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Einundzwanzigstes Kapitel. Sivert Hovde vom »Robbenkönig«

»So, jetzt könnt ihr euch ein bischen ausruhen,« sagte Syver und setzte sich nieder. Er war so atemlos, daß ihm die Rippen wehtaten.

Knut und die Seekrätze warfen sich ganz erschöpft in den Schnee und fingen vor Mattigkeit und Wut zu schluchzen an. Drei Tage hatte Syver jetzt in seiner Tollheit beharrt. Und keiner der beiden hatte die Kraft aufgebracht, sich zu widersetzen. Es waren drei entsetzliche Tage gewesen, und in den Augen der beiden loderte wilder Haß, wenn sie scheu, wie dressierte Tiger, zu ihrem geistesgestörten Herrn hinüberschielten.

Wenn ich nur wieder zu Kräften komme, dachte Knut mit klappernden Zähnen, dann bringe ich ihn um! Aber Per Hovde war schon eingeschlummert. Hjalmar vom Fuglafjord, der an der Hüttentüre Wache hielt, holte eine Wolldecke und breitete sie über ihn.

»Laß mal deine Zähne ansehen, Knut,« sagte Syver, als er wieder etwas zu Atem gekommen war.

Knut erhob sich widerwillig und zeigte sein Gebiß. Er sah aus, als wollte er es am liebsten in Syvers graue, eingefallene Wangen schlagen.

»Das ist gut,« murmelte Syver. Das Zahnfleisch des Jungen begann wieder seine natürliche Farbe anzunehmen, und die Pusteln sahen nicht mehr so bösartig aus.

»Fühlst du dich besser?« fragte Syver.

Knut schnitt eine Grimasse, und ein wilder Ausdruck trat in seine Augen.

»In der Stimmung nicht!« sagte er kurz und knirschte mit den Zähnen.

»Ach, das kommt schon, wenn du erst wieder gesund bist,« meinte Syver und zündete sich seine Pfeife an.

Syver war ein wunderlicher Kauz. Nun hatte er drei Tage lang mit der Peitsche in der Hand die zwei unglücklichen Jungen gezwungen, wie Zirkuspferde auf dem kleinen Plateau herumzulaufen, aber noch hatte er ihnen nicht gesagt, daß er es des Skorbuts, dieser heimtückischen, furchtbaren Krankheit wegen tat, die dem Eis und der Einsamkeit angehört und so leicht zum Tode führt, wenn der davon Befallene dem Bedürfnis einzuschlummern, nachgibt.

Der Proviant, den Angusuak von der »Celesta« herüber gerettet hatte, bestand nur aus Salzfleisch, geräuchertem Heilbutt, getrocknetem Lachs und einem Sack mit steinhartem Schiffszwieback. Es war unmöglich gewesen, in den Raum hinunterzugelangen, wo die Kartoffeln, die Erbsen und die Kondensmilch lagen.

Syver hatte darum schon von Anfang an befürchtet, daß der Skorbut seinen unheimlichen Einzug auf den Eisberg halten würde; und als es so kam, wußte er, daß vorläufig nur eines zu tun war, die beiden Erkrankten, sich selbst und die drei anderen Jungen vom Morgen bis zum Abend in Bewegung zu erhalten. Das hatte er so unbarmherzig und streng durchgeführt, wie es nur der kann, der von unzähligen Aufenthalten in der Eisregion die Schrecken des Skorbut kennt. Aber er verriet den andern nichts. Die Wut hilft dem Menschen, sich kräftig zu erhalten, meinte Syver.

Der einzige unter ihnen, der die Krankheit sofort richtig erkannt hatte, war Angusuak. Er kannte diese »Napaut« von früher her, waren doch Vater und Mutter eines Winters daran gestorben, als das Eis sich nicht legen wollte und Hungersnot in der Kolonie ausbrach, weil der Robbenfang fehl schlug.

Zusammen mit Syver ging er beständig herum und spähte, ob nicht vielleicht ein Seehund oder Delphin auf die Eiskante kriechen würde, um sich zu sonnen. Aber noch hatten sie kein lebendes Wesen auf dieser öden kalten Insel erblickt. Einige Alken und Möwen waren wohl über dem Eisberg dahingeflogen, man hatte ihnen jedoch nicht nahe genug kommen können. Ein paar Mal hatten sie daneben geschossen, Syver und Hjalmar, und jetzt hatten sie nur noch ein paar Patronen übrig.

