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Der Bischof von Luik.

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. In dem großen Empfangsaal des Lustschlosses erwartete eine ansehnliche Hofgesellschaft das Erscheinen der jungen Landesgräfin. Der höchste Adel hatte sich eingefunden, hauptsächlich Freunde des hochgestellten Gastes, der in ungeduldiger Spannung den Blick auf die Flügelthüren gerichtet hielt, durch welche die Fürstin, seine Verwandte, eintreten mußte. Endlich erschien sie, von ihren Hofdamen begleitet, durchschritt rasch den Saal, kniete vor dem Bischof, ihrem Oheim, ihn um seinen Segen bittend, und hieß, nachdem sie sich wieder erhoben, ihn und sein Gefolge mit freundlicher Würde willkommen. Dann speciell an ihren Ohm sich wendend, versetzte sie:

»Es muß eine besonders wichtige Angelegenheit sein, Monseigneur, die Euch nöthigt noch in so später Abendstunde mein Schloß mit einem Besuch zu beehren.«

»Ihr irrt darin nicht, liebe Frau Nichte. Die Nachricht, die ich Euch zu bringen habe, erfordert Eile und Geheimhaltung; ich bitte Euch deshalb meine Edlen mit Speis' und Trank zu versorgen – ein langer Ritt gibt Hunger – während ich Euch in einer besonderen Unterredung mittheile, was wichtig genug für Euch sein wird.«

»Ich genehmige Eure Bitte, Monseigneur, beliebt's Euch mir in den Nebensaal zu folgen,« und sich an die ihr zunächst stehende Dame wendend, fügte sie hinzu: »Liebste Aleide, Pflichten gegen Monseigneur den Bischof machen mir die Pflichten einer Gastfrau augenblicklich unmöglich, weshalb ich Euch dieselben übertrage, Eurer Fürsorge mit Willigkeit vertrauend,« und mit freundlichem Handgruß schritt sie, von dem Bischof gefolgt, dem Seitengemach zu.

Die junge Frau war von stattlicher Gestalt; noch lag das Inkarnat der Jugend auf ihren Wangen, wetteifernd mit dem reinen Glanz der weißen Lilie und der kaum erschlossenen Rosenknospe. Ueber den dunkelbraunen lebhaften Augen wölbte sich die edle Stirn, die kleine römische Nase und die Lippen, sobald sie sich öffneten, eine Reihe glänzend weißer Zähne zeigend, gaben ihrem Antlitz den Ausdruck eines gewissen Stolzes, gemildert jedoch durch das ironische Lächeln, das ihre Züge nicht selten belebte. Denn Jacoba war fröhlichen Characters, und drückte sie zuweilen auch der Ernst des Lebens, so waren die feste Gesundheit, der sie sich erfreute, der scharfe Geist mit dem sie begabt war, gewöhnlich die besten Mittel für sie, sich über die kleinen Mühen und Verdrießlichkeiten des Lebens, von denen Manche sich so tief beugen lassen, zu erheben. Ihre schlanke und liebliche Gestalt trat in den Trauerkleidern noch mehr hervor; das lange, schleppende, mit Hermelin verbrämte Gewand war am Hals etwas ausgeschnitten, um dem steifen Faltenkragen Raum zu lassen, der, wie die eng anschließenden Aermel, mit kostbaren Brüsseler-Spitzen besetzt war. Die Aermel des Oberkleides, ebenfalls mit Hermelin garnirt, fielen lang herab, bei jeder Bewegung des Armes anmuthigen Faltenwurf zeigend; ein reich mit Juwelen besetzter Gürtel endlich umschloß in der Taille das vorn etwas auseinander schlagende Oberkleid, unter dem ein kunstvoll gestickter seidener Rock zum Vorschein kam und ein Füßchen sich blicken ließ, so zierlich und klein, als gehöre es einem Kinde; – Jacoba bedurfte denn auch keines Putzes um schön zu sein, hatte aber trotzdem mit ächt weiblicher Coquetterie kleine Schmucksachen angelegt, die ihren Trauergewändern das Düstere benahmen. Auf dem Kopf trug sie ein zierliches Käppchen, das ihre rabenschwarzen Locken nicht ganz bedeckte und von dem ein langer Schleier, dessen Saum auf der Stirn von Edelsteinen glänzte, hinten herabfiel; ihre ganze Erscheinung war ausdrucksvoll und trotz der Würde und Entschiedenheit, die nicht selten und eben auch jetzt über derselben ausgebreitet lagen, strahlte sie ein reiches Seelenleben, eine ungekünstelte Fröhlichkeit zurück. So war Jacoba, die jetzt dem Bischof von Luik eine Unterredung zugestand, natürlich, lebhaft und doch sich ihrer Würde bewußt.

