so will ich Euer Leid Euch tragen helfen; – empfindet Euer Herz eine Leere, die durch nichts auf Erden ausgefüllt werden kann, so geht zu dem, bei dem allein die müde Seele Ruhe findet.«
Der Abt hatte in ernstem Ton gesprochen und Jacoba's Stimme zitterte als sie sagte: »Aber wenn ich mich nicht getäuscht, wenn in der Erfüllung meiner Hoffnung sich mir ein neues Leben erschließt?«
»Dann werde ich Euren Gemahl ehren; denn edel muß der Mann sein, der Jacoba liebt und der von ihr geliebt wird.«
»Habt Dank, mein Vater, für dieses Wort!« rief die Gräfin freudig bewegt aus; »nein, in Euch wenigstens habe ich mich nicht getäuscht! Vertraut mir, ich handle niemals ohne reifliches Erwägen. Ach, wie gern sähe ich mein geliebtes Volk wahrhaft glücklich!«
»Ist das wirklich Euer Wunsch, so wird's Euch nicht fehlen!« erwiderte der Geistliche aufstehend und sich beurlaubend, denn sein Amt nahm ihn diesen Abend noch anderweitig in Anspruch. Als er den Saal durchschritt, sah ihm die Gräfin sinnend nach. »Wunderlicher Mann,« sagte sie leise zu sich selbst, »wie sehr wünsche ich zu sein wie er ist, so fest, so ruhig, so voll heiligen Eifers!« Dann griff sie nach der kleinen silbernen Flöte, die an ihrem Gürtel hing und rief durch einen leisen Pfiff auf derselben ihre Kammermädchen herbei; bald war, unter Anlegung einiger Schmucksachen, die Wolke von ihrer Stirn verschwunden, und zu fröhlichem Lächeln sich zwingend, entzog sie sich endlich den dienstfleißigen Händen der Jungfrauen, um wieder zu ihren Freundinnen zurückzukehren.
Im Schloßgarten, damals häufig des Grafen Krautgarten genannt, war es still. Kein Blatt rührte sich, kein Vogel sang in den Büschen, – nur das eintönige Geräusch des Auf- und Abgehens der Schildwache vor der Pforte erreichte das lauschende Ohr. Es war tiefe Abenddämmerung und der Mann, der, sich allein wähnend, um die Rasenflächen wandelte, durch den langen Schatten, den er warf, den Fußsteig noch dunkler machend, war ganz in Gedanken versunken; er bemerkte nicht, daß Jemand in den Garten getreten war, bis ein zweiter Schatten den seinigen kreuzte, was ihn zu einem barschen »Wer da?« veranlaßte.
»Still, still! man darf uns nicht hören, viel weniger sehn,« flüsterte der Andere.
»Bei Gott! Ihr, Herr von Druten, Ihr hier?«
»Weshalb nicht? Folgt mir, Walraaf von Brederode, in Eure Gemächer, daß wir dort ungestört miteinander reden.«
»Weshalb nicht hier?« fragte der Graf; »Niemand sieht und hört uns, keine lebende Seele ist im Garten und die Schildwache in weiter Entfernung.«
»Mag sein; doch auch mich vermuthetet Ihr nicht hier,« versetzte Druten, »und ebenso wohl können Andere sich in diesem Garten befinden. Besser ist's wir gehen hinein.«
Brederode folgte Jenem langsam in's Haus.
»Und welchem Umstand verdanke ich die Ehre Eures Besuches?« fragte er kalt, sobald die Thür seines Privatzimmers sich hinter ihnen geschlossen.
»Eine nicht sehr höfliche Frage!« bemerkte Druten; »doch ich will kurz sein; ich kam um Euch vor einer nahenden Gefahr zu warnen.«
»Vor einer nahenden Gefahr? Wer vermöchte denn etwas gegen den Günstling der Gräfin?«
»Und wenn nun die Gräfin sich einen andern Günstling erwählte? Ihr wißt, Fürstengunst hat Launen, und Jacoba ist jung und schön.«
Graf Brederode sah vor sich hin und schwieg eine Weile; endlich sagte er: »Ihr sprecht in Räthseln, Druten; fast möchte ich Euch dem Nachtvogel vergleichen, der das Licht scheut und die Dunkelheit benutzt, um die Kraft seiner Flügel zu prüfen.«
»Nicht sehr schmeichelhaft!« erwiderte Druten; »von jedem Andern als von Brederode würde ich es als eine Beleidigung auffassen.«
»Nehmt's wie Ihr wollt! Ihr seht, ich bin nicht gestimmt Schmeicheleien zu sagen oder anzuhören.«
»Einfach ein Beweis, daß Ihr fühlt, ich sagte die Wahrheit,« bemerkte Druten mit einem Anflug von Spott.
