Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Elftes Kapitel

Leibgebers Schreiben über den Ruhm – Firmians Abendblatt

Ich habe den Leser im vorigen Kapitel aus wahrer Liebe betrogen: gleichwohl muß man ihn noch so lange im Betruge sitzen lassen, bis er folgendes Briefchen von Leibgeber durchgelesen:

Vaduz, d. 2. Febr. 1786

Mein Firmian Stanislaus!

Im Mai bin ich in Baireuth; und Du mußt auch dahin. Weiter hab' ich Dir jetzo nichts Wichtiges zu schreiben; aber das ist ja wichtig genug, daß ich Dir am 1ten Tag des Wonnemonats in Baireuth anzulangen anbefehle, weil ich etwas ungemein Tolles und Erhebliches und Unerhörtes mit dir vorhabe, so wahr Gott lebt. Meine Freude und Dein Glück hängt an Deiner Reise; ich würde Dir das Geheimnis schon in diesem Briefe offenbaren, wenn er aus meiner Hand in keine ginge als sogleich in Deine. – Komm! – Du könntest ja mit einem gewissen Kuhschnappler Rosa reisen, der aus Baireuth seine Braut holen will. Sollte aber der Kuhschnappler, was Gott verhüte, jener Meyern sein, wovon Du mir geschrieben, und käme dieser Goldfisch angeschwommen, um seiner schönen Braut mit seinen dürren, dünnen Armen mehr Kälte zu geben als Wärme, wie man in Spanien ähnliche ordentliche Schlangen um die Bouteillen zum Kühlen legt, so will ich ihr, wenn ich nach Baireuth komme, die besten Begriffe von ihm beibringen und darauf beharren, daß er zehntausendmal besser sei als der Häresiarch Bellarmin, der in seinem Leben viel öfter, nämlich 2236mal die Ehe gebrochen. Du weißt, daß dieser Vorfechter der Katholiken mit 1624 Weibern einen verbotnen Umgang gepflogen; er wollte als Kardinal zugleich die Möglichkeit des katholischen Zölibats und die Möglichkeit der päpstlichen Beschreibung einer Hure zeigen, welche die Glossa zu einer Regimentinhaberin von 23000 Mann erhebt. – Ich wünsche herzlich, den Heimlicher von Blaise zu sehen; ich würde ihm, wenn er mir näher stände, von Zeit zu Zeit, weil ihm immer etwas im Schlunde steckt, das er schwer hinunterbringen kann – und wär's eine Erbschaft oder fremdes Haus und Hof –, ich würd' ihm, wie man zur Heilung pflegt, starke Schläge in den hohlen Rücken geben und den Ausgang erwarten, den des Bissens nämlich. – Ich bin seither überall herumgehinkt mit meiner Silhouettenschere und ruhe nun in Vaduz bei einem studierenden bibliothekarischen Grafen aus, der wirklich verdiente, daß ich ihn zehnmal mehr lieb hätte; ich habe aber an Dir schon mehr als zuviel fürs Herz, und ich finde überhaupt die Menschen und den Kräuterkäs der Erde, in den sie sich einreißen, täglich mürber und fauler. Ich muß Dir sagen: hole der Teufel den Ruhm; ich werde nächstens verschwinden und unter die Menge rennen und jede Woche mit einem neuen Namen aufsteigen, damit mich nur die Narren nicht kennen. – – Oh! Es waren einmal einige Jahre, wo ich wünschte etwas zu werden, wenn nicht ein großer Autor, doch wenigstens ein neunter Kurfürst, und wenn nicht belorbeert, doch infuliert, wenn nicht zuweilen Prorektor, doch häufig Dekan. Damals würd' es mich geletzet haben, wenn ich die größten Steinschmerzen und also verhältnismäßige Blasensteine hätte überkommen können, damit ich aus der Blase Steine zu einem Altar oder Tempel meines Ruhms hätte edieren mögen, der noch höher als die Pyramide gewesen wäre, die Ruysch in den Naturalienkabinettern aus den 42 Blasensteinen einer ehrlichen Frau zusammenbrachteDictionnaire des Merveilles de la nature par Sigaud de la Fond. T II. – Die Art, wie eine ägyptische Königin eine Pyramide aus losen Steinen aufschichtete, und zwar höher, aber mit geringern Schmerzen als die obige Frau, ist bekannt und gehört nicht unter Sigauds Merveilles de la nature. . Siebenkäs, ich hätte mir aus Wespen, wie Wildau aus Bienen, einen stachlichten Philosophenbart geknüpft, um nur dadurch bekannt zu werden. »Ich lasse zu (sagt' ich damals), es ist nicht jedem Erdensohn beschert, und er soll es nicht fodern, daß ihn eine Stadt tot schlagen will, wie den hl. Romuald (wie Bembo in dessen Leben berichtet), um nur seinen hl. Leib als Reliquie wegzuschnappen; aber er kann doch, dünkt mich, ohne Unbescheidenheit sich wünschen, daß, wenn nicht seinem Pelzrocke, wie Voltairens seinem in Paris geschah, doch seinem Scheitel einige Haare zum Andenken von Leuten ausgezogen werden, die ihn zu schätzen wissen, ich meine vorzüglich die Rezensenten.«

