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In einer der Fensternischen des Wohnzimmers der Familie Wendenberg sitzt Catharina. Sie ist emsig mit der Nadel beschäftigt und wirft nur dann und wann einen Blick auf die Vorübergehenden, die, meist dem Arbeiterstande angehörend, nach ihrer Werkstatt oder nach dem Felde eilen. Frau Griete sitzt neben ihr, läßt die Perlen ihres Rosenkranzes langsam durch die Finger gleiten und ist sichtlich von Gedanken bewegt, die ihre ganze Seele erfüllen: das Leid ihres Kindes. Das Leid? – Ach, wovon anders waren die rosigen Wangen der Jungfrau so bleich, die Augen, einst klar und fröhlich, so trübe und ernst geworden? Doch kannte selbst die Mutter nicht die Ursache desselben, vermochte nicht den scharfen Stachel zu entdecken, der sich in ihrer Catharina Herz gebohrt; das junge Mädchen verbarg ihr Leid sorgsam während sie ihre Lippen zum Lächeln zwang. Der Mutter entging das nicht und sie flehte zu Gott, Er möge alle Noth wenden, welche die unruhvollen Zeiten auch über ihr Haus gebracht, damit Glück und Frohsinn wieder die bleichen Wangen färbe, auf denen ihr Auge so oft sorgend ruhte.
Bewegte Tage durchlebten auch die Landbewohner; während man von unvermeidlichem Kriege sprach, wütheten drüben im Südwesten Rache und Mordlust, Zerstörung und Plünderung. Schon war die Kunde, die Gräfin habe ihre Heere versammelt, auch hierher gedrungen, und manche Familie mußte ihre Söhne zum Kriegsdienst hergeben; schon war es bekannt geworden, daß Vlaardingen sich auf Seiten der Kabeljauischen gestellt und die hoek'sche Partei aus der Stadt getrieben hatte, wobei es hieß, die Gräfin habe eine Belagerung derselben beschlossen, welche, falls nicht fremde Truppen der feindlichen Partei zu Hülfe kämen, Erfolg haben würde. Ebenso wußte man bereits, daß auch Gorkum sich zu offenem Protest erhoben und mit den Herren Johann von Arkel und von Egmont verbunden hatte, um sobald möglich die Anhänger der hoek'schen Partei zu vertreiben und eine neue Ordnung in der Regierung fördern zu helfen. Daß solche Nachrichten nicht geeignet waren die Herzen der Mütter und Frauen zu ermuthigen, ist selbstverständlich, und begreiflich, daß Griete Wendenberg oft bekümmert auf ihre Tochter blickte, als wolle sie fragen: »was wird aus dir, was aus Wilhelm werden?« Doch hielt sie solch Fragen zurück, um ihres armen Kindes Herz, das schon genug um den Verlobten zu sorgen schien, nicht noch mehr zu beunruhigen. Ob wirklich nichts Anderes Catharinens Muthlosigkeit zum Grunde lag, wird sich zeigen; gewiß ist, daß sie großes Verlangen trug ihren Wilhelm zu sehen, der durch den Drang der Zeiten schon so viele Wochen fern gehalten war; – doch ahnte sie nicht, wie bald dieser stille Wunsch ihres Herzens sich erfüllen sollte.
»Da kommt Vater!« sagte plötzlich Frau Griete, indem sie den Rosenkranz an der Seite herabfallen ließ, und lächelnd der Tochter schwarzes Haar streichelnd, setzte sie hinzu: »lauf' Kind und öffne die Thür, ehe der Klopfer geht.«
Catharina stand, dem Geheiß der Mutter folgend, eilig auf und einen Augenblick danach schon sah sie sich von zwei Armen umfaßt, vernahm sie von lieben Lippen ein flüsterndes: »Meine Catharina!«
»Wilhelm! Wilhelm!« und schluchzend barg sie ihr Haupt an des Geliebten Brust.
»Was ist Dir, mein Mädchen?« fragte der Fähndrich verwundert, hob ihr Antlitz empor und sah ihr in die thränenden Augen.