Und Johann von Baiern Herr Johann von Baiern. Sohn des Herzogs Albrecht von Baiern und Ohm Jacoba's, war mit der hohen Würde des Bischofs von Luik bekleidet. Ehrsucht und Weltsinn bestimmten ihn im Jahre 1418 den geistlichen Stand zu verlassen und sich mit einer Nichte des Kaisers Sigismund zu vermählen, der ihn mit Holland und Zeeland belehnte. Man hält ihn fast allgemein für den Hauptanstifter des Krieges mit Gorkum, während dessen er sich in Dordrecht befand. ( Kok. Vaderl. Woordenboek.)?

Hätten nicht die schwarze Soutane und die feinen weißen Bäffchen seine Würde verrathen, wir würden in ihm eher einen kampfgeübten Ritter vermuthet haben. Die stolze Haltung, das kühne, herrschsüchtige Antlitz, der rasche Gang, die edle aber muskulöse Hand, das Alles ließ nicht auf einen Diener Gottes schließen, der in selbstverleugnender Liebe im Weingarten des Herrn zu arbeiten gelernt. Nein, Hingabe, Unterwürfigkeit lag nicht in den Gesichtszügen dieses Mannes, Sanftmuth adelte nicht seine Thaten, die jetzt noch eine höhere Macht in Schranken hielt. Seine Kleidung war halb geistlich, halb weltlich zu nennen; – zwar trug er, wie gesagt, die Soutane, doch war sie von feinstem, fast seidenartigem Stoff- und von breiten Sammetborden umsäumt; etwas weniger lang als gebräuchlich, ließ sie die Unterkleidung zum Theil frei, die mit Ausnahme der Farbe, vollkommen derjenigen eines Edelmannes glich. Auf den Schuhen von feinem Maroquin fehlte die Diamantrosette nicht und von Edelsteinen glänzte auch das Kreuz, an goldener Kette unter den Bäffchen von kostbaren Brabanter-Spitzen herabhängend.

Sobald der Bischof in das Seitengemach trat, ließ er sein Auge umherschweifen, als suche er einen geeigneten Platz, wo die Unterredung mit seiner Nichte unbelauscht bleibe.

»In unsern aufrührerischen Zeiten haben auch die Wände Ohren,« sagte er gleichsam entschuldigend und führte mit eleganter Verbeugung die junge Frau nach einer der Thür am entferntesten liegenden Ecke des Saals, wo eine hübsch geschnitzte Bank mit weichen Kissen zum Sitzen einlud; nachdem er neben der Gräfin Platz genommen und einen Augenblick in ihrem jugendlichen Antlitz zu lesen versucht, begann er in sanften: Ton:

»Noch immer in Trauer, Jacoba?«

Sie schlug den Blick zu ihm auf, sichtlich überrascht durch die ungewöhnlich freundliche Sprache.

»Wir sähen Euch endlich gern in die Hofzirkel zurückkehren,« fuhr er fort; »es sind schon viele Monate seit dem Tode des Dauphin vergangen und Ihr habt wahrlich das Glück der Ehe zu kurz genossen, um Euch so lange der Trauer hinzugeben; Ihr seid zu jung dazu.«

»Zu jung? Ihr vergeßt, Monseigneur, daß tiefer Schmerz rasch altert und fürwahr, die gegenwärtige Zeit scheint mir durchaus nicht dazu geeignet, daß ich mich den Freuden der Jugend wieder überlasse.«

»Die gegenwärtige Zeit? Sagt, liebe Nichte, was meint Ihr damit?«

Jacoba sah ihn überrascht an und sagte fest: »Ist denn das so schwer zu errathen? Oder wußte allein der Bischof von Luik nicht, mit welchem Neid, mit welchem Widerstreben Manche mich an der Spitze der Regierung sehen?«