Knut und Erik hatten übrigens am vorigen Abend einen hitzigen Streit gehabt, wer die Schuld an diesem Patronenmangel trug. Die Ursache war diese törichte Scheibenschießerei, die sie im Frühsommer, in der Exeter Bucht ohne jeden vernünftigen Zweck betrieben hatten.

»Aber du warst ja ganz versessen darauf,« sagte Knut, »und hättest du nicht anfangs soviele Fehlschüsse gemacht, dann hätten wir noch heute genug Patronen!«

»Du warst gerade so ungeschickt,« meinte Erik.

So gab ein Wort das andere, und plötzlich lagen sich die Jungen in den Haaren.

Syver saß daneben und schmunzelte ganz vergnügt in sich hinein. Das paßte ihm vortrefflich in den Kram, daß die Jungen sich gegenseitig bei Kräften erhielten.

Gestern früh hatte Syver Angusuak beiseite genommen und ein langes, ernstes Gespräch mit ihm gehabt.

»Wir werden Tungujuluk heute abend erschießen müssen,« hatte Syver schließlich gesagt, »er ist ja ohnehin halb verhungert, und sein Blut kann die Jungen retten.«

Angusuak hatte Tränen vergossen, aber er mußte einsehen, daß es aussichtslos war, für Tungujuluk um Gnade zu bitten. Als letzten Ausweg hatte er sich die Erlaubnis erbeten, mit seinem Kajak zu versuchen, ein paar Inselchen zu erreichen, in deren Nähe sie gekommen waren. Da die See spiegelglatt war, hatte Syver dem kleinen Eskimo diese Bitte nicht abschlagen wollen. Mit Eriks Hilfe hatte Angusuak also den Kajak zur Eiskante hinuntergetragen und sich auf den Weg gemacht.

*

Syver wollte eben den Jungen wieder ein bißchen Bewegung machen, als Angusuak und Erik, den Kajak tragend, zurückkamen. Syver sah sofort, daß sie irgendeine freudige Nachricht zu erzählen hatten.

Mit einem seligen Lächeln holte Angusuak seinen Fang aus dem Kajakloch. Zuerst ein Schock große Eidervogeleier und zwei Büschel kleine langhalsige, flaumige junge Fischenten. Und zum Schluß das Köstlichste von allem: ein Tuch, vollgestopft mit frischen, grünen, duftenden Küchenkräutern.

Knut riß die Augen auf.

»Wir werden doch nicht Gras fressen?«

»Und ob wir das werden!« sagte Syver, und das Herz hüpfte ihm in der Brust, vor lauter Freude und Dankbarkeit. »Für dieses Gras hier gäbe ich gern tausend Taler!«

Ein paar Minuten später hing ein Kessel über dem Feuer, bis zum Rande gefüllt mit diesen lebenspendenden grünen Kräutern, die Angusuak, der kleine Hexenmeister, mit dem wunderbar scharfen Instinkt des Naturkindes in den Felsspalten der öden, wüsten Inseln gesammelt hatte. Bald brodelte diese merkwürdige Suppe lustig im Topfe, während Per und Knut und übrigens auch Erik zusahen, ohne das Allergeringste von der Sache zu begreifen. Knut hatte einmal von einem großen König gelesen, der glaubte, er sei ein Ziegenbock; der war sein ganzes Leben lang auf allen Vieren gekrochen und hatte Gras gefressen. Nun war es ihm klar, daß wirklich der letzte Funke menschlicher Vernunft in Syvers Kopf erloschen sein mußte, wie er da, über den Kessel gebeugt stand und die Grassuppe mit einem so seligen Lächeln kostete, als wenn es das schmackhafteste Gericht auf Erden wäre.

»Da könnte man ja gleich Brennesseln fressen,« flüsterte Knut der Seekrätze zu. Aber Per fühlte sich zu matt, um zu antworten. Mit ihm stand es schlimmer als mit Knut. Am Morgen waren ihm zwei Backenzähne aus dem Munde gefallen, ganz von selber, obwohl sie blendend weiß waren wie Elfenbein und nicht das kleinste Loch hatten. Und sein Gaumen war so blau, daß es aussah, als hätte er Heidelbeeren gegessen, meinte Erik und schüttelte sich.