Anders dacht' ich damals nicht; aber jetzo denk' ich gescheuter. Der Ruhm verdient keinen Ruhm. Ich saß einmal in einem naßkalten Abend draußen auf einem Grenzstein und sah mich an und sagte: was kann denn im Grunde aus dir werden? – Stehen dir Wege offen, gleich dem sel. Cornelius AgrippaDieses und alles folgende, was Agrippa ward und hatte, steht in Naudé (Naudäi) Abhandlung von den Gelehrten, die man für Zauberer gehalten, unter dem Namen Agrippa. , Kriegsekretär des Kaisers Maximilian und Historiograph des Kaiser Karls V. zu werden? Kannst du dich zu einem Syndikus und Advokaten der Stadt Metz, zu einem Leibmedikus der Herzogin von Anjou und zu einem theologischen Professor zu Pavia aufschwingen? – Bemerkst du, daß der Kardinal von Lothringen so gern bei deinem Sohne Gevatter stehen will, als ers beim Sohne des Agrippa wollte? – Und wär' es nicht lächerlich, wenn du aussprengtest und prahltest, daß ein Markgraf in Italien, der König von England, der Kanzler Merkurius Gatinaria und Margarita (eine Prinzessin aus Oesterreich) dich sämtlich in dem nämlichen Jahre habe in ihre Dienste ziehen wollen? wär's nicht lächerlich und erlogen, nicht einmal der Schwierigkeit der ganzen Sache zu gedenken, da diese Leute alle schon viele Jahre vorher zu Niklasruh und Schlafpulver des Todes zersprangen, ehe du als Zünd- und Knallpulver des Lebens auffuhrst? – In welchem bekannten Werke, ich bitte dich, nennt Paul Jovius dich ein portentosum ingenium, oder welcher andere Autor zählt dich unter clarissima sui seculi lumina? – Würden es nicht Schröckh und Schmidt in ihren Reformationgeschichten im Vorbeigehen angezeigt haben, wenns wahr wäre, daß du bei vier Kardinälen und fünf Bischöfen und beim Erasmus, Melanchthon und Capellanus in außerordentlichem Kredit ständest? – – Gesetzt aber auch, ich läge wirklich mit dem Cornelius Agrippa unter derselben großen Laube und Staude von Lorbeerkränzen: so ging' es bloß einem wie dem andern, wir faulten dunkel unter dem Buschwerke fort, ohne daß in Jahrhunderten einer käme und das Gestrippe aufzöge und nach uns beiden sähe.

Es hülfe mir noch weniger, wenn ichs gescheuter machen und mich in einem Anhange der Allgem. deutschen Bibliothek wollte preisen lassen; denn ich stände jahrelang mit meinem Lorbeerreis auf dem Hut drinnen, in diesem kühlen Taschen-Pantheon, in meiner Nische, mitten unter den größten Gelehrten, die um mich auf ihren Paradebetten herumlägen oder -säßen, jahrelang, sag' ich, ständen wir Bekränzte allein in unserem Tempel des Ruhms beisammen, eh' ein Mensch die Kirchtüre aufmachte und nach uns sähe oder hineinginge und vor mir kniete – und unser Triumphwagen wäre bloß von Zeit zu Zeit ein Karren, worauf der besetzte Tempel mit seiner Fülle in eine Versteigerung geschoben wird.

