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Fünftes Kapitel. Wenn man auf den Bänken krank wird

»Hallo, Jungs!«

Knut und Erik liefen auf das Vorderdeck hinunter. Es war Hjalmar vom Fuglafjord, der angelegt hatte. Der andere im Hilfsboot war Trondur – alle beide waren sie ganz außer Atem, so schnell hatten sie gerudert.

»Weckt den Schiffer, Jungs,« keuchte Hjalmar, »Ryßt liegt im Sterben.«

»Was? Ryßt? Im Sterben?«

Knut lief, so rasch er nur konnte, nach achtern, um den Schiffer zu wecken.

»Ryßt stirbt,« schrie er und schüttelte den Vater, der sich schlaftrunken und ganz verwirrt in der Koje aufrichtete. »Die Färöer sind hergerudert, weil Ryßt stirbt!«

Eine halbe Minute später war Schiffer Rise auf dem Verdeck, und der Koch folgte ihm auf den Fersen. Berg ging noch wie im Schlafe herum und schleppte eine Medizinkiste. Teufel auch, daß die Leute sich keine vernünftige Zeit aussuchen konnten, um krank zu werden! »Erik, Erik, so hilf mir doch mit der Kiste, du Faultier!« Rise nahm sich nicht die Zeit, nach irgendetwas Überflüssigem zu fragen, sondern sprang sofort in das Hilfsboot. Und der Koch mit der Medizinkiste hinterdrein.

»Rudert los, Burschen, aber rasch!« kommandierte der Schiffer. Wie ein Torpedo schoß das Boot durch die Wellen. Die Färöer ruderten, daß sie ganz dunkelrot im Gesicht waren.

Unterdessen hatte Knut die ganze Mannschaft aufgeweckt, denn wenn Ryßt im Sterben lag, mußten sie doch alle wach sein. Inzwischen machte Erik im Herd Feuer, wozu er beinahe eine halbe Flasche Petroleum verwendete, und stellte den Kaffee auf. Das konnte man brauchen, meinte er, und die anderen meinten es auch. Sie waren alle wie ein Mann auf das Verdeck gestürzt und standen nun in Gruppen beisammen und flüsterten; aber es dauerte nicht lange, so tauchte einer von ihnen in der Kombüse auf und fragte ungeduldig, ob Erik denn schliefe oder ob sie vielleicht bis Mittag warten müßten, um einen Schluck Kaffee zu bekommen.

Knut hatte sich in die Kombüse gesetzt. Er war ganz erhitzt und erschrocken, aber dabei nicht wenig stolz und seiner eigenen Bedeutung bewußt.

»Da siehst du, Erik,« sagte er, »habe ich nicht so ein Vorgefühl gehabt, daß in meiner Wache etwas passieren würde?«

Es dauerte beinahe eine Stunde, bis der Schiffer mit den Färöern zurückkam. Alle Mann hatten sich am Geländer aufgestellt und warteten gespannt.

»Er hat Morphium bekommen,« sagte der Schiffer kurz und sprang an Bord. »Jetzt ist er ruhiger.«

»Ist es gefährlich?«

»Sieht so aus. Im Rücken sitzt es. Aber es muß schon etwas Innerliches sein. Wir müssen ihn so rasch wie möglich nach Godthab bringen. In einer halben Stunde müssen wir ihn holen.«

Die Ankerketten wurden gehoben, und zehn Minuten später glitt die »Seeschwalbe« langsam an die Seite der »Celesta«. Ryßt, der schon eingeschlafen war, aber im Morphiumrausch noch jammerte, wurde sofort in die Kajüte der »Seeschwalbe« hinübergetragen, und nachdem Schiffer Rise Erik und drei der Fischer an Bord des Leichterschiffs beordert hatte, um der kleinen Mannschaft beizustehen, falls etwas Unvorhergesehenes sich ereignen sollte, steuerte die »Seeschwalbe« mit Volldampf der grönländischen Seegrenze zu. Es war eine Fahrt von ungefähr vier Stunden, aber es waren kostbare Stunden, jetzt mitten in der Schönwetterzeit und bei dem reichen Fischfang. Unterdessen wurde in dem Motorboot eine Art Lager für den Kranken hergerichtet, der Motor ausprobiert und Wasser und Proviant an Bord gebracht. Die ganze Zeit studierte Rise ängstlich das Barometer, sah sich das Wetter von allen Seiten an und beriet sich mit Syver, der ja eine lebende Wetterwarte war. Syver schnupperte zuerst nach Osten, dann nach Westen, sah sich den Flug der Möwen an und horchte auf ihre Schreie.