Es dauerte nicht lange, so war die Küchenkräutersuppe fertig, und Syver befahl seinen zwei Patienten, den Topf sofort auszutrinken. Beide schnitten die furchtbarsten Gesichter, aber das nützte ihnen gar nichts. Mit zusammengekniffenen Augen mußten sie jeder seine fünf Tassen glühendheiße Grassuppe hinunterschlucken.

»Ja, glaubt der denn, wir sind Kälber?« murrte Knut. Aber um keinen Preis der Welt hätte er das laut zu sagen gewagt. Denn verrückte Menschen sind gefährlich, das weiß man ja.

»Jetzt hinein mit euch in die Hütte! Legt euch schlafen!« kommandierte Syver, als die Jungen mit ihrer seltsamen Mahlzeit fertig waren.

Per und Knut trauten zuerst ihren eigenen Ohren nicht. Dann aber krochen sie flugs in die Schneehütte und da schliefen sie sofort ein.

Syver war eben dabei, eine neue seltsame Suppe zusammenzubrauen, diesmal aus Eidervogeleiern und Speckschwarten. Da fuhr Angusuak, der mit Tungujuluks Kopf im Schoße ein wenig geschlummert hatte, empor und horchte. Dann sprang er auf und rief strahlend:

»Aje! Aje! Syver! Atango! Horch! Dak-dik! Dik-dak! Umiaetiaq kommt! Ladla, ladla, hurra!«

Syver hätte in seiner Verblüffung beinahe den Kessel umgeworfen; er rettete ihn gerade noch im letzten Augenblick. Dann lauschte er angestrengt; aber er konnte keinen anderen Laut auffangen, als das Rieseln des Gletscherwassers über die blanken, blaugrünen Scharten des Eisbergs, diesen furchtbaren Laut, den er den ganzen Tag im Ohre hatte und der als Alpdruck in seinen nächtlichen Träumen spukte. Angusuak eilte jedoch schon in vollen Sprüngen hinauf, einer kleinen Aussichtsplattform zu, die sie hoch oben in der Eiswand ausgehauen hatten. Auf seinen weichen Kamikken flog er leicht wie ein Eisbärenjunges über das glatte Eis.

»Paß auf den Topf auf!« rief Syver Erik zu. »Und laß ihn ja nicht überkochen!«

Mit pochendem Herzen kletterte Syver den Eishang hinauf. Und Erik hinterdrein mit dem Topf in der Hand, dicht hinter ihm Hjalmar vom Fuglafjord.

»Siehst du was, Angusuak?« keuchte Syver, als er endlich den Aussichtsplatz erreicht hatte.

Angusuak packte Syver beim Arm und deutete nach Norden, während seine kohlschwarzen Augen vor Freude und Erregung funkelten.

»Awa, Ua! Große Schiff kommen! Ilaaa? Haben ich nicht recht gehabt? Ha!«

Syver strich sich über die Stirn und lächelte ganz verwirrt. Dort oben, einige wenige Viertelmeilen entfernt, kam ein Schiff in voller Fahrt auf den Eisberg zugeschossen.

Syver mußte sich einmal ums andere die Augen wischen, um das Schiff recht zu erkennen. Bald sah er, wer das war; denn in den Augen des Seebären sind die Schiffe untereinander ebenso verschieden wie die Menschen. Er unterschied die Tonne am Mast, und erkannte die Propellerschläge des Motors. Da war kein Zweifel möglich. Es war der »Robbenkönig«, der auf sie zukam.

Erst jetzt entdeckte Syver, daß Erik neben ihm stand, selig lächelnd, mit den Händen die Henkel des dampfenden Suppentopfs umklammernd.

Syver legte den Arm um Eriks Schultern und sagte mit wunderlich unklarer Stimme:

»Weißt du, wer da herankommt, Erik? Das ist Sivert Hovde, der dir für das danken will, was dein Vater einmal für ihn getan hat.«

Erik vermochte nicht zu antworten. Die Kehle schnürte sich ihm zusammen, und plötzlich ließ er den Suppentopf los, so daß sein köstlicher, unersetzlicher Inhalt sich in einem rauchenden, kleinen Strom über das Eis ergoß.

