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Zweiter Theil.


Die Gräfin als Fürstin.

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. Ich sage Euch, Heemstede, ich will die Liste der Gefallenen sehen,« sagte die Gräfin, als sie wenige Tage nach den im vorigen Kapitel geschilderten Ereignissen jenen Edelmann zur Audienz entboten, und sich vergebens nach Brederode erkundigt hatte.

»Verlangen Ew. Gnaden es, gewiß so will ich sie bringen, doch glaubt mir, besser ist's Ihr dringt jetzt nicht darauf, denn sie ist lang und traurig.«

Jacoba lächelte schmerzlich. »Fürwahr, Herr von Heemstede, Ihr seid kühn, mir zwei Mal zu widersprechen; aber es nützt Euch nichts, ich will wissen, welche meiner Freunde ich fortan missen muß – geht und holt mir die Liste!«

»Liebe Gräfin,« fiel Aleide ihr in's Wort, »ich bitt' Euch, besteht jetzt nicht darauf, es würde Euch zu gewaltig erschüttern.«

»Ei was,« entgegnete Jacoba ernst, »ich bin keine kindische Frau, die feige dem Leid auszuweichen sucht! Ich weiß, daß ich Viele verloren habe und Euer Zögern bereitet mich auf das Schlimmste vor; – aber ich will Gewißheit haben und meine Getreuen betrauern, wie sie es verdienen.«

»Die Liste ist noch nicht vollständig, Ew. Gnaden.«

»Thorheit, Heemstede,« erwiderte die Gräfin rasch, »das sind Ausflüchte; geht denn und holt mir gleich die Namen, die Ihr aufgeschrieben habt.«

Herr von Heemstede sah ein, daß kein Ausreden mehr half und ging, nach wenigen Minuten schon mit einer langen Liste zurückkehrend, wo auf einer Seite die gefallenen Hoek'schen Edlen, auf der andern die des Feindes verzeichnet standen.

Die Gräfin las die Namen der Ersteren und ihre Gesichtszüge trübten, ihre Stirn umwölkte sich. O wie Viele, die ihr und ihrer Sache treu gedient, hatten den Tod erleiden müssen! Sie las und las immer weiter, bis sie den Namen gefunden, den sie gesucht. Da stand er mit schwarzen Buchstaben geschrieben: »Brederode, Graf von Gennep«; – seine Ahnung hatte sich also bestätigt. Die Gräfin hielt ihre Thränen jetzt nicht länger zurück, sie strömten unaufhaltsam, aber sie waren eine Wohlthat für ihren großen, tiefen Schmerz.

»Er gehörte zu meinen treusten Freunden,« sprach sie leise, »er war mein Rathgeber, war so väterlich zu mir – nein Aleide, versucht nicht mich zu trösten, laßt mich ihn beweinen, er hat es verdient!«

Herr von Heemstede berichtete nun wie er dem kühnen Helden in den letzten Augenblicken beigestanden.

»Auf Befehl Ew. Gnaden eilte er nach den Brandstätten, dem Morden zu wehren; ich begleitete ihn durch mehrere Seitengassen dahin, wo das Feuer am ärgsten wüthete. Ehe wir noch unser Ziel erreicht, begegnete uns Vernenburg, Arkels Busenfreund, und er und Brederode geriethen aneinander. Brederode hatte nämlich den ganzen Tag vergeblich nach Arkel ausgesehen und nannte ihn einen Feigling, der dem Kampf ausgewichen; Vernenburg trat für Arkels Ehre ein, ein Wort gab das andere und es entspann sich ein heftiger Streit. Ich suchte die Beiden zu trennen, was mir jedoch nicht gelang, sie wurden handgemein und Brederode blieb auf dem Platz; jetzt erst kam Hülfe und ich machte Vernenburg zu Eurem Gefangenen.«

Die Gräfin hatte den Bericht schweigend gehört und unterdessen Zeit gewonnen sich zu sammeln; ihr Antlitz war bleich, doch sagte sie mit fester Stimme:

»Wie viele der Tapfern sind doch gefallen, ohne den Sieg zu schauen! O, wir haben viel verloren, um diesen Sieg zu gewinnen.«

»Aber wir haben auch viel gewonnen, Gräfin,« versetzte Heemstede und versuchte den schmerzlichen Gedanken der Gräfin damit eine andere Richtung zu geben, »wir haben viel gewonnen! Die Bürger von Gorkum haben eingesehen, daß ihr Kampf gegen Euer gutes Recht nutzlos ist und beugen sich vor Euren Waffen.«