»Albernheit! – doch woher wißt Ihr –«
»Woher ich es weiß? Druten weiß Alles, Druten erforscht die Gedanken Anderer und richtet seine Handlungen danach ein.«
»Und verräth sie, wo es seinen Zwecken dient,« versetzte der Graf mit stolzer Miene. »Geht, Druten, wir haben nichts mit einander zu schaffen.«
Druten sprang rasch auf. »Wir haben nichts mit einander zu schaffen, sagt Ihr – gut; ich kam in der besten Absicht, ich wollte Euch meine Dienste anbieten – jetzt kehre ich nach Dordrecht zurück.«
»Ich begehre keinen Dienst von einem Menschen, der seine Seele dem Teufel verkaufte.«
»Dem Teufel? Bah! ich lache über fromme Redensarten und Altweiber-Gewäsch! mir ist Alles gleich, Himmel oder Hölle, und sicher werden die Geister der Letzteren, deren Dasein man ja behauptet, mir gute Hülfe leisten. Dem Teufel! Nun, ich möchte wissen, wie er meine Dienste bezahlt, ha, ha, ha!«
Brederode wandte sich ab und schwieg.
»Seht,« fuhr Druten fort, »seht, nun könnt Ihr nicht sprechen; vielleicht fürchtet Ihr, ich habe Euer Zimmer durch meine unsichtbaren Trabanten entheiligt und denkt schon daran, wie nöthig es sei, hernach sofort den Priester mit dem Weihwasserbecken rufen zu lassen! Aber hört, Brederode, das Alles ist Lug und Trug, womit ein verständiger Mann wie Ihr, längst hätte brechen müssen.«
Jetzt aber fuhr der Graf heftig auf. »Seid Ihr nur gekommen mich zu peinigen, Elender? Entfernt Euch, oder ich rufe meinen Kammerdiener, Euch die Thür zu weisen; ich will weder Rath noch Beistand von Euch!« und, heftig mit dem Fuße stampfend, griff er schon nach seiner Flöte. Herr von Druten begriff, daß längeres Bleiben ihm nichts nützen werde und das klügste Theil erwählend, verließ er hastig das Zimmer, nicht mehr hörend, wie Brederode entsetzt ausrief: »Fürchterlicher Mann! Schreckliches Werkzeug Satans!«
Der Graf stützte das Haupt mit der Hand, und kalter Angstschweiß perlte auf seiner Stirn. »Die zweite Versuchung heute,« sprach er laut; »erst der Bischof selbst, dann sein Gesandter. Nebensächliche Dinge gab er vor, aber mit Verrath sollte die Sache enden – Gräfin, Gräfin, weh Euch, täuscht Ihr mein Vertrauen!«
Seinen Kammerdiener rufend, fragte er, ob die Jungfrau, seine Tochter, schon angekommen sei.
»Vor einer halben Stunde, edler Herr,« lautete die Antwort; ich zögerte die Nachricht zu bringen, da ich Euer Gnaden dringend beschäftigt wußte.«
»Es ist gut, Jaques; ich werde sie gleich willkommen heißen; gewiß ist meine kleine Walrawina eine ganze Dame geworden.«
»Wie eine Fee sieht sie aus, edler Herr,« versetzte Jener mit dem Recht eines Dieners, der durch vieljährige Treue sich das volle Vertrauen seines Herrn erworben; »sie gleicht ganz ihrer Frau Mutter, schön und edel wie ein ächtes Grafenkind.«
»So wird sie meine verstorbene Gattin ersetzen und wieder Leben und Geselligkeit in's Haus bringen.«
»Bis ein junger Edelmann das Vögelchen fängt! – eine Fee weilt selten lange unter Sterblichen,« erlaubte Jaques sich scherzend zu erwidern, während sein Herr schon das Zimmer verließ, um seinem jüngsten Kinde, der einzigen Tochter, welche nach dem Tode der Mutter in einem Kloster erzogen war, den ersten Abend nach ihrer Heimkehr in's elterliche Haus, ganz zu schenken.
Wir begleiten ihn nicht, sondern wenden uns in einem neuen Kapitel den Ereignissen zu, welche die Hauptpersonen betreffen.