»O laß mich, Wilhelm, laß mich einen Augenblick!« schluchzte sie, »mich hat so sehr nach Dir verlangt.«
»So sehr, daß Du bleich und elend wurdest und Deine besorgten Eltern mich bitten mußten herüber zu kommen. Nun bin ich da und Du darfst mich bis morgen Mittag behalten!«
»Meine Eltern?« fragte Catharina leise, während sie ihre Thränen zu unterdrücken suchte, »nimmer doch sagte ich ihnen davon!«
»Nein, aber ein Mutterauge sieht scharf,« versicherte Frau Griete, die herbei gekommen war; »komm, liebes Kind, eile Dich und sorge, daß Wilhelm zu essen bekommt,« – und als Catharina, der Weisung folgend, in die Vorratskammer, der Fähndrich aber mit der Mutter in's Wohnzimmer ging, sagte diese:
»Es ist die beste Ableitung für Catharina, etwas für Euch zu beschaffen; Ihr werdet sehen, bald kommt sie herein und ist fröhlich.«
»Aber was erregt sie denn so?« fragte Wilhelm, »waren wir doch früher schon viel länger von einander getrennt und nimmer noch sah ich mein Mädchen schwach.«
»Ihr habt Recht; auch ich begreife nicht, was ihre jetzt so trübe Stimmung veranlaßt – vielleicht findet Ihr den Schlüssel zu diesem Geheimniß.«
»Ich hoffe es,« versetzte Wilhelm. »Sieh, da ist meine Catharina, den müden Gast zu erquicken,« fuhr er freundlich fort, als die Jungfrau eintrat und ihm einen Becher mit Wein reichte, den er in einem Zuge leerte und dann ihre Hand nahm, indem er ihr fest in die Augen sah.
Catharina lächelte. »Das thut Dir wohl, und gleich sollst Du ein Mittagessen haben, nach dem Du morgen Fasttag halten kannst.«
»Von Fasten wissen wir Soldaten nichts, außer zu den von Priestern verordneten Zeiten; nach einem Mittagsmahl aber, von Deinen Händen bereitet, habe ich eben besonderes Verlangen.«
Frau Griete legte nun mit ihrer Tochter Hand an, und nachdem das einfache Mahl hergerichtet und man es gemeinsam eingenommen, schlug Wilhelm seiner Catharina vor, einen kleinen Spaziergang mit ihm zu machen, wozu sie gern bereit war.
Es war zwei Uhr als die Verlobten fortgingen und, einen Seitenweg einschlagend, ihre Schritte nach dem nah gelegenen Wäldchen richteten. Die Sonne schien hell und machte das Herz leicht und fröhlich, die Vöglein flogen zwitschernd von Ast zu Ast, und ein sanfter Wind, in den Zweigen säuselnd, streifte die üppigen Kornfelder, daß sie einer wogenden See glichen. Unmittelbar wirkt das Leben der reichen, friedevollen Natur auf das Gemüth und auch Catharina ließ, heiterer gestimmt, die Augen über die hübsche Landschaft ringsumher schweifen. Auf ihren Verlobten sich stützend flüsterte sie leise:
»Wie reich ist doch das Leben, wie reich auch an Liebe!«
»Gewiß, mein Mädchen,« antwortete der Fähndrich, »doch sag', fühlst Du wirklich die Bedeutung jenes Wortes?«
»Wie könnt' ich anders, Wilhelm, nun Du bei mir bist und ich in Deinen Augen lesen darf, daß Du mir jetzt und ewig angehörst.«
»Und bin ich nicht da, so trauerst Du und siechst, und die lieben Augen, die mir so viel sagen, werden trübe, die frischen Wangen bleich; macht Dir Deine Liebe denn nicht grade das Gegentheil zur Pflicht, meine Catharina?«
»Nun schiltst Du mich wie ein unartig Kindchen,« entgegnete sie und hob den kleinen Zeigefinger drohend in die Höhe; – »aber, mein Freund, es ist nicht allein unsere Trennung, die mich Thränen kostet.«
»Du hast also ein heimliches Leid?«
»Ich will es nicht leugnen – doch es wird vorübergehen wie die Morgenwolken eines schönen Tages. Sieh, nun Du bei mir bist, denk' ich schon nicht mehr daran und genieße voll und ganz den freundlichen Sonnenschein –«
»Aber hernach wird es wieder kommen und Dich mit erneuter Gewalt beugen,« unterbrach der Fähndrich sie; »deshalb wüßte ich gern welch ein Leid es ist.«
»Wozu, Wilhelm? Besser ist, ich trag' es allein.«
»Nein, Catharina, nein; auch glaube ich fest, es Dir nehmen zu können.«
»Und wenn nicht, wenn nun meine Mittheilungen auch Dich trübe stimmten?«
»Dann tragen wir miteinander; getheiltes Leid drückt weniger,« versicherte der junge Mann.