»Das hält sich noch mindestens zwölf Stunden,« sagte er schließlich, und da der Schiffer selbst zu dem gleichen Ergebnis gekommen war, fühlte er sich beruhigt. Man muhte es eben riskieren, wenn soviel auf dem Spiele stand. Endlich tauchten die Kitsigutinseln auf, oder Kokosinseln, wie die Schiffer dieses Gewühl von Inselchen nennen, die gerade vor der Einfahrt nach Godthab liegen, obgleich wohl keine Inseln der Welt weniger mit Kokospalmen zu tun haben als diese. Da machte die »Seeschwalbe« fest, das Motorboot mit Ryßt an Bord wurde herabgelassen, der Bootsmann und Syver kletterten hinein, und eine halbe Minute später schoß es mit voller Fahrt aus Godthab, Grönlands »Hauptstadt« zu, einen kleinen, ganz idyllischen Flecken, den die Grönländer selbst »Nuk« nennen und der, abgesehen davon, daß er der Sitz der höchsten Beamten der Kolonie ist, auch über ein kleines Krankenhaus verfügt. Es ist eine schwierige Einfahrt nach Godthab, mit hunderten von kleinen Inselchen und Schären. Nur die Schiffer, die die eigenen Schiffe der königlich grönländischen Handelsflotte führen, dürfen sich ordentliche Seekarten anschaffen. Und da es dort weder Leuchttürme, noch Lotsen oder Seezeichen gibt, ist es für fremde Seeleute nicht leicht, größere Schiffe hineinzulotsen. Man muß sich, wenn Nebel ist, Meter für Meter weitermanövrieren.

Schiffer Rise stand auf der Brücke und sah das Motorboot im Nebel verschwinden. Dann gab er Befehl zu wenden, und mit so großer Geschwindigkeit, als die Maschine überhaupt leisten konnte, dampfte die »Seeschwalbe« zum Fischfeld zurück. Im Laufe der letzten Stunde hatte sich ein leichter Nebelschleier über die Davisstraße gesenkt, aber das Meer war glücklicherweise spiegelglatt. Sterz-Ulrich hatte die Wache am Ruder, das war ihm das Allerliebste, denn da konnte er gemütlich mit dem Schiffer schwatzen, Heute war Kapitän Rise jedoch wortkarger denn je. Kein Wunder, er hatte wahrlich genug zu denken. Jede Minute war wichtig. Die kostbaren Leinen lagen nun seit gestern Abend da; wie, wenn sie ganz voll von Fischen waren? Dann konnte die schwere Last sie zum Reißen bringen, und es konnte leicht geschehen, daß sowohl Netze wie Fang zum Teufel gingen. Außerdem konnte Treibeis kommen und sie entzweischneiden. Hauptsächlich aber dachte er an die »Celesta«, die alt und hilflos allein dort draußen im Feld lag. Mit dem Fernrohr vor den Augen stand er auf der Kommandobrücke und starrte die Straße hinunter. Knut, der zu ihm hinaufgekommen war, schien es, als ob seine Hand ein wenig zitterte, und ein bekümmerter Zug seine Stirn beschattete. Aber er wagte nichts zu fragen, denn er hörte ja die kurzen, abweisenden Antworten, die der Vater Sterz-Ulrich jedesmal gab, wenn dieser versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen.

Plötzlich rief der Auslugmann von der Back her:

»Erste Leinenboje in Sicht!«

Schiffer Rise war eben in die Navigationskäjüte gegangen, um einen Blick auf die Seekarte zu werfen, als er den Ruf hörte. Er lief hinaus und nahm das Fernrohr. Ganz deutlich sah er auf der Backbordseite eine der Leinenbojen der »Seeschwalbe« daliegen und sich in der Strömung schaukeln. Der schwarze Wimpel mit dem weißen S, der von der schlanken Bambusstange wehte, war nicht zu verkennen. Und bald tauchten noch drei, vier andere Bojen auf.

Aber die »Celesta« war verschwunden!


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