»Hier sehe ich Druten's Namen,« fuhr die Gräfin fort, ohne den Worten des greisen Edelmannes Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, »wie kam denn der in die Stadt?«

»Der Verräther!« rief Heemstede zornig aus. »Er war von dem Luik'schen Kirchenfürsten gesandt und stritt wie ein Held, so lange das Glück auf dessen Seite war; sobald es sich aber wandte, ging er zu den Hoek'schen Truppen über und kämpfte mit diesen. Ein tödtlicher Haß gegen Arkel, so sagte Vernenburg mir, muß der hauptsächlichste Beweggrund dazu gewesen sein und er war es auch, der Arkel zu Boden warf.«

Jacoba erbleichte jetzt völlig. »Arkel ist also todt?« fragte sie fast athemlos.

»Arkel?« versetzte Heemstede, »nein, Ew. Gnaden, Herr von Vernenburg war an seiner Seite, während er mit Druten kämpfte und hielt den Todesstreich auf, den dieser ihm versetzen wollte, als er gefallen – und das war seine Rettung. Doch ist er unter sein Pferd gekommen und schwer verwundet weggetragen.«

Ein »Gott sei Dank« glitt leise über Jacoba's Lippen und laut fügte sie hinzu: »durch wen fiel Druten?«

»Der Verräther wußte zu entkommen,« berichtete Heemstede; »mit mehr als fünfzehnhundert Mann entwich er aus der Stadt, die Dunkelheit überfiel sie und bei dem Schneetreiben verirrte er sich; seine Soldaten verließen ihn und man fand ihn später todt und geplündert.«

»Seine wohlverdiente Strafe!« versetzte die Gräfin.

Herr von Heemstede bemerkte wie all das Herzeleid die hohe Frau erschöpft hatte, er nahm die Liste wieder zu sich und stand auf, sich zu entfernen. »Solch traurige Ereignisse sind für Frauen nicht geeignet,« sagte er, sich gleichsam entschuldigend; »nun Ew. Gnaden aber Alles wissen, werden Ew. Gnaden der Ruhe bedürfen.«

»So ist es,« entgegnete Jacoba, »Ruhe und Stille sind mir nöthig,« und während sie mit leichter Verneigung den Edelmann entließ, dann selbst aufstand, um sich in ihr Privatzimmer zurückzuziehen, gab sie Aleide einen Wink ihr nicht zu folgen; sie mußte allein sein.

O, wie war ihr die Einsamkeit so wohlthuend! Von Keinem beachtet, durfte sie sich ganz in ihr Leid versenken – doch nicht ohne Bitterkeit überließ sich Jacoba ihrem Schmerz. Was nützte ihr nun der errungene Sieg, was das Bewußtsein, daß der Verlust des Feindes größer sei, als der ihrer Partei? Was kümmerte sie sich jetzt um ihr gutes Recht, was gingen die Lorbeeren sie an, die ihr von allen Seiten gespendet wurden? Brederode, ihr treuster Freund, war nicht mehr, und er, dem sie so ganz vertraut, den sie so sehr geliebt, und der jetzt an ihrer Seite hätte sein müssen, um ihr den gefallenen Freund zu ersetzen, um die Nachwehen des Feldzuges mit ihr zu tragen, er war im Kampf gegen sie verwundet, war zum Verräther an ihr geworden. Das drückte ihr jugendliches Herz wie ein schweres Gewicht, nahm ihr allen Frieden und alle Ruhe, denn Jacoba fühlte, nun sie den klaren Beweis der Treulosigkeit Arkels erhalten, mußte sie ihn hassen und doch – sie vermochte es nicht! So gerieth ihre Seele in Zwiespalt und breitete tiefe Schatten selbst über die Gewißheit des Sieges.

Am liebsten hätte Jacoba sich stundenlang ihrem Schmerz überlassen, denn sie fühlte, daß auch im Leid etwas Süßes liegen kann – aber war sie nicht Frau und Fürstin und forderte die Würde der Letzteren nicht von ihr, sich zu beherrschen, damit keine Menschenseele ahne, wie sehr ihr Herz um den Verräther trauerte? Und dieser Gedanke, der ihr überwältigend nahe trat, begann die Wolke von ihrem Antlitz zu verscheuchen; sie ging an's Fenster und schob die Vorhänge zurück – ein heller Sonnenstrahl warf sein freundliches Licht in das kleine Gemach. Jacoba öffnete das Fenster und lehnte hinaus; die frische Decemberluft schien sie zu beleben, während sie in den einsamen Schloßgarten hinabsah – ihre Gedanken aber schweiften in weiter, weiter Ferne! –

So stand sie noch als Abt Bernhard, nach wiederholtem vergeblichem Klopfen an der Thür, einzutreten wagte. Er näherte sich der Gräfin leise und legte seine Hand auf ihren Arm.