»Du weißt mich stets zu gewinnen, Wilhelm! Nun, so höre denn. Du erinnerst Dich doch, daß, fast gleichzeitig mit Deiner Abreise nach Gorkum, die Gräfin mit ihrem Hofstaat fortzog. – Und hast Du wohl einmal jenes Abends gedacht, als Vater Bernhard kam um Abschied zu nehmen? Ach, ich schätze ihn so hoch, den treuen Seelsorger! Nicht allein in der Beichte vertraute ich mich ihm, – er kannte auch sonst alle die kleinen Geheimnisse meines Herzens, und nicht selten hat sein Wort, seine Fürbitte mir zu Trost und Stärkung gedient. Du ahnst nicht, wie viel ich in ihm verlor, denn – wunderbar ist's und doch wahr – seit Du Mißtrauen gegen den Priester von Liethorp faßtest, überzeugte ich mich mehr als einmal, daß dies nicht ungegründet ist und Du begreifst daher, wie unmöglich es mir war, bei innerer Noth und Unruhe seinen Zuspruch zu begehren.«
»Aber was ist's denn endlich, Catharina, was Dich beunruhigt?«
»Hör' es, Wilhelm. Kurz nach Deinem und Abt Bernhards Weggang kam hier ein Trupp umherziehender Leute durch, die von Einigen für Verbannte gehalten werden, weil ihre Vorfahren unserer lieben Frau, als sie mit Gott aus Egypten flüchtete, Herberge geweigert, Hofdijk. – Ous Voorgeslacht. welche aber der Priester und die geistlichen Brüder Zigeuner nannten. Eines Tages nun besuchte ich Kranke im Dorf und ging auch zu der alten Hertha – Du kennst sie ja.« –
»Wohnt sie nicht am Ausgange des Dorfes?« fragte der Fähndrich.
»Ganz recht. Dort traf ich ein altes Weib, welches der armen, hoffnungslos leidenden Hertha Heilmittel gebracht hatte. Sobald nun diese Zigeunerin – denn ihr unheimliches Aeußere verrieth sie mir gleich als solche – mich eintreten sah, sagte sie: ›Sieh da, eine kleine Prinzeß! reich mir Dein Händchen, liebe Dame!‹ Ich schrak zurück, aber sie drang in mich und mir selbst Muth einsprechend, willfahrte ich ihr. Sie beschaute darauf meine Hand von allen Seiten, murmelte schwerverständliche Worte –«
»Die Dich beunruhigten?« fragte Wilhelm.
»Freilich thaten sie das.«
»Und erinnerst Du Dich derselben?«
»Gewiß; doch besser ist's, ich verschweige sie Dir.«
»Weshalb das? Nein, Catharina, nein, sag's heraus was jenes Weib sprach,« bat der Fähndrich.