Der Bischof schwieg noch und die Gräfin fuhr fort: »Man erinnerte mich warnend daran, wie meine reichen Erblande Vielen ein Dorn im Auge seien und Ew. Eminenz werden wohl wissen wer sich für mehr berechtigt hält, den Zügel des Reichsgebietes zu führen und wer sich gern an den Platz der Gräfin stellte, die doch unbestrittene Erbin der Krone ist.«

Jacoba hatte mit Ruhe gesprochen und man erkannte jetzt nicht die sechszehnjährige Frau in ihr; man spürte ihr reifliches Erwägen, man fühlte in der Entschiedenheit ihres Tons, wie sie auch den Kampf nicht fürchte, werde ihr der Handschuh in's Gesicht geworfen.

»Vielleicht,« begann sie noch einmal, »vielleicht würde es dem Bischof von Luik nicht unlieb sein, vermöchten seine Vorstellungen mich dazu mir das Haar abschneiden zu lassen und das Haupt in den Nonnenschleier zu hüllen; nicht wahr, so reicher Beute dürften wenig Geistliche sich rühmen? Aber, wahrlich, Monseigneur, dazu ist Jacoba zu jung und der Titel einer Gräfin ist zu anziehend für sie, um ihn in völliger Zurückgezogenheit von der Welt zu begraben –«

Zornig fiel ihr der Bischof in die Rede: »Schweigt, Frau Gräfin, erkühnt Euch nicht meiner Würde zu nahe zu treten! Habt Ihr denn vergessen wer ich bin und was Ihr mir schuldig seid?«

»Weder das Eine noch das Andere,« entgegnete Jacoba fest; »wie gern behandelte ich Euch als meinen Verwandten, wie gern brächte ich Euch die Huldigung entgegen, die den Geistlichen gebührt – aber Ihr selbst macht es mir unmöglich.«

»Ihr irrt, Frau Gräfin!«

»Ich irre? So war es denn Verleumdung, daß man mich vor Euch warnte? Gut denn! vielleicht beweisen Ew. Eminenz mir dies. Eines aber weiß ich gewiß, daß Monseigneur mich gern in engen Klostermauern sähe.«

»Ihr wißt es, weil ich kürzlich selbst mit Euch darüber sprach, Ihr verwarft es jedoch und ich glaubte die Sache sei abgethan. Ich sehe indessen, Frau Gräfin, ich hätte eine geeignetere Zeit zu freundlicher Unterredung mit Euch wählen können und gehe daher;« damit erhob sich der Bischof, sich der Saalthüre zuwendend, aber Jacoba bezwang ihre Mißstimmung und hielt ihn zurück: »Vergebt, Monseigneur,« sagte sie, »es war nicht meine Absicht Euch zu kränken, noch Eure Würde anzutasten; vergebt mir, fehlte ich. Ich glaubte den Grund Eures Kommens errathen zu haben und wollte lieber ein neues Scharmützel über eine Sache vermeiden, zu der ich mich nimmer entschließen werde. Wisset das, Monseigneur!«

Der ruhige, fast unterwürfige Ton, in welchem die Gräfin gesprochen, besänftigte den Zorn des Bischofs, der nichts so sehr zu wünschen schien, als freundliches Einvernehmen mit seiner Nichte; wenigstens blickte das durch, als er erwiderte:

»Ich sehe, Jacoba, in Eurem Herzen ist noch Haß und doch war es sicherlich nicht meine Absicht, diesen zu wecken oder zu pflegen. Wahrlich, wolltet Ihr mich weniger als Verwandten, denn als Freund betrachten, Ihr würdet an mir einen treuen Freund haben.«

»Der bald meine, bald die Sache der Gegenpartei unterstützte,« entgegnete die Gräfin ironisch lächelnd; »fürwahr, Monseigneur, ich bedarf weder Freunde noch vertraue ich ihnen.«

»Ihr bedürft keiner Freunde? Ei, liebe Nichte, was ist Euch denn der dünkelhafte Abt?«

»Mein Beichtvater!« erwiderte die Gräfin würdevoll.

»Und mein Feind!« versetzte der Bischof scharf.

»Geziemt es denn einem Geistlichen, denjenigen als Feind anzusehen, der ihm nie ein Leid zufügte, ihm stets mit Ehrerbietung entgegenkam?« fragte Jacoba mit sanftem Vorwurf.