»Ist es recht, daß Ew. Gnaden sich so der kalten Winterluft aussetzen?« sagte er sanft tadelnd, während er die Gräfin zu einer Sitzbank führte und das Fenster schloß.

»Die kalte Luft that mir so wohl, ich dachte eben nicht daran, daß sie mir schädlich sein könne,« antwortete Jacoba, über die Fürsorge ihres Beichtvaters lächelnd.

»Und gerade Ihr, Gräfin, solltet Eure Gesundheit und Euer Leben schonen.«

»Ihr sagt das so ernst, Ehrwürden, daß es mir klingt wie ein Lied aus vergangenen Tagen, aus Tagen des Glückes! Es ist lange, lange, seit ich Euch gesprochen.«

»So gar lange doch wohl nicht, meine Tochter, denn noch kurz vor der Belagerung gestattetet Ihr mir eine Unterredung und ließet mich in Eurem Herzen lesen –«

»Das damals noch hoffnungsvoll war,« unterbrach Jacoba den Abt mit Bitterkeit.

»Die Hoffnung wird wiederkehren,« entgegnete er lebhaft; »wohl hat unsere Partei große Verluste erlitten – aber –«

»Wenigstens einen unersetzlichen,« sagte die Gräfin bewegt.

»Ew. Gnaden meinen Brederode – gewiß, ein Edelmann wie er, diente bis zur Stunde nicht unter Euren Fahnen.«

»Wie viele Kinder läßt er zurück?« fragte Jacoba.

»Zwei Söhne und eine Tochter, Ew. Gnaden.«

»Ich werde mich seiner Kinder annehmen,« versetzte die Gräfin mit Wärme, »ich bin es dem Vater schuldig; seine Tochter wird eine Freundin für Aleide sein und seine Söhne sollen, sobald sie geschickt dazu sind, hohe Ehrenämter erhalten. Wahrlich, Brederode war mir treu ergeben; nimmer habe ich mich in ihm getäuscht, so oft auch Andere mich vor ihm warnten.«

»Nur Einer stand in letzter Zeit vielleicht über ihm,« entgegnete der Abt, »weil er noch etwas Anderes als Freundschaft für Euch empfand.«

Jacoba erbleichte und stützte ihr Haupt in die Hand; sie erwiderte nichts und der Abt fuhr fort: »Dieser Eine ist tödtlich verwundet, doch ist man nicht ohne Hoffnung für die Erhaltung seines Lebens. Was er gelitten, wage ich nicht zu sagen, aber so gewiß, Gräfin, als Ihr in den Tagen Eures Glückes auf eine noch schönere Zukunft hofftet, so gewiß könnt Ihr jetzt das Wirksamste für seine Genesung thun, vergebt Ihr ihm.«

Jacoba lauschte athemlos bis der Geistliche schwieg, dann blieb sie eine Weile in Gedanken vertieft und erwiderte endlich: »Woher wißt Ihr, mein Vater – Ihr habt ihn doch nicht gesprochen?«

»Freilich sprach ich ihn; ich war an seinem Bette, habe Nachts bei ihm gewacht –«

»Ihr? O habt Dank, habt Dank! darin erkenne ich Euch ganz!« rief die Gräfin leidenschaftlich aus.

»Also Ihr haßt ihn nicht?« fragte der Abt.

»Ihn hassen? O wüßtet Ihr, mein Vater, wie heiß ich darum gefleht habe ihn hassen zu können – aber ich vermag es nicht! Er hat mich tief gekränkt, aber ihn hassen – ihn, der mir einst Alles war –«

»Vergebt, Gräfin! aber ziemt Euch diese Sprache, ziemt es mir sie anzuhören?«

»Ja, mein Vater, hört mich an! Ihr allein wißt wie schwach Euer Beichtkind ist, Ihr allein wißt was ich gelitten, was ich leide!«

»Ihr leidet nicht allein!« versetzte der Geistliche ernst.