»Nun, die Zigeunerin sagte: ›Du bist eine Prinzeß, denn Du herrschest über die Herzen –‹«
»Ei, das ist nichts Böses!« rief Wilhelm scherzend aus, »mein's beherrschest Du wenigstens ganz.«
»O Wilhelm, spottest Du, sag' ich kein Wort mehr.«
»Nein, nein! ich bin ganz ernst und höre mit beiden Ohren; nun weiter.«
»Dann sagte sie,« fuhr Catharina fort, »›Liebe nagt wie ein Wurm an einem jungen Leben, der aber, welcher liebt, ist verflucht!‹ Weib, sagte ich, ist's Euch gegeben, die Zukunft zu enthüllen? Sie nickte mit dem Kopf und so viel Mühe ich mir jetzt auch gab, ihr meine Hand zu entziehen – denn ich fürchtete mich, verborgene Dinge zu hören – es gelang mir nicht und ohne daß ich es zu hindern vermochte, sprach sie diese Verse, die ich, nach Hause gekommen, gleich niederschrieb, um sie nicht zu vergessen.« Damit zog Catharina ein Blatt Papier aus ihrem Seitentäschchen und reichte es Wilhelm.
»›Ich habe gesehen‹« – las dieser laut – »wie hat das Weib sehen können?« schaltete er ein.
»In meiner Hand vielleicht oder in den Sternen,« meinte Catharina; »doch lies, Wilhelm, lies und sag' selbst, ob ich nicht Ursache habe mich zu ängstigen.«
»›Ich habe gesehn, daß bei Gorkum fällt
Der Dich liebt, und er seufzt dort in Angst und Pein.
Bleib' ihm treu, im Leben und Tode bleib' sein.‹«
»Nun, das ist doch nur eine gute Ermahnung,« versetzte der Fähndrich scherzend, indem er seine Verlobte ansah.
»Ja, aber vorher steht: er fällt, der Dich liebt! Lies nur weiter, Wilhelm.«
»›Ich habe gelesen, Dein Schicksal ist trübe.
Drei Namen geschrieben sind in Deiner Hand,
In's Leben Dir greift der im Priestergewand.‹«
Des Fähndrichs Antlitz verfinsterte sich und ohne eine Bemerkung zu machen, fuhr er fort:
»›Der dritte, er war ein wahrhafter Held.
O Jüngling, was eilest Du so Dich zu rächen!
Sein harrte das Glück – doch er durft es nicht schmecken.‹«
Catharina sah Wilhelm mit ängstlichen Blicken an, als träte ihr, nun sie jene Worte abermals hörte, die ganze Schreckensscene, die damals so tiefen Eindruck auf sie gemacht, aufs Neue vor die Seele, begriff sie gleich Sinn und Bedeutung des Gesprochenen nicht. Der Fähndrich bemerkte ihre Angst nicht und las weiter:
»›Nun ist er erschlagen, der tapfere Held,
Der Leitern trägt roth, in silbernem Feld.
»
Der Leitern trägt roth, in silbernem Feld,« Anspielung auf Herrn von Arkels Wappen, das früher aus zwei runden Thürmen mit blauem Kuppeldach in goldenem Felde bestand, jedoch in zwei rothe Leitern in silbernem Felde verändert wurde, als Hindeutung auf die Leitern, die Arkels Helden beim Erklimmen von Stadtmauern nicht selten mit ihrem Blut gefärbt hatten. Ihre Fahne war ebenfalls weiß oder silbern.
