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Zwölftes Kapitel. Erik und Knut melden sich zum Dienst

Erik sprang von der Pritsche hinunter, nahm seine Jacke, die er als Kopfkissen verwendet hatte, und stürzte mit den anderen hinaus.

»Sind die Tiger weg?« flüsterte er und sah sich ängstlich um.

»Ja, aber tummle dich, wir müssen laufen, was Zeug hält!«

Erik beeilte sich, in die Jacke zu fahren, und dann ging es im vollen Lauf denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Knut und Erik voraus und die zwei anderen atemlos und schweißbedeckt dicht hinterdrein. Sie machten nicht früher halt, bis sie das Boot erreicht hatten. Ohne sich eine Sekunde auszuruhen, schoben sie es ins Wasser, stießen ab und ruderten auf die »Celesta« zu, daß der Schaum nur so um den Steven sprühte. Glücklicherweise hatte sich der Nebel über dem Fjord noch nicht gelichtet, so daß vom Land aus kaum jemand diese nächtliche Ruderfahrt beobachten konnte. Als sie ein Stückweit gekommen waren und ein paar Augenblicke auf den Rudern ausruhen wollten, hörten sie ein leises Summen aus der Richtung, in der die »Seeschwalbe« lag.

»Die Maschine ist schon in Gang,« flüsterte Knut und wurde blaß. »Dann ist der Alte auf! Es wird noch das Beste sein, wir rudern zuerst zu ihm hinüber und erzählen ihm die ganze Geschichte auf einmal, sonst machen wir die Sache nur noch schlimmer.«

So ruderten sie denn schweren Herzens, todmüde, von bangen Ahnungen erfüllt, weiter. Einige Minuten später verabschiedeten sich Knut und Erik von ihren zwei dänischen Freunden. Age war blaß, und seine Augen schimmerten feucht, aber er versuchte so mutig zu lächeln, als es gehen wollte.

»Eines ist immerhin ein Trost,« sagte er, indem er den norwegischen Jungen die Hand schüttelte, »daß wir alle miteinander wohl gleichviel Hiebe bekommen dürften. Fayrewell boys, and sailors, hallo!«

Trotz ihrer Beklemmung konnten Knut und Erik nicht umhin, über Age zu lächeln, wie er da mitten im Boot stand, abgerissen und zerfetzt, mit einer großen roten Schramme über der Wange und zerzausten Haaren. Von der gestrigen Kopenhagener Herrlichkeit war wahrlich nicht viel übrig. Aber dafür sah er auch nicht mehr wie ein geschniegelter Schokoladeprinz aus, meinte Erik mit einem Gemisch von Schadenfreude und Mitleid. Sie hatten sich jetzt doch als ganz anständige Kerle erwiesen, diese zwei dänischen Jungen.

»Also lebt wohl, Jungens, und schönen Dank auch,« sagten Erik und Knut und kletterten die Leiter zur »Seeschwalbe« hinauf. Und da stand auch schon Schiffer Rise zu ihrem Empfang gerüstet. Er sah wie eine richtige Gewitterwolke aus.

»Wo seid ihr denn gewesen, meine Herren?« sagte er bloß.

»Wir haben nur – nur einen kleinen Rutscher ans Land gemacht,« stotterte Knut.

»Fünf Stunden nennst du einen kleinen Rutscher?«

»Nein, aber wir hatten gedacht –«

»So, so? Gedacht! Komm mal her!«

Schiffer Rise packte seinen Sohn beim Kragen und führte ihn in die Achterkajüte.

Erik blieb am Geländer stehen, eine Beute der düstersten Ahnungen. Das sah ja nett aus. Wenn es nur schon überstanden wäre – und wenn er nur nicht ans Land gesetzt wurde! Was waren sie für Esel gewesen! Und nicht einmal einen Lachsschwanz hatten sie gefangen.

»Ich bin zu dumm!« murmelte er zu sich selbst und steckte die geballten Fäuste in die Hosentaschen. Aber kaum hatte er dies getan, als er sie blitzschnell wieder herauszog. Etwas dort unten in der Tasche hatte ihn in die Finger gebissen.

»Herrgott, die Lemminge, die habe ich ja ganz vergessen!«

Rasch nahm er die drei kleinen, schwarzgelben Nager aus ihrem Gefängnis und unterzog sie einer flüchtigen Prüfung. Die frische Nachtluft brachte sie augenblicklich zu sich, so daß sie wütender denn je zischten.

Erik steckte sie wieder in ihr Gefängnis zurück, wo sie sofort zu scharren und zu kratzen begannen; denn jetzt waren sie hellwach und auch mordshungrig.