»Nicht allein?« Ein Lichtglanz flog bei diesen Worten über Jacoba's jugendliches Antlitz und das Haupt erhebend sah sie ihren Beichtvater flehend an, als wolle sie ihn bitten ihr alles mitzutheilen, was er von Wilhelm von Arkel wußte; »lieber die schmerzvollste Gewißheit, als Tage voll Angst und Zweifel, wie ich sie vor der Belagerung durchlebte,« sagte sie bewegt.

»Gräfin, Herr von Arkel ist Eures Vertrauens nicht unwerth,« versetzte der Abt leise; »ich war Zeuge seines Kummers, seiner Reue. Er hat nicht anders handeln können als er gethan. Und sagt, was würdet Ihr von ihm gehalten haben, hätte er um seiner Liebe willen seine Partei in der Stunde der Gefahr verlassen? Als eine edle Frau hättet Ihr ihn verachtet. Das fühlte er und darin bestärkte ihn der Bischof von Luik, dessen feindliche Stellung zu Euch Arkel nicht bekannt war.«

»Der Bischof von Luik?« fragte die Gräfin befremdet.

»Allerdings. Welche Beweggründe ihn dazu getrieben, weiß ich nicht; gewiß ist, daß Se. Eminenz mit der ihm eignen Entschiedenheit Herrn von Arkel von seiner Pflicht überzeugte, seinen Freunden treu zu bleiben und für ihre Sache zu kämpfen, während, erst wenn der Friede wieder im Lande herrsche, es ihm frei stehe, den Empfindungen seines Herzens Rechnung zu tragen. Für Herrn Wilhelm aber mag der Kampf zwischen Liebe und Pflicht heiß genug gewesen sein.«

Die Gräfin antwortete nicht, doch schien sie zu glauben und gern zu hören was ihr Beichtvater sagte.

»Liebe oder Pflicht,« fuhr dieser fort; »o, ich begriff seinen Kampf, den er mir zu schildern versuchte. Daß er es vermocht hat, durch ein Gelübde gebunden, Euch feindlich gegenüber zu stehen und doch im Herzen vor Euch knieend – Gott weiß es! es ist ein Sieg starken Willens über des Herzens heißes Verlangen, den er errungen – ein schwerer Streit, dem Mancher erlegen wäre!«

Der Abt sprach mit ungewöhnlicher Lebendigkeit und gesenkten Hauptes hörte Jacoba ihm zu, als er fortfuhr: »Meine Tochter, solch einem Manne müßt Ihr vergeben, er ist dessen würdig, müßt ihm Eure Gunst wieder zuwenden. Der Bischof von Luik muß sich in Euch getäuscht sehen; es ist die beste Rache, die Ihr an ihm nehmen könnt, wenn Ihr Herrn Wilhelm Euer ganzes Vertrauen wieder schenkt und dadurch zu erkennen gebt, daß Ihr niemals an ihm gezweifelt.«

Der Abt hatte ein Wort gebraucht, das bei ruhigerem Gemüth seinen Lippen gewiß nicht entschlüpft wäre; er, der Mann des Friedens, durfte doch der Rache nicht Vorschub leisten. Aber die erregte Stimmung, in der er sich befand, der Eifer, einer guten Sache zu dienen, wirkten Empfindungen in seiner Seele, die ihm, bei rechter Ueberlegung, selbst tadelnswerth erschienen wären. Jacoba aber hatte das Wort überhört und sagte traurig: »Mein Vater, ich habe an ihm gezweifelt.«

»In Wahrheit habt Ihr das nicht, Gräfin, denn alsdann würdet Ihr, Eurem Charakter treu, ihn hassen. Nein, nein, Ihr müßt einsehen, daß Arkel recht gehandelt und Eure Hochachtung verdient.«

»Fürwahr,« versetzte Jacoba mit einiger Befremdung, »Arkel muß Eure Theilnahme in hohem Grade gewonnen haben!«

Abt Bernhard blickte die hohe Frau an und sagte mit Wärme: »Meine Theilnahme? Nein, Gräfin, mein ganzes Herz! Wahrlich, Herr von Arkel hat den bittern Kelch bis auf den Grund geleert!«

Jacoba schwieg eine Weile, dann sagte sie ruhig: »Wir wollen jetzt nicht weiter davon reden, ich muß überlegen. Arkel ist schwer verwundet.«

»Und während Ihr überlegt,« fuhr der Abt eifrig fort, »blutet die Wunde seiner Seele, schmerzt ihn das Bewußtsein Eurer Ungnade; – denn, Frau Gräfin, Herr Wilhelm liebt Euch, liebt Euch von ganzem Herzen, und die Ungewißheit hält seine Genesung auf.«

»Hat er Euch beauftragt mir das zu sagen?« fragte Jacoba hastig.