Dessen frühes Grab deckt die weiße Fahn' –
Bei Gorkum fängt dies Trauerspiel an.‹«
Als Wilhelm jetzt aufsah, fand er Catharina leichenblaß. »Mein Gott, was ist Dir?« rief er besorgt aus, indem er seinen Arm um sie schlang – »bist Du krank?« Sie barg ihr Haupt an seiner Brust und weinte. »Sag' mir alles, mein Mädchen,« bat er, führte sie nach einer Grasbank und ließ sich dort mit ihr nieder. »Das ist also das heimliche Leid, das Dich Tag und Nacht gequält hat! Du glaubst, was die Zigeunerin gesprochen und fürchtest für mich?«
»Weshalb soll ich es leugnen?« sagte Catharina leise; »ja, Wilhelm, ich fürchte für Dich, Deine Compagnie liegt ja in Gorkum.«
»Freilich, aber noch herrscht Friede in der Stadt, und die guten Bürger sind ruhig –«
»Noch! doch wie lange? Sag' Wilhelm, ist es wahr, daß die Gräfin ihre Heere gesammelt? ist es wahr, daß die Belagerung von Vlaardingen geglückt ist?«
»Ja, das ist so; doch jetzt geht das Gerücht, die Kriegsmacht der Gräfin sei gänzlich geschlagen – was daran ist, weiß ich nicht.«
»Ist es wahr,« fragte Catharina weiter, »daß Herr von Arkel freigesprochen und zu den Seinen zurückgekehrt ist?«
»Auch das ist wahr; – doch wie kommt's, daß Du danach frägst?«
»Die Zigeunerin prophezeihte auch das; ihre eigenen Worte sind mir jedoch entfallen. Also hat sich zum Theil schon erfüllt was sie wahrsagte!«
Der junge Fähndrich sah ernst vor sich hin und schwieg. Endlich, als sei dies Schweigen peinlicher noch als sprechen, fragte er leise: »Was sagt der Priester zu diesen Dingen?«
»Der Priester? Ich sagte Dir schon, daß ich kein Vertrauen zu ihm habe und deshalb verschwieg ich ihm dies alles in der Beichte; – mein Friede aber ist seitdem dahin.«
»Arme Catharina! Doch scheint's mir nicht ganz richtig, daß Du dem Priester Dein Vertrauen entziehst um eines Argwohns willen, der vielleicht ganz unberechtigt ist. Versuch's einmal mit ihm über die Sache zu sprechen, so wirst Du gewiß ruhiger werden.«
»Nein, Wilhelm! Verlange das nicht von mir,« rief das junge Mädchen heftig aus; – »aber sag' mir, was hältst Du von den Worten der Wahrsagerin?«
»Ach, man muß nicht zu viel auf solche Dinge geben! Doch wahrlich, Catharina, ich verstehe nicht, weshalb Du plötzlich solche Angst vor dem Priester hast – verbirgt sich auch dahinter ein Geheimniß?«
Catharina erröthete und antwortete nicht sogleich, als aber ihr Verlobter weiter in sie drang, sagte sie ausweichend:
»Hast Du nicht selbst bei Deinem letzten Hiersein Grund zu einem Argwohn gegen ihn gefunden, den ich damals nicht theilen konnte, überzeugt, Du thuest ihm Unrecht?«
»Du denkst daran, wie ich ihn im ›Grünen Busch‹ traf? Nun ja, Catharina, jene Begegnung machte einen ungünstigen Eindruck auf mich, ich leugne es nicht – doch seitdem habe ich nie wieder an die Sache gedacht und bin dem Priester nie wieder begegnet.«
»Ich aber vergaß es nicht,« versetzte die Jungfrau, »und öfter, wenn mir der Priester in Begleitung des Priors von Engelthal begegnete und die laute Unterredung der beiden Herrn, sobald sie meiner ansichtig wurden, verstummte, habe ich gemeint, Dein Argwohn sei doch wohl nicht ohne Grund und suchte ihm auszuweichen. Ob ihm das aufgefallen und er durch freundliches Zuvorkommen mein Vertrauen wieder gewinnen wollte, ich weiß es nicht; – doch gewiß ist, daß er keine Gelegenheit vorübergehen ließ, mit mir zu sprechen, und stets erzählte er mir dann von der Großartigkeit des Hoflebens, von der Ehre zum Hofe zu gehören, von dem Segen, den man davon habe und dergleichen mehr. Was dahinter steckt, das weiß ich nicht, aber ihm vertrauen – nein, Wilhelm, das kann ich nicht!«
»Und der Kaplan von Hoogmade?«
»Den kenne ich zu wenig; – dazu habe ich eine entschiedene Abneigung gegen das Beichten gefaßt.«
»Das ist nicht gut, mein Mädchen!«
»Ich weiß es wohl, Wilhelm; – doch wüßtest Du –« und Catharina erröthete tief.