»Du Taps,« sagte Syver, aber er mußte dabei lächeln. Und nun ging es im vollen Lauf zum Lager hinunter und weiter hinab mit dem Kajak zur Eiskante. Einige wenige Augenblicke später paddelte Angusuak so hurtig davon, als seine Kräfte den Kajak gegen die starke Strömung vorwärts treiben konnten. Es galt ja den »Robbenkönig« rechtzeitig zu erreichen, um die furchtbare Möglichkeit zu verhüten, daß das Schiff vorbeifuhr, ohne daß die Mannschaft die Schiffbrüchigen erblickte.

*

Es war eine Stunde später, unten in der traulichen Kajüte des »Robbenkönigs«. In Wolldecken eingewickelt, mit einer mächtigen Schüssel Dorschleber vor sich saßen Per Hovde und Knut Rise und schaufelten ein, als wüßten sie, daß die Lebensgeister selbst aus diesem köstlich duftenden Gericht dampften. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches saßen Hjalmar vom Fuglafjord und Christian Frederik mit dem Zunamen Angusuak, was »mutiges kleines Kerlchen« bedeutet. Und diesen Namen würde ihm nie jemand streitig machen. Sie starrten beide ganz verhungert auf die Leberschüssel und stöhnten schmerzlich, weil sie noch eine Weile warten mußten, bis das eigentliche Mittagessen aufgetragen wurde.

Auf dem Hochsitz am Ende der Tafel jedoch saßen Syver und Sivert Hovde, jeder mit einem rauchenden Glas Toddy vor sich. Sivert Hovde war ein stattlicher, starkgliedriger Mann, ein wahrer Hüne, wettergebräunt, kupferrot und blauäugig mit buschigen Augenbrauen und breiten großen Zähnen, die wie eine weiße Brandung aus dem braunen krausen Bart leuchteten.

Und mitten zwischen Syver und Sivert saß Erik Höienhall, ganz geduckt vor Befangenheit, aber bebend vor Glück. Wenn er träumte, so dachte er immer wieder und wieder, dann wollte er nie mehr im Leben aufwachen. Aber wenn es wahr war, das Ganze, dann hatte er nie im Leben einen herrlicheren Tag gehabt und würde ihn wohl auch nie haben! Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte hurra gebrüllt, nur um seinem Glück Luft zu machen; aber das traute er sich nicht.

Jetzt erhob sich Sivert Hovde, schlug an sein Toddyglas und hielt eine Rede. Sie war gar nicht so lange, doch Erik weiß kein Wort mehr davon, denn Sivert begann sofort von Eriks Vater und seinem heldenmütigen Tod vor fünfzehn Jahren dort unten im Stillen Ozean zu sprechen.

Erik war ja im Laufe dieses Sommers recht abgebrüht worden, und er versuchte sich tapfer zu halten, aber es half nichts, die Rührung übermannte ihn. Zuerst versuchte er die Zähne aufeinanderzubeißen, dann begann er für sich auf eskimoisch bis zwanzig zu zählen – das hatte er von Angusuak gelernt: Atausek, mardluk, pengasut, sisamat, tatdlemat, arfineq, arfineq mardluk, arfineq pingasut, arfineq sisamet – – und so hätte er beinahe den Schluß von Siverts Rede überhört:

»Und nun, Erik, – ja, nun ist eigentlich nichts anderes zu sagen, als daß das Schicksal in ganz wunderbarer weise Sivert Hovde Gelegenheit gegeben hat, Thorbjörn Höienhall für das zu danken, wofür er ihm selbst leider Gottes nicht danken konnte, indem ich dir nämlich sage, Erik, daß du selbstverständlich fortan bei mir dein Heim hast, in dem Hause, das ich nach deinem Vater benannt habe, Villa Höienhall am Borgundweg! Es ist ein ganz nettes Häuschen, danach kannst du Knut fragen. Nicht wahr, Knut?«

Knut nickte begeistert, denn er konnte nicht antworten, weil er den Mund ganz voll Leber hatte.