»Meine Tochter,« versetzte der Abt ausweichend, »ich weiß, daß augenblicklich mehr in Euch vorgeht, als Ihr mir gesteht, Euer Herz ist nicht ohne Erbarmen für ihn.«

»Wer sagt Euch das, Ehrwürden? die Gräfin muß sich erst wieder in die Möglichkeit eines vollen Glückes versenken, ehe sie vergessen kann, was hinter ihr liegt.«

»Darf ich ihm das sagen?« fragte der Abt.

Jacoba stützte das Haupt in die Hand; – »sagt ihm – doch nein, er muß zuvor genesen sein und selbst zu mir sprechen; sagt ihm jetzt nur, Jacoba sei von seinem innern Kampf überzeugt.«

»Ist das Alles?«

»Wozu mehr? Bin ich von seinem inneren Kampf überzeugt, so muß ich doch seines Herzens gewiß gewesen sein. Sorgt, mein Vater, daß es ihm an nichts fehle und er bald wieder hergestellt sei.«

Leises Klopfen an der Thür unterbrach die Unterredung; ein Kammerdiener trat ein und meldete die Ankunft eines Gesandten aus Brabant, der um eine Audienz bitten lasse.

»Hier, und in diesem Augenblick?« rief die Gräfin bestürzt aus.

»Wann wollen Ew. Gnaden die Gnade haben ihn zu empfangen?« fragte der Kammerdiener.

»Sobald wir nach dem Burgschloß zurückgekehrt sind,« erwiderte sie etwas verstimmt; »wahrlich, wir haben andere Pflichten, als Unterredungen zu führen, die doch nichts bezwecken.«

»Aber Gastfreiheit ist auch eine Pflicht,« wagte der Abt zu bemerken.

»Gewiß,« sagte die Gräfin zustimmend, »und deshalb sorgt dafür,« befahl sie dem Kammerdiener, »daß der Gesandte mit allen Ehren bedient werde. Empfangen will ich ihn jedoch erst, wenn ich nach der Residenz zurückgekehrt bin.«

Nachdem Jener sich entfernt, fuhr sie fort: »Ich will's Euch nicht verschweigen, mein Vater, in welcher Veranlassung dieser Gesandte zu uns kommt.«

»Es ist bekannt, meine Tochter,« erwiderte der Geistliche, »und eben deshalb rede ich Arkel das Wort. Was würde Euer Loos sein in einer Ehe mit dem fünfzehnjährigen Johann von Brabant?«

»Wir werden einfach nicht darauf eingehen,« versetzte die Gräfin, »Ihr selbst müßtet es mir widerrathen.«

Abt Bernhard stand auf, um sich zu verabschieden, wandte sich aber, schon im Begriff aus der Thür zu gehen, wieder zurück und sagte: »Frau Gräfin, gestattet mir noch ein Wort für Eure Gefangenen zu sprechen. Es ist ein junger Mann unter ihnen, der mir sehr am Herzen liegt und der mit einem sehr lieben Mädchen verlobt ist.«

»Wie heißt er?«

»Herr Wilhelm van der Houve.«

»Wir wollen sehen. Viele sind unter ihnen, die uns lange schon feindlich waren, doch sind auf meinen Befehl alle gut versorgt; einen Unterschied kann und will ich indessen nicht machen. Gerechtigkeit ist die erste Pflicht der Fürstin, Gnade mag die letzte sein.«

»Aber die Gerechtigkeit schließt doch die Gnade nicht aus,« entgegnete der Abt leise; »dieser Jüngling hat sich nichts gegen Euch zu Schulden kommen lassen, als daß er seinem Capitain treu gedient.«

»In der Lage sind Viele; doch wir wollen sehen. Unterwerfen und ergeben sich meine Gefangenen wirklich, so wird ihre Fürstin die Erste sein, die vergibt und vergißt.«

Der Geistliche mußte sich damit begnügen. Schweigend verabschiedete er sich von der hohen Frau und kehrte bewegten Herzens in sein Zimmer zurück.