» Noch ein Geheimniß, du Liebe?« fragte er erstaunt.
»Vor Dir habe ich keines. Aber Du weißt selbst wie eigenthümlich unser Priester sein kann und ich muß immer an jenes Wort der Wahrsagerin denken: ›In's Leben Dir greift der im Priestergewand‹ – was kann es doch bedeuten?«
Der Fähndrich schwieg und sah ernst vor sich hin, während Catharina fortfuhr: »Du wirst es begreifen, daß ich seitdem eine unbestimmte Scheu habe vor allen Geistlichen, weiß ich doch nicht auf welchen der Priester jene Worte hindeuten!«
»Aber vor dem Beichtvater der Gräfin kannst Du Dich doch nicht fürchten?«
»Nein, dem vertraue ich immer.«
»Nun, so sprich doch mit ihm! Zufällig hörte ich auf meiner Herreise, der Abt werde nächsten Sonntag den Morgengottesdienst zu 's Hage halten; dahin mußt Du gehen – nein, widersprich mir nicht,« setzte Wilhelm hinzu, als erfülle dieser Gedanke ihn mit neuer Hoffnung, und, den Finger auf Catharinens Mund legend, als sie eben Bedenken aussprechen wollte, sagte er: »ich werde es zu machen wissen, daß Dein Vater einwilligt und Dich auch begleitet.«
»Das wäre wohl herrlich,« meinte die Jungfrau, »aber es geht nicht. Sieh, einmal müßtest Du dem Vater alsdann von meinem Geheimniß sagen, und würde er mein Mißtrauen gegen den Priester von Liethorp theilen, so trüge ich die Schuld an dessen Unglück, denn Du weißt wie kräftig mein Vater ihn unterstützt.«
»Ich weiß es; ohne das müßte er Mangel leiden » Ohne das müßte er Mangel leiden.« Dies Wort ist völlig wahr in Bezug auf die Bedürftigkeit der Landpriester jener Zeit. Tag und Nacht mußten sie ihrer Gemeinde dienen, Gesundheit und Leben dabei opfern und hatten oft kaum ausreichende Mittel um anständig, ja, um wie ein einfacher Handwerker zu leben, während so viele Abteien, Klöster etc., die der Welt durch Rüstigkeit, Demuth, Enthaltsamkeit von allen irdischen Genüssen und Gelüsten, kurz, durch ein heiliges Leben hätten vorleuchten müssen, oft nicht allein reichliche und herrliche, sondern fürstliche und königliche Güter besaßen und davon dann auch fürstlich und königlich zu leben verstanden. (von Lennep's obengenanntes Werk.) und vielleicht möchte ihm das ganz dienlich sein – indessen wollen wir dazu nicht mitwirken. Doch sei ruhig, Catharina, ich werde schon Gründe finden, Deinen Vater für meinen Vorschlag zu gewinnen.«
Die Jungfrau beruhigte sich bei dieser Versicherung, und langsam gingen die Beiden jetzt heimwärts; Wilhelm, der starke junge Mann, voll Lebensmuth und Lebenskraft, Catharina, die zarte Jungfrau, mit Beben der Zukunft entgegensehend, beim ersten Sturm vielleicht schon erliegend; er, die frische, feurige Natur, nur durch Catharinens sanfte Hand bezwungen, sie, so ernst und doch so freundlich, nur von einem Verlangen beseelt, von dem Verlangen Licht und Freude um sich zu verbreiten. Und während sie so wandelten und die trübe Stimmung allmählich fröhlichem Geplauder wich, während die Sonne immer längere Schatten warf, und die Landschaft ringsum in immer schönerer Beleuchtung vor ihnen lag, da fühlte das junge Mädchen, daß auch ihr Leben nicht vergeblich gewesen; mochte dann kommen was wollte – Liebe sollte der Grundton ihrer Seele bleiben und sie glaubte, von der rechten Liebe geleitet, auch in den dunkelsten Tagen muthig bleiben zu können.