»Nur ein paar Steinwürfe von dort wohnt Knut selbst,« fuhr Sivert Hovde fort, »so daß du nicht einsam sein wirst, wenn du dich vielleicht davor fürchtest! Ja, mehr ist nicht zu sagen! Aber von Dank will ich nichts hören, denn da ist nichts zu danken, daß du's nur weißt, und ihr anderen auch! Also sei mir herzlich willkommen, Erik!«

Erik konnte nichts anderes tun als aufstehen und eine Verbeugung machen. Er war nicht imstande ein Wort herauszubringen, aber als Sivert Hovde ihm seine braungebrannte Hand reichte, ergriff er sie mit beiden Händen und schüttelte sie so, wie er noch nie gewagt hatte, eine Hand zu schütteln. Im selben Augenblick kam der Koch, um den Tisch zu decken, und das war ein wahres Glück, meinten sie alle, Erik nicht zum geringsten, denn richtige Seeleute mögen nun einmal zuviel Rührung und Feierlichkeit und all solche Flausen nicht.

Als sie fertig gegessen hatten, da konnte keiner der Jungen sich mehr aufrecht halten; sie sanken wie erschlagen in ihre Kojen. Nur Angusuak zog es vor, auf dem Verdeck zu liegen, und da schlummerte er ganz selig ein, den Kopf an Tungujuluks Hals geschmiegt.

Syver und Sivert Hovde blieben die ganze Nacht auf der Brücke, während der »Robbenkönig« mit zwölf Meilen Geschwindigkeit nordwärts dem Eisgürtel entlang fuhr. Gegen Mitternacht kam eine drahtlose Meldung vom Schiffer Rise durch die Radiostation des »Grönländischen Adlers«, die die Position der zwei Schiffe mitteilte, und gegen sieben Uhr am nächsten Morgen hatte der »Robbenkönig« sie erreicht. Die drei Schiffe grüßten einander mit durchdringendem Sirenengeheul, das beinahe kein Ende nehmen wollte. Schon beim ersten Pfiff waren Angusuak und Tungujuluk auf den Beinen.

»Aje, aje!« kreischte Angusuak ganz toll vor Freude und lief von Koje zu Koje, um seine Kameraden zu wecken. »Ladla, ladla! – hurra!«

Die Jungen sprangen auf, als wäre Feuer an Bord, und eilten auf das Verdeck, Knut an der Spitze, gesünder denn je, denn diese schrillen, herrlichen, ohrenbetäubenden Sirenenpfiffe, die die Luft erfüllten, hatten augenblicklich alle Krankheit und Müdigkeit und Verdrießlichkeit verjagt!

Und da, knapp daneben auf der Backbordseite lag die »Seeschwalbe« – und dort, knapp daneben auf der Steuerbordseite lag der »Grönländische Adler«, Morgentau auf Takelwerk und Antennen! Ein paar Minuten später lagen die drei Schiffe so eng beieinander wie zusammengewachsene Drillinge. Schiffer Rise sprang an Bord des »Robbenkönigs«, hinter ihm seine Leute, Bootsmann Vik, Ulrich Ryvingen, Simen mit dem Arm und dem Kopf in der Binde, Myklegard, Breil, die übrigen Fischer und zum Schluß Salve Karolus Berg mit einem strahlenden Lächeln, dem ersten Lächeln, das er über die Davisstraße hatte leuchten lassen! Nun gab es allgemeine Begrüßungsszenen und Händedrücken und Freudengeschrei. Tungujuluk sauste mitten in den Wirrwarr aus zwei Beinen, die Zunge hing ihm weit aus dem Rachen und seine Vorderpfoten klatschten von einer Schulter auf die andere – niemand entging dieser herzlichen Begrüßung; Salve Karolus Berg wäre fast vor Schrecken umgesunken, als er sich plötzlich von dem Raubtier umarmt fühlte und den heißen Hauch in seinen Nasenlöchern spürte.

»Arssua! Arssua! Nungo, Tungujuluk!« schrie Angusuak, ganz beschämt für den Hund; aber es half nicht das geringste. Tungujuluk verlangte voll und ganz an dem allgemeinen Jubel teilzunehmen!

»Na Jungs, ihr habt ja 'nen schönen Zirkus hier veranstaltet!«

Knut und Erik, die mitten in dem Wirbel waren, drehten sich verblüfft um – ja, diese Stimme hätten sie unter tausenden erkannt! Drüben auf dem Geländer des »Grönländischen Adlers« stand Age in seinen weiten Knickerbockers und seinen großkarrierten Strümpfen und lachte über das ganze Gesicht, offenbar sehr beglückt über das Wiedersehen mit seinen Freunden. Mit einem flotten eleganten Satz sprang er an Bord des »Robbenkönigs«.

Knut und Erik begrüßten ihren Freund mit Begeisterung. Erik konnte es sich nicht verkneifen zu fragen:

»Na, wie ist die Sache damals abgelaufen, Age?«

»Bah! Ich bin einfach zu dem Alten hinspaziert und sagte: Da sind wir wieder. Aber da wurde er scheußlich ungemütlich; das gab Haue, Mensch! Aber never mind, jetzt ist alles wieder all right und ihr habt ja – was sehen da meine Augen? Ist der Baskerville Hund an Bord?«

Age starrte Tungujuluk an, der eben auf ihn zugetanzt kam. Und bevor Age sich's versah, hatte das Tier seine Vorderpfoten um den Hals des Jungen geklammert und begann ihm mit seiner feuerroten Zunge das Gesicht zu lecken. Age war so gelähmt von Schrecken, daß er kein Glied rühren konnte; aber bald merkte er, daß der Hund nichts Böses im Sinn hatte, und so konnte er nicht umhin, Tungujuluk einen freundschaftlichen Klaps zu geben.

»Du altes Biest!« murmelte er und streichelte ihn gegen den Strich, »hast du mich wirklich erkannt?«

Angusuak hatte einige Augenblicke wie versteinert dagestanden und Tungujuluks Auftreten zitternd verfolgt, ohne etwas anderes hervorzubringen als ein entsetztes Keuchen:

» Jikee

War sein Hund piwe geworden? Und wollte er noch einmal seinen jungen dänischen Nalanaq zuschanden beißen?

Als er aber sah, wie die Dinge sich entwickelten, da erstrahlte er in einem glücklichen Lächeln und ging zu Age hin, verbeugte sich ungeschickt und reichte ihm verlegen die Hand und grüßte: »Kanonipit, nalanaq, Age! Kanonipit!«

Age glotzte den kleinen Eskimo verständnislos an.

»Kanonipit? Was soll das heißen? Das hört sich ja direkt wie 'ne Kriegserklärung an!«

»Gute Tag, gute Tag!« erklärte Angusuak. Und da Age nun schon A gesagt und sich mit Tungujuluk versöhnt hatte, mußte er ja auch B sagen und mit dem Herrn des Köters Frieden schließen.

»Sei mir gegrüßt, du junger Wilder,« sagte er und drückte dem Jungen die Hand, »ein wahres Glück, daß du dich rechtzeitig aus dem Staube gemacht hast. Herrgott, war der Alte wütend!«

Oben auf der Brücke des »Grönländischen Adlers« stand der Kommandant und verfolgte aus freundlichen wasserblauen Augen die Vorgänge unten auf dem Vorderdeck des »Robbenkönigs«. Dann sah er auf die Uhr und gab das Abfahrtszeichen.

Einige Minuten später fuhren die drei Schiffe mit Volldampf den großen Fischbänken der Davisstraße zu.

Unten in der Kajüte der »Seeschwalbe« ging es wieder hoch her mit Reden und Gesang und flotter Bewirtung. Als das Fest eine Stunde gedauert hatte, schlich sich Angusuak lautlos auf das Verdeck, gefolgt von Tungujuluk. Auf seinen weichen Kamikken huschte er nach achtern und setzte sich in dem blendenden Sonnenschein mit gekreuzten Beinen auf das Heck. In seinen Händen hielt er ein kleines Säckchen aus buntem Leder. Er öffnete es wieder und wieder und sah mit einem seligen Lächeln hinein. Dann zog er seinen Inhalt heraus und hielt ihn gegen die Sonne. Es war ein Tausendkronenschein, sein Anteil an dem Schatz aus dem Hause der Toten. Vorsichtig steckte er ihn wieder in den Arnuaq, zu dem toten Teriaq und den Papierstücken mit den düsteren, aber unwiderstehlichen Beschwörungen gegen die »Kussatariaq« und »Kuliwfaqs« und alles andere Böse, das Nachts um die Wohnstätten der Menschen schleicht.

Und Angusuak legte seinen Kopf an Tungujuluks Hals und lächelte. Dazu hatte er auch allen Grund, denn so unfaßbar viel Geld, wie er jetzt besaß, hat wohl kaum je ein Grönländer sein Eigen genannt.


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