»Euch habe ich von meinem Thun oder von meinen persönlichen Aergernissen am allerwenigsten Rechenschaft zu geben,« war die zornige Antwort des Bischofs; »hättet Ihr aber nach meinem Wunsch den Abt von Egmont zu Eurem Freund und Beichtvater erwählt, es wäre zu Eurem Glück gewesen und ein Zusammensein mit Euch wie dieses, mir erspart.«

»So macht die Sache kurz, Monseigneur,« entgegnete Jacoba, »und sagt mir rasch was Euch herführte; ich verspreche Euch meinerseits ruhiges Anhören, damit dieses Zusammensein nicht länger währe als nöthig,« setzte sie halb scherzend hinzu; »übrigens scheint Euer Geheimniß so gar eilig nicht zu sein, da Ihr mich auf so weite Umwege führt.«

»Um dadurch zum rechten Ziel zu kommen,« sagte der Bischof leise, wie zu sich selbst und fuhr dann laut fort: »So hört denn, Frau Gräfin: Mehr als einmal und nicht zum wenigsten in letzter Zeit, haben mißbilligende Bemerkungen über die Zurückgezogenheit, in der Ihr auf diesem Schloß lebt, mein Ohr erreicht. Es wird, wie ich Euch schon sagte, Zeit, daß Ihr an die Rückkehr nach dem Hofe denkt, ja, es ist entschieden nothwendig, daß Ihr Euch so rasch wie möglich nach einer der Residenzen begebt und dort den Hofstaat um Euch versammelt, wie es einer Gräfin von Holland, Zeeland und Hennegau geziemt, wollt Ihr nicht Mißstimmung unter Euren Edlen und unter den Städten hervorrufen. Ihr seht, ich bringe Euch einen Freundesrath, der bessere Aufnahme verdient hätte als mir zu Theil wurde.«

Die Gräfin sah den Bischof von der Seite an; – was bedeutete das? was konnte den räthselhaften Mann bewegen, der Ueberbringer solcher Botschaft zu sein? welche Nebenabsichten mochte er haben? denn daß es an solchen nicht fehle war unzweifelhaft und die junge Frau zögerte deshalb auch noch einen Augenblick ehe sie erwiderte:

»Tadelt mich nicht dafür, Monseigneur, daß ich erstaunt bin, eine solche Botschaft von Euch zu empfangen und mehr noch über die große Eile, zu der Ihr getrieben scheint.«

»Darüber wundert Euch nicht zu sehr, Frau Gräfin; wißt, liebe Nichte, von Eurem Entschluß an Euren Hof zurückzukehren oder länger hier zu bleiben, hängen Ereignisse ab, an die Ihr vielleicht nicht denkt und die Euch sicher unangenehm sein werden.«

»Und denen Ihr vorbeugen wollt?«

»Weshalb nicht! Ist es nicht mein Beruf dem Unglück zu wehren, wo ich es vermag?«

Die Gräfin lächelte etwas ungläubig und sagte gespannt:

»In der That, welche Ereignisse aus dem Einen oder dem Andern zu meinem Unglück folgen könnten, verstehe ich nicht! Haben Ew. Eminenz die Güte, mich davon zu unterrichten.«

»Man rathschlagt gar schon darüber, ob man Euch zur Rückkehr zwingen will,« versetzte der Bischof, »und Ihr wißt, es fehlt Euren Edlen weder an Macht dazu noch an Wahl der Waffen – kann Euch das angenehm sein?«

»Und welche Macht würde mich zu zwingen vermögen?« fragte die Gräfin in stolzem Ton.