Die Gräfin aber gab sich ihren Geschäften wieder hin. Herr van der Burg war bei ihr und es kostete sie nicht geringe Anstrengung ihre Gedanken von Allem, was sie vor wenig Augenblicken innerlich durchlebt, loszumachen, sich ungetheilt den ernsten Angelegenheiten des Staates zu widmen, die ihr ganzes Nachdenken erforderten. Sie fühlte sich müde und erschöpft, zwang sich jedoch, allen Berichten ihres Geheimsecretairs volle Aufmerksamkeit zu schenken; das Hauptsächlichste darunter war eine Bittschrift der Stadt Gorkum, von den angesehensten Bürgern unterzeichnet, eine Bitte um Gnade und Vergebung, durch das Gelübde neuer Treue und Ergebenheit an das Fürstenhaus unterstützt.

Die Bedingungen der Begnadigung, von der Gräfin früher schon gestellt, hatten die guten Bürger Gorkums angenommen und waren nicht wenig froh, wieder herstellen zu dürfen, was der Krieg verheert, Handel und Wandel, durch ihn gehemmt, wieder aufnehmen zu können. Was jedoch die Auswechselung der Gefangenen betraf, so sollte sie Statt haben, sobald man sich über die vorläufigen Friedensartikel geeinigt; da indessen die Zahl Jener auf Seiten der Gräfin die der Kabeljauer weit übertraf, war es schwer zu entscheiden, welche der Soldaten zuerst den Ihrigen wiedergegeben werden, welche bleiben sollten, bis ein möglicher neuer Wechselfall des Krieges auch diese in Freiheit setze.

Am Abend aber dieses Tages, welcher der Gräfin so viel Gemüthsbewegung und Arbeit gebracht, sollte, altem Herkommen nach, ein Gottesdienst zur Feier des Sieges und zum Andenken der Gefallenen gehalten werden; Jacoba wollte daran Theil nehmen, denn es war ihr Bedürfniß, sich mit der leidtragenden und betenden Gemeinde im Tempel des Herrn zu vereinigen und einen Todtenkranz auf die Bahre ihrer Tapferen zu legen.

In der Stadt herrschte Ruhe und Ordnung; man arbeitete fleißig, um die von den plündernden Rotten angerichteten Schäden zu bessern, auch hatte die Gräfin erlaubt, die hin und wieder eingestürzten Wälle sofort in Stand zu setzen; die Stadtthore geöffnet zu halten, gestattete sie jedoch nicht und ließ die Schlüssel derselben einstweilen in den Händen ihres Befehlshabers. Viele Häuser aber waren zu Trauerhäusern geworden und mancher glückliche Familienkreis in wenig Stunden zerrissen.

Sobald der frühe Abend sich herabsenkte, belebten sich die sonst um diese Zeit so stillen Gassen und eilten Alle einem Ziele zu, der kleinen Kirche, welche die große Schaar der Trostbedürftigen kaum zu fassen vermochte; selbst die Gräfin hatte, als sie mit ihrem kleinen Gefolge eintrat, Mühe genug zu ihrem Platze zu gelangen; dicht gedrängt stand die Menge und manches Auge war mit Thränen gefüllt, in manchem Antlitz drückte sich tiefer Schmerz aus; Greise hatten ihre Söhne fallen sehen, Frauen waren ihres Ernährers beraubt, andern kehrte wohl der Gatte zurück, aber ohne den ältesten Sohn, die Krone des Hauses; Schwestern hatten ihre Brüder hingeben müssen, Bräute sahen ihre schönsten Hoffnungen vernichtet, ihre liebliche Zukunft, einer Fata Morgana gleich, in nichts versunken. Aber der Abt Bernhard hatte für Alle ein tröstliches Wort; mit der ganzen Kraft seines tief empfindenden Herzens, mit der vollen Ueberzeugung seines Glaubens wußte er die frohe Botschaft des Heils den Müden und Zerschlagenen, den Bekümmerten und Betrübten zu bringen und als das » Soli Deo Gloria« als Siegeslied angestimmt wurde, war in der ganzen trauernden Gemeinde nicht Einer, der nicht, wenn auch mit gebrochenem Herzen, in dasselbe einstimmte.

Am nächsten Morgen aber kehrte die Gräfin nach ihrem Palais zu 's Gravenhage zurück, Heemstede in Gorkum lassend, um an ihrer Statt für Aufrechthaltung der Ordnung und des Friedens zu sorgen.

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