Von solchen Gedanken erfüllt kamen sie nach Hause. Frau Griete sah mit Freude Catharinens rosige Wangen und einen Schimmer früherer Heiterkeit über ihr Wesen ausgebreitet. »Wilhelm's Kommen hat also geholfen,« dachte sie, und während Jene den Abendtisch besorgte, fragte sie den Fähndrich:
»Ist's Euch gelungen, Catharinens Geheimniß ausfindig zu machen?«
»Vollkommen, liebe Mutter.«
»Und glaubt Ihr, die Ursache dieses stillen Leids könne gehoben werden?«
»Erlaubt mir, Mütterchen, darüber zu schweigen; meine Catharina hat mir ihren Kummer vertraut, aber ihr Geheimniß ist mir heilig.«
»Hat nicht aber die Mutter ein Recht es zu kennen?« fragte Frau Griete zögernd.
»Theilt Catharina selbst es Euch mit, gewiß, und ich zweifle nicht, sie wird es thun. Ich aber darf Euch nur sagen, daß Furcht vor einem nahenden Unglück die hauptsächliche Ursache ihres Kummers ist. Ihr wißt ja, was vor Vlaardingen geschieht, und wie in allen Provinzen Gesandte bemüht sind, Hülfstruppen in Menge zu werben; wer weiß, wie bald wir schwere Tage erleben. Und Catharina fürchtet diese ebenso sehr als ich; – nicht daß es mir an Muth fehlte auch der größten Gefahr entgegen zu gehen, aber mir ist, als stehe uns ein unbekanntes Leid bevor.«
Frau Wendenberg sah den Fähndrich ängstlich an und dieser fuhr fort: »Der Sieg muß auf der Seite des Rechts sein, aber wer ist hier im Recht? Falle ich, Mutter, so tröstet meine Catharina und sagt ihr, wie ich sie so lieb gehabt; gestattet ihr aber nimmer den Schleier zu nehmen; sie möchte im ersten Schmerz nichts Anderes wünschen, diese stete Abgeschiedenheit aber paßt nicht für ihren Charakter. Gott weiß es, Mutter, ob ich sie nicht morgen zum letzten Mal sehe – doch ich lasse sie in Euren Händen!« und in tiefer Bewegung sah er Frau Griete ernst und wehmüthig an.
Unter dem Mittagsmahl fand Wilhelm Gelegenheit Catharinens Wunsch in Bezug auf eine Unterredung mit dem Abt zur Sprache zu bringen, ohne jedoch ihren besonderen Zweck zu nennen. »Mein Mädchen muß während meiner Abwesenheit durchaus ein wenig Zerstreuung haben,« versicherte er, »und nächsten Sonntag wird in der Klosterkirche des heiligen Vincent zu 's Hage ein alter Freund von Euch predigen, der Beichtvater der Gräfin wird den Morgengottesdienst dort halten und weil das so selten geschieht, solltet Ihr doch hingehen.«
»Da müßten wir gar zu früh fort,« wandte Herr Wendenberg ein.
»O nein; bestellt Ihr die Pferde zu sieben Uhr, so kommt Ihr zeitig genug, man reitet ja kaum drei Stunden.«
»Aber meine Frau kann nicht reiten,« bemerkte der Vater.
»Laß Dich das nicht kümmern,« bat Frau Griete, »ich werde keinenfalls von der Partie sein. Doch weiß ich noch Besseres. Drei Stunden zu reiten ist ermüdend; geht morgen mit Wilhelm fort, fast bis zur Hälfte habt Ihr ja gleichen Weg, und die Samstagnacht bleibt Ihr im Gasthof – es wird für Catharina ein herrlicher Ausflug.«
Der Vater stimmte dem Plan zu und als die kleine Gesellschaft am nächsten Mittag reisefertig, die Pferde gesattelt waren, küßte Catharina, frisch und wohl aussehend, ihre Mutter zum Abschied; – nach einer Weile hörte man in dem jetzt so stillen Hause nur noch den rasch sich verlierenden Hufschlag der schnellen Rosse.