Dennoch würd' ich mich vielleicht darüber wegsetzen und mich unsterblich machen, könnt' ich nur halb und halb hoffen, daß meine Unsterblichkeit andern Leuten zu Ohren käme als solchen, die noch in der Sterblichkeit halten. Aber kann das aufmuntern, wenn ich sehen muß, daß ich gerade den berühmtesten Leuten, denen jährlich der Lorbeerkranz, wie andern Toten der Rosmarin, im Sarge weiter über das Gesicht hereinwächst, ein inneres unbekanntes Afrika bleibe; vorzüglich einem Ham, Sem, Japhet – dem Absalon und seinem Vater – den beiden Katonen – den beiden Antoninen – dem Nebukadnezar – den 70 Dolmetschern und ihren Weibern – den sieben griechischen Weisen – sogar bloßen Narren wie Taubmann und Eulenspiegel? – Wenn ein Heinrich IV. und die vier Evangelisten und Bayle, der doch sonst alle Gelehrte kennt, und die hübsche Ninon, die sie noch näher kennt, und der Lastträger Hiob oder doch der Verfasser des Hiobs nicht wissen, daß nur ein Leibgeber je auf der Welt gewesen; wenn ich einer ganzen Vorwelt, d.h. sechs Jahrtausenden voll großer Völker, ein mathematischer Punkt, eine unsichtbare Finsternis, ein miserables je ne sais quoi bin und bleibe: so seh' ich nicht, wie mir dies die Nachwelt, an der vielleicht nicht viel ist, oder die nächsten sechs Jahrtausende erstatten wollen und können.

Noch dazu kann ich nicht wissen, was es für herrliche himmlische Heerscharen und Erzengel auf andern Weltkugeln und Kügelchen der Milchstraße, dieser Paternosterschnur voll Weltkugeln gibt; Seraphe, gegen die ich in keine Betrachtung komme, ausgenommen als ein Schaf. Wir Seelen schreiten freilich ansehnlich auf der Erde fort und empor – die Austerseele erhebt sich schon zu einer Froschseele – diese steigt in einen Stockfisch – der Stockfischgeist schwingt sich in eine Gans – dann in ein Schaf – dann in einen Esel – ja in einen Affen – endlich (etwas Höhers lässet sich nicht mehr gedenken) in einen Buschhottentotten. Aber ein solcher langer peripatetischer Klimax blähet den Menschen nur so lange auf, als er nicht die folgende Betrachtung macht: wir kundschaften unter den Tieren einer Klasse, worunter es so gut als unter uns Genies, gute offne Köpfe und wahre Einfaltpinsel geben muß, nichts aus als letzte, höchstens Extreme. Keine Tierklasse liegt nahe genug an unserer Sehhaut, daß nicht die feinen Mitteltinten und Abstufungen ihres Werts zusammenfließen müßten. – Und so wird es uns ergehen, wenn ein Geist im Himmel sitzt und uns alle ansieht: wegen seines Abstandes wird er Mühe haben (vergebliche), einen wahren Unterschied zwischen Kant und seinen Rasierspiegeln der Kantianer, zwischen Goethe und seinen Nachahmern zu erkennen, und besagter Geist wird Fakultisten von Dunsen, Profeßhäuser von Irrenhäusern wenig oder gar nicht zu unterscheiden wissen. – Denn kleine Stufen laufen vor einem, der auf den höhern steht, völlig ein.

Das benimmt aber einem Denker Lust und Mut; und ich will verdammt sein, Siebenkäs, wenn ich bei solcher Lage der Sachen mich jemals hinsetze und außerordentlich berühmt werde, oder mir die Mühe gebe und das scharfsinnigste Lehrgebäude aufmauere oder einreißen oder etwas Längers schreibe als einen Brief.

Dein, nicht mein
Ich         L.

N.S. Ich wollte, Gott fristete mir nach diesem Leben das zweite, und ich könnte in der andern Welt mich an Realien machen; denn diese ist wahrlich zu hohl und zu matt, ein miserabler Nürnberger Tand – nur der fallende Schaum eines Lebens – ein Sprung durch den Reif der Ewigkeit – ein mürber, staubender Sodomsapfel, den ich gar nicht aus dem Maule bringen kann, ich mag sprudeln, wie ich will. O! –

*

Solchen Lesern, denen dieser Scherz nicht ernsthaft genug ist, will ich irgendwo dartun, daß er es zu sehr ist, und daß nur eine beklommene Brust so lachen, daß nur ein zu fieberhaftes Auge, um welches die Feuerwerke des Lebens wie fliegende Spiel-Funken schweifen, die dem schwarzen Star vorflattern, solche Fieberbilder sehen und zeichnen könne. –


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