»Die Macht der Nothwendigkeit einer neuen Ehe!«

»Einer neuen Ehe!« rief Jacoba ärgerlich aus; »und wer sollte denn der Unglückliche sein, der diese aufgezwungenen Fesseln mit mir schleppte? der deutsche Reichsfürst Sigismund? oder der Herzog von Geldern und Brabant? Wahrlich, Monseigneur, von Euch am allerwenigsten hätte ich so unziemlichen Scherz erwartet!«

»Ich scherze nicht, Nichte Jacoba; Ihr wißt, es werben Viele um Eure Hand, auch jene Beiden, welche Ihr nanntet. Hört Ihr meinen Rath nicht, so wird man unter allen Bewerbern für Euch wählen, und Ihr müßt Eure Freiheit Eurer Neigung zur Einsamkeit opfern.«

Eine dunkle Röthe färbte Jacoba's stolzes Antlitz; ihr Ohm betrachtete sie im Stillen und konnte sich des Gedankens nicht erwehren, welch ein Jammer es sei, bliebe diese schöne junge Frau einsam und vergessen hinter Klostermauern; aber seine Pläne würde das nicht wenig fördern, weshalb er entschlossen war Alles aufzubieten, um eine Heirath der Gräfin zu verhindern. Hätte aber Jacoba von den Absichten des Bischofs eine Ahnung gehabt, sie würde nicht so rasch geantwortet haben:

»Monseigneur, das Ablegen der Trauer hatten wir schon beschlossen, Euer Wort aber bestärkt uns darin.«

»Ihr werdet also zurückkehren?«

»Gewiß, und ohne Zögern.«

»Aber morgen und übermorgen haben wir Kirch- und Fastentage,« bemerkte der Bischof, »an denen die Stille Euch hier unter Beichten und Bußübungen dienlicher sein wird. Doch wollt Ihr hernach Euch bereiten?«

»In den nächsten Tagen wird mir die Zeit allerdings willkommen sein,« erwiderte die Gräfin, »danach aber werde ich aufbrechen. Eines nur begreife ich nicht, Monseigneur,« fuhr sie fort, »daß nämlich Ihr, gerade Ihr Euch dazu versteht mir jene Mittheilungen zu machen.«

»Ist nicht der Bischof von Luik ein Freund der Unterdrückten? Aus eignem Antrieb beschloß ich Euch zu hinterbringen, was man bei Hofe sich zuflüstert, damit Ihr Eure Maßregeln danach ergreifen könntet. Ihr seid jetzt gewarnt, Frau Gräfin und habt die Verantwortung allein,« fügte Se. Eminenz hinzu, während ein eigenthümliches Lächeln um seine Lippen spielte.

Jacoba bemerkte dies nicht und erwiderte ruhig: »Ich danke Euch für die rechtzeitig überbrachte Kunde und will ihr aus freiem Entschluß Gehör geben!« damit erhob sie sich von ihrem Sitz, verneigte sich mit ernster Miene und ging nach dem großen Saal zurück, wo die versammelten Edlen sich in Vermuthungen erschöpft hatten über die Geheimnisse, welche die Gastfrau so lange beschäftigt und fern gehalten.

Bald danach verließen die hohen Gäste das Schloß; man vernahm noch lange die Hufschläge der Pferde im Walde, endlich wurde es still und der Abendfriede senkte sich herab auf Feld und Flur.

Auch Jacoba suchte die Stille wieder auf; sie hatte ihre Damen entlassen und nur von ihrer Herzensfreundin begleitet, begab sie sich in ihre Privatgemächer. Der kleine, mit Luxus ausgestattete Salon führt rechts in ihr Schlafzimmer, links in ihr Betgemach; in letzterem deutet alles darauf, daß hier die Stätte ist, wo eine katholische Christin täglich ihre Andacht hält: ein aus Nußbaum reich geschnitzter Betstuhl mit gestickten Kissen, über demselben ein Crucifix, und links davon ein zierliches Weihwasserbecken von Ebenholz; auch an den vielarmigen Leuchtern fehlte es nicht, noch an den Vasen, aus denen wohlriechender Balsam aufsteigt. Die übrigen Möbel sind einfach aber zweckmäßig und verrathen den feinen Geschmack der Besitzerin, die so gern an dieser Stätte weilt.

Sie hat eben die niedrige Sitzbank an den kleinen Tisch geschoben, sich auf die weichen Kissen niedergelassen und winkt ihrer Gefährtin sich zu ihr zu setzen. Aleide Eggert ließ sich nicht zwei Mal bitten, zu gern war sie in Gesellschaft ihrer fürstlichen Freundin, die sie stets wie ihres Gleichen behandelte.

»Ihr habt einen anstrengenden Abend gehabt, meine Jacoba,« begann sie nach einem Blick auf das schöne Antlitz der Gräfin.

»Wohl hatte ich das,« erwiderte diese, »doch ist die Ruhe danach um so süßer. O Aleide, wann werden wieder glückliche Tage kommen, Tage voll Hoffnung und Freude, die ach! so schnell ein Ende für mich genommen.«

»Nicht für immer, Frau Gräfin; seht, ich glaube zuversichtlich und fest, sie kehren bald zurück. Seid Ihr nicht jung und schön?«

Halb lächelnd erwiderte Jacoba: »Schmeichlerin! doch sagt, was nützt mir das, altert der Schmerz mich vor der Zeit und nimmt mir meine Schönheit?«

»Nun, daran denken wir noch nicht! Erzählt mir lieber, was Ihr heut' Abend erlebt; – ich weiß nicht, ich mag das Gesicht Herr Johann's von Baiern nicht leiden und als er Euch verließ, war sein Aussehn so ganz besonders, daß ich es mir nicht zu erklären wußte.«

»Wie er überhaupt ein Räthsel ist,« setzte Jacoba hinzu.

»Auch war er so seltsam heut', vereinigte so viel Freundlichkeit mit so viel Unart –«

»Das bedeutet nichts Gutes,« unterbrach Aleide die Gräfin; »erklären kann ich mir's nicht, aber ich hatte heut' Abend ein Gefühl der Bangigkeit ihm gegenüber, wie nie zuvor.«

»Thörichtes Kind! Doch hört, ich will Euch Alles sagen, und Ihr werdet einsehen, daß solche Furcht dieses Mal weniger denn je gegründet ist,« und die Gräfin begann ihre Mittheilungen, denen wir, weil sie uns bekannt sind, nicht lauschen wollen; sie verbarg ihr auch den Gedanken nicht, es könne, hinter der Freundlichkeit versteckt, ihr eine Schlinge gelegt sein, um sie dennoch zum Ablegen des Klostergelübdes zu bestimmen; sie hegte nur Vermuthungen, ohne den wahren Grund errathen zu können. Aleide lauschte voll Ernst ihren Worten, und als die Gräfin nach kurzem Schweigen sie fragte: »Was sagt nun meine Freundin zu dieser Kunde,« antwortete sie einfach:

»Ich denke Ihr thatet wohl daran Euch zu fügen; der Bischof hat Recht, eine schöne junge Frau, wie Ihr, darf nicht in der Zurückgezogenheit bleiben.«

»Aleide!«

»Liebe Gräfin, glaubt mir, Ihr werdet Euch besser und stärker fühlen, habt Ihr die Pflichten des Staates erst wieder übernommen; sehr wohl begreife ich, daß Ihr es ungerne thut, aber wahrlich, es ist gut für Euch und für uns Alle. Eure Jugend war nicht fröhlich, jetzt wartet Eurer Glück und Freude in der Erfüllung Eures Berufes, in dem Zusammenwirken mit Euren getreuen Edlen.«

»Ihr habt Recht, meine Jugend war nicht fröhlich,« entgegnete die Gräfin nachdenkend, »und dennoch, Aleide, so kann ich die Sache nicht ansehen. Lehrt mich denken wie ihr denkt und helft mir danach zu handeln!«

»Darin erkenne ich meine Jacoba wieder,« sprach die Jungfrau, »und auf diesem Wege werden Heil und innere Zufriedenheit Euer Theil sein.« Und während sie fortfuhr der Gräfin Muth und Vertrauen einzusprechen, lehnte die junge Frau in die Kissen und lauschte der lieblichen Stimme, die so fröhlich und ermunternd klang. So plauderten sie lange noch miteinander, und als Aleide das fürstliche Gemach verließ, nahm sie aufs Neue die Ueberzeugung mit, wie reiche, große Gaben die Gräfin besitze, die sich herrlich entfalten mußten, werde sie von Händen treuer Freunde geleitet.

Aus bürgerlichem Geschlecht entsprossen, hielt Mancher Aleide Eggert für eine wenig passende Freundin der Gräfin; vermögen aber Schönheit und Geist zu adeln, so war unsere Jungfrau vollkommen berechtigt dem Stande anzugehören, in welchen sie sich gestellt sah. Ihr Vater, nicht von Geburt, aber von Gesinnung ein Edelmann, hatte seinem Kinde frühe schon die Tugenden eingepflanzt, die sich später so schwer erlernen lassen, und mit scharfem Verstand, mit warmem Gemüth begabt, hörte Aleide dankbar auf seine Worte und schrieb sie sich in's Herz. Bis an seinen Tod war der alte Eggert Herrn Wilhelm, dem Grafen von Holland, ein treuer Freund und Berather und dieser scheute sich nicht die edle Anhänglichkeit seines Dieners dadurch zu lohnen, daß er dessen Tochter in Jacobas Gespielinnen einreihte. Bald nahm Aleide den ersten Platz ein unter den jungen Mädchen, welche die Gräfin fortwährend umgaben und sah auch Manche derselben anfangs mit Neid auf die bürgerliche Freundin, so verstand doch unsere Jungfrau durch ihr einfaches liebreiches Wesen, bald jede Mißgunst zu entwaffnen und Aller Herzen zu gewinnen; die Gräfin aber vertraute ihr völlig und nahm nicht selten Rath und Hilfe von ihr in Anspruch. Niemals aber kam es Aleide in den Sinn, sich deshalb zu überheben; sie war immer nur bestrebt ihrer Gebieterin und Freundin ihre besten Kräfte zu weihen.

Doch weilten wir fast zu lange schon bei diesem schlichten jungen Mädchen und beeilen uns jetzt noch einen Blick in ein anderes Zimmer zu werfen, das wohl der Beachtung werth ist.

Der Bischof von Luik hat seinen zeitweiligen Aufenthalt wieder erreicht, das an der Heerstraße nach Liethorp gelegene Engelthal, ein Kloster der regulären Kanoniker. Der Stationssaal desselben ist für ihn hergerichtet, und, müde von dem Ritt, hat er sich auf der harten, an der Wand befindlichen Bank ausgestreckt.

In unterthäniger Haltung steht der Prior vor ihm, ein kleines Männchen mit röthlichem Bart und niedergeschlagenen Augen, der dann und wann mit verschmitztem Blick zu dem hohen Gast aufsieht.

»Ihr habt mich also verstanden?« fragt Herr Johann; »Segen über Euer Haupt, gelingt unser Plan?«

»Ich werde mein Möglichstes thun, Eminenz.«

»Und Ihr steht mir mit Eurem Kopf dafür, daß wir dem Priester trauen können?«

»Wie mir selbst, Eminenz.«

»Nun, das sagt nicht viel,« lachte der Bischof; »doch ach, wie viele Werkzeuge muß man gebrauchen, kann man nicht selbst handeln!«

Der Mönch antwortete nicht und Jener fuhr fort: »Denkt daran, daß Euch dieser Dienst reichlich von der Kirche wird belohnt werden und wisset, daß man ihr nie vergeblich ein treuer Anhänger ist.«

»Habt Dank, Eminenz. Ich soll also den Priester bewegen, daß er in jenem Mädchen den Wunsch anrege in den Dienst der Gräfin zu treten – ist das Alles?«

»Alles, und fürwahr eine leichte Aufgabe! Ist sie aber erst dort – denn ihr wißt, wie Frauen sind – wird sie beobachten und davon erzählen, wenigstens ihren Eltern.«

»Ihre Mutter ist eine dumme, schwärmerische Frau.«

»Desto besser; der Priester wird sie leicht gewinnen. Doch gebiete ich Euch die Sache zu beeilen, weil die Gräfin gleich nach den Fastentagen fortzieht und es später schwer halten wird sie mit Erfolg zu betreiben.«

»Verlaßt Euch ganz auf mich.«

»So geht denn und sendet Druten Herr von Druten. Nach dem Bericht der meisten Geschichtschreiber war es Druten, der bei Gorkum an der Spitze von fünfzehnhundert Mann, sich plötzlich schwenkte und die Stadt verließ. zu mir; er gehört zu meinen Edlen.«

Der Prior verneigte sich und verließ den Saal, dessen Thüren sich einen Augenblick später wieder öffneten, um einen Edelmann eintreten zu lassen, der mit weniger Unterwürfigkeit dem Bischof nahte und, ihm gegenüber Platz nehmend, kurzweg sagte: »Ich dächte, es wäre jetzt Zeit zum Ruhen – was begehren Ew. Eminenz noch von meinen ermüdeten Kräften?«

»Jetzt ruhen, Druten?« entgegnete fragend der Bischof, »und Ihr seid als Soldat an rastlose Thätigkeit gewöhnt?«

»Ganz wohl, Monseigneur, wenn es sein muß, doch nicht, büßt man durch Aufschub nichts ein.«

»So denkt Ihr, vergeßt aber, daß morgen Fastentag ist und es sich dann nicht für mich geziemt, andere als religiöse Sachen zu erledigen; deshalb muß diese noch heute abgemacht sein.«

»Sagt mir denn kurz und bündig, was ich wissen muß,« erwiderte Druten, »Euer Diener wird mit stiller Andacht zuhören.«

»Diener und Verbündeter,« versetzte der Bischof mit sarkastischem Lächeln und fügte gleich hinzu: »der vermuthlich nicht wenig Verlangen trägt das Ergebniß meiner Unterredung mit der Gräfin zu erfahren.«

»Gewiß, Eminenz, darauf bin ich gespannt; – habt Ihr Euren Zweck erreicht?«

»Soviel ich vorerst wollte. Die Gräfin wird nach der Residenz zurückkehren. Wie werden die Edlen überrascht sein, zerschlägt sich durch ihr freiwilliges Kommen die Hoffnung sie zu zwingen! Mich dünkt ich sehe schon manches Gesicht sich in Falten ziehen, manches Auge Zorn sprühen.«

»Und doch ist dieses Kommen erwünscht –«

»Gewiß; doch lieber hätte man sie gezwungen – sie wäre alsdann mit einem Gemahl zurückgekehrt und meine Macht wäre verkürzt. Die Edlen verstehen das Planen vortrefflich, doch schlau wie der Luik'sche Kirchenfürst ist Keiner von ihnen. Vögel aber fängt man nur durch List!«

»Darin habt Ihr Recht, Monseigneur; – doch weiter, was wollt Ihr weiter?«

»Ich habe nach einer Jungfrau geforscht, die mit einem Fähndrich in Herrn von Arkel's Dienst verlobt sein muß, und auch dieser Plan scheint zu gelingen. Die Jungfrau ist von feiner Bildung, mit Hofsitten vertraut und kann meiner Nichte eine angenehme Gefährtin werden; sie ist nicht unbekannt mit Jacoba's Beichtvater, dem Abt mit den feinen Gesichtszügen, der uns unbewußt vorzügliche Dienste leisten kann. Geht nun die Bitte, in den Dienst der Gräfin treten zu dürfen, von jenem Mädchen selbst aus, so wird der Abt dieselbe unterstützen; – versteht Ihr?«

»Vollkommen. Doch wer soll nur solchen Wunsch in der Jungfrau erregen?« fragte Druten.

»Dazu muß der Priester von Liethorp allen Einfluß gebrauchen, den er durch täglichen Verkehr mit ihrer Familie auf diese ausübt,« versetzte der Bischof; »der Prior steht dafür ein, daß man ihn durch Bestechung gewinnt.«

»Vortrefflich! Doch weiter?«

»Weiter? Nun, Ihr begreift doch, daß der Jungfrau in wildfremder Umgebung zu Muthe sein wird wie einer Katze in einem fremden Packhaus! Sie wird fleißig Berichte an ihre Mutter schreiben, welche diese selbstverständlich dem Priester und Hausfreund vorliest oder doch mittheilt – so bleiben wir über alle Schritte der Gräfin unterrichtet und können unsere Maßregeln danach treffen. An Euch aber ist's darauf zu achten, daß Prior und Priester ihren Instructionen gemäß handeln.«

»Fürwahr, ein Plan, wie nur ein so gescheidter Kopf wie Ew. Eminenz ihn ersinnen konnte!« rief Druten entzückt aus. »Wohlan denn! ich werde Euch beweisen, daß ich wirken kann wo es sein muß. Ihr mögt denn morgen fasten und beten, mir aber gebt Absolution, da ich nicht ruhen darf bevor meine Aufgabe vollendet ist.«

»Die Arbeit zum Heil unserer Kirche ist in sich selbst schon gesegnet,« erwiderte der Bischof; – vertraut mir, meine Pläne sind wohl überlegt,« – und mit kräftigem Handschlag das Gespräch abbrechend, gab der Bischof Druten zugleich einen Wink, daß er entlassen sei.

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