Knut blieb bedenklich lange unten in der Kajüte bei seinem Vater. Da war es vielleicht gut, dachte Erik, unterdessen etwas zu besorgen, ehe es zu spät war.

Er und Knut mußten ja bald auf »Grönlands Schrecken« an Bord – und dort waren doch die Lemminge zu gar nichts nütze. Lieber das Eisen schmieden, solange es warm war; und so wie die Dinge standen, konnte es ja gar nicht schlimmer kommen, meinte Erik. So schlich er denn nach rückwärts, wo der Koch seine Kammer hatte, vor der Türe blieb er stehen und horchte. Der Koch schnarchte, daß die Wände krachten. Ob der wohl überhaupt einmal in seinem Leben richtig wach gewesen war, dieses Murmeltier? Vorsichtiger als ein gewiegter Einbrecher öffnete Erik die Türe und glitt lautlos in die Kammer. Durch das Bullauge strömte ein matter Strahl des silbergrauen Morgenlichts herein. Erik sah den Koch in der Koje liegen, mit offenem Mund, aus dem die Schnarchtöne wie fernes Donnergrollen drangen. Drüben in der Ecke, dicht neben der Koje stand die Zauberdose, aus deren Tiefe Salve Karolus Berg die Geisterbotschaften empfing. Erik nahm behutsam die Geisterdose, klemmte sie unter den Arm und glitt lautlos wieder hinaus. Oben in der Kombüse öffnete er rasch mit Hilfe eines Brotmessers den Deckel. Dann nahm er ein paar Speckschwarten, eine Flocke Butter und drei Brotscheiben und steckte sie in die Dose.

»Etwas Wasser müßt ihr auch haben, ihr armen Dinger,« murmelte er und tauchte einen großen Lappen in den Wasserbottich. »Das wird wohl fürs erste reichen. Und jetzt hinunter mit euch!«

Damit zog er die drei Lemminge aus der Tasche und steckte sie mit dem nassen Lappen in die Dose, schraubte den Deckel wieder zu und schlich in die Kammer des Kochs zurück. Der Koch schlief noch immer; morgen würde er wohl eine schlaflose Nacht haben, wenn er vor dem Einschlafen seine Zauberdose befragte! Es knurrte dort drinnen leise, aber nicht so sehr, daß es etwas ausmachte. Vorläufig jedenfalls. Erik hatte die Dose nun glücklich auf den gewohnten Platz in der Ecke gestellt und wollte gerade wieder hinausschleichen, als er zusammenzuckte. Aus der Kajüte des Kapitäns drangen ein paar durchdringende Schreie. Das war Knuts Stimme.

Im selben Augenblick rührte sich etwas in der Kombüse. Erik fühlte, wie er leichenblaß wurde. Der Koch hatte sich mit einem Ruck aufgesetzt.

»Wer da?« rief Salve Karolus Berg und sprang aus dem Bett.

Erik wagte zuerst nicht zu atmen, sondern blieb wie angewurzelt stehen, während tausend Gedanken und Pläne und Einfälle und Notlügen sich in seinem Hirn kreuzten. Was sollte er tun, was in aller Welt sollte er sagen? Die Wahrheit erzählen – um keinen preis! Da war ja der ganze Spaß verdorben, und er bekam nur eine doppelte Portion Prügel! Etwas mußte er sich ausdenken, aber was – ja, jetzt hatte er es! Während der Koch ein Zündhölzchen anrieb, trat Erik vor und sagte mit der sanftesten Stimme der Welt, obwohl ihm das herz in der Brust nur so hämmerte:

»Ich bin es nur.«

»Du? Erik! Was hast du hier an Bord zu suchen, und noch dazu mitten in der Nacht, du Lausejunge, warum bist du nicht auf dem Leichterschiff?«

Der Koch war jetzt in die Hosen geschlüpft und stand vor Erik, schlaftrunken und etwas unsicher auf den Beinen.

»Ja, siehst du, die Sache ist die – daß – also ich und Knut, wir haben so hundsgemeines Bauchweh bekommen – und da sind wir also herübergerudert, um uns ein paar Tropfen zu holen. Wir fahren ja schon in einer halben Stunde ab – und da wäre es doch zu spät geworden –!«

Der Koch wollte gerade antworten, als sie beide hörten, wie der Schiffer oben vom Verdeck mit Donnerstimme »Erik! Erik!« rief.

»Ja, du mußt schon entschuldigen,« stammelte Erik und fühlte, wie ihm das Herz bis zum Hals herauf schlug, »der Schiffer ruft mich – vergiß also bitte nur ja die Tropfen nicht – sei so gut!« Damit schlüpfte er zur Türe hinaus, lief auf das Verdeck und meldete sich beim Schiffer zum